Aber ich will auch eines sagen: Viele, die über das Meer kommen, haben nur ihre Kleidung am Leib, aber noch einen Zettel, den sie wasserdicht verpackt mitgebracht haben, darauf steht eine Telefonnummer.
Dann rufen sie Verwandte an, die schon in einem anderen Nationalstaat leben, und wollen natürlich zu ihren Verwandten, die möglicherweise in Deutschland oder England leben.
Das würden wir genauso machen, wenn wir auf der Flucht wären. Das heißt, Familienzusammenführung muss eine Ausnahme möglich machen.
Aber auf der anderen Seite gibt es dann auch - sage ich einmal - eine Verschiebung dieser Menschen organisiert durch Schlepperbanden, die wiederum innerhalb der EU funktionieren - auch das ist eine Erkenntnis -
- oder von denen solche Sachen zumindest organisiert werden. - Aus meiner Sicht muss es möglich sein, dorthin zu kommen, wo die Familie lebt, unabhängig von „Dublin“, weil man sonst Familien aufgrund von „Dublin“ trennt.
Ich will für Sachsen-Anhalt und Deutschland nur sagen, wir haben in den ersten fünf Monaten 140 000 Asylsuchende neu aufgenommen. Wir erwarten 400 000 Asylantragstellerinnen und -antragsteller in Gesamtdeutschland, in Sachsen-Anhalt 11 500 Schutzsuchende. Man muss auch sagen, hierzulande stoßen die Aufnahmesysteme, insbesondere die der Kommunen, mittlerweile an ihre Belastungsgrenzen. Wir sehen jetzt, dass wir eine zentrale Anlaufstelle haben, die wir weiter ausbauen müssen, und dass wir nach einer zweiten suchen.
Insofern - damit schließt sich der Kreis meiner Argumentation - ist es erforderlich, dass jeder Nationalstaat innerhalb der Europäischen Union mit einem Schlüssel verpflichtet wird, Schutzsuchende aufzunehmen. Das würde dann eine völlige Ver
Danke sehr, Herr Minister. - Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart. Als erste Debattenrednerin spricht Frau Schindler für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern, am 1. Juli, machte unser Bundesinnenminister Dr. de Maizière seinen - ich sage einmal - Antrittsbesuch, ein Gespräch mit dem Außenminister des Großherzogtums Luxemburg - Luxemburg, das jetzt die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. In dem Gespräch, so war es der Presse zu entnehmen, ging es auch speziell um das Thema der Notwendigkeit einer fairen Verteilung der migrationsbedingten Belastung, so wie es jetzt auch gerade der Innenminister dargestellt hat.
Ich möchte auch noch einmal betonen, dass es natürlich um diese faire Verteilung geht. Aber was ist an der Stelle fair? - Wir wissen, dass derzeit die Aufnahme in den Ländern der EU höchst unterschiedlich ist. Je nach Betrachtungsweise werden auch die Zahlen unterschiedlich verwendet, bezogen entweder auf die Gesamteinwohnerzahl des Staates oder auf die absolute Zahl der Aufnahmefälle.
Ich möchte an der Stelle aber auch betonen, dass es eine sehr große Leistung ist, was derzeit in Italien - was vielleicht in diesem Ranking nicht so deutlich dargestellt wird - geleistet wird.
Wir konnten uns während dieser Delegationsreise davon überzeugen. Frau Quade hat einiges davon geschildert. Es ist nicht an uns, mit dem Finger auf Italien zu zeigen,
darauf, dass dort eventuell Flüchtlinge nicht willkommen sind. Etwas ganz anderes haben wir dort gesehen. Bei allen in den Flüchtlingseinrichtungen, bei den Regierungsvertretern, den Präfekten in den Aufnahmeeinrichtungen geführten Gesprächen konnten wir uns davon überzeugen, dass es eine gesellschaftliche Aufnahmebereitschaft gibt. Eine Aussage, die für mich sehr einprägsam war, die mich beeindruckt hat, zog sich über die drei Tage wie ein roter Faden durch die Gespräche. Das ist die Aussage: Fremde sehen wir als Bereicherung, weil Sizilien dieses immer so gesehen hat, über Jahrhunderte hinweg.
gabe als Politik, zu dieser Aussage zu kommen, Fremde als Bereicherung zu sehen. Wir in Deutschland und speziell in Sachsen-Anhalt tun schon einiges dafür, und wir haben hier in verschiedenen Debatten schon darüber gesprochen.
Aktuell gestern mit dem Nachtragshaushalt ist auch noch einmal darauf hingewiesen worden, welche Möglichkeiten, Anstrengungen wir hier in Sachsen-Anhalt unternehmen. Leider haben wir es in der EU nicht geschafft, einheitliche Standards zum Asylverfahren zu vereinbaren, einheitliche Aufnahmeregelungen zu treffen. Hilfskrücke war in der Vergangenheit das Dublin-Verfahren.
Ich möchte an der Stelle deutlich sagen, auch im Namen der SPD: Wir unterscheiden nicht nach willkommen oder nicht willkommen.
Willkommenskultur heißt auch, Menschen zu hören, anzuhören und sie nicht nur danach zu beurteilen - das macht nämlich das Dublin-Verfahren -, wo die Betreffenden im sicheren Hafen Europas angekommen sind; wo sie ihn erreicht haben.
Ich spanne den Bogen zum Anfang meiner Rede: Wer ein faires Verfahren für das Asylverfahren in Deutschland haben will und wer ein faires Verteilverfahren haben will, der muss zugestehen, dass Dublin dafür nicht geeignet ist, dass dieses nicht haltbar ist und aufgehoben werden muss.
Wir haben dazu hier im Haus, auch in der Koalition, nicht bei allen, aber durchaus bei vielen Aspekten, die der Innenminister heute noch einmal vorgetragen hat, unterschiedliche Standpunkte. Lassen Sie uns diese im Innenausschuss austauschen. Deshalb bitten wir um die Überweisung des Antrags an den Innenausschuss. - Vielen Dank.
Danke sehr, Kollegin Schindler. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tag heute ist eigentlich gut gewählt für die Behandlung dieses Antrags; denn heute ungefähr um 19.30 Uhr wird der Bundestag in der Sache Asylrecht sozusagen eine Entschei
dung treffen. Es geht um eine Verschärfung des Asylrechts, um einen Einschnitt, der ziemlich heftig ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach, wenn die große Koalition zustimmt, wird es auch so durchgehen. Die Zustimmung durch den Bundesrat hierzu ist nicht notwendig.
Es geht darum, dass alle, die es trotz dieser existierenden Dublin-Verordnung nach Deutschland geschafft haben, mit einem Schlepper, meist ohne Pass, ohne Dokumente oder unter falschen Angaben, inhaftiert werden können. Diese Radikalisierung der Abschiebehaft, meine Damen und Herren, trifft Unschuldige.
Es ist eine der schärfsten Einschränkungen des Asylrechts seit dem unsäglichen Asylkompromiss im Jahr 1993. Es ist die völlig falsche Antwort auf das Massensterben im Mittelmeer. Es ist die völlig falsche Antwort auf brennende Asylbewerberunterkünfte, die wieder brennen, auch in unserem Bundesland. Dass sie noch nicht bezogen waren, macht es nicht besser. Es ist die völlig falsche Antwort, meine Damen und Herren, auf die gesellschaftliche Debatte über Einwanderung, Migration und Flucht, die wir gerade in Europa führen.
Stellen Sie sich eine Familie vor, die aus Syrien vor dem Krieg fliehen muss. Sie verlässt das Land, vertraut sich, weil sie gar keine andere Wahl hat, einem Schlepper an, wird nach Deutschland gebracht, und das erste, was sie hier erwartet, ist die Möglichkeit, inhaftiert zu werden. Meine Damen und Herren! Das ist absolut unmenschlich, das ist unchristlich,
und wir müssten eigentlich alles dafür tun, dass es zu dieser Entscheidung im Bundestag heute nicht kommt!
Diese Regelung ist eine direkte Verschärfung der Dublin-Verordnung, über die wir hier gerade sprechen, bei diesem Antrag, wobei wir in diesem Hause, zumindest nach dem, was ich in den letzten Minuten vernommen habe - so ganz glaube ich das aber noch nicht -, irgendwie einen Grundkonsens haben oder zumindest so etwas Ähnliches. Das ist zumindest keine besonders praxistaugliche und tragfähige Regelung. Diese DublinVerordnung, die wir nicht gut finden, wird durch diese Radikalisierung nochmals massiv verschärft, meine Damen und Herren. Das geht gar nicht!
Das geht auch deshalb gar nicht, weil diese Bundestagszustimmung das Signal an die Gesellschaft sendet, das sei gesellschaftlich gewollt, die Gesellschaft wolle eine solche Verschärfung des Asylrechts. Aber, meine Damen und Herren, ich bin ganz anderer Meinung. Ich glaube, genau das ist eben nicht der Fall. Wir sind heute in einer Situation, in der die Stimmung in der Bevölkerung ganz anders ist als in den 90er-Jahren, in der wir in der Gesellschaft eine große Bereitschaft haben, diese Debatte ernsthaft zu führen, in der sich viele Menschen bereit erklären, als Integrationshilfen ehrenamtliche oder hauptamtliche Hilfe für Geflüchtete zu leisten, in der sich viele Menschen in Flüchtlingsbündnissen solidarisieren, auch in unseren Städten und Gemeinden in Sachsen-Anhalt.
Die Lage ist eine vollkommen andere als in den 90er-Jahren. Deswegen ist es auch nicht angemessen, solche Entscheidungen im Bundestag herbeizuführen und so zu argumentieren wie der Bundesinnenminister, der sagt, wir brauchten solche Härten auf der eine Seite, um auf der anderen Seite überhaupt eine Einwanderungsdebatte führen zu können, um ein Mehr an Zuwanderung überhaupt zulassen zu können. Ich denke, das ist auch eines Ministers unwürdig, meine Damen und Herren!
Das Dublin-System ist nicht nur nach menschlichem Ermessen und nach den Erfahrungen in der Praxis untauglich, sondern es steht auch zunehmend im Fokus der Gerichte und wird zunehmend durch Gerichtsentscheidungen ausgehöhlt. Das zeigt, dass es nicht tragfähig ist. Denken Sie an Entscheidungen wie vor fast genau einem Jahr in der Schweiz, wobei es um die Abschiebung einer, ich glaube, afghanischen Familie nach Italien ging. Damals hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gesagt, das funktioniert nicht. Das darf nach Dublin nicht mehr gemacht werden. Diese Abschiebungen wurden gestoppt. In verschiedenen anderen Härtefällen wurden sie auch gestoppt. So wird dieses System auch gerichtlich immer weiter ausgehöhlt. Letztlich ist es überhaupt nicht tragfähig und deswegen sollten wir als Bundesland etwas dagegen tun, und das können wir auch.