Protocol of the Session on September 17, 2015

Erlauben Sie mir eine Anmerkung zum bisherigen Debattenverlauf. Sie kennen mich, Sie wissen, dass ich wirklich gern Grundsatzdebatten, erst recht in Fragen der Flüchtlingspolitik führe. Aber ich glaube, eine Konzentration auf den Entschließungsantrag, auf die konkret zur Debatte und Abstimmung stehenden Punkte hätte uns gutgetan; denn wir haben hier mehr als genug Baustellen. Ich zumindest habe mir meine europapolitischen Aussagen, die ich beabsichtige zu treffen, für die europapolitische Debatte aufgehoben, die wir im übernächsten Tagesordnungspunkt noch vor uns haben.

Eines will ich mit Blick auf den Befund, den die Große Anfrage uns treffen und erheben lässt, deutlich festhalten. Auch das hat einen aktuellen Bezug zu den Ereignissen dieser Woche: Die Leitlinien für die Unterbringung Asylsuchender auszusetzen, ist das falsche Signal.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Herbst, GRÜNE)

Zwar ändert es, entgegen der Behauptung, an der Sachlage im Land kaum etwas. Wir haben uns hier oft genug darüber gestritten, dass die Wirksamkeit der Leitlinien schlichtweg nicht gegeben ist, weil sie einen empfehlenden Charakter haben. Aber Sie setzen das politische Signal, dass es nicht mehr auf Qualität ankomme. Das stimmt auch angesichts gestiegener Zahlen von Asylbewerbern nicht. Das ist das falsche politische Signal. Das ist das Signal: zurück in die 90er-Jahre.

Die Leitlinien halten keinen einzigen Landkreis davon ab, Menschen unterzubringen. Sie halten nicht davon ab abzuweichen. Sie sind nicht verbindlich.

Das Gegenteil wäre notwendig. Statt die Qualitätsstandards und die Diskussionen darum in den Hintergrund zu drängen, wäre das Gegenteil notwendig, um auch und gerade angesichts gestiegener Zahlen von Schutzsuchenden die Voraussetzungen für gute Unterbringung, qualifizierte Betreuung und vor allem gelingende Integration zu schaffen.

Verbindliche Standards, die Abkehr von der Regelunterbringung Gemeinschaftsunterkunft, die Begrenzung der Dauer des Aufenthaltes in Gemeinschaftsunterkünften und die Übernahme der tatsächlich anfallenden Kosten, auch für Investitionen und Integrationsarbeit, wären die notwendigen

Schritte, um zu einer bedarfsgerechten und modernen Asylkonzeption für das Land Sachsen-Anhalt zu kommen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das hat die Leitlinie nicht getan. Dass sie jetzt auch noch zurückgenommen wird, zeigt, dass von dieser Landesregierung eine solche moderne Asylkonzeption eben nicht zu erwarten ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Entschließungsantrag der Kollegen von den GRÜNEN verweist auf zentrale aktuelle Problemlagen im Land. Eine besonders dringende - darin dürften wir uns einig sein - ist die Situation der Erstaufnahme.

Ja, wir befinden uns in einer zugespitzten Situation. Und nein, keineswegs ist es so, dass alle aktuellen Entwicklungen konkret vorhersehbar waren.

Die Meldungen aus allen anderen Bundesländern zeigen uns auch: Natürlich gibt es überall akuten und kurzfristigen Handlungsbedarf, der von den ursprünglich vorhandenen Strukturen nicht einfach nebenher zu bewältigen ist.

Aber dass die Zahl der Flüchtlinge weltweit steigt, dass mehr Menschen gerade aus Syrien sich gezwungen sehen, ihr Land zu verlassen, dass die Prognosen des BAMF in der Regel eben nicht zutreffend sind - all das ist nun wahrlich keine Überraschung. All das hätte umfassender Eingang in die Planungen der Landesregierung finden müssen.

Dass die Landesregierung erst jetzt Ausweichquartiere sucht, Außenstellen für die ZASt sucht, landeseigene Liegenschaften prüft und das Problem angeht - das ist tatsächlich ohne Alternative, keine Frage -, ist angesichts der Konsequenzen für die davon betroffenen Menschen nicht nur zu spät, sondern wird auch der Verantwortung, die eine Landesregierung hat, nicht gerecht.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Herbst, GRÜNE)

Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen in Zelten leben müssen, die sonst nur im Katastrophenfall zum Einsatz kommen.

So sehr ich die mangelnden Vorkehrungen und Vorausplanungen kritisiere, so froh bin ich natürlich, dass sich zeitnahe Lösungen abzeichnen oder zumindest abzuzeichnen scheinen.

Ich bin froh darüber, dass sich zum Beispiel in Halle, aber auch in vielen anderen Orten schnell nicht nur Kommunalpolitik, sondern auch und in beeindruckendem Maße Zivilgesellschaft offensiv bereit und offenen Herzen zeigten, Erstaufnahmestandorte zu werden und Flüchtlinge willkommen zu heißen.

Die Integrations- und Unterstützungsarbeit im Land - auch das zeigt die Beantwortung der Großen Anfrage - lebt vom Ehrenamt und vom freiwilligen Engagement vieler. Ihnen gilt unser ausdrücklicher Dank.

Gleichwohl müssen wir ebenso deutlich festhalten: Wichtige und dringend notwendige Aufgaben, wie Deutschunterricht, Kinderbetreuung oder Sozialarbeit im tatsächlich weitesten Sinne gerade in der Erstaufnahme, werden entweder vom Ehrenamt und von Hilfsorganisationen erfüllt oder eben nicht, obwohl es sich um staatliche Aufgaben handelt. Das ist, von akuten Notsituationen abgesehen, nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Umso notwendiger wäre es, staatliche und ehrenamtlichen Strukturen und Arbeit besser miteinander zu verzahnen, gerade in Halberstadt besser zu koordinieren.

Um ein Beispiel zu nennen: Es gibt in der ZASt in Halberstadt eine Kleiderkammer, um die Ankommenden mit Sachen zu versorgen, was auch oftmals bitter notwendig ist. Die Kleiderkammer ist aber täglich nur drei Stunden geöffnet. Wer danach oder davor ankommt, hat Pech.

Für diesen Umstand mag es vielfältige Ursachen geben. Die Frage, die mich jedoch umtreibt, ist: Warum gelingt es dem eingesetzten Staat nicht, hier für eine andere Lösung zu sorgen, obwohl es an Freiwilligen eben nicht mangelt? Warum werden qualifizierte Freiwillige, die in der so notwendigen medizinischen Versorgung ehrenamtlich und ohne Geld arbeiten wollten, mit Verweis auf nicht geklärte Versicherungsfragen weggeschickt? Warum gelingt es nicht, hier eine Lösung zu finden? Warum scheint - das ist mein Eindruck - der Staat für die täglichen Belange der Helfenden nicht erreichbar?

Wir brauchen endlich eine andere Kommunikationskultur aus den Ministerien heraus. Wir brauchen eine offene Kommunikationskultur. Staatliche und gesellschaftliche Aufgaben können nicht in militärähnlicher Stabsmanier erfüllt werden. Es bedarf einer ehrlichen und transparenten Anzeige von akuten Defiziten, sei es beim Personal, sei es bei der Betreuung und Versorgung, sei es bei der Versorgung mit Kleidern und Verbrauchsgütern.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die Hilfsbereitschaft in Sachsen-Anhalt ist enorm. Sie darf nicht am Dienst nach Vorschrift scheitern.

Mit unserem Änderungsantrag zum Entschließungsantrag verfolgen wir das Ziel, die Menschen möglichst schnell aus den Zelten herauszuholen und regulär unterzubringen. Ich glaube, auch in

dieser Zielstellung sind sich alle Fraktionen im Hause einig.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Den Harzkreis in die Aufnahme von Flüchtlingen analog zu den anderen Kreisen und Städten einzubeziehen, wäre ein Beitrag dazu. Diesen Schritt so schnell wie möglich zu gehen, zumal die Offenheit dafür ausdrücklich vorhanden ist, wäre notwendig.

Erst in der letzten Woche hat sich der Kreistag des Harzes in einer Erklärung positioniert, in der die ausdrückliche Bereitschaft, Menschen aufzunehmen und dezentral unterzubringen, erklärt wird. Das gilt es zu begrüßen.

Ich will die Gelegenheit auch nutzen, den Erklärenden ausdrücklich für ihre klaren und deutlichen Worte in Bezug auf die auch in unserem Land virulenten rassistischen Mobilisierungen, Hetzkampagnen und Rechtenpositionierungen zu danken.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau dieser Einigkeit der Demokratinnen und Demokraten braucht es dringender denn je.

Sie haben jetzt noch eine Minute Redezeit.

Vielen Dank. - Eine weitere Notwendigkeit ergibt sich - auch das ist keineswegs neu - aus der geänderten Verfahrensweise in Bezug auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Die Mitarbeiter der ZASt berichten von einem gestiegenen Anteil an UMF. Und laut Angaben des Sozialministeriums ist in den kommenden Monaten mit bis zu 600 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen für Sachsen-Anhalt zu rechnen.

Auch wenn die vorhandene Clearingstelle auf 16 Plätze aufgestockt wurde, reicht das keineswegs aus, um diesen besonders schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen die Betreuung und Beratung zu geben, die sie brauchen.

Deshalb beantragen wir hier erneut und dringend, die Voraussetzungen für mindestens eine weitere Clearingstelle im Land zu schaffen, und das so schnell wie möglich.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meiner Fraktion ist gerade angesichts der Fülle von Aufgaben und der Größe der Herausforderungen, vor denen unser Land steht ist, wichtig festzuhalten: Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, haben Katastrophen erlebt. Die Aufgabe der Flüchtlingsunterbringung aber ist keine Katastrophe, wenn man keine daraus macht.

Auch die mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen verbundenen Aufgaben, Herausforderungen und die ganz konkreten Probleme sind lösbar, wenn wir die Voraussetzungen dafür schaffen.

Der Entschließungsantrag schlägt dafür wichtige, notwendige und zum Teil auch überfällige Schritte vor. Lassen Sie uns diese Schritte gemeinsam gehen. - Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN - Beifall bei den GRÜNEN)

Für die CDU spricht der Fraktionsvorsitzende Herr Schröder.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, wir sind uns einig: Die Zahl der Menschen, die durch Flucht eine Heimat in Europa suchen, hat eine historische Dimension erreicht, und die Bewältigung dieser Situation ist zur größten innen- sowie außenpolitischen Aufgabe unserer Zeit geworden.

Angesichts dieser Herausforderung bedarf es einer gemeinsamen Kraftanstrengung und keiner Schuldzuweisungen. Bund, Länder und Kommunen müssen an einem Strang ziehen.

Flüchtlinge treffen in Deutschland auf eine große Hilfsbereitschaft. Viele, auch in Sachsen-Anhalt, engagieren sich selbstlos. Ich möchte deshalb heute die Gelegenheit nutzen, für die CDU-Landtagsfraktion und, wie ich denke, auch für viele hier in diesem Hause, Dank zu sagen, Dank für dieses ehrenamtliche Engagement, aber auch Dank für das hauptamtliche Engagement von Behördenmitarbeitern in Bund, Ländern und Kommunen sowie der Bundespolizei, die gegenwärtig bis an die Grenze der Belastbarkeit arbeiten. Danke dafür!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)