Protocol of the Session on September 30, 2016

Herr Poggenburg hat eine Frage oder eine Intervention?

(André Poggenburg, AfD: Eine Intervention, bitte!)

- Eine Intervention. Herr Poggenburg, Sie haben das Wort.

Frau Lüddemann, Sie haben zu Anfang Ihrer Rede gesagt, die AfD habe ausgeführt, der Flüchtling oder die Flüchtlinge wären schuld an der Kinderarmut. Das ist falsch. Es ist inhaltlich falsch. Auch die Unterstellung ist falsch, weil es eine Unterstellung ist.

Wenn ich den Duktus der LINKEN nehmen würde, dann könnte ich Ihnen jetzt Propaganda, Hetze und Populismus unterstellen. Ich tue es aber nicht.

Ich möchte ganz deutlich klarstellen: Nicht die Flüchtlinge sind schuld an der Kinderarmut, sondern die in der Vergangenheit verfehlte Asyl- und Flüchtlingspolitik der Regierenden ist schuld daran. Das haben wir gesagt.

(Beifall bei der AfD - Andreas Steppuhn, SPD: Das ist doch alles Quatsch!)

Frau Lüddemann möchte offensichtlich nicht reagieren. - Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Deswegen können wir in der Debatte fortfahren. Frau Dr. Pähle hat für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kinderarmut ist Familienarmut. An dieser Stelle muss ich

ganz kurz auf den Redebeitrag von Herrn Rausch eingehen. Ganz ehrlich, von dem Bild, das Sie zeichnen - wenn wir den Familien Geld in Aussicht stellen, dann werden die schon Kinder kriegen -, fühle ich mich als Frau, ganz ehrlich, beleidigt.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN - Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE, und von Ministerin Petra Grimm- Benne)

Es ist eine große Errungenschaft, dass Frauen, an erster Stelle Frauen, selbst darüber entscheiden können, ob sie Kinder bekommen und wann sie Kinder bekommen. Es ist ein Trugschluss zu glauben, wenn wir ihnen Geld in Aussicht stellen, dann funktioniert das schon.

(André Poggenburg, AfD: Finanzielle Ab- sicherung!)

- Schauen Sie sich bitte einmal die Verteilung gerade der Mehrkindfamilien an. Aus welchen Familien werden denn Mehrkindfamilien? - Es sind zum einen die Gutverdienenden, die sich dafür entscheiden, und zum anderen diejenigen, die ganz schlecht verdienen.

Das Argument, wenn wir finanzielle Absicherung schaffen, dann werden hier auch mehr Kinder geboren, ist Quatsch.

Wir beobachten gerade bei den Frauen, bei den jungen Frauen, die einen hohen Ausbildungsabschluss haben, die einen guten Job haben, eher den Prozess, dass sie sagen: Ich möchte keine Kinder haben. Der finanzielle Aspekt spielt dabei weniger eine Rolle. Das hat etwas mit Lebensmodellen zu tun, mit Selbstverständnis und auch damit, dass sich Frauen ganz einfach auch entscheiden können, eben keine Kinder zu haben. Das müssen wir akzeptieren und tolerieren.

Wir können als Politik Rahmenbedingungen schaffen, damit es Familien besser haben und es ihnen leichter fällt, über die Runden zu kommen, damit ihre Kinder gut aufwachsen. Darin sind wir sicherlich einer Meinung. Aber diesem Trugschluss zu unterliegen - - Ganz ehrlich, dabei sträuben sich mir alle Haare.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Minis- terin Petra Grimm-Benne)

Die Armut von Familien hängt an der Teilhabe der Eltern am Arbeitsmarkt bzw. an deren Nichtteilhabe.

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD, und von Andreas Steppuhn, SPD)

Deshalb sind eine starke Wirtschaft, eine robuste Konjunktur und eine entsprechende Nachfrage nach Arbeitskräften noch immer das wirksamste

Mittel gegen Familienarmut. Doch wie wir alle wissen, ist die Wirtschaft Sachsen-Anhalts noch immer ein Stück weit davon entfernt, zu der starken wirtschaftlichen Entwicklung aufzuschließen, die Deutschland insgesamt in den letzten Jahren hatte.

Ich bin jedoch davon überzeugt, dass der Ansatz von Minister Felgner, auf die Stärkung der heimischen mittelständischen Wirtschaft zu setzen und diese besonders zu fördern, der richtige Weg ist.

Wir können schon heute, nicht zuletzt an den erfreulichen Zahlen der Arbeitsmarktstatistik, sehen, dass die Nachfrage der heimischen Wirtschaft nach Fachkräften, insbesondere nach Nachwuchs groß ist, allerdings nach qualifiziertem Nachwuchs. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Kindern, die in Familien ohne intakte Erwerbsbiografien der Eltern oder vielleicht auch ohne einen geregelten Alltag leben, Anreize für eine gute schulische und berufliche Bildung setzen.

Wenn ein Kind im eigenen Elternhaus nicht erfährt, dass sich Anstrengung lohnt, dann haben Erzieher, Lehrer und Jugendämter etwas dafür zu tun, dafür Verantwortung zu übernehmen. Diese Aufgabe ist aber nicht einfach und oftmals scheitern sie auch bei deren Erfüllung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden bei der weiteren Modernisierung unserer Wirtschaft auch darauf achten müssen, dass der Faktor Arbeit weiterhin im Mittelpunkt steht. Wenn Arbeit 4.0 bedeutet, dass in hochmodernen Fabriken nur noch höchstqualifizierte Arbeit nachgefragt wird, dann haben wir nichts erreicht.

Wenn Digitalisierung und Produktivitätssteigerung im Ergebnis dazu führen, dass Menschen ohne akademische Qualifizierung von ihrer Arbeit nicht leben können, dann ist das eine Gesellschaft, die wir nicht wollen. Gute Arbeit und vor allem ordentlich bezahlte Arbeit ist die Grundlage dafür, Armutsstrukturen zu überwinden.

Der Mindestlohn hat dafür bereits eine Haltelinie nach unten gezeigt. Er wirkt insbesondere im Osten. Er wirkt insbesondere in den Berufen, die noch immer als typische Frauentätigkeiten angesehen werden: Friseurinnen, Gebäudereinigerinnen und in der Gastronomie. Der Mindestlohn ist praktizierte Politik gegen Familienarmut.

(Beifall bei der SPD)

Aber das reicht nicht. Der Kampf gegen Lohndumping und prekäre Beschäftigung, gegen Scheinselbstständigkeit und nicht notwendige Leiharbeit sowie gegen Flucht aus der Tarifbindung muss weitergehen. Wegen Unterbezahlung und mangelnder sozialer Absicherung lauern darin große Armutsrisiken - trotz ständiger Überstunden.

Aus der Erfahrung der letzten Jahre wissen wir: Wir haben in Deutschland zwar einen recht dynamischen Arbeitsmarkt und eine historisch hohe Erwerbsquote, gleichzeitig gibt es unter den Erwerbslosen aber eine große Gruppe von Menschen, die langzeitarbeitslos sind und bei denen sich dieser Zustand verhärtet. In Sachsen-Anhalt sind das rund 45 000 Menschen. Die Ursachen dafür sind vielfältig.

Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder in diesen Familien nicht der Logik einer Hartz-IV-Erbfolge unterliegen. Wir wollen, dass ihre Eltern die Chance auf einen Ausstieg bekommen. Deshalb müssen Menschen, die dauerhaft nicht in den Arbeitsmarkt vermittelbar sind, eine Alternative haben, die Teilhabe an sinnvoller Beschäftigung und damit auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht.

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD)

Meine Damen und Herren! Zu Recht wurde in der aktuellen Berichterstattung zum Thema Kinderarmut auf die besonders hohen Anteile von Kindern in Halle und Magdeburg hingewiesen. Auch wenn es kontinuierlich kleine Verbesserungen gibt, gilt nach der Definition weiterhin jedes dritte Kind in Halle als arm. In bestimmten Stadtteilen ist der Anteil höher. Umso wichtiger ist es, den Familien in solchen Vierteln auch jenseits von Transferleistungen so viel Unterstützung wie möglich zukommen zu lassen.

Ein positives Beispiel ist das Projekt „Gesundes Frühstück“. Dessen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind Langzeitarbeitslose, die darüber eine sinnvolle Beschäftigung bekommen haben und seit dem Jahr 2011 den Kindern in Grundschulen ein kostenfreies gesundes Frühstück bereitstellen - jeden Morgen.

Die Sachmittel für das Frühstück werden über Spenden von Einzelnen, von Stiftungen oder über den „MZ“-Fonds „Wir helfen“ gegeben. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die auf diesem Weg versorgt werden, konnte in den letzten Jahren von wenigen Hundert auf über 1 000 gesteigert werden. Das ist ein praktikables Projekt. Wir sollten darauf stolz sein und es weiter unterstützen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der AfD)

Neben den äußeren Bedingungen, die zu Armut führen, gibt es auch Gründe in der Familienstruktur. Armut ist vor allen Dingen ein Problem von Alleinerziehenden. Es darf nicht sein, dass gerade Alleinerziehende Beschäftigungen unterhalb ihres Qualifikationsniveaus aufnehmen müssen, weil sie anspruchsvolle Jobs mit ihrem eigenen Anspruch und ihrem Erziehungsauftrag nicht in Übereinstimmung bringen können.

Es darf nicht passieren, dass Alleinerziehende gezwungen sind, in Teilzeit zu arbeiten, obwohl sie das nicht wollen. Das ist in erster Linie eine Anforderung an den Arbeitgeber; denn mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, mit Heimarbeitsplätzen könnten mehr und besser bezahlte Jobs auch für Alleinerziehende zur Verfügung gestellt werden. Das ist ein Schutz vor dem Armutsrisiko.

(Zustimmung bei der SPD)

Natürlich geht es auch um politische Verantwortung. Wir sehen an diesem Problem, dass es nicht nur wichtig ist, den Anspruch auf zehn Stunden Betreuung in unseren Kitas zu erhalten, sondern dass es auch des Angebots an flexiblen Öffnungszeiten bedarf und dass dieses ausgebaut und verbessert werden muss.

Die alleinerziehende Verkäuferin, die bis 20 Uhr im Edeka-Markt an der Kasse sitzt, muss eine Möglichkeit haben, ihr Kind betreuen zu lassen; denn Großeltern sind in der aktuellen Situation in unserem Land oftmals viele Kilometer weit weg. Wer Kinder vor Armut bewahren will, der muss alleinerziehenden Müttern und Vätern auch auf diese Weise eine Chance geben und sich für die Familien einsetzen, damit sie ihr Einkommen erwirtschaften können.

Es gibt - auch das haben wir heute schon gehört - Bestrebungen auf der Bundesebene, von Bundesministerin Manuela Schwesig, die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz des Bundes zeitlich erheblich auszuweiten, nämlich bis zur Volljährigkeit der Kinder. Auch das ist eine Idee zur Verminderung der Kinderarmut.

Auch gibt es Möglichkeiten, Kinder und Familien durch die Wirtschaft unterstützen zu lassen. Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten, beispielsweise in Freizeiteinrichtungen und Kulturstätten, bei soziokulturellen Angeboten, in Restaurants und bei Urlaubsveranstaltungen. Es besteht durchaus die Möglichkeit, familienfreundliche

Preis- und Tarifgestaltungen vorzunehmen oder Rabatte einzuführen, die das Leben gerade von größeren Familien erleichtern.

Mit anderen Worten: Das Thema Kinderarmut in all seinen Facetten und mit all den Lösungsansätzen, über die wir hier diskutieren könnten, würde heute wohl den ganzen Plenartag füllen.

Tun wir uns einen Gefallen: Versuchen wir nicht, eine einzelne Gruppe als Schuldigen herauszustellen; versuchen wir nicht, einzelne Lösungen als die einzig wahre Lösung zu propagieren. Versuchen wir einfach, im Gespräch zu bleiben und gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Kinderarmutsquote in Sachsen-Anhalt durch viele mögliche Schritte sinkt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Frau Dr. Pähle, es gibt zwei Wortmeldungen. - Zuerst Herr Schmidt von der AfD-Fraktion, dann Herr Kurze von der CDU-Fraktion. Herr Schmidt, Sie haben das Wort.

Danke schön. Das ist eine Kurzintervention. - Frau Dr. Pähle, Sie haben darüber berichtet, dass mehr Geld nicht für mehr Kinder sorgen wird. Sie von der SPD haben eine sehr lange Rede gehalten; das ist sehr schön.

Wir hatten im letzten Monat ein Treffen von der LAGF, bei dem es um ein familienpolitisches Fachgespräch ging und auch darum, wie man die Gegebenheiten für Kinder verbessern kann. Alle Fraktionen waren vertreten, zum Beispiel Herr Abg. Krull von der CDU-Fraktion. Von der AfD waren zwei dort. Von der SPD war natürlich niemand dort. So wichtig ist Ihnen also Familie.