Herr Farle, ich verbinde nur eine Frage mit meinem Gewissen: Ich habe einen Amtseid geleistet, nämlich Schaden von diesem Land und von den Bürgerinnen und Bürgern abzuwenden. Das ist für mich eine Gewissensfrage.
Das Zweite müssen Sie mir aufgrund meiner Ausbildung, die ich einmal genossen habe, zugestehen. Ich bin schon in der Lage, Statistiken sehr genau zu lesen. Ich weiß auch, dass Statistiken nicht nur ein Zahlenwerk darstellen, sondern dass sich dahinter Schicksale verbergen, dass es hier um Menschen aus Fleisch und Blut geht mit allem Drum und Dran. Für diese Menschen tragen wir alle Verantwortung. Es geht hier also nicht nur um irgendwelche Balkendiagramme.
Das Dritte, das ich in dem Zusammenhang sagen möchte, ist Folgendes: Diese Maßnahmen machen wir vor dem Hintergrund der Kapazitäten unseres Gesundheitswesens. Da ist es nicht ein
mal vordergründig, wie viel wir in Sachsen-Anhalt inzwischen an Aufrüstung an Intensivbetten vorgenommen haben und wie viel Beatmungsmöglichkeiten in den Intensivstationen wir haben, sondern wie viel Personal wir haben und vor allem wie sich die besonders schweren Fälle durch die Betroffenheit vulnerabler Gruppen entwickelt haben.
Vor diesem Hintergrund, einschließlich auch der täglichen Kommunikation mit den Ärzten und den Einrichtungen, die in diesem Lande Hervorragendes leisten, ist das eine unabweisbare Entscheidung, die dann getroffen werden muss, wenn wir in den nächsten Monaten keine Situation haben wollen, wie wir sie weltweit woanders gesehen haben.
Herr Ministerpräsident, den aktuell gültigen Teillockdown haben Sie damals unterstützt und in der letzten Sitzung begründet, indem Sie sagten, es war ein Akt der Solidarität gegenüber den anderen Bundesländern, da in Sachsen-Anhalt der Teillockdown zu dem damaligen Zeitpunkt nicht notwendig gewesen wäre.
Daran schließt sich die erste Frage an: Wie wird die Landesregierung analysieren, wie viele Schicksale und Existenzen betroffen waren und insgesamt wie viel Schaden dem Land SachsenAnhalt durch diesen Akt der Solidarität entstanden ist?
Zweite Frage. Ist der morgige Shutdown auch wieder ein Akt der Solidarität oder gibt es diesmal andere Beweggründe?
Herr Schmidt, ich bitte Sie, dies immer im Gesamtkontext und nicht immer nur durch das Herausnehmen eines Satzes zu benennen. Die Statistik, die die Bundesregierung für ihre Entscheidungsprozeduren auch in Richtung der Länder zugrunde legt, hat damals eine klare Definition vorgenommen, nämlich die, dass im Prinzip die Nachverfolgbarkeit bei mehr als 50 Fällen zu Problemen führt und demzufolge in diesem Zusammenhang eine schwierige Entwicklung zur Folge hätte.
Das Problem, das wir hatten, ist, dass wir, als wir die Entwicklung unserer Zahlen gesehen haben, als Einzelland noch nicht hätten zu dieser Maßnahme schreiten müssen, weil die Festlegung, die wir mit den Ministerpräsidenten getroffen haben, sich an einer Inzidenzzahl von 50 festgemacht hat.
Man konnte aber sehen, wie sich die Zahl in Deutschland insgesamt entwickelt, auch von Süden nach Norden. Wenn Sie sich die Landkreise bei uns ansehen - bis auf Sonder-Hotspots, die wir in bestimmten Einrichtungen zwischendurch auch hatten -, dann können Sie erkennen, wie es sich auch geografisch so entwickelt, dass wir uns bestimmten Maßnahmen nicht entziehen können; denn die Welt ist keine Insel. Deswegen war die Entscheidung damals genau richtig.
Uns liegen Analysen und Zahlen dazu vor, dass wir, wenn wir es nicht gemacht hätten, einen wesentlich stärkeren Anstieg gehabt hätten, also dieses Vorgehen Effekte mit sich gebracht hat. Allerdings brachte es nicht die Effekte, die wir uns alle, nämlich die 16 Bundesländer und das Bundeskanzleramt und die Bundesregierung, erhofft haben. Deswegen jetzt ein weiterer Schritt.
Uns ist voll bewusst, was dies für Konsequenzen für die Wirtschaft hat. Die Wirtschaftshilfen kosten enorm viel Geld und sie sind notwendig, weil es ein staatlicher Eingriff ist, der entsprechend kompensiert werden muss; zumindest anteilig, also nicht mit Blick auf das Reduzieren des Risikos für das Leben, sondern mit Blick auf den staatlichen Eingriff.
Deswegen kann ich nur sagen: Ja, wir werden diese Unterstützung der Wirtschaftsunternehmen und der vielen Einzelschicksale, die damit verbunden sind, weiter im Auge haben. Dazu laufen gerade Verhandlungen. Der Chef der Staatskanzlei ist übrigens deswegen noch nicht anwesend, weil dazu gerade eine Schalte stattfindet.
Ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, dass es bezüglich der Flankierung dieser Maßnahmen in keinem Land dieser Welt einen so großen Aufwand gibt wie in Deutschland. Wir in Sachsen-Anhalt werden uns mit Blick auf unseren Anteil in diesem Zusammenhang ebenfalls solidarisch verhalten.
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - Ich habe das Signal gesehen. Sie haben eine Nachfrage. Bitte.
Herr Ministerpräsident, mich würde interessieren, ob diese überdurchschnittlichen Aufwendungen, die es im europäischen Vergleich so nicht gibt, für die Unternehmen in Sachsen-Anhalt genügen.
Uns ist bewusst, dass eine 100-prozentige auf den Einzelfall herunterbrechbare Wirtschaftshilfe nur schwer zu organisieren ist, weil wir mit entsprechenden Systemen arbeiten, die wir pauschalieren müssen, wenn es beispielsweise um die November- bzw. Dezemberhilfe geht. Diese sind beispielsweise mit den Umsätzen des jeweiligen Vorjahresmonats usw. usf. verbunden. Dass dies in dieser Differenziertheit nicht fortsetzbar ist, hat dazu geführt, dass die jetzigen Überbrückungshilfen etwas anders strukturiert sind als die November- und Dezemberhilfen.
Das, was wir zu leisten versuchen, einschließlich des Rechtsrahmens, was die Insolvenzordnung und Ähnliches anbelangt, dient dazu, Unternehmen zu erhalten, Arbeitsplatzvernichtung zu vermeiden und das, was in diesem Zusammenhang coronabedingt weltweit stattfindet, eben nicht so zu erleben.
Daran müssen wir uns messen lassen. Dass es einen hundertprozentigen Ausgleich nie geben kann und wird - zumindest auf den Einzelfall bezogen -, das ist klar. Wir versuchen zumindest all das, was menschenmöglich ist, auch politisch auf den Weg zu bringen.
Vielen Dank. - Frau Frederking hat sich als Nächste zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort, Frau Frederking.
Vielen Dank. - Herr Ministerpräsident, Sie haben ausgeführt, dass das Ziel der Maßnahmen darin besteht, die Infektionswahrscheinlichkeit zu verringern. Deshalb werden die Kontaktmöglichkeiten mit erheblichen Einschnitten reduziert.
Nun sind Treffen mit fünf Personen und über Weihnachten auch plus vier, also neun Personen, erlaubt. Aus meiner Sicht geht von dieser Erlaubnis das Signal an die Menschen aus, dass Treffen in diesem Rahmen normal stattfinden können und davon auch keine erhöhte Ansteckungsgefahr ausgeht. Aber das ist ja nicht so.
Ich denke, das Problem ist, dass das die meisten Menschen nicht wissen. Das ist keine Boshaftigkeit, das ist keine Ignoranz, sondern sie haben einfach das Verständnis nicht. Dies belege ich damit, dass ich ganz oft mitbekommen habe, dass Leute, wenn sie lange in geschlossen Räumen zusammensaßen, die Abstände von 1,50 m eingehalten haben, nicht gelüftet haben, sondern ge
Wir haben aber inzwischen gelernt, dass Infektionstreiber Treffen in geschlossenen Räumen sind, weil sich die Aerosole dort ansammeln. Jetzt kommt meine Frage an Sie: Wäre es nicht sinnvoll, über die Maßnahmen hinaus, die jetzt schon beschlossen worden sind, das Ganze noch besser zu machen - ich will Sie ausdrücklich unterstützen; das ist also ein konstruktiver Vorschlag -, also jetzt zu kommunizieren und darüber zu informieren, dass Treffen, egal, ob mit fünf oder mit neun Leuten, außerhalb der alltäglichen Kernfamilie eben nicht normal - in Anführungszeichen - bei kuscheligem Kerzenschein stattfinden können, sondern dass auch bei diesen Treffen grundsätzlich - ich betone: grundsätzlich - gelten sollte: Maske tragen, Abstand halten, lüften.
Wäre es also nicht sinnvoll, das einfach besser zu kommunizieren, besser zu erklären, besser aufzuklären? - Denn so, denke ich, sind die Appelle, die Sie richtigerweise an alle Menschen richten, und die Signale, die von diesen Verordnungen ausgehen, widersprüchlich und unlogisch.
Grundsätzlich gebe ich Ihnen recht. Das Ganze muss ständig durch eine massive Kommunikationsoffensive begleitet werden, damit auch bestimmte Verhaltensweisen nicht nachlassen. Aber die Hygieneregeln sind inzwischen bei jedem angekommen - zumindest von der Informationslage her. Ob es Bestandteil des Verhaltens geworden ist, muss man gesondert sehen. Wir können das nur immer wieder damit verbinden, dass die Hygieneregeln auch im privaten Bereich stringent einzuhalten sind, auch zum gegenseitigen Schutz.
Auf der anderen Seite muss ich sagen: In anderen Lebensbereichen, in denen diese Hygieneregeln auch einzuhalten sind, geht das Leben relativ normal weiter. Sprich: Zum Beispiel im Wirtschaftsleben arbeiten die Teams in den Unternehmen weiter. Man kann einen ständigen Rollenwechsel der Menschen nicht erwarten. Es müssen in allen
Bereichen, also im Arbeitsleben und im persönlichen Leben, diese Hygieneregeln gelten. Dazu gibt es ständig Appelle. Mehr kann man nicht machen. Die Möglichkeiten in den Medien, die gegeben sind, versuchen wir schon zu nutzen.
Fakt ist aber eines - das müssen Sie auch sehen -: Ich habe gestern ein Gespräch mit einem der führenden Vertreter der medizinischen Einrichtungen des Landes Sachsen-Anhalt geführt. Er steht auf der einen Seite ganz klar zu den Maßnahmen, die wir jetzt bundesweit und in Sachsen-Anhalt ergriffen haben. Auf der anderen Seite sagte er aber auch: Wenn es keine Weihnachtsregelung im eng begrenzten Bereich gibt, dann steigen die Menschen beim Mitmachen irgendwann aus. Das muss man auch sehen.
Sie können so etwas nicht exekutieren. Eine freiheitlich-demokratische Grundordnung lebt davon, dass die Menschen diese bezüglich der Regularien und der genossenen Freiheits- und Grundrechte auch positiv mit ausfüllen. Es ist inzwischen eine Systemfrage geworden: Schaffen wir es, unser hohes Gut an verfassungsmäßig begründeten Rechten aufrechtzuerhalten und diese Herausforderung zu bewältigen, die andere Systeme autoritärer Art ganz anders bewältigt haben?
Das ist die Herausforderung, die wir annehmen müssen und die wir gerade auch hier im Parlament immer wieder sehen müssen. Es handelt sich inzwischen um eine Systemfrage: Wie kommen wir durch? Wie kommen wir heraus? Wie sieht anschließend, auch wirtschaftlich, zum Beispiel die Europäische Union aus? In welchen Wettbewerb können wir uns im 21. Jahrhundert noch offensiv einbringen?
Vielen Dank. - Sie möchten eine Nachfrage stellen, Frau Frederking? - Bitte fassen Sie sich aber etwas kürzer.
Ganz kurz. Einen Satz vorweg: Ich möchte noch einmal betonen, Herr Ministerpräsident, dass ich Sie ausdrücklich unterstütze und dass ich mit meinen Nachfragen helfen will, damit wir Dinge noch besser machen können. Ich glaube, dass es eine ganz entscheidende Stellschraube ist, den privaten Bereich darüber aufzuklären. Wir können das nicht exekutieren, also, wir können nicht anklopfen und kontrollieren, aber wir können erklären.
Deshalb eine Nachfrage zum Nachdenken - ich muss ja jetzt eine Frage stellen -: Wo haben Sie oder die Landesregierung das für den privaten Bereich erläutert?
Die Verordnung wird in diesem Moment auf den Weg gebracht. Wir werden gebetsmühlenartig versuchen, das noch einmal mit allen möglichen Dingen, die wir auch gestern in der Landespressekonferenz mit einem größeren Team des gesamten Kabinetts versucht haben zu erläutern, zu vermitteln.
Wir bitten auch die Medien, mit allem Drum und Dran mitzumachen und es nicht bloß immer kritisch zu sehen. Kritisch muss ein Medium sein - das ist klar. Aber es wird hier auch eine Chance eröffnet. Wir rufen klar dazu auf, bestimmte Sachen nicht immer nach einer inneren Maximierungsstrategie offensiv auszunutzen. Es gibt auch Fallgestaltungen, die sich einbauen lassen in solche Regelungen, in solche Empfehlungen im privaten Bereich. Wir geben Handreichungen, damit das eine mit dem anderen vernünftig verbunden wird, ohne dass es zur Entstehung weiterer Hotspots führt.
Vielen Dank. Es gibt noch zwei weitere Wortmeldungen, von Herrn Raue und dann von Herrn Abg. Gallert. Ich habe Ihre Wortmeldung übrigens gesehen, Herr Gallert. - Herr Raue, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Ministerpräsident, ich wüsste gern, wie Sie mit meiner Kritik an Ihrem Umgang mit Corona, insbesondere mit dem neuen Lockdown umgehen. Ich möchte Sie zunächst mit einer Feststellung konfrontieren: Auf jeden an Corona Verstorbenen in Deutschland kommen etwa zehn Kinder, die in Deutschland nie geboren werden. 200 000 Kinder werden in Deutschland jedes Jahr nicht geboren. Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik.