Ich fordere Sie auf: Nehmen auch Sie Vernunft an und bereiten Sie gemeinsam mit uns dem Elend ein Ende. Das Ganze beruht nicht einmal auf einer EU-Richtlinie, sondern auf nichts als dem politischen Willen der Altparteien - also buchstäblich auf nichts.
Sie können sich dieses Mal nicht mit irgendeiner Rechtslage herausreden. Im Grunde wissen Sie doch auch selbst, dass diese Reform nicht mehr zu halten ist. Stimmen Sie unserem Antrag zu und fordern Sie die Landesregierung auf, ein Ausstiegsszenario vorzulegen; denn - ich schließe mit einem Wort von Friedrich Nietzsche - was fällt, das soll man stoßen.
Vielen Dank, Herr Dr. Tillschneider. - Bevor wir in die Debatte einsteigen, spricht für die Landesregierung Herr Minister Prof. Dr. Willingmann. Sie haben das Wort, bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wir sind es in der Wissenschaft gewohnt, relativ nüchtern mit Dingen umzugehen, sachlich, ausdifferenziert. Ein bisschen hatte ich mir das auch für die Wissenschaftspolitik gewünscht. Ich merke jetzt aber, dass wir offenbar doch in einen schärferen Disput eintreten. Deshalb darf ich zunächst kurz die Formulierung des AfD-Antrags aufgreifen und nur ein paar Missverständnisse beseitigen, damit wir wissen, wovon wir eigentlich reden.
In dem Antrag mit der Überschrift „‘BolognaProzess’ kontrolliert rückabwickeln - Deutsche Universität stärken!“ wird die flächendeckende Wiedereinführung des Studiengangs - ich betone: des Studiengangs - Magister Artium an den Universitäten gefordert. Ich darf darauf hinweisen, dass es im Land Sachsen-Anhalt 590 Studiengänge gibt. Sie meinen offenbar Studienabschlüsse.
Sie fordern ferner die Wiedereinführung der Studiengänge Diplom- und Staatsexamen und meinen auch hierbei offenbar die Studienabschlüsse. Dann fordern Sie - ich zitiere - den „sofortigen Ausstieg aus dem Akkreditierungsverfahren. Die Genehmigung neuer Studiengänge ist allein Sa
che der Hochschulen und Ministerien […]“. Ich darf darauf hinweisen, dass die Rechtslage in Sachsen-Anhalt eindeutig ist: Die Genehmigung eines Studiengangs hängt nicht von der Akkreditierung ab. Sie fordern etwas, das bei uns längst Rechtslage ist.
Wenn man Ihren Antrag mit den entsprechenden Korrekturen betrachtet, dann erlaube ich mir, dazu Stellung zu nehmen, und zwar in gebotener Kürze, weil wir es in der Tat mit einem sehr breiten, einem sehr differenzierten Problem zu tun haben.
Ich bin kein Anhänger einer Früher-war-allesbesser-Philosophie, aber sich einzureden, dass die Situation an den deutschen Universitäten vor Bologna so wundervoll war, dass keinerlei Reformbedarf bestanden hätte, das ist nun wirklich nicht sehr real.
Ziel des Bologna-Prozesses war - Sie haben es jedenfalls umrissen - die Einführung gestufter Studiengänge, die vereinfachte Anerkennung von Studienleistungen, die Qualitätssicherung, die Mobilität der Hochschulangehörigen, lebenslanges Lernen und die Einbeziehung von Hochschulen und Studierenden in diesen Prozess.
Natürlich hat es dabei Probleme gegeben. Das kann man gar nicht leugnen. Das ist bei Transformationsprozessen so. Es ist nicht alles gleich gelungen. Anfangs war vieles überbürokratisiert und wir haben in Deutschland vieles - horribile dictu, aber das ist nun einmal so - sehr engherzig ausgelegt.
Aber all das stellt das Grundsätzliche nicht infrage. Wir haben ja auch einige Erfolge oder jedenfalls Dinge, die nach Bologna, nach dem Jahr 1999 und nach der Erklärung der europäischen Bildungsminister zu verzeichnen sind.
Hier im Land, in Deutschland, haben wir 90 % unserer Studiengänge auf das Modell von Bachelor und Master umgestellt. Im Land SachsenAnhalt sind es 85 % aller Studiengänge. Wir haben damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Absolventinnen und Absolventen erhöht, wenn nicht auf dem deutschen Markt, so in jedem Fall auf dem internationalen Markt.
Die Studiendauer - bitte erinnern Sie sich daran, wenn Sie sich ein bisschen mit Wissenschaftspolitik beschäftigt haben; es ging gerade viel um Geisteswissenschaft; ich darf es einmal generell für alle Studiengänge sagen - ist in Deutschland mit den gestuften Studienabschlüssen deutlich reduziert worden. Im Jahr 1998, vor Bologna, brauchte man durchschnittlich 13,4 Semester, um ein Diplom zu erlangen. Beim Masterabschluss - das ist schon das gestufte Modell - sind es 10,8 Semester. Beim Bachelor sind es sieben Se
mester. Das ist der erste berufsqualifizierende Abschluss. Das war gewollt und es ist erreicht worden.
Wir haben zurzeit rund 150 000 deutsche Studierende, die im Ausland studieren. Im Jahr 1998 waren es 46 000.
Wir haben in Sachsen-Anhalt im Jahr 2001, also kurz nach Bologna, rund 2 000 ausländische Studierende gehabt. Heute sind es 6 000.
All das ist wünschenswert. All das trägt dazu bei, dass unsere Wissenschaftslandschaft wettbewerbsfähig ist und dass sie vor allen Dingen auch im Ausland wahrgenommen wird.
Natürlich kann man darüber streiten, wie Qualitätssicherung - das fordert der Bologna-Vertrag - betrieben wird, ob mit Akkreditierungsagenturen oder mit anderen. Aber dass sie betrieben wird, darüber würden Sie doch auch in keinem Unternehmen streiten. Sie würden doch nicht darüber streiten, dass man eine Qualitätssicherung einführt und sagt, wir stellen unsere Studiengänge gelegentlich auf den Prüfstand.
Das sind keine abgewrackten Funktionäre - das darf ich einmal sagen -, sondern das ist ein PeerReview-Verfahren, bei dem man ganz nüchtern sagen kann: Liebe Leute, dabei korrigiert die Klientel, dabei korrigiert die wissenschaftliche Szene ihre Kollegen. Ich halte das nach wie vor für ein vernünftiges Verfahren, auch wenn sich jetzt etwas ändert und ändern muss - da bin ich ganz bei Ihnen. Diese Probleme werden in Deutschland wissenschaftsadäquat gelöst.
Hochschulen deutlich gesteigert. Wir haben einen dynamischen Prozess ausgelöst, fraglos keinen fehlerfreien, aber einen dynamischen. Er eröffnet internationale Perspektiven, die übrigens auch für ausländische Wissenschaftler interessant sind. Auch hierbei muss ich noch einmal an alle appellieren: Wir wollen Wissenschaft international. Wir wollen den ausländischen Wissenschaftler hier bei uns, und wir möchten, dass unsere ins Ausland gehen.
Dafür brauchen wir aber Abschlüsse, die international bekannt und anerkannt sind. Man muss sich einfach von der Vorstellung freimachen, dass wir das alles in Deutschland national lösen könnten.
Ich sehe aber ein, dass Bologna fortentwickelt, jedoch nicht rückabgewickelt werden muss. Nur das, diese Fortentwicklung, stärkt unsere Hochschullandschaft. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN, von Florian Philipp, CDU, und von Ulrich Thomas, CDU)
Vielen Dank, Herr Minister. Es gibt Nachfragen. - Die erste Nachfrage kommt vom Abg. Herrn Striegel. Danach fragt Herr Tillschneider.
Herr Minister, geben Sie mir recht darin, dass wir, wenn es das Ziel des Landes Sachsen-Anhalt und dieser Landesregierung ist, dass mehr internationale Studierende nach Sachsen-Anhalt kommen, im Land auch ein Klima von Weltoffenheit brauchen
Herr Abg. Striegel, Weltoffenheit versteht sich bei Wissenschaft von selbst. Selbstverständlich brauchen wir sie, sonst schrecken wir ab.
Ich habe ein paar Nachfragen. Ich würde gern wissen, ganz konkret, welche Missstände durch den Bologna-Prozess behoben wurden. Bitte sagen Sie nicht, Dynamisierung oder irgendwelche Phrasen, sondern sagen Sie ganz konkret: Welche Missstände, die vorher bestanden, wurden durch den Bologna-Prozess gelöst? Das ist die eine Frage.
Meine zweite Frage. Ich kann es mir schon erlauben, über dieses Thema kompetent zu sprechen; denn ich habe drei Modulhandbücher schreiben müssen und war an Konzeptionen von Studiengängen nach diesem neuen System beteiligt. Ich muss Ihnen sagen: Der bürokratische Aufwand, der notwendig war, um jemandem ein Auslands
Das war früher sehr einfach und locker. Jetzt ist die Freiheit weg. Sicherlich gehen vielleicht einige ins Ausland, aber sie können nur in den vorgegebenen Bahnen ins Ausland gehen. Sie können nicht entscheiden: Ich gehe hierhin oder dorthin oder dahin. Es muss sozusagen Kooperationsprogramme geben, auf die sie zurückgreifen können, und auf diese werden sie verwiesen. Aber eine echte Freiheit ist dahin.
Herr Dr. Tillschneider, das letzte sind Wertungen Ihrerseits. Sie empfinden das so. Möglicherweise empfindet das auch der eine oder andere Hochschullehrer so, der sich jetzt dadurch beschnitten sieht, dass seine Leistung, das, was er in der Vorlesung anbietet, tatsächlich auch vorher niedergelegt werden muss und danach überprüft werden kann. Ich persönlich empfinde das nicht als eine dramatische Einschränkung. Nun bin ich allerdings auch Hochschullehrer und dem Ganzen unterworfen.
Ein konkreter Missstand. Wir wollten die internationale Vergleichbarkeit herstellen. Darauf hatten sich die europäischen Bildungsminister im Jahr 1999 geeinigt. Das war seinerzeit eben nicht möglich. Es war hoch individuell möglich, mit seinen Zeugnissen und Ähnlichem ins Ausland zu gehen und dann zu schauen, was passiert. Das sollte standardisiert werden. Es spricht vieles dafür, weil diese Standardisierung dazu führt, dass die Mobilität erhöht wird.
Das Zweite war aber - das wissen Sie doch aus der deutschen Diskussion -, dass wir ein erhebliches Problem mit Langzeitstudierenden hatten. Wir hatten ein erhebliches Problem damit, dass unsere Studiengänge in ihrer konkreten Ausformung und in der Dauer, die einzelne Studierende dafür gebraucht haben, deutlich zu lang waren. Das hat sich damit verändert.