Protocol of the Session on July 9, 2020

Handelsketten stehen in einem ruinösen Preiskampf gegen ihre jeweilige Konkurrenz. Es findet ein Konzentrationsprozess sowohl bei den Handelsketten als auch bei den Erzeugern statt. Über die damit einhergehende geballte Einkaufsmacht üben sie über die Einkaufspreise einen Preisdruck auf die Erzeuger aus. Bei dem Erzeuger, dem Bauern in der Landwirtschaft, kommt hingegen nicht das an, was er zur Deckung aller Kosten und zur Ermöglichung eines alle Seiten zufriedenstellenden Zustandes benötigt. Daher ist eine Neujustierung der Tierhaltung in Deutschland erforderlich.

Notwendig sind mehr Tierwohl, bessere Preise sowie faire Arbeitsbedingungen. Fleisch und Wurst sind oft zu billig. Dazu liegen mittlerweile Vorschläge auf dem Tisch. Eine Kommission unter Leitung des früheren CDU-Bundesagrarministers Jochen Borchert legte im Februar dieses Jahres Empfehlungen vor, um das Tierwohl in der Nutztierhaltung zu verbessern. So wird unter an

derem vorgeschlagen, den Tieren mehr Platz im Stall zu lassen und Kontakt zum Außenklima zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist die Freilandhaltung als Allererstes zu nennen, worauf auch ich immer einen großen Wert lege, gerade in der Gänsehaltung.

Zur Finanzierung schlägt die Kommission eine Tierwohlabgabe auf tierische Produkte vor, die aber mit Blick auf Haushalte mit geringen Einkommen sozialpolitisch flankiert werden sollte.

Die anfallenden Umbau- und Haltungskosten können auch durch eine Verbrauchersteuer finanziert werden. Das Expertengremium schlug Aufpreise - Frau Frederking hat dies vorhin schon erwähnt - von 40 Cent pro Kilo Fleisch, 2 Cent pro Liter Milch und Kilo Ei sowie 15 Cent pro Kilo Butter und Käse vor. Einer Tierwohlabgabe ist auch deswegen zuzustimmen, um bessere Haltungsbedingungen zu finanzieren.

Bundesernährungsministerin Julia Klöckner sagte: Auch für die Verbraucher wird sich etwas ändern müssen. Dabei soll Fleisch kein Luxusprodukt für Reiche werden, aber auch keine Alltagsramschware.

Faire Preise und Förderungen ermöglichen Landwirten Stallumbauten. Wenn aber Fleischindustrie und Handel immer stärker auf den Preis drücken, dann schaffen das die Tierhalter nicht. Deshalb gilt es, den Landwirten zu helfen, damit sie die Kosten für Stallumbauten stemmen können. Dabei ist zu betonen, dass Fleisch keine billige Ramschware sein darf. Darunter haben Tiere, Landwirte und auch die Arbeiter im Schlachthof zu leiden.

Die Empfehlungen der Borchert-Kommission sind eine große Chance für mehr Tierwohl und Verbrauchervertrauen in die Landwirtschaft. Verbraucher tierischer Lebensmittel zeigen immer mehr Interesse dafür, wie Tiere gehalten werden, von denen die Lebensmittel stammen. Folglich ist es notwendig, die Haltungssysteme für landwirtschaftliche Nutztiere auch auf Tiergerechtheit hin zu überprüfen, einerseits um das Einhalten der gesetzlichen Vorschriften nachzuprüfen, andererseits um dem Verbraucher das Vertrauen in tierisch erzeugte Lebensmittel geben zu können.

Als Zielsetzung ist die Beurteilung von Haltungssystemen mithilfe von Tiergerechtheitsindizes - TGI - über die gesetzlichen Haltungsvorschriften hinaus benannt, die den Grad der Tiergerechtigkeit überprüft.

Die in einem Pilotprojekt durchgeführte Bewertung der Tiergerechtigkeit ist eine Methode, um Handlungssysteme ganzheitlich zu beurteilen. Dabei werden einzelne Funktionsbereiche eines Stalles

nach baulicher Ausführung, Verhalten, Sauberkeit und Hygiene mithilfe von Checklisten bewertet.

Ich habe jetzt noch ein bisschen mehr, Frau Präsidentin. Aber ich sehe, meine Redezeit - -

Nein, Sie haben nicht ein bisschen mehr; denn Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Krause.

Sie ist zu Ende.

Ich gestatte Ihnen einen letzten Satz und dann ist Schluss.

Ich möchte mit einem Zitat, weil ich damit angefangen habe, auch enden.

Einen Satz, Herr Krause, und keine Diskussion.

„Tu erst das Notwendige, dann das Mögliche, und plötzlich schaffst du das Unmögliche.“

(Zustimmung)

Vielen Dank, Herr Krause. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Somit kommen wir zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau Eisenreich. Frau Eisenreich, Sie dürfen jetzt nach vorn kommen. Sie haben jetzt das Wort.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, wir erleben gerade eine sehr interessante und aufschlussreiche Situation. Erst viele Coronaerkrankungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern von Tönnies und anderen Schlachtbetrieben von Großvieh, inzwischen aber auch bei Geflügelschlachtern wie Wiesenhof haben die eigentlich schon längst bekannten und auch immer wieder kritisierten Zustände in der Schlachtindustrie in das öffentliche Bewusstsein und - noch viel wichtiger - in die politischen Debatten gebracht.

Die Arbeits- und Lebensbedingungen vor allem der migrantischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurden jahrelang überall einfach so hin

genommen, wie sie sind, und zum Teil ignoriert. Welche Folgen das hat, das sehen wir jetzt ganz deutlich.

Es wurde schon darüber gesprochen, wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor allem aus Ost- und Südosteuropa hier angeworben werden. Sie stehen ohne Sprachkenntnisse oder gar Beistand da, wenn sie Verträge unterschreiben. Sie wissen nicht, was sie da unterschreiben, und werden von ihren Arbeitgebern in ein absolut unsägliches Abhängigkeitsverhältnis getrieben. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten beklagt dies, meine Damen und Herren, als sklavenähnliche Beschäftigungsverhältnisse.

(Beifall)

Solche sklavenähnliche Beschäftigungsverhältnisse heute hier in unserer Zeit und in unserem Lande sind absolut unwürdig und nicht vertretbar.

Auch die Beratung migrantischer Arbeitskräfte - sie wurde heute hier schon mehrfach genannt - hat bei der Anhörung zu diesem Thema im Sozialausschuss darauf verwiesen, dass die Hilfslosigkeit der ausländischen Arbeitskräfte massiv ausgenutzt wird; denn abgesehen vom Inhalt des Vertrages haben sie keine Kenntnis von ihren Rechten als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie wissen nicht, wie sie sich gegen miserable Arbeitsbedingungen wehren sollen. Sie haben einfach nur Angst, den Job, den sie mühsam bekommen haben, zu verlieren. Es gab - auch das wurde berichtet - sogar Fälle von Gewaltandrohung gegen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die versucht haben, sich zu wehren.

Frau Ministerin, ich muss schon sagen: Hier von einer schwachen Verhandlungsposition der migrantischen Arbeitskräfte zu sprechen, ist eine mehr als schöne Umschreibung dessen, was in der Realität passiert. Das ist eine gnadenlose Ausbeutung und Ausnutzung dieser Menschen, die im Vertrauen auf eine Arbeit in das Land kommen.

(Beifall)

Die Werkverträge, meine Damen und Herren, sind dabei das Grundproblem. Laut Angaben der Industrie sind heute bundesweit bis zu 50 % der Arbeitsplätze im Kernbereich über Werkverträge vergeben. Die Gewerkschaft NGG spricht sogar von bis zu 80 %.

Was beinhalten diese Werkverträge? - Die Beschäftigten erhalten zwar den Mindestlohn, jedoch im Krankheitsfall keine Lohnfortzahlung. Der Anspruch auf Urlaub wird falsch berechnet. Dazu werden die Kosten für Arbeitsmaterial, für die Bereitstellung einer Unterkunft sowie für den Transport zum und vom Arbeitsort direkt vom

Lohn abgezogen. Und wer sich beschwert, der fliegt quasi sofort.

Damit insbesondere die migrantischen Arbeitskräfte, die besonders unter dieser Situation zu leiden haben, Unterstützung erfahren, muss das Projekt „Beratung migrantischer Arbeitskräfte“ über das Auslaufen des Förderzeitraums zum 30. Juni 2021 hinaus fortgesetzt werden.

(Zustimmung)

Nicht erst prüfen, das muss passieren; denn hier finden die migrantischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ohnehin ziemlich wenig Vertrauen in staatliche Ordnungsbehörden haben, sprachliche und fachliche Hilfe und Unterstützung. Sie haben inzwischen ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, das in dieser Situation besonders wichtig ist.

Meine Damen und Herren! Der Missbrauch in Form von Scheinwerkverträgen zur Ausgliederung der Kernarbeit muss auf Bundesebene zügig gesetzlich unterbunden werden. Dass das angekündigt ist, ist in Ordnung, aber hier brauchen wir endlich schnelle Regelungen. Daran führt kein Weg vorbei.

Viel zu lange wurde - das wurde schon mehrfach angesprochen - auf freiwillige Selbstverpflichtung gesetzt, statt klare Regelungen für gute Arbeitsbedingungen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen. Statt mit Tarifverträgen und betrieblicher Mitbestimmung durch Betriebsräte und Gewerkschaften haben sich die Unternehmen mit Subunternehmen und Werkverträgen aus ihrer Verantwortung für die Beschäftigten gestohlen. Der blanke Hohn ist es, wenn dafür gebetsmühlenartig angeführt wird, dass solche Verträge branchenüblich seien und man als Branche wettbewerbsfähig bleiben müsse. Das ist gelogen, meine Damen und Herren;

(Beifall)

denn der ausländische Konkurrenzdruck ist eben nicht die Ursache für die unhaltbaren Zustände in der Branche. Im Gegenteil: Das europäische Ausland leidet unter dem deutschen System, weil nirgendwo so billig geschlachtet wird wie hier.

In Dänemark sieht das ganz anders aus: Stundenlöhne von 25 €, Schichten von maximal 7,5 Stunden zeichnen doch ein gänzlich anderes Bild von dem, was hier im Land passiert.

Doch die Unternehmen werden es nicht freiwillig ändern und der Markt wird es nicht regeln. Das steht doch schon einmal fest.

(Zustimmung)

Deshalb brauchen wir strengere Regelungen für sichere Arbeitsverhältnisse mit festen Verträgen

und einer tariflichen Entlohnung, von der die Beschäftigten gut leben können.

Damit diese neuen Regelungen nicht wieder unterlaufen und neue Schlupflöcher gesucht werden - es ist Kapitalismus, dass die Unternehmen immer wieder danach suchen -, ist es an der Zeit, endlich die entsprechenden Kontrollen durchzuführen. Doch bisher brauchte sich ein Unternehmen in Deutschland überhaupt keine Sorgen zu machen. Im Schnitt kommt nur alle 17 Jahre ein Kontrolleur ins Unternehmen. Das liegt vor allem daran, dass das Personal der Kontrollbehörden und -ämter massiv reduziert wurde. Das muss sich endlich ändern.

Auch hierzu ist im Sozialausschuss vom Landesamt für Verbraucherschutz gesagt worden: Allein wenn man die Betriebe alle zehn Jahre einmal prüfen möchte, brauchte man 20 Beamte mehr. Im Übrigen haben wir diese Forderung zur Aufstockung unter anderem beim Landesamt für Verbraucherschutz hier mehrfach gestellt und werden das auch künftig weiter mit Nachdruck tun.

Wir fordern die Landesregierung auf, die Einhaltung der geltenden Schutzgesetze stärker zu kontrollieren und dazu vermehrt unangekündigte Arbeitsschutzkontrollen durchzuführen.

Es ist einfach skandalös, dass man sein Geschäftsmodell auf schlechten Arbeitsbedingungen gründet und damit enorme Gewinne macht. Die Grundsätze gute Arbeit und Mitbestimmung im Betrieb müssen Kriterien für die Wirtschaftsförderung sein. Die Wahl von Betriebsräten muss erleichtert werden. Das Thema der Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Unternehmen, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat keiner der Vorredner überhaupt einmal aufgegriffen.

(Zurufe)

Diese klaren Regelungen betreffen im Übrigen auch die Landwirtschaft und den Einzelhandel, der jetzt seine Verantwortung wahrnehmen muss und nicht über Dumpingpreise die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft und den Unternehmen ruiniert. Hierzu braucht es ein Lieferkettengesetz. Das bedeutet, wer in seiner Lieferkette Schäden an Mensch und Umwelt verursacht oder auch nur billigend in Kauf nimmt, der haftet dafür.

(Zustimmung)