Protocol of the Session on October 27, 2016

Die Konsequenz ist aber unter dem Strich, dass der Arbeitnehmer weniger netto in seiner Tasche hat. Das ist doch das Ergebnis. Das ist unabhängig von den Beitragssätzen.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Das wird nicht besser! - Zuruf von Swen Knöchel, DIE LINKE - Unruhe)

- Natürlich!

Es gibt keine weiteren Anfragen, nur eine Kurzintervention.

Aber unter dem Strich - - Wir reiten auf dem detaillierten Prozedere herum, aber die großen Auswirkungen auf das Gesundheitssystem durch Demografie, PKV-Wesen werden nicht besprochen. Ich finde, das ist wesentlich diskussionswürdiger als wieder die Flickschusterei der Parität. Ich glaube nicht, dass das zielführend ist, um die Gesamtprobleme im Gesundheitssystem zu lösen. Das möchte ich noch einmal dazu sagen. - Gibt es noch eine Rückfrage?

Vielen Dank, Herr Siegmund. Es gibt keine weiteren Anfragen. Es gibt aber eine Zwischenintervention von Herrn Farle.

(Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Warum ha- ben Sie den nicht als Redner benannt?)

Meine Damen und Herren! Ich möchte gerade Ihnen, Herr Kollege von der SPD, sagen: Man sollte sich einmal von dem sehr verengten Blickwinkel lösen, dass die Probleme der Finanzierung der Krankenversicherung nur ein Thema zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind. Wenn man so denkt, geht das völlig in die Hose.

(Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Denn wir hatten in den Krankenversicherungen bis zu Beginn dieses Jahres massive Überschüsse. Wir haben durch 1,5 Millionen Menschen, von denen schätzungsweise eine Million in unser Gesundheitswesen eingewandert sind, ohne auch nur einen Cent einzuzahlen, jetzt massive Defiziterwartungen. Wenn Sie sagen, die sollen die Arbeitgeber ruhig mitzahlen, denken Sie einmal daran, dass hier der Mittelstand massiv belastet wird. Das heißt, das ist ein Problem, bei dem man die öffentliche Finanzierung mit Steuergeldern einbeziehen muss. Lösen Sie sich von der verengten Blickweise und denken Sie grundsätzlich darüber nach!

(Beifall bei der AfD)

Wir kommen nunmehr zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abg. Frau Lüddemann das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich habe mehrfach im Hohen Hause darstellen können, dass wir GRÜNEN für eine Bürgerversicherung sind - ohne Wenn und Aber. Das kann ich hier klar sagen. Sie ist für uns eine gerechte und nachhaltige Form der Versicherung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das gilt sowohl für den Bereich der Gesundheitsversorgung, aber auch für den Bereich der Pflegeversicherung und den Bereich der Rente. Warum wir gerade gutverdienende Selbstständige und Beamte aus dem Solidarsystem ausschließen sollen, kann ich zumindest den Bürgerinnen und Bürgern, gerade denen mit kleinem Einkommen, nicht erklären.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist logisch, dass alle Einkommensarten, also auch Mieten und Aktiengewinne, bei der Beitragsbemessung herangezogen werden. Dass das eine übergroße Mehrheit der Bundesbürger so sieht, darauf hat Frau Ministerin schon sehr zu Recht hingewiesen.

Gleichzeitig erleben wir, dass Privatversicherte gerade im Alter - - Wenn sie jung sind, erhoffen sie sich davon Vorteile, im Alter erleben sie dann die Überraschung, wenn ihre Beiträge exorbitant steigen.

Wir wollen die Menschen letztendlich über ihren Bürgerstatus in das Versicherungssystem integrieren. Da Asylbewerberinnen und Asylbewerber - das wurde angesprochen - nicht diesen Bürgerstatus haben, will ich noch einmal kurz darstellen, wie hier die Situation ist. Denn die Krankenversorgung - ob das richtig ist oder nicht, will ich an der Stelle nicht debattieren - dieser Menschen ist sehr eingeschränkt. Sie müssen in der Regel über einzelne Beantragungen ihre Krankenversorgung sicherstellen. Das reglementiert das Sozialamt, und das wird nicht über die Beitragsgelder der Menschen bezahlt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das wird zu Recht - und wenn man genau hingehört, hat die Kollegin Zoschke das auch schon erwähnt - vom Steuerzahler direkt bezahlt.

Das jetzige Versicherungssystem ist noch stark an die klassische Arbeitsgesellschaft gebunden. Nur, diese ist sowohl empirisch wie auch normativ überholt. Dazu könnte man viel sagen. Das ist heute nicht der richtige Zeitpunkt. Deshalb denken

wir, dass es gut ist, den Antrag in den Ausschuss zu überweisen.

Aber die Quintessenz ist: Wir wollen ein quasi universelles Versicherungssystem schaffen, das auf der Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger basiert und nicht auf der divergierenden Position im Arbeitszusammenhang.

Ich denke, über kurz oder lang werden wir nicht darum herumkommen, die Versicherungssysteme auf komplett neue Füße zu stellen, wenn wir diese sowohl finanziell, aber auch im Sinne der gesellschaftlichen Gerechtigkeit bewahren wollen. Um diese Umstellung fundiert zu begleiten, hat die grüne Bundestagsfraktion - darauf darf ich verweisen - ein Gutachten zum Thema „Berechnung der finanziellen Wirkungen verschiedener Varianten einer Bürgerversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung“ vorgelegt. Dort kann man das alles dezidiert nachlesen und sich Berechnungen anschauen.

Zur Rentenversicherung gibt es eine ähnliche Vorlage vom Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen, und das Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt auch, was es volkswirtschaftlich bringt, wenn wir eine Bürgerversicherung haben.

Wir als Grüne haben uns das sehr genau angeschaut, haben entsprechende Beschlüsse gefasst und wir werden das im Bundestagswahlkampf 2017 zum Thema machen. Dazu gehört selbstverständlich - das will ich auch noch einmal sagen, obwohl es bekannt sein dürfte - die paritätische Finanzierung der Gesundheitsversicherung durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das alles werden wir im Ausschuss diskutieren. Das werden wir - das prophezeie ich - im Bundestagswahlkampf diskutieren, und die Wiedereinführung der paritätischen Krankenversicherung sollte sich entsprechend der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dann auch abbilden.

Ich habe mir hoffnungsfroh - das will ich in Richtung CDU sagen - die Einlassungen des CDUSozialflügels durchgelesen, auch was der Bundes-Vize der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, Christian Bäumler, im „Handelsblatt“ bekanntgegeben hat. Das darf ich hier kurz zitieren. Er sagt dort:

„Die Arbeitnehmer dürfen mit den Kostensteigerungen im Gesundheitswesen nicht alleingelassen werden. Auch die Arbeitgeber sind auf ein funktionierendes Gesundheitswesen angewiesen.“

Das ist genau das, Kollege Siegmund, was vorhin gemeint war, dass nämlich die Beiträge für die Arbeitgeber gleich bleiben, aber die Arbeitnehme

rinnen und Arbeitnehmer immer höhere Beiträge zahlen. Ich freue mich, dass die CDA das genauso sieht. Wir werden im Ausschuss - wir sind in der Koalition bekannt dafür, dass wir gern gegenseitig argumentieren - dafür werben, dass sich die gesamte CDU dieser Meinung anschließt. Deshalb ist es gut und richtig, den Antrag in den Ausschuss zu überweisen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Lüddemann. - Ich sehe keine weiteren Anfragen. Somit kann ich den nächsten Debattenredner aufrufen, nämlich den Abg. Herrn Steppuhn für die SPD-Fraktion. Sie haben das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer etwas schwierig, wenn die Debatte schon etwas fortgeschritten ist, das zu sagen, was man vorher aufgeschrieben hat. Ich will es trotzdem tun und dabei auf die Aktualität der Debatte eingehen und auch ein wenig in die Historie schauen.

Es war das Jahr 2005, als die Parität aufgehoben worden ist, es also möglich geworden ist, Zusatzbeiträge zu erheben und damit einseitig Versicherte und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu belasten. Ich sage auch, dass es den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften damals sehr schwergefallen ist, diesem Weg zuzustimmen. Der Hintergrund dafür waren damals 5 Millionen Arbeitslose in Deutschland und der Umstand, dass es der Wirtschaft schlecht ging.

Deshalb hat man gesagt, wir müssen etwas mit Blick auf die Lohnnebenkosten tun, um Unternehmen zu entlasten. Gleichzeitig gab es die Botschaft, dass es ein befristetes Ereignis sein sollte.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Ja, ja!)

Heute wissen wir, dass diese Befristung schon etwas länger dauert, nämlich elf Jahre. Deshalb ist es richtig, dass wir heute die politische Debatte darüber führen, die Parität wiederherzustellen.

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD)

Es ist richtig, dass man das am besten über - das fordern Sozialdemokraten schon lange - eine solidarische Bürgerversicherung macht. Ich bin vorsichtig, wenn viele in diesem Hause über Bürgerversicherung reden, aber darunter unterschiedliche Dinge verstehen. Deshalb muss an dieser Stelle Klarheit hergestellt werden.

Ich glaube, wir haben heute eine völlig andere wirtschaftliche Lage, sodass man durchaus darüber nachdenken muss und zu Entscheidungen kommen muss, um die Parität wiederherzustellen.

Ich sage das auch deshalb, weil dieser Zusatzbeitrag aller Voraussicht nach noch weiter ansteigen wird. Wir reden heute über 1,1 %. Die gesetzlichen Krankenkassen rechnen bis zum Jahr 2020 mit einem Anstieg in Höhe von 1,8 %. Der Gesundheitsökonom Wasem sagt, dass dieser Beitrag bis zum Jahr 2022 sogar auf 2,4 % steigen könnte.

Wenn wir alles so lassen wie bisher, dann würde das bedeuten, dass die Versicherten, also überwiegend die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, künftig noch stärker belastet werden. Jetzt wissen wir alle, dass das Gesundheitssystem von allein teurer wird, weil wir alle gemeinsam wollen, dass wir gesünder leben, dass wir alle gemeinsam gesünder älter werden.

Deshalb, glaube ich, ist es Zeit, endlich eine ernsthafte Debatte zu führen und zu Entscheidungen zu kommen, wenn es um eine solidarische Bürgerversicherung geht, in die auch andere Finanzierungsbestandteile als nur die Lohnnebenkosten einfließen. Frau Ministerin hat gesagt, was alles möglich ist. Um diese Debatte geht es letztlich.

Ich glaube, das ist richtig. Deshalb werden wir nicht umhinkommen, mit Blick auf die Bundestagswahl über dieses Thema zu reden, um festzustellen, wer auch nach der Bundestagswahl für was in diesem Haus, aber auch in Berlin steht.

Deshalb sind wir Sozialdemokraten sehr dafür, dass wir aufgrund der weiteren Entwicklung unseres Gesundheitssystems, aber auch aufgrund der absehbaren Kostenentwicklung endlich diese Parität wiederherstellen.

Im Übrigen ist die gesetzliche Krankenversicherung das einzige Solidarsystem, die einzige Sozialversicherung, in der die Abweichung vorhanden ist, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sprich Versicherte, allein belastet werden und die steigenden Kosten allein auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umgelegt werden und sie somit allein belastet werden.

Wir machen das nicht bei der Rentenversicherung und wir machen das nicht bei der Arbeitslosenversicherung. Es war immer das Wesen einer solidarischen Finanzierung von Sozialversicherungssystemen, dass diese Parität letztlich Grundlage dafür ist, dass das, was in den Sozialversicherungssystemen zu leisten ist, gemeinsam aufzubringen ist.

Herr Siegmund, ich sage es sehr deutlich, wenn Sie Lohnnebenkosten, die von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, also von den Versicherten, paritätisch aufgebracht werden, als Arbeitgeberkosten bezeichnen, dann liegen Sie grundfalsch. Lohnnebenkosten sind Kosten, die von beiden Seiten erwirtschaftet werden.