Protocol of the Session on May 8, 2020

(Beifall)

Die Wirtschaft muss wieder in Gang kommen. Daran hängt auch die Stabilität unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. In SachsenAnhalt haben wir, bedingt durch die Maßnahmen gegen das Virus, erstmals seit neun Jahren wieder neue Schulden aufnehmen müssen. Wir werden finanzpolitisch den Gürtel in den kommenden Jahren wieder enger schnallen müssen, Prioritäten neu überdenken und setzen müssen.

(Zustimmung)

Und wir werden uns fragen müssen - das ist vor allem eine Aufgabe des Bundes -, wie wir uns künftig besser auf eine solche Pandemie vorbereiten können. Dies betrifft sowohl die Bevorratung mit Schutzausrüstungen - mehr Autarkie in dieser Frage, auch in anderen strategisch wichtigen Bereichen; das geht bis hin zur Pharmazie, reicht auch in die Medizinprodukte hinein - als auch Schwerpunktsetzungen in der Forschung und die Nutzung moderner Informationstechnologie sowie Fragen der Koordination in diesem Zusammenhang.

(Zustimmung)

Klar ist auch: Wir haben gemerkt, ohne Digitalisierung kann eine moderne Gesellschaft solch eine Pandemieherausforderung nicht bewältigen. Es führt aber auch nichts an der analogen Welt vorbei.

(Beifall)

Wir werden jetzt im Sinne der Kinder alle Klassen und auch die Kindertagesstätten sukzessive wie

der öffnen, damit die Kinder wieder soziale Kontakte haben und auch unmittelbar zu Lehrern und Lehrerinnen oder zu entsprechend mit Bildung ebenfalls befassten Kindertagesstättenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern den sozialen Kontakt pflegen können. Damit kann sich der Mensch wieder ganz deutlich als gesellschaftliches Wesen zeigen.

Die große Lehre ist ja, dass wir beide Seiten stark entwickeln müssen, dass wir an beiden Seiten arbeiten müssen und dass wir für beide Seiten auch für zukünftige Herausforderungen ähnlicher Art entsprechende Vorkehrungen treffen müssen.

Dies sind, meine Damen und Herren, Herausforderungen, denen wir uns in den kommenden Monaten und Jahren stellen müssen. Sachsen-Anhalt wird seinen Beitrag dazu leisten. Ich kann, denke ich, mit Ihnen gemeinsam selbstbewusst sagen: Das, was wir bisher gemeinsam - die Legislative zusammen mit dem Landtag - mit einem Nachtragshaushalt und mit weiteren Überlegungen auf den Weg gebracht haben, das wird die Menschen auch weiterhin davon überzeugen, dass sie mithelfen, dass sie das, was wir jetzt für notwendig erachten, auch mittragen. Wenn sie merken, wenn sie Bewegung sehen, dass sich diese gemeinsame Anstrengung lohnt, dann sind sie auch bereit, den Wiederaufbau und das neue Durchstarten in unserer Gesellschaft zu ermöglichen.

Das alles ist immer vor dem Hintergrund zu sehen, dass wir menschliches Leben zu schützen haben, dass wir aber auch die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Einhaltung von Grundrechten nach unserer Verfassungslage entsprechend immer wieder zu sichern haben. Wenn wir diese einschränken, müssen wir das gut begründen.

Deswegen ist mein Appell an alle Personen, an die Bürgerinnen und Bürger, die derzeit versuchen, ihren Unmut im Rahmen von Demonstrationen zum Ausdruck zu bringen, dieser: Seien Sie sich dessen bewusst, dass wir das Anliegen, Grundrechte nicht unnötig zu beschränken, bei jeder Maßnahme immer im Auge behalten und dass wir jede Maßnahme begründbar machen und dass wir versuchen, unser Regierungshandeln und das parlamentarische Handeln daran auszurichten, dass die Einhaltung der Grundrechte in Sachsen-Anhalt durch jede gerichtliche und auch jede verfassungsgerichtliche Überprüfung immer gewährleistet sein wird, damit diese Demokratie auch im dreißigsten Jahr der Wiedervereinigung und im dreißigsten Jahr der Wiederbegründung Sachsen-Anhalts Stabilität aufweist und langfristig und dauerhaft gesichert ist. - Herzlichen Dank.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Sie können gleich vorne stehen bleiben.

Vielleicht noch ein kleiner Hinweis, der genauso für die Landesregierung gilt: Wenngleich es sich hierbei um ein sehr wichtiges Thema handelt, mögen auch Sie sich bitte alle an die vorgegebene Redezeit von zehn Minuten halten.

Sie haben jetzt mehrfach die Gelegenheit für weitere Ausführungen, denn ich habe eine große Menge an Wortmeldungen. Ich beginne mit dem Abg. Herrn Büttner, dann folgen Herr Abg. Hövelmann und Herr Abg. Farle. - Herr Büttner, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Minister Dr. Haseloff, ich habe eine Frage zu Ihren Ausführungen. Sie sprachen davon, dass wir in Deutschland auf die Krise angemessen reagiert hätten.

In diesem Zusammenhang frage ich Sie, ob Sie es für angemessen halten, dass der Gesundheitsminister Spahn, als die Krise schon sichtbar war und in China schon längst ausgebrochen war, anfangs davon sprach, das sei nicht schlimmer als eine Grippe, dass keinerlei Einschränkungen vorgenommen wurden, sodass man auf diese Art und Weise dafür gesorgt hat, dass sich das Virus erst richtig ausbreiten konnte.

Ich weiß auch, dass sich einige Personen meiner eigenen Familie im Urlaub befanden zu Zeiten, in denen in Deutschland und in Sachsen-Anhalt bereits Geschäfte geschlossen werden mussten und man bereits verordnet hatte, dass in großen Märkten, zum Beispiel im Real, nur noch 100 Kunden gleichzeitig einkaufen gehen konnten. Zu jener Zeit wurden meine eigenen Familienmitglieder mit einem Evakuierungsflieger aus dem Ausland zurückgeholt, in dem Fall aus Kenia, also fast einem Dritte-Welt-Land, in dem noch Temperaturmessungen vorgenommen wurden.

Herr Büttner, bitte kurze Fragen formulieren.

Dort wurden also bereits Coronatests gemacht. Als meine Familienmitglieder jedoch in Deutschland gelandet waren, haben sie lediglich ihren Reisepass vorgezeigt und wurden dann durchgewunken. Niemanden hat interessiert, ob die Zurückgeholten erhöhte Temperatur oder sonst etwas hatten. Ist das angemessen oder ist das nicht angemessen - das würde mich einmal inte

ressieren -, wenn man gleichzeitig die Läden schließt? Das passt doch nicht zusammen.

(Zuruf)

Herr Ministerpräsident, Sie haben jetzt die Möglichkeit zu antworten.

Zuerst zu den Aussagen über Herrn Spahn. Ein Herr Spahn, der kein Mediziner ist, verlässt sich an dieser Stelle auf die grundsätzliche Einschätzung von Virologen bzw. Medizinern zu diesem Zeitpunkt und auf die Erfahrungen, die wir bis dahin gewonnen hatten. Das ist keine politische Aussage gewesen, sondern eine aus fachlicher Sicht zugearbeitete.

Dass wir bezüglich der Ausbreitung und der damit gesammelten Erfahrungen das Virus betreffend alle auf einem Weg waren, das merken Sie - das kann ich wirklich auch belegen - anhand der vielen Veranstaltungen, die ich hinter mich gebracht habe, einschließlich der Ministerpräsidentenkonferenzen in Berlin im Beisein des RKI-Chefs, im Beisein der Verantwortlichen der Charité und weiterer Wissenschaftler. Letztendlich wurden die Kenntnislage, die Forschungslage und auch die Zuarbeit aus vielen internationalen Studien ständig in unsere Entscheidungs- und Bewertungsprozesse eingespult, sodass wir alle von den politischen Taktungen her auf einem gemeinsamen, teilweise auch noch suchenden Weg waren, immer in der Hoffnung, dass wir das Richtige tun.

In Bezug auf die Effizienz unserer Maßnahmen können wir durchaus auch auf das Beispiel des schwedischen und des deutschen Wegs im unmittelbaren Kontrast verweisen. Auf Italien, Frankreich und andere Länder will ich erst gar nicht Bezug nehmen. Dazu kann man natürlich sagen: Der wirtschaftliche Einbruch war in beiden Ländern identisch. Der Unterschied ist nur: In Deutschland ist jeder zweiundvierzigste Infizierte an Corona gestorben und in Schweden jeder zehnte. Ich glaube, das ist zumindest ein Indikator.

Das ist für mich als Politiker, der einen Amtseid geschworen hat, in Abwägung dessen, dass wir uns in einer Pandemie befinden und dass das Infektionsschutzgesetz derzeit in dieser Gesellschaft alles triggert, zu diesem Zeitpunkt sehr wohl eine Begründung dafür, in dieser harten Phase solche einschneidenden Entscheidungen zu treffen.

Jetzt sind die Infektionszahlen - ich habe gerade vorgelesen, wo wir momentan stehen - so, wie sie sind. Sie kennen auch mein Agieren in diesem Zusammenhang, wonach jetzt regionalisiert werden muss. Wenn Sie sich die Deutschlandkarte im

Hinblick auf die Betroffenheiten angucken und dann sehen, wo die roten und dunkelroten Flecken sind und wo die besser situierten - Gott sei Dank bei uns - Gebiete sind, dann sehen Sie, dass dieses Auseinanderspreizen mit differenzierten Wegen immer noch mit einem grundsätzlichen Korridor der Hygienebestimmungen verbunden bleibt. Demzufolge arbeiten wir sehr wohl verantwortlich.

Bezüglich der Rückkehrer kann ich nur eines sagen: Es ist auch dem Auswärtigen Amt und allen Organisatoren bewusst gewesen, dass die betreffenden Maßnahmen jeweils vor Ort, teilweise sogar abgesprochen und verpflichtend, ergriffen wurden. Es ist aber bei uns mit der Auflage verbunden gewesen, dass sich betroffene Rückkehrer sofort in Quarantäne zu bewegen haben und sich aus dem gesellschaftlichen Leben herausziehen müssen, bis innerhalb der 14 Tage eventuell Symptome auftreten und dann letztendlich die Erkrankung festgestellt wird, was Gott sei Dank nur in den wenigsten Fällen der Fall gewesen ist. Ich hoffe, dass das auch für Ihre Verwandtschaft gegolten hat.

Vielen Dank. - Herr Büttner, Sie haben eine Nachfrage. Ich bitte Sie aber, diese sehr kurz zu halten. Ich war vorhin schon sehr großzügig. - Gut.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe nur eine kurze Nachfrage: Woher wissen Sie denn wirklich, wie viele Infizierte am Ende mehr oder weniger gestorben sind, wenn man doch gar nicht breitflächig testet? Ich weiß zum Beispiel von Fällen, wo Ärzte gar keine Testung vornehmen, weil diese jeweils zwischen 200 und 250 € kosten. Die Frage ist doch: Wie viele Infizierte gibt es denn wirklich? Ist angedacht, dass man flächendeckend testet, damit wir feststellen können: Ist die Heinsberg-Studie

(Zuruf)

richtig, ist die Heinsberg-Studie falsch?

Herr Büttner.

Haben wir über eine Million Infizierte gehabt oder hatten wir diese nicht? Ansonsten können wir doch gar keine Schlussfolgerungen ziehen, wie viele Menschen wirklich sterben.

Herr Ministerpräsident.

Die unmittelbaren Vergleiche innerhalb Europas korrespondieren immer damit, dass stets die gleiche Methodik innerhalb der Europäischen Union angewendet wird, sodass diese Vergleichszahlen zum damaligen Zeitpunkt

(Zuruf)

durchaus belastbar sind.

(Beifall)

Die andere Sache ist: Wir wissen, dass es einen Grundsockel eines Dunkelfeldes gibt. Deshalb haben wir im Kabinett beschlossen, dass wir nach der ersten Akutphase auf freiwilliger Basis Probandengruppen definieren, die 1 000 Personen umfassen sollen und die deshalb repräsentativ sind. Die Ministerin hat das im Kabinett und auch in der Öffentlichkeit vorgestellt, wo wir mit den Universitätskliniken jeweils versuchen, genau dieses Dunkelfeld zu durchdringen und aufzuhellen.

Auf der anderen Seite: Selbst wenn Sie heute flächendeckend 2,2 Millionen Einwohner in Sachsen-Anhalt testen, wissen Sie nicht, was morgen, übermorgen und überübermorgen ist.

(Beifall - Zuruf)

Das heißt, wir brauchen noch ganz andere Dinge, die vor allen Dingen mit dem Immunisierungsgrad zusammenhängen, der bei uns wahrscheinlich sehr gering ausgeprägt ist. Jetzt beginnen wir, Gott sei Dank, mit ersten relativ scharfen Tests - also nicht breitbandig, sondern relativ selektiv genau -, die auf Covid-19 programmiert sind, die wir dann auch in die Fläche treiben und zur Anwendung bringen müssen. Entscheidend ist: Wer ist immunisiert und wer ist nicht immunisiert? Denn das stellt genau das Gefahrenpotenzial einer Gesellschaft dar.

Wir haben im Prinzip - letzter Satz dazu, damit dieser Tagesordnungspunkt heute nicht den ganzen Tag sprengt - folgendes Problem: Wir haben zusammen mit Mecklenburg-Vorpommern die geringsten Zahlen an derzeit registrierten Infektionen. Das ist gut so. Gott sei Dank ist es so.

Wir haben aber auf der anderen Seite mit über 35 % vulnerablen Gruppen innerhalb der Gesamtbevölkerung den höchsten Anteil an gefährdeten Personen. Wenn wir die unter 18-Jährigen herausnehmen, ist fast jeder zweite Bürger und jede zweite Bürgerin in unserem Land in einer besonderen Gefahrensituation, wenn wir bestimmte Sachen einfach so laufen lassen. Deswegen müssen wir auch immer sehen, dass wir bei jeder Entscheidung - auch bei denen, die wirtschaftsorientiert sein müssen - genau das im Hintergrund haben.

Die Bevölkerung in Bayern und Baden-Württemberg ist nur zu 24 % betroffen, wir zu über 35 %, bezogen auf die vulnerablen Bevölkerungsanteile. Das alles muss in unsere Entscheidungsfindung Eingang finden.

Deswegen ist es immer ein Sowohl-als-auch. Da, wo wir können, werden wir Lockerungen vornehmen, und da, wo wir sicher sein müssen, werden wir auch entsprechend handeln. Denken Sie zum Beispiel an Greiz, wo im Prinzip schon die ersten Infektionen in den Burgenlandkreis hineinreichen, weshalb wir ständig in Kontakt mit dem dortigen Landrat Götz Ulrich sind: Wie kriegen wir dort eine Sperre hinein - zumal dort viele Menschen zwischen ihren Wohnungen und Arbeitsplätzen pendeln -, damit wir diese Situation bewältigen können?