Protocol of the Session on July 9, 2020

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich eröffne hier die 106. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der siebenten Wahlperiode und begrüße Sie alle auf das Herzlichste.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir setzen nunmehr die 51. Sitzungsperiode fort und beginnen die heutige Beratung mit der Aktuellen Debatte unter Tagesordnungspunkt 4 - Fleischproduktion auf Kosten von Mensch und Tier. Gute Arbeit und Tierwohl endlich auch im Bereich der Schlachtunternehmen umsetzen.

Ich erinnere daran, dass sich für heute Herr Minister Robra ganztägig und Herr Minister Prof. Dr. Willingmann für die Zeit von 13 bis 16 Uhr entschuldigt haben.

Bevor wir mit dem Tagesordnungspunkt 4 beginnen - -

(Unruhe)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es interessiert Sie sicherlich auch, dass sich die parlamentarischen Geschäftsführer und die Fraktionsvorsitzenden darauf verständigt haben, die heutige Mittagspause vorzuziehen und diese unmittelbar nach dem Tagesordnungspunkt 5 zu beginnen.

Ich denke, das wird in Ihrer aller Interesse sein. Sonst haben wir keine Mittagspause, sondern eine Nachmittagspause bzw. wie mein Kollege Herr Gallert es sagte: eine Lunchpause. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir nach dem Tagesordnungspunkt 5, nach der Aktuellen Debatte, die Sitzung unterbrechen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 4

Aktuelle Debatte

Fleischproduktion auf Kosten von Mensch und Tier. Gute Arbeit und Tierwohl endlich auch im Bereich der Schlachtunternehmen umsetzen.

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/6273

Die Redezeit beträgt je Fraktion zehn Minuten, die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von

zehn Minuten. Es wurde folgende Reihenfolge vereinbart: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, AfD, CDU, DIE LINKE und SPD.

Zunächst hat die Antragstellerin das Wort. Für die einbringende Fraktion teilen sich die Redezeit Frau Lüddemann und Frau Frederking. Die Abg. Frau Lüddemann beginnt. Sie haben das Wort, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die unhaltbaren Zustände in der Fleischindustrie sind seit Langem bekannt. Was von Tönnies als Spitze des Eisberges zur Perfektion erhoben wurde, steht für ein ganzes System: immer am untersten Ende des Erlaubten agieren, alle Spielräume bis aufs Äußerste ausreizen zulasten von Mensch und Tier.

Die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse, der

mangelnde Gesundheitsschutz, die unzumutbare Wohnsituation der Beschäftigten und der leidbringende Umgang mit den Tieren produzieren regelmäßig Schlagzeilen und zu Recht skandalisierte Debatten, leider ohne wesentliche Änderungen zu generieren.

Durch Corona, wo nun die Gefährdung durch mangelnden Infektionsschutz hinzukommt, öffnet sich ein Aufmerksamkeitsfenster in der Bevölkerung und der Politik, welches dringend genutzt werden muss.

Die massiven Covid-19-Fälle beim Unternehmen Tönnies zeigen wieder einmal: Hier wird Verantwortung nicht wahrgenommen. Wir können uns glücklich schätzen, dass beispielsweise durch das besonnene und schnelle Handeln des Landrates im Burgenlandkreis die Weiterleitung von Arbeitskräften unterbunden und ein Eintrag von Covid-19 im Land Sachsen-Anhalt verhindert werden konnte.

Die Fleischindustrie braucht nicht zu jammern und sich schon gar nicht über die daraus erwachsenen Zumutungen zu beschweren. Kurz vor der Coronapandemie ist ein Rekordumsatz vermeldet worden. Von Januar bis April 2020 erhöhten sich die Umsätze im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 14,8 % auf 14,2 Milliarden €. Hier wird also eindeutig Profit gemacht. Das ist Kapitalismus; denn dieser Profit geht auf Kosten von Mensch und Tier. Das dürfen wir nicht mehr zulassen.

Neben dem Jammern wird es erst recht zur Farce, wenn sich, wie letzte Woche im Sozialausschuss, die Vertreter von Tönnies groß an die Spitze der Bewegung stellen und von dem tollen Umstieg von Werkverträgen auf Arbeitsverträge fabulieren. Auch das geschieht wieder erst dann, wenn der

öffentliche Druck so groß ist, dass selbst die Bundesregierung handelt. Das, was erklärtermaßen ab Januar geltendes Recht in Deutschland ist, jetzt als eigenes Agieren verkaufen zu wollen, ist dummdreist.

(Beifall)

Ähnlich wirkt die Replik auf die Einschätzung der Gewerkschaften, dass es keine wirkliche Sozialpartnerschaft gebe. Aussage Tönnies: Ja, auch wir freuen uns, wenn es endlich einen Branchentarifvertrag gibt. - Für wie bekloppt werden wir denn gehalten?

Es ist allgemein bekannt, dass es immer die Arbeitgeberseite war, die keine Verhandlungen aufgenommen oder die Verhandlungen abgebrochen hat. Hier kann ich den Arbeitgebern nur sagen: An euren Taten werden wir euch messen!

(Zustimmung)

Auch der Bundesregierung muss man sagen: An euren Taten werden wir euch messen! Denn sie haben sich jahrelang von der Fleischindustrie vorführen lassen.

(Zustimmung)

Es ist immer das Gleiche: Jede Möglichkeit und jedes Schlupfloch, das die Bundespolitik bietet, werden genutzt. Unternehmen wie Tönnies reizen den Rechtsrahmen gnadenlos aus und operieren immer gerade so am Rande des Erlaubten. Das ist moralisch verwerflich, aber nicht justiziabel.

So rechtfertigt auch Sigmar Gabriel seine Beratertätigkeit bei Tönnies mit den Worten: Tönnies macht nichts Verbotenes. - Das stimmt wohl, aber ebenso stimmt: Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim.

Es ist falsch, allein auf eine freiwillige Selbstverpflichtung zu setzen, um die ausufernden Werkverträge bei ausländischen Arbeitnehmern einzudämmen. Es ist überfällig, dass die Bundesregierung nun mit ihren Eckpunkten ankündigt, Werkverträge ab dem nächsten Jahr zu verbieten.

Durch das Projekt „Beratung migrantischer Arbeitskräfte“ haben wir erschreckende, aber leider nicht überraschende Fakten erfahren. Deren Beratungspraxis zeigt sehr klar: Arbeitnehmer werden oftmals eingeschüchtert. Sie haben Angst, sich kritisch zu äußern, und die große Zahl von Aufhebungsverträgen rechtfertigt diese Aussage. Daher plädiere ich sehr dafür, dass wir dieses Projekt auch über das Jahr 2021 hinaus fördern.

(Zustimmung)

Aber nicht nur die Politik ist in der Verantwortung. Letztlich ist es auch die große Anzahl an Kon

sumentinnen und Konsumenten, denen es gar nicht billig genug sein kann. Hierbei muss jedem klar sein: Alles im Leben hat seinen Preis.

Und der Preis für billige Schnitzel und billige Würstchen sind eben eine prekäre Entlohnung, skandalöse Arbeitsbedingungen und Verarbeitungsmethoden, die Tiere quälen.

Und ja, wenn Fleisch teurer wird, kann es eben nicht mehr früh, mittags und abends auf den Tisch. Es ist dann aber auch gesünder für Mensch, Tier und auch für die Menschen, die in der Fleischindustrie arbeiten.

(Zustimmung)

Damit Konsumenten überhaupt eine bewusste Kaufentscheidung treffen können, ist eine eindeutige verpflichtende Kennzeichnung von Fleisch nötig. Julia Klöckner ist zwar offiziell Ministerin für Verbraucherschutz, ich denke aber, der Titel „Ministerin für Verbrauchertäuschung“ wäre hier angebrachter.

(Zustimmung)

Es braucht also klare Ansagen an die Fleischindustrie, ein Verbot von Werkverträgen und die Transparenz bei Arbeitsverträgen, eine bessere Personalausstattung im Landesamt für Verbraucherschutz und beim Zoll, um die Kontrolldichte zu erhöhen, eine Änderung der Arbeitsstättenverordnung und des Wohnraumaufsichtsgesetzes, um die Wohnsituation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich kontrollieren zu können. Wir brauchen Betriebsräte und ein verpflichtendes Tierwohllabel.

Für die Bereiche Fleischindustrie und Tierwohl übergebe ich an meine Kollegin Dorothea Frederking.

(Zustimmung)

Vielen Dank, Frau Lüddemann. - Frau Frederking, Sie haben jetzt das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete! Fleischessen ist normal, aber der Moment, in dem ein Tier zu Fleisch wird, gehört für uns nicht zur Normalität. Der Gewaltakt des Schlachtens, der jedem Fleischkonsum zwangsläufig vorausgeht, wird kaum mehr wahrgenommen.

Erst Skandale, wie jetzt bei Tönnies, werfen ein grelles Licht auf die Auswüchse der industriellen Fleischproduktion, in der Tiere wie Rohstoffe und nicht wie fühlende Mitgeschöpfe behandelt werden. Der Schlachthof ist dabei nur das Ende einer langen Leidenskette.

Von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod erleiden die Tiere Qualen für die Idee der industriellen Billigfleischproduktion für den Weltmarkt. Um die Kapazitäten der Megaschlachthöfe wie in Weißenfels mit rund 20 000 Schweineschlachtungen pro Tag auszulasten, werden die Tiere von weither transportiert.

Auf den langen Transporten erfahren die Tiere Durst, Enge, Angst und Verletzungen. Wir fordern deshalb, die ununterbrochene Transportdauer auf maximal vier Stunden zu begrenzen.

(Zustimmung)