Aber, Herr Haseloff, Sie haben darüber gesprochen, dass wir hier doch nicht zum Nachteil unseres Landes handeln sollten. Nicht zum Nachteil unseres Landes - ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. W i r hier wollen nicht zum Nachteil unseres Landes handeln.
Jeder Mensch da draußen, ob das der Angestellte ist oder der kleine Gewerbetreibende, muss Verantwortung für seine Fehler übernehmen, muss dafür geradestehen und die Konsequenzen tragen. Das Problem ist, dass wir den Menschen draußen überhaupt nicht mehr erklären können, warum es hier eine Landesregierung gibt, die für nichts, aber auch für gar nichts Verantwortung übernimmt.
Das ist das eigentliche Problem. Das, was mich über die Einzelfälle hinaus, ob das nicht geprüfte Zuwendungsnachweise sind, ob das die Vergabe von Risikokapital ist, ob das Steuernachlässe sind, wirklich wütend macht, aber auch bedrückt macht, ist genau dieser Eindruck, den wir draußen im Lande hinterlassen.
Man kann hier Politik machen und muss nicht die Verantwortung dafür übernehmen. Das ist zum Nachteil unseres Landes.
(Starker Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zurufe von der SPD - Herr Bergmann, SPD: Das war die billigste Rede seit Langem!)
Es wurde folgende Reihenfolge vereinbart: DIE LINKE, SPD, GRÜNE, CDU. Zunächst hat für die Antragstellerin Frau Abgeordnete Quade das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der neuerlichen Aufregung um die Enttarnung des V-Manns „Corelli“ und die Detailfragen, wer wann was gesagt hat, wer wann was gewusst hat, droht mitunter, dass der Blick auf den eigentlichen Skandal verstellt wird. Ich möchte deshalb zunächst beleuchten, worüber wir reden, wenn wir über den V-Mann „Corelli“ reden. Um es deutlich zu sagen: Ich beziehe mich ausschließlich auf öffentlich zugängliche Quellen.
Weil es dazu noch immer unglaubliche Vorstellungen und unwahre Behauptungen gibt, scheint es mir notwendig, als Erstes klarzustellen: Wenn wir über „Corelli“ reden, reden wir nicht über einen Staatsdiener, der für die Beobachtung der NaziSzene abgestellt war und dort eingeschleust wurde. Wir reden über einen überzeugten Nazi, der sich selbst Anfang der 90er-Jahre dem Verfassungsschutz anbot und der über einen Zeitraum von 18 Jahren mit dem und für den Verfassungsschutz arbeitete und als Quelle „Corelli“ geführt wurde.
Wir reden von einem Nazi, der seine Sozialisation und Politisierung in der neofaschistisch-revisionistischen NSDAP/AO erfuhr und dort Führungsaufgaben wahrnahm. Wir reden über einen Nazi, der innerhalb der militanten und gewaltbereiten Szene unterwegs war, der um die Jahrtausendwende zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Nazi-Szene in Sachsen-Anhalt gehörte, der bestens vernetzt und aktiv war, der aktives Mitglied des NeonaziNetzwerkes „Blood & Honour“ war, nach dessen Verbot übrigens der „Hammerskins“. Er war Namensgeber und Initiator des Nationalen Widerstandes Halle, Herausgeber dessen Zeitung „Nationaler Beobachter“.
Thomas Richter war eines von rund 20 Mitgliedern des deutschen Ku-Klux-Klan-Ablegers. Er war bekannt für klassische Anti-Antifa-Aktivitäten wie das systematische Abfotografieren politischer Gegner.
Auf einer seiner der rechten Szene zur Verfügung gestellten Websites hatte das Nazi-Magazin „Der Weiße Wolf“ seine Internetpräsenz. „Der Weiße
Ich finde es wichtig, sich das noch einmal vor Augen zu halten; denn es ist und bleibt einfach unfassbar, was ein V-Mann, was ein Nazi hier über 18 Jahre lang im Auftrag und im Auge der Behörden treiben konnte.
Die Fassungslosigkeit wird noch größer, wenn man die Summen betrachtet, die Richter während dieser Zeit erhalten hat, rund 300 000 €, die zu einem erheblichen Teil unmittelbar in den Struktur- und Szeneaufbau der gewaltbereiten NeonaziSzene Sachsen-Anhalts geflossen sein dürften.
Nun würde man, wenn man die Berichte über die Aufarbeitung aus den NSU-Untersuchungsausschüssen nicht kennt, sondern politische, moralische, logische Maßstäbe anlegt, meinen, dass ein V-Mann, der derart viel Geld bekommen hat und der derart in die militante Nazi-Szene eingebunden ist, über einen so langen Zeitraum Informationen liefern würde, die helfen, Straftaten zu verhindern, die helfen, Menschenleben zu schützen, die die helfen, Täter zu überführen.
Nun kann ich nicht sagen, welche Informationen „Corelli“ geliefert hat. Wir können auch nicht sagen, welche Informationen andere V-Männer geliefert haben oder auch nicht. Festzustellen bleibt aber - es ist eine Schande, dies tun zu müssen -: Keine deutsche Sicherheitsbehörde, am allerwenigstens der Verfassungsschutz, hat die Erkenntnisse, die zahlreiche V-Männer im Umfeld des NSU lieferten, dazu genutzt, auch nur ein einziges Verbrechen, einen einzigen Mord, eine einzige Hinrichtung zu verhindern.
Das ist und bleibt der eigentliche Skandal. Das macht mich, so oft ich es gehört, gelesen und auch selbst formuliert habe, immer wieder fassungslos und wütend.
Wenn wir uns noch einmal in die Situation im September 2012 hineinversetzen: Jeden Tag kam im Grunde genommen ein neues Detail dieser unglaublichen und unfassbaren Details über das Versagen der Sicherheitsbehörden und die Involvierung des Verfassungsschutzes in das Umfeld des NSU zum Vorschein.
Die Institution Verfassungsschutz war in der tiefgreifendsten Legitimationskrise, die man sich nur vorstellen konnte. Ein Verfassungsschutzchef nach dem anderen wurde ausgetauscht. Der Ruf nach Aufklärung über den NSU hinaus, Aufklärung über die Praktiken des Verfassungsschutzes wurde weit über die Riege der üblichen Verdächtigen laut und
lauter bis dahin, dass die Existenzberechtigung der Behörde Verfassungsschutz offensiv in Zweifel gezogen wurde und wird.
Die Behörde selbst versuchte alles, um zu vertuschen. Sie versuchte alles, um zu verschleiern. Sie schredderte Akten. Sie wirkte nicht aktiv an Aufklärung mit.
Politisch wurde das Verlangen nach Aufklärung und nach Beendigung des weder Demokratie noch Menschenleben schützenden V-Mann-Unwesens von den Protagonisten konservativer Sicherheitspolitik als gefährlich, als staatsgefährdend und als akute Bedrohung der Sicherheitslage verbrämt.
So wie der Verfassungsschutz mit der Vernichtung der Akten gegen die Aufklärung ankämpfte, versuchten die politisch Verantwortlichen, die Aufklärung zu diskreditieren. - Das war die Situation im Dezember 2012, um die es geht, wenn wir die Umstände der Enttarnung „Corellis“ besprechen.
Zumindest ein Detail will ich aufrufen: Im Artikel der „MZ“ vom 22. Juni ist zu lesen, dass Thomas Richter angesichts einer im Zuge der Arbeit der Untersuchungsausschüsse wahrscheinlichen Enttarnung ab dem 3. September 2012 mit einer neuen Identität ausgestattet wurde.
Der Pressemitteilung des Ministers vom 30. Juni entnehme ich, dass am 14. September 2012 eine Anfrage des MDR im Innenministerium vorlag mit der Frage, ob „Corelli“ und Thomas Richter identisch seien.
Just an diesem 17. September - das entnehme ich der Mitteilung des Ministers weiter -, an dem Richter laut „MZ“ mit einer neuen Identität versorgt und bereits im Ausland war, spricht Minister Stahlknecht mit dem Bundesinnenminister und dem Chef des Verfassungsschutzes, um beide über genau diese bevorstehende Enttarnung und die daraus abgeleitete befürchtete Gefährdungslage für Leib und Leben zu informieren und ein Hintergrundgespräch mit Journalisten stattfinden zu lassen.
Tags darauf berichtet die „Volksstimme“: V-Mann fliegt nach Indiskretion der LINKEN auf. Sie wusste von blankem Entsetzen und heftigem Zorn im Geheimdienst und in Regierungskreisen über die Indiskretion von Petra Pau zu berichten, die - genau wie die Mitglieder meiner Fraktion - im Übrigen im Gegensatz zur „Volksstimme“ keine Namen genannt hat.
Herr Minister, es stellen sich mir nun zwei Fragen. Es stellen sich mir eigentlich mehr Fragen, die werden wir aber hier nicht klären können. Zwei Fragen will ich hier stellen:
Thomas Richters gibt, warum liegt dann die Presseanfrage vom 14. September, die Sie zu dieser Auffassung bringt, übers Wochenende unbearbeitet in Ihrem Ministerium und Sie setzen sich erst am 17. September 2015 mit dem Bundesminister in Verbindung? Spiegelt das eine akute Gefährdung für Leib und Leben wider? - Wohl kaum.
Zweitens. Wenn Sie dann am 17. September 2015 beide Verantwortungsträger informiert haben und ihnen Ihre Befürchtungen mitgeteilt haben, dann sollen die beiden Ihnen nicht gesagt, dass Thomas Richter bereits seit zwei Wochen in Sicherheit ist und entsprechende Maßnahmen getroffen worden sind, dass es keine akute Gefahr für Leib und Leben mehr gibt? Denn nur wenn das so gewesen wäre, ergäbe Ihr darauf folgendes Handeln ja Sinn. Warum sollten Sie sonst ein streng vertrauliches Hintergrundgespräch mit Pressevertretern führen? Welchen Grund hätten denn bitte Herr Friedrich und Herr Maaßen gehabt, Ihnen nicht zumindest das Signal der Entwarnung zu geben? Sie dürfen Sie ja wohl kaum für ein Sicherheitsrisiko gehalten haben.
Herr Innenminister, das ergibt schlichtweg keinen Sinn. Ich habe nicht nur Fragen, sondern auch eine These. Deshalb bin ich noch einmal umfassender auf die Situation im Jahr 2012 eingegangen.
Ich glaube, es ging Ihnen nie, auch damals im September 2012 nicht, wirklich um „Corelli“. Ich glaube, Sie haben sich in einen politischen Abwehrkampf gegen die Infragestellung des Verfassungsschutzes und des V-Mann-Wesens begeben; denn genau das war die politische Debatte damals. Es ging um Aufklärung und um Konsequenzen aus den Erkenntnissen der Untersuchungsausschüsse versus Vertuschung und Festhalten am V-Mann-Unwesen und an dem Verfassungsschutz.
In diesem Kontext ergibt es eben schon einen Sinn, einmal vorzuführen, dass umfassende Aufklärung mit Enttarnung einhergehen kann und ein Sicherheitsrisiko bedeuten könnte.
Wenn dann die „Volksstimme“ auch noch zu berichten weiß, dass Petra Pau eine Indiskretion begangen habe, und darüber versucht, die linke Vizepräsidentin des Bundestages als Sicherheitsrisiko darzustellen, passt eben auch das in das Bild der damaligen politischen Debattenlage.
Es passt auch in die derzeitige Debatte um den gesetzlichen Rahmen für die Geheimdienste auf Bundesebene. Statt endlich dieses Konstrukt des Verfassungsschutzes zu überwinden, sollen seine
Rechte noch gestärkt, seine Kompetenzen erweitert und auch das für Demokratie und Gesellschaft nutzlose einerseits und andererseits gefährliche VMann-Wesen gestärkt werden und letztlich nur noch Mord als Tabu und für V-Männer als verboten gelten.