Protocol of the Session on November 19, 2020

eine Verständigung darüber erreichen, ob und wie wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier Regeln schaffen, die das Recht - es ist ein Grundrecht - auf Versammlungsfreiheit einschränken. Es ist nämlich das Recht, das es jeder und jedem in der Demokratie erlaubt, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, auch etwa um Regierungen und Parlamente zu kritisieren.

Ich muss Ihnen sagen, ich hätte an dieser Stelle erwartet, dass uns die Landesregierung, wie üblich und sinnvoll, die Ergebnisse ihrer internen Anhörung zum vorliegenden Entwurf vorlegt, um eine sachliche Diskussion zu fördern. Das passiert hier nicht. Schon das verweist darauf, dass das Gesetz so gut nicht sein kann.

Wer das Versammlungsrecht verschärfen will, also Grundrechte einschränken will, der ist in der Position, zu erklären, warum das notwendig sein soll. Eine Ausweitung etwa des Uniformierungsverbotes, wie es die Landesregierung tut, damit zu begründen, dass es irgendwo in der Bundesrepublik Fälle gebe, die mit der gesetzlichen Regelung in Sachsen-Anhalt nicht handelbar wären, und dass es eventuell in Sachsen-Anhalt einen vergleichbaren Fall gegeben haben könnte, man weiß es aber nicht sicher, ist keine tragfähige Begründung und das wird weder dem Thema noch der Tragweite dieses Gesetzentwurfes gerecht.

(Beifall)

Fataler noch in den Folgen, aber auch in der Begründung ist die vorgeschlagene Regelung, dem Versammlungsgesetz wieder einen Auffangtatbestand für Verbote und als milderes Mittel dann Beschränkungen von Versammlungen hinzuzufügen, den es aus guten Gründen seit einigen Jahren nicht mehr gibt, nämlich den Auffangtatbestand der Gefährdung der öffentlichen Ordnung.

Auch an dieser Stelle folgt die Begründung vor allem der Logik des Zirkelschlusses: Gebraucht werde dieses Merkmal, weil die Praxis zeigt, dass es gebraucht werde. Dabei führt die Landesregierung zutreffend in ihrer Begründung aus, dass die öffentliche Ordnung im Interesse der Versammlungs- und Meinungsfreundlichkeit nicht als Landesrecht in die Generalklausel des § 13 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes übernommen wurde.

Bevor wir als Gesetzgeber den Schritt zurückmachen, müssen wir schauen, ob es tatsächlich ein Defizit im Recht oder nicht vielmehr ein Defizit in der Durchsetzung des Rechtes gibt.

Es ist also zu hinterfragen, ob es bei den hier problematisierten Versammlungen nicht durchaus im Rahmen des geltenden Rechts möglich wäre, dem effektiv zu begegnen, wenn etwa die Versammlungsbehörden in die Lage versetzt würden, Beschränkungen zu verfügen, die verwaltungsgerichtlicher Kontrolle standhalten, oder aber die Polizei verfügte Beschränkungen effektiver durchsetzen würde. An beiden Problemen - das ist wichtig, meine Damen und Herren - ändert dieses neue Recht überhaupt nichts. Es muss erst einmal durchgesetzt werden.

Das verständliche Anliegen, unerträglichen Situationen im Zusammenhang mit rechtsextremen Aufmärschen in Sachsen-Anhalt wirksam zu begegnen - meine Damen und Herren, glauben Sie mir, ich weiß, wie unerträglich diese Situationen sind; wir werden morgen über den behördlichen Umgang mit Coronaleugnern reden -, verlangt eine genaue Analyse, nicht einfach weitere und in diesem Fall auch noch sehr breite und damit fehl- und missbrauchsanfällige Befugnisse für die Sicherheitsbehörden.

Denn - das ist mein dritter Punkt - der vorgelegte Entwurf der Landesregierung löst die Probleme nicht, die es real in der Praxis gibt. Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus guten Gründen nicht mal eben so herangezogen werden. Eine Beeinträchtigung dieses Schutzgutes führt auch nicht zwingend dazu, dass in die Versammlungsfreiheit eingegriffen werden kann, und das ist auch gut so.

Wir müssen nun in den Ausschüssen sehr genau schauen, welche Problemlagen es tatsächlich bei Versammlungen in Sachsen-Anhalt gibt. Als Landtag müssen wir bessere Lösungen als diesen Gesetzentwurf finden; denn - das muss man auch ganz klar sagen - das Versammlungsrecht ist Grundrecht und es muss klar und verständlich geregelt sein. Es darf nur dort eingreifen, wo es zwingend notwendig ist, nicht überall dort, wo das, wie bei den Vorschlägen zur Schutzbewaffnung - Vermummung heißt es hier konkret -, vielleicht effektiv erscheint. - Herzlichen Dank.

(Beifall)

Frau Quade, Herr Hövelmann hat sich zu Wort gemeldet. Stehen Sie zur Verfügung?

Herr Hövelmann, dann haben Sie jetzt das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Frau Quade, für die Gelegenheit, Fragen stellen zu dürfen. Sie haben erklärt, warum - das haben Sie auch begründet - Sie die gesetzlichen Regelungstatbestände, die wir als Koalition vorschlagen bzw. die die Regierung vorschlägt, nicht richtig finden. Welche Vorschläge hätten Sie denn, wie wir die aktuelle Situation lösen könnten?

Bitte sehr, Frau Quade.

Sehr gern. - Ein Anfang wäre, die Auflagen, die verfügt werden, gerichtsfest zu verfügen und nicht einfach aus einer allgemeinen Erwartungshaltung heraus, sondern mit sorgsam und umfassend dokumentierten Auflagenverstößen konkret in der Vergangenheit durch denselben Versammlungsleiter, durch dieselben Versammlungsteilnehmerinnen. Wenn wir darüber reden, worum es konkret geht, dann wissen wir, dass eine der zentralen Geschichten, die zu diesem Gesetzentwurf geführt haben, das Agieren des Neonazis Sven Liebich in Halle ist und die offensichtliche Unfähigkeit, dem irgendwie beizukommen.

Deshalb sage ich, es ist ein völlig berechtigtes Anliegen. Das verstehe ich. Ich glaube, dass der Weg falsch ist. Wir haben kein Problem mit der Rechtslage. Wir haben ein Problem mit der Durchsetzung geltenden Rechts. Wir haben ein Problem damit, dass Polizistinnen und Polizisten teilweise nicht so agieren, wie es der jetzt bestehende Rechtsrahmen ermöglichen und erfordern würde.

Wenn Journalistinnen und Journalisten aus einer rechten Kundgebung von immer demselben Versammlungsleiter, von immer dem gleichen Teilnehmerkreis immer wieder einmal wöchentlich im selben Modus angegriffen werden können und Polizei das nicht unterbindet und es teilweise schon einen Tanz darum gibt, überhaupt eine Anzeige erstatten zu können, und Polizistinnen und Polizisten noch dazu nicht den Angriff, sondern die Tatsache, dass Journalisten dastehen, zum Problem machen und sagen, sie müssten nicht dastehen, dann würden sie nicht angegriffen werden, dann haben wir ein Problem mit der Rechtsdurchsetzung und nicht mit der Rechtslage.

Da müssen wir ran. Da müsste der Innenminister ran. Statt darüber zu reden, wo die Probleme liegen, will er das Problem auf die Stadt Halle abschieben. Das wird die Lage in keiner Weise verbessern. Darüber müssen wir reden.

(Beifall - Zuruf: Einfach verbieten und dann ist es gut! - Weitere Zurufe - Unruhe)

Weitere Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Frau Quade für den Redebeitrag. - Für das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Striegel. Herr Striegel, Sie haben das Wort.

Herr Vizepräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Umgang eines Staates mit dem Demonstrationsrecht seiner Bürgerinnen und Bürger ist ein feiner Seismograf für den inneren Zustand der Demokratie. Wir werden morgen - Frau Kollegin Quade hat schon darauf verwiesen - in einer Debatte über die Grenzen des Demonstrationsrechts vor dem Hintergrund einer Pandemie zu sprechen haben.

(Zuruf)

Heute debattieren wir aber über ein Gesetzesvorhaben, das für mich zeigt, dass Sachsen-Anhalt in positiver Art und Weise vorangehen kann. Es zeigt, dass hier in unserem Land Haltung zu Verfassungsrecht und schließlich auch zu praktischer Politik werden kann. Kollege Erben hat es angesprochen.

Versammlungsbehörden haben sich in SachsenAnhalt wiederholt schwergetan, wo Nazis auf Straßen und Plätzen demonstrierten. Das hatte und hat unterschiedliche Ursachen: fehlende Kenntnisse der rechtlichen Möglichkeiten, fehlende Konsequenz und bisweilen auch - die Kollegin Quade sprach es an - fehlende gerichtsfeste Dokumentation von begangenen Verstößen, seien es Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten. Zudem - das ist ein weiterer Grund - ist in Sachsen-Anhalt im Versammlungsrecht bisher nur die öffentliche Sicherheit, aber nicht die öffentliche Ordnung Schutzgut.

Als Resultat dieser unterschiedlichen Ursachen war es offenen Rassisten und Antisemiten möglich, Woche für Woche ihr geistiges Gift auf Marktplätzen in unserem Land zu verteilen und Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Auftreten einzuschüchtern.

Als Gesetzgeber standen und stehen wir nun vor der Frage, wie wir gegen diese Faschisten vorgehen, ohne das Versammlungsrecht als solches zu beeinträchtigen. Sonst liefen wir Gefahr, die Freiheit aus Angst vor den Gegnern der Freiheit selbst zu beschädigen.

Unsere Landesregierung hat deshalb in Abstimmung mit uns einen Weg gewählt, der zunächst auf das Vorbild von weiteren 14 Versammlungs

gesetzen verweisen kann, insoweit diese das Schutzgut der öffentlichen Ordnung enthalten.

Sachsen-Anhalt geht aber darüber hinaus. Seit der Parlamentsreform besteht Klarheit darüber, dass die Verfassungsordnung unseres Landes nicht neutral, sondern dezidiert antifaschistisch ist. Artikel 37a der Landesverfassung verpflichtet uns als Teil der staatlichen Gewalt, die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen.

Der vorliegende Gesetzentwurf ermöglicht es den Versammlungsbehörden, unter besonderer Beachtung dieses Verfassungsauftrages deutlich früher als bisher gegen Demonstrationen von Neonazis vorzugehen, und natürlich müssen die Versammlungsbehörden dabei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Eingrenzung des Begriffes der öffentlichen Ordnung beachten. Aber jetzt kann deutlich früher als bisher gegen Demonstrationen von Neonazis vorgegangen werden und wir können dieses Einschreiten dann auch erwarten.

Dass wir uns auf diese Regelung einigen konnten, ist für mich ein positives Signal. Wo Neonazis Demokratie bedrohen, stellen wir uns ihnen entgegen, und wir zeigen, dass wir den uns selbst gegebenen Verfassungsauftrag praktisch umsetzen. Dazu gehört in diesem Zusammenhang, dass gegen die einschüchternden Auftritte quasi uniformierter Gruppen, zum Beispiel des III. Weges, nun vorgegangen werden kann. Hier haben wir meiner Meinung nach eine gute Regelung mit Augenmaß gefunden.

Meine Damen und Herren! Die Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht für ein liberales Versammlungsrecht.

(Lachen)

Demonstrationen sind Wesenselement einer lebendigen Demokratie. Aber wie jedes andere Recht

(Zurufe)

hat auch die Versammlungsfreiheit Grenzen. Zur Klarstellung dieser Grenzen leistet der Gesetzentwurf einen Beitrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall)

Fragen sehe ich keine. Dann danke ich Herrn Striegel für den Redebeitrag. - Für die CDU spricht der Abg. Herr Schulenburg. Herr Schulenburg, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Werte Damen und Herren! Die von der Landesregierung eingebrachte Novelle dient dazu, unser gutes Versammlungsrecht noch besser zu machen. Beim Regierungsentwurf fanden auf der einen Seite viele praktische Erfahrungen der Versammlungsbehörden und der Polizei Berücksichtigung und auf der anderen Seite soll unser Versammlungsrecht für die Versammlungsbehörden rechts- und sicherheitspolitisch befugnisstark neu geregelt werden. Handlungsleitend ist immer der Grundgedanke, dass unsere gesetzlichen Regelungen aus verfassungsrechtlicher Sicht meinungs- und versammlungsfreundlich bleiben sollen.

Aus der Sicht meiner Fraktion ist die zentrale Neuregelung im Gesetzentwurf besonders wichtig, dass das Schutzgut der öffentlichen Ordnung nun Eingang in die Generalklausel findet. Damit schaffen wir die Voraussetzungen dafür, auf neuartige und atypische Gefahrensituationen, Gefahrensachverhalte angemessen zu reagieren. Wir folgen damit dem Regelungsvorbild fast aller Bundesländer und des Bundes. Wir möchten diesem Umstand Abhilfe schaffen, um so insbesondere rechtsextremem Gedankengut versammlungsrechtlich adäquat begegnen zu können; denn wir werden nicht tatenlos zuschauen, wenn zum Beispiel Demonstrationsteilnehmer durch Armbinden mit einem gelben Stern und der Aufschrift „Ungeimpft“ die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur verspotten.

Darüber hinaus begrüßen wir die strikte Durchsetzung des Uniformierungs-, Schutzwaffen- und Vermummungsverbotes durch das Schließen bestehender Regelungslücken.

Mit der Beschränkung, dass öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge frühestens zwei Jahre zuvor wirksam angemeldet werden können, wird den Umtrieben eines rechten Provokateurs und Berufsdemonstranten aus Halle nun Einhalt geboten. Wir verhindern so, dass herausgehobene Orte im Stadtgebiet auf Jahre blockiert werden.

Die Landesregierung möchte nunmehr auch Magdeburg und Halle die Möglichkeit eröffnen, auf Antrag die versammlungsbehördliche Zuständigkeit übertragen zu bekommen. Magdeburg hat bereits erklärt, dass man von der Zuständigkeitsübertragung keinen Gebrauch machen möchte, was wir gut nachvollziehen können, da sich die Zuständigkeiten über viele Jahre bewährt haben. Halle hingegen wird dieser Zuständigkeitsübertragung aller Voraussicht nach offen gegenüberstehen. Daher soll Halle diese Zuständigkeit erhalten.

Eines möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen: Für meine Fraktion sind diesbezüglich handlungs

leitend nicht die Vorhaltungen des Oberbürgermeisters von Halle gegenüber der Arbeit der Polizeiinspektion als Versammlungsbehörde, sondern vielmehr eine entsprechende Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag.

Grundsätzlich sind wir der Auffassung, dass die Aufgaben der Versammlungsbehörden in den Städten Magdeburg und Halle bei der Polizei gut aufgehoben sind. Es sind bewährte Zuständigkeiten und die Aufgabe wird mit viel versammlungsrechtlichem Sachverstand ausgeführt.

Gleichwohl bin ich sehr gespannt, ob und wie der OB in Halle seine vollmundigen Ankündigungen zum härteren Durchgreifen gegen den Berufsdemonstranten umsetzen kann, wenn Halle diese Aufgabe zukünftig wahrnehmen wird. Selbstverständlich wird das Land die Personalkosten übernehmen, wenn die Stadt zukünftig Versammlungsbehörde ist. Die Personalkostenberechnungen sind Teil der Gesetzesmaterialien.

Abschließend bitte ich um Überweisung in den Innenausschuss. - Herzlichen Dank.