Protocol of the Session on July 9, 2020

(Zustimmung)

Das ist nach unserer Auffassung der bessere Weg als eine alleinige Forderung nach einem Mindestpreis für Fleisch oder einer Tierwohlabgabe. Bei beidem wird das Pferd vom falschen Ende aus, nämlich von hinten, aufgezäumt. Dies ändert nichts automatisch an den Arbeitsbedin

gungen und auch nicht an den Haltungsbedingungen der Tiere, weil es keinerlei Garantie gibt, dass der höhere Umsatz von Einzel- und Großhandel an die Produzenten weitergegeben wird.

Die Gesundheitssituation in den Schlachthöfen und deren Schließung führen zu einem weiteren Problem; denn einerseits verlängern sich die teilweise ohnehin schon sehr langen Transportwege zu den Schlachthöfen, was dem Tierwohl zuwiderläuft. Andererseits werden tierhaltende Betriebe in der momentanen Situation ihre Schlachttiere nicht mehr los.

Das bringt diese nun wiederum in mehrfacher Hinsicht in Bedrängnis. Sie müssen immer mehr Tiere länger versorgen. Das übersteigt ihre genehmigten Haltungskapazitäten und sie können dadurch Tierwohlvorgaben nicht einhalten. Dann erfüllen diese Tiere, die nun länger gehalten werden, die vereinbarten Schlachtgewichte nicht mehr. Hieran wird deutlich, dass die Konzentration auf wenige große Schlachtbetriebe der falsche Weg war und Risiken birgt, von denen keiner vorher auch nur eine Ahnung hatte.

Auch deshalb sind wir der Auffassung - das haben nur wenige der Rednerinnen und Redner vorher so explizit gesagt -, dass Erzeugung, Schlachtung und Vermarktung wieder mehr regional organisiert werden müssen. Deshalb fordern wir - Frau Frederking hat das sehr gut dargestellt - dezentrale Schlachthöfe und weitere Möglichkeiten der lokalen Schlachtung. Hier heißt es, die Transportstrecken zu verkürzen und damit den Stress der Tiere zu verringern. An dieser Stelle wäre doch einmal, meine sehr geehrten Damen und Herren gerade der Regierungskoalition, ein Förderprogramm mehr als sinnvoll. Darüber sollten Sie sich einmal austauschen.

Nun höre ich von vielen Seiten - das ist hier schon mehrfach genannt worden - die Einwände, dass diese Maßnahmen zu höheren Fleischpreisen führen, und das wäre sozial nicht zu vertreten. Ja, meine Damen und Herren, es ist richtig und traurige Realität, dass sehr viele, viel zu viele Bürgerinnen und Bürger jeden Cent mehrmals umdrehen und sich überlegen müssen, ob sie Fleisch im Angebot oder beim Fleischer kaufen, wo es um einiges teurer ist. Doch die Lösung ist eben nicht, dass extrem niedrige Preise beibehalten werden.

Deutschland hat in Westeuropa den größten Niedriglohnsektor. Aus diesem Niedriglohnsystem müssen wir raus. Wir brauchen Tarifbindung, eine höhere, sanktionsfreie Mindestsicherung, zum Beispiel 1 200 €, damit sich die Menschen gut versorgen können.

(Beifall)

Denn klar wird doch: Billigfleisch geht zulasten aller. Das fängt beim Tier an, geht über die

Landwirte, die Arbeitskräfte in der Fleischindustrie bis zu den Verbrauchern, die nicht immer wissen, was im Tier steckt. Dieses Geschäftsmodell, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat aus unserer Sicht abgewirtschaftet. - Vielen Dank.

(Beifall)

Vielen Dank, Frau Eisenreich. Ich sehe keine Wortmeldung. - Somit kommen wir zum letzten Redner. Für die SPD-Fraktion spricht der Abg. Herr Steppuhn. Sie dürfen jetzt an das Rednerpult und haben das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass in der Fleischindustrie harte Arbeit geleistet wird, oft schlechte Arbeitsbedingungen vorherrschen und die Beschäftigten zudem noch schlecht untergebracht werden, ist nicht erst in der öffentlichen Diskussion, seit es Corona gibt.

Meine Damen und Herren! Es ist auch nicht erst seit heute ein Skandal, dass in der Fleischindustrie mit ihren vielen Geflechten, begünstigt durch Werkverträge und Leiharbeit, die Ausbeutung von Menschen überwiegend aus dem osteuropäischen Ausland nicht nur begünstigt und gefördert, sondern missbraucht und dafür jegliche Verantwortung abgelehnt wird. Deshalb kann es hierauf nur eine Antwort geben: Werkverträge und Leiharbeit in diesem Bereich gehören abgeschafft. Deshalb unterstützt meine SPDFraktion die Initiative unseres Bundesarbeitsministers Hubertus Heil, hierbei per Gesetz aktiv zu werden.

(Zustimmung)

Dass Arbeiten und Wohnen auf engstem Raum krankmachen kann, haben wir am Hauptsitz von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück erlebt. Daher bin ich froh, dass uns das an Standorten in Weißenfels und Zerbst erspart geblieben ist. Es war eine gute und richtige Entscheidung, dass der Burgenlandkreis mit Unterstützung unserer Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne sehr früh entschieden hat, alle Beschäftigten am Standort Weißenfels vorsorglich zu testen.

Offensichtlich spricht auch vieles dafür, dass dort insbesondere die Wohnbedingungen besser sind als in Rheda-Wiedenbrück. Die negativen Testungen haben den Menschen im Burgenlandkreis Sicherheit gegeben, dass es keine erhöhte Ansteckungsgefahr gibt und dass keine Gefahr des Lockdowns besteht.

Am letzten Mittwoch hat sich der Landtagsausschuss für Arbeit, Soziales und Integration im

Rahmen eines Fachgespräches mit der Situation der Beschäftigten in der Fleischindustrie beschäftigt; das ist schon erwähnt worden. Geladen waren neben der Gewerkschaft NGG auch das Projekt „Faire Integration - faire Beschäftigung von Migranten“ und Vertreter des Konzerns Tönnies. Ebenfalls anwesend waren das Hauptzollamt und das Amt für Verbraucherschutz.

Ich will betonen, dass dieses Gespräch schon geplant wurde, als wir Covid-19 noch nicht hatten. Allerdings hat die aktuelle Situation sicherlich noch einmal die Sinne und den Blick dafür geschärft und zu dieser heutigen Aktuellen Debatte geführt.

Meine Damen und Herren! Nun zu den Punkten, die ich gern benennen möchte: Allein am Standort in Weißenfels agieren bei Tönnies elf verschiedene Firmen unter dem Dach des Fleischkonzerns Tönnies, ein Geflecht von Werkverträgen und Leiharbeit, das Verantwortlichkeiten verschleiert, sodass es, wie sich herausstellte, noch nicht einmal Namenslisten gibt, damit man weiß, wer überhaupt an welcher Stelle arbeitet. Man hört, dass aktuell 200 Arbeiter quasi verschwunden sind, und auch das sollte uns zu denken geben.

Dass es so zu illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit gekommen ist, lässt sich nur vermuten. Der Konzern Tönnies hat erklärt, dass alle Beschäftigten, wenn das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit per Gesetz kommt, direkt bei Tönnies angestellt werden.

Meine Damen und Herren! Ich sage, das ist eine gute Perspektive, und ich kann den Verantwortlichen nur zurufen - und habe das auch in dem Fachgespräch gesagt -: Fangen Sie bereits jetzt damit an und setzen Sie ein Zeichen, dass Sie es mit besseren und fairen Arbeitsbedingungen ernst meinen.

Meine Damen und Herren! Der nächste Punkt, der angesprochen wurde und der sehr auffällig ist, sind die Unterbringungs- und Mietverhältnisse. Da werden offensichtlich Wohnungen, in denen wir alle nicht leben möchten, von verschiedenen Leuten angemietet und mehrfach weitervermietet, zum Beispiel von einer Person gleich 40 Wohnungen auf einmal, und die werden dann zu erhöhten Mietpreisen mehrfach untervermietet.

Vor einiger Zeit haben wir hier ein Wohnaufsichtsgesetz beschlossen. Das könnte man heute schon anwenden. Deshalb kann ich nur appellieren, diese neuen Möglichkeiten zu nutzen. Überwiegend gehören diese Wohnungen übrigens kommunalen Wohnungsgesellschaften. Dazu sage ich sehr deutlich: Das muss anders laufen.

Die Tönnies-Vertreter haben im Fachgespräch zugesagt, diese Wohnungen zukünftig direkt anzumieten und den Arbeitern direkt zur Verfügung zu stellen - ein guter Weg, wie ich meine, um einen Zwischenhandel wirksam zu unterbinden.

Meine Damen und Herren! Ein weiterer Punkt, der, glaube ich, sehr wichtig ist: Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten berichtete darüber, dass es nur punktuell eine Zusammenarbeit mit dem Tönnies-Konzern gibt, sprich: Es gibt keine funktionierende Sozialpartnerschaft, die dazu führt, dass Arbeitsbedingungen im fairen Miteinander geregelt werden. Deshalb brauchen wir für die Fleischwirtschaft flächendeckende Branchentarifverträge, am besten sogar einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag, damit gute und faire Arbeit sichergestellt wird.

(Zustimmung - Zurufe)

Meine Damen und Herren! Mindestlöhne sind richtig und wichtig. Für harte Arbeit reichen sie aber nicht aus. Deshalb ist ein Flächentarifvertrag die richtige Antwort.

(Zuruf)

Im Übrigen ist es auch eine gute Stelle, deutlich zu machen, dass wir als SPD nach wie vor für höhere Mindestlöhne sind; am besten wäre ein Mindestlohn von 12 €.

(Zurufe)

Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen. Der Kollege Krause hat eine Rede zum Tierwohl gehalten. Ja, es stört auch mich, wenn ich die Bilder aus den Fleischfabriken sehe. Der Gipfel ist aber, wenn die Fleischkonzerne jetzt von den Bauern fordern, die schlachtreifen Tiere wie in der Automobilindustrie just in time und nach Bedarf zu liefern. Gerade in der jetzigen Zeit bei Corona, wo man nicht weiß, wohin mit den vielen Schweinen, gibt es eine Forderung just in time. Was das für die Bauern und für die Landwirte bedeutet, mag ich mir nicht ausmalen. Deshalb, glaube ich, sind solche Forderungen klar abzulehnen.

Erst vorgestern hat der MDR eine Umfrage veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Mehrheit für mehr Tierwohl und bessere Arbeitsbedingungen mehr Geld ausgeben würde. Also, da sage keiner, dass es den Verbrauchern nur um billiges Fleisch geht. Deshalb sollte sich die Fleischindustrie dieser Nachfrage stellen.

An den Standorten, meine Damen und Herren, geht es oft auch um die faire Migration und die Integration von Menschen aus Osteuropa, die vielfach schon über Jahre an den Standorten arbeiten und leben und teilweise ihre Familien mitgebracht haben. Oft gehen ihre Kinder in unsere Schulen, auch in Weißenfels und Zerbst.

Mit fairer Arbeit und Unterbringung können wir hier zu einer besseren Integration kommen. Ich sage sehr deutlich: Diese Menschen aus Osteuropa, die in unseren Fleischfabriken arbeiten, gehören zu Deutschland und gehören auch zu Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung)

Wenn wir ehrlich sind, meine Damen und Herren, machen sie eine Arbeit, die Deutsche oft nicht machen wollen. Wenn das so ist, sollten wir dafür Sorge tragen, dass die Menschen fair und gerecht behandelt werden.

Weil es die Kollegin Lüddemann angesprochen hat, will ich es an der Stelle noch einmal sagen: Ich bin sehr dafür, dass auch das Projekt „Faire Integration - faire Beschäftigung von Migranten“ verlängert wird. Das, was wir damals schon im Koalitionsvertrag vereinbart haben, muss sogar noch besser finanziell ausgestattet werden.

Ich denke, diejenigen, die dort arbeiten - das ist in dem Fachgespräch deutlich geworden -, sind sehr nah an den Problemen der Menschen dran und sorgen auch dafür, dass wir von diesen Themen erfahren und hier eine sachgerechte Debatte darüber führen können.

Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist deutlich geworden, dass wir in diesem Bereich sehr viel Handlungsbedarf haben. Wenn die AfD sagt, natürlich hätte man schon viel früher handeln können, dann sage ich: natürlich haben wir hier schon oft Debatten darüber geführt. Vielleicht sind wir alle jetzt in Zeiten von Corona noch ein bisschen mehr sensibilisiert worden.

Aber ich denke, es ist nicht nur die Frage einer Fraktion, einer Partei und einer Regierung, dass hier gehandelt wird, sondern wir brauchen auch ein gesellschaftliches Umdenken. Wir müssen umdenken, sowohl was die Arbeitsbedingungen angeht, aber auch was das Tierwohl angeht, meine Damen und Herren.

Vielleicht ist die heutige Debatte ein richtiger Anfang dafür. Wir werden sie auch in den Ausschüssen fortsetzen. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung)

Vielen Dank, Herr Abg. Steppuhn. Es gibt eine Wortmeldung. Sind Sie bereit, zu antworten?

Ja, beim Kollegen Heuer doch immer.

Ja, Sie kehren zurück. - Herr Kollege Heuer darf jetzt die Frage stellen.

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Steppuhn, ich hätte die eine oder andere Frage, aber eine ist mir ganz wichtig. Sie haben gesagt, bei Tönnies ist Schwarzarbeit zu vermuteten. Da hätte ich jetzt ganz gern gewusst, worauf Sie Ihre Vermutungen begründen.

Die Argumente hätte ich gern genannt bekommen, weil Sie einfach etwas vermuten und in den Raum stellen, obwohl der Zoll im Ausschuss im Fachgespräch war und gesagt hat, dass nichts festgestellt worden ist. Dann können Sie so etwas nicht sagen.

(Zustimmung)