Protocol of the Session on October 15, 2020

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Aus meiner Sicht, Herr Kollege Lippmann, passt der Titel der Aktuellen Debatte nicht ganz zum Inhalt des Textes. Ich glaube auch, so mancher Beschäftigter im öffentlichen Dienst, der gerade mit Streiks für höhere Einkommen kämpft, dürfte es nicht so ganz verstehen, was mit dieser nicht wirklich plakativen Überschrift denn eigentlich gemeint ist. Dies soll uns aber nicht daran hindern, diese Debatte zu führen.

Meine Damen und Herren! Streik ist ein Grundrecht, das in der Verfassung verankert ist. Ein Streik, ein Arbeitskampf, ist ein Kollektivrecht, das Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften in die Lage versetzt, ihre Interessen durchzusetzen. Das ist erklärter Wille dieses Grundrechts, das ein Eckpfeiler unserer Tarifautonomie ist. Fast immer geht es bei Arbeitskämpfen darum, die Arbeits- und Lebensbedingungen arbeitender Menschen zu verbessern. Das gilt auch für den öffentlichen Dienst und ist, wie ich finde, eine legitime Zielsetzung.

Dies gilt auch für Krisenzeiten und natürlich für die aktuell durch die anhaltende Pandemie ausgelöste Krise ebenfalls. Dass diejenigen, die auf der Arbeitgeberseite stehen, und auch manch Politiker Krisen gerne für ihre Argumentation gegen Einkommenszuwächse und bessere Arbeits

bedingungen nutzen, ist nichts Neues.

Und, meine Damen und Herren, dass die öffentliche Akzeptanz für Streiks und für Arbeitskämpfe in Krisen nachlässt, ist ebenfalls nicht neu. Das macht zugegebenermaßen Tarifauseinander

setzungen aus der Sicht von Gewerkschaften und Beschäftigten schwieriger.

Problematischer wird es allerdings, wenn Krisen dazu genutzt werden, mit falschen Argumenten zu Felde zu ziehen und damit zulasten der Beschäftigten in die Tarifautonomie einzugreifen, wie wir es zurzeit an einigen Stellen auch bei der Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst erleben.

Wenn gerade jetzt die Arbeitgeberseite im öffentlichen Dienst davon spricht, dass sich Wertschätzung nicht immer durch Entgeltsteigerungen ausdrücken lässt, sondern dass der Arbeitsplatz ja schließlich besonders sicher sei, dann antworte ich gerne, dass dies ausdrücklich nicht die Position von uns Sozialdemokraten ist.

(Zustimmung)

Ich sage Ihnen auch, meine Damen und Herren, allein von Wertschätzung und Beifall - damit bin ich nah beim Kollegen Lippmann - wird man nicht satt und davon kann man auch keine Miete und keine Rechnungen bezahlen. Dieses gilt für die Erzieherin in der Kita genauso wie für die Krankenschwester, den Müllmann und den Sachbearbeiter im öffentlichen Dienst und viele andere mehr. Den Menschen noch vor einem halben Jahr unter Beifall zu sagen, ihr seid systemrelevant, aber Einkommenserhöhungen bekommt ihr nicht, gehört sich nicht und ist für mich auch keine Wertschätzung.

Meine Damen und Herren! Deshalb stehen wir Sozialdemokraten natürlich solidarisch an der Seite von streikenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch im öffentlichen Dienst, die für bessere Einkommen kämpfen. Dies gilt sowohl für gute als auch für schlechte Zeiten.

Dass Arbeitgeber Krisen gern für ihre Argumentation gegen Einkommenserhöhung nutzen, kann man auch in anderen Bereichen, wie der freien Wirtschaft, beobachten. Ein gutes Beispiel dafür ist in diesem Jahr die Bauwirtschaft. So haben die Arbeitgeber in der Bauwirtschaft während der gesamten Tarifrunde gegenüber der IG BAU damit argumentiert, wie negativ sich die Krise auf die Branche auswirkt,

(Zuruf)

und dies, obwohl jeder weiß, dass die Bauwirtschaft boomt, dass die Auftragsbücher randvoll sind und die Rendite noch nie so gut war wie in den vergangenen zwei Jahren. Die Bauwirtschaft - viele werden mir das bestätigen können - ist ohne Einschränkungen durchgelaufen, was gut war. Es waren die Kolleginnen und Kollegen, die den Laden am Laufen gehalten haben in einem wichtigen Wirtschaftszweig, anders als in Frankreich, Spanien oder anderswo in Europa,

wo durch Corona die gesamte Bauwirtschaft zum Erliegen kam. Dies ist uns in Deutschland und auch in Sachsen-Anhalt erspart geblieben.

Die Bauwirtschaft ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Argumentation bei Tarifauseinandersetzungen nicht immer der wahren Faktenlage entspricht.

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen, der für uns Sozialdemokraten in diesem Zusammenhang wichtig ist. Nach wie vor beklagen wir in vielen Bereichen noch die Lohnunterschiede zwischen Ost und West und damit auch die Ungleichheit bei den Lebensverhältnissen, oft auch bedingt durch schlechtere Eingruppierungen und schlechtere Arbeitszeiten. Die Zahlen des Statistischen Landesamtes zeugen nach wie vor regelmäßig von Nachholbedarf bei den Einkommen. Oft geht es nur in kleinen Schritten voran.

Meine Damen und Herren! Wir reden oft und gerne von gleichen Lebensverhältnissen. Wir Sozialdemokraten meinen es ernst mit gleichen Lebensverhältnissen und hierzu gehören auch die Arbeits- und Lebensbedingungen; diese gilt es auch mit guter Arbeit und besseren Einkommen nach vorn zu bringen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Frau Präsidentin, ich glaube, ich habe meine Redezeit eingehalten.

Sehr geehrter Herr Steppuhn, Sie hätten noch eine Redezeit von vier Minuten gehabt. Sie sehen, dass ich hier vorn allein sitze und deswegen die Uhr nicht betätigt wurde. Ich habe es aber aufgeschrieben und mir die Zeit notiert. Danach hätten Sie noch eine Redezeit von vier Minuten gehabt.

Jetzt habe ich mich so an der Uhr orientiert. - Aber lassen wir das.

Okay, vielen Dank. Dann haben wir ein paar Minuten wieder eingeholt. Es gibt aber auch zwei Wortmeldungen. Der Abg. Herr Harms hatte sich gemeldet und auch der Abg. Herr Lippmann. - Herr Harms, Sie haben jetzt die Möglichkeit, Ihre Frage zu stellen. Bitte.

Herr Kollege Steppuhn, Sie haben uns einen tiefen Blick mitten in Ihr Herz gewährt, in Ihr sozialdemokratisch rotes Herz, das gerne verteilt. Ja, ich kann das alles nachvollziehen. Sind Sie denn aber auch dabei, an der Stelle Position zu be

ziehen, an der die Dinge, die verteilt werden sollen, sichergestellt werden durch Haushaltsentscheidungen, die die Voraussetzungen in den Kommunen selbst oder hier auf Landesebene dafür bieten? Fühlen Sie sich da ebenfalls herzlich eingeladen? Wie wollen Sie diese Freiräume schaffen, die Sie hier so wohlwollend erwähnt haben und verteilen wollen?

Herr Kollege Harms, darauf will ich Ihnen gerne antworten. Wir als Sozialdemokraten, insbesondere auch meine Fraktionsvorsitzende, haben vorgeschlagen, auch den Kommunen mit einem großen kommunalen Investitionsprogramm unter die Arme zu greifen. Das ist Voraussetzung dafür, dass die Kommunen investieren können und auch neue Einnahmen generieren können. Wir wollen bei den Gewerbesteuern gemeinsam mit dem Bund etwas tun. Insofern, glaube ich, gibt es schon genügend Vorschläge der Sozialdemokraten.

Außerdem bin ich der Meinung, dass wir natürlich die Finanzausstattung der Kommunen verbessern müssen.

(Zustimmung)

Herr Harms, Sie haben eine Nachfrage signalisiert. Bitte.

Herr Kollege, Ihre Antwort geht ein bisschen am Thema vorbei. Ich glaube, wir waren bei den Gehältern, und Sie sagten, es bestehe viel Anpassungsbedarf zwischen Ost und West, in den Kommunen und bei den vielen, die Gutes tun; ohne Zweifel. Wie wollen Sie denn das lösen? - Das wäre ja dann zusätzlich.

Herr Steppuhn, bitte.

Herr Kollege Harms, ich habe gesagt, dass wir sehr oft auch hier im Landtag über gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West debattieren. Das bedeutet, dass man auch sehen muss, dass sich die Arbeits- und Lebensbedingungen weiterentwickeln, und das geht nur mit besseren Einkommen. Ich sage es noch einmal: Wir wollen ausdrücklich, gerade auch angesichts der gegenwärtigen Krise, die Finanzausstattung der Kommunen verbessern. Dazu liegen die Vorschläge auf dem Tisch und Ihre Fraktion muss sich dazu nur verhalten.

Vielen Dank, Herr Steppuhn. Wir haben noch eine Wortmeldung des Abg. Herrn Lippmann. - Sie haben jetzt das Wort. Bitte, Herr Lippmann.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Kollege Steppuhn, um weiteren Missverständnissen bei der Interpretation des Titels unserer Aktuellen Debatte vorzubeugen, möchte ich Sie nur Folgendes fragen: Gestehen Sie mir zu, a) dass ich in meiner Rede natürlich mit keinem Wort etwas gegen das Streikrecht gesagt habe, und b) dass Streiken natürlich ein Recht ist, und zwar die Ultima Ratio in Tarifverhandlungen, die die Beschäftigten haben, dass diese Ultima Ratio aber natürlich nicht immer zwingend gezogen werden muss, sondern dass es selbstverständlich auch Verhandlungen und Abschlüsse gibt, die ohne Streiks auf der Straße stattfinden, weil sich Arbeitgeber bewegen, und dass die Pandemie eine geeignete Situation gewesen wäre, auch seitens der Arbeitgeber frühzeitig und schnell ein Angebot vorzulegen, das die Gewerkschaften hätten annehmen können, ohne sie auf die Straße zu treiben? - Denn das war die Intention unseres Titels.

Herr Steppuhn, Sie haben die Möglichkeit zu erwidern.

Herr Kollege Lippmann, ich kann dem folgen, weil ich immer davon ausgehe, dass es natürlich auch das Spiel der Kräfte in einer Tarifautonomie ist, dass man am Ende zu Ergebnissen kommt. Es gibt auch Schlichtungsmöglichkeiten, die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern vereinbart worden sind. Diese könnten auch genutzt werden. Ich war mit dem Titel deshalb nicht ganz glücklich, weil er sich ein bisschen danach anhörte, als wenn die Gewerkschaften gezwungen worden sind, Arbeitskämpfe zu führen. Für mich ist ein Arbeitskampf ein Mittel zur Durchsetzung - zumindest vor dem Hintergrund meiner gewerkschaftlichen Erfahrung -, um gute Tarifverträge durchzusetzen. Dass das in Krisen besonders schwierig ist, will ich nicht in Abrede stellen. Ich habe also nur Ihren Titel nicht ganz verstanden. Aber bei dem, was wir debattiert haben, waren wir vielfach nah beieinander.

Vielen Dank, Herr Abg. Steppuhn. Sie haben Ihre Redezeit sogar trotz mehrerer Fragen eingehalten.

Weil die Uhr es falsch angezeigt hat. Dann habe ich vier Minuten gut.

Ich habe Ihnen das aber gesagt. - Wir kommen zum nächsten Debattenredner. Für die AfD-Fraktion spricht jetzt der Abg. Herr Kohl. Sie können jetzt zum Pult kommen und ich erteile Ihnen auch gleich das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Unter dem Titel „Streik im öffentlichen Dienst - Der Zwang zum Arbeitskampf ist ein Armutszeugnis“ führen wir heute auf Antrag der LINKEN eine Debatte. Wie man es von der LINKEN kennt, war ihr Debattenbeitrag reich an Worten, arm an Argumenten, aber vor allem undifferenziert.

Konkret beklagt DIE LINKE, dass die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst für ihre Leistungen während der Pandemie zwar gelobt werden, sich die Anerkennung und Wertschätzung in der jetzigen Tarifrunde im Angebot der Arbeitgeber aber nicht widerspiegelt. So sei ein vermeidbarer Arbeitskampf provoziert worden. Nach Meinung der LINKEN würden die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in einen Arbeitskampf gezwungen, was ein Armutszeugnis sei.

Natürlich danken auch wir, also die AfD, den Bediensteten im öffentlichen Dienst, die während der Hochzeit der noch anhaltenden Coronakrise den Geschäftsbetrieb bzw. das System am Laufen hielten und auch noch halten. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass nicht alle Bereiche des öffentlichen Dienstes bzw. alle Berufsgruppen coronabedingten Härten ausgesetzt waren. Eine solche Differenzierung ist dem Antrag zu dieser Debatte wie auch dem Redebeitrag von Herrn Lippmann nicht zu entnehmen. Ich meine, in dieser Debatte müssen noch einige Sachen eingeordnet, richtiggestellt und sortiert werden.

Zunächst ist es falsch, dass die Beschäftigten in einen Arbeitskampf gezwungen werden können. Egal wie der Stand der Tarifverhandlungen ist, kann die Arbeitnehmerseite jederzeit frei entscheiden, ob und welche Arbeitskampfmaßnahme ergriffen wird. Naturgemäß wird die Arbeitgeberseite nie zu 100 % die Forderungen der Arbeitnehmerschaft erfüllen. Es wird immer einen Grund zum Streiken oder Ähnliches geben, wenn man diesen sucht. Aber einen Zwang zum Arbeitskampf gibt es nicht.

Außerdem muss man klar darauf hinweisen, dass es in den aktuellen Tarifverhandlungen um den

Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen geht. Dieser gilt für ca. 2,5 Millionen Beschäftigte, davon 2,14 Millionen Beschäftigte in den Kommunen und noch einmal knapp 150 000 beim Bund. Das heißt, es geht hierbei nicht um den Tarifvertrag für die Beschäftigten im Landesdienst.

Wie das Ergebnis dieser Tarifverhandlungen auch aussehen mag, wird es vielleicht einen mittelbaren, aber keinesfalls einen unmittelbaren Einfluss auf unseren Landeshaushalt haben. Wir sollten uns als Landtag erst einmal darauf verlassen, dass die Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite ein vernünftiges und der Lage angemessenes Angebot vorlegen werden. Wir sollten den Tarifpartnern jedenfalls nicht ungefragt hineinreden.

Ferner würde mich interessieren, wie DIE LINKE bereits letzten Donnerstag bei Einreichung der Debatte wissen konnte, wie das Angebot der Arbeitgeberseite aussehen wird, in welchem sich Anerkennung und Wertschätzung für die erbrachten Leistungen der Beschäftigten nicht widerspiegelten. Das wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die Arbeitgeberseite, da diese voraussichtlich erst heute oder morgen ein verbindliches Angebot vorlegen will. Die in der ersten Verhandlungsrunde von der Arbeitgeberseite ins Spiel gebrachte Nullrunde war natürlich kein offizielles Angebot; das ist klar.

Wir debattieren also über eine Sache, die uns nicht nur nicht direkt betrifft, sondern der es auch an einer entsprechenden Datenbasis oder Grundlage fehlt. Ich kenne das Angebot der Arbeitgeberseite nicht und kann folglich aus meiner persönlichen Perspektive überhaupt gar keine Aussage treffen, ob ich dieses Angebot als wertschätzend oder angemessen empfinde.

Was ich aber kenne und weiß, sind die Forderungen der Arbeitnehmervertreter. So wird eine Entgelterhöhung von 4,8 % gefordert, welche für die Arbeitgeber zu Mehrkosten in Höhe von mindestens 5,7 Milliarden € führen würde. Zudem wird eine Arbeitszeitangleichung im Osten an das Tarifgebiet West gefordert. Das heißt, eine 38- anstatt einer 40-Stunden-Woche. Allein diese Angleichung der Arbeitszeit würde die Haushalte ostdeutscher Arbeitgeber mit über 330 Millionen € belasten.

Die ostdeutschen Kommunen, deren Haushalte ohnehin auf Kante genäht sind, sollen also nach den Vorstellungen der Gewerkschaften 5 % mehr Gehalt für 5 % weniger Arbeit zahlen. Da frage ich mich vor dem Hintergrund der einbrechenden Einnahmen und explodierenden Ausgaben: Darf es denn nicht noch vielleicht ein bisschen mehr sein?

Den Kommunen in Sachsen-Anhalt brechen im Jahr 2021 laut der September-Steuerschätzung 2020 im Vergleich zu der Schätzung im Oktober 2019 Einnahmen in Höhe von 117 Millionen € weg. Ergänzend sei gesagt, dass bereits die Oktober-Schätzung 2019 geringere Einnahmen im Jahr 2021 prognostizierte als die vorherige vom Mai 2019.

Wir befinden uns seit eineinhalb Jahren in einer Abwärtsspirale. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.