Protocol of the Session on July 2, 2015

Wie in anderen europäischen Staaten wäre es aus den von mir dargelegten Gründen auch in Deutschland wünschenswert, freiwillige Wirt

schaftsorganisationen zu etablieren, die leistungsgerechte Dienstleistungen für ihre Mitglieder anbieten. Letztlich ist festzustellen, dass für die Wahrnahme der Aufgaben der Industrie- und Handelskammern die Zwangsmitgliedschaft nicht erforderlich ist. Die Vertretung der Interessen ist durch eine freiwillige Mitgliedschaft besser gewährleistet. Die Finanzierung der sonstigen Aufgaben und Tätigkeiten erfolgt marktgerecht besser durch die Nutzer oder Auftraggeber.

Wenn wir die Zwangsmitgliedschaft nicht brauchen, sollten wir diese aus historischen Zeiten überkommene unnötige Fesselung der Wirtschaft beenden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wer die Interessen aller jetzigen Kammermitglieder optimal wahren will, kommt um die Aufhebung der Zwangsmitgliedschaft nicht herum. Wir sollten einen entsprechenden politischen Prozess anstoßen.

Noch ein Wort zu dem Alternativantrag der LINKEN. Der Antrag ist grundsätzlich in Ordnung. Er ist sozusagen die nettere, freundlichere Variante.

(Frau Bull, DIE LINKE: So sind wir!)

Ich meine aber, die Probleme, die wir bei der Unzufriedenheit mit der Situation in den Kammern haben, finanziell, personell usw., rühren im Kern aus der Zwangsmitgliedschaft. Daher ist unser Antrag nötig, um eine wirkliche Veränderung herbeizuführen. Unabhängig davon bedarf es aber, wenn die Kammern als freiwillige Zusammenschlüsse fortbestehen und mit öffentlichen Aufgaben belehnt sind, trotzdem der im euren Antrag angesprochenen Reform. Jetzt aber brauchen wir die Befreiung von der Zwangsmitgliedschaft. Daher werbe ich für unseren Auftrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke sehr für die Einbringung, Kollege Meister. - Bevor Minister Herr Möllring spricht, haben wir die Freude, Damen und Herren der Städtischen

Volkshochschule Halle bei uns begrüßen zu können. Seien Sie herzlichen willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Minister Möllring, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den vielen grundsätzlichen Ausführungen habe ich mich gefragt, warum Sie nicht alle Kammern abschaffen wollen. Sie haben das Beispiel genannt, dass der Automobilkonzern und das Nagelstudio wenige gemeinsame Interessen haben. Das gilt für die Handwerkskammer aber auch. In der Handwerkskammer sind die Podologin und der Hufschmied auch Zwangsmitglieder, haben aber doch ein sehr unterschiedliches Berufsbild.

Die Industrie- und Handelskammern sind vielmehr Ausdruck der funktionierenden Selbstverwaltung der Wirtschaft. Sie nehmen die Aufgabe als Selbstverwaltungskörperschaft der Wirtschaft, die Interessenvertretung für ihre Mitgliedsbetriebe, die Wirtschaftsförderung, Beratung und Unterstützung von Politik und Behörden sowie die Erledigung von Aufgaben der Wirtschaftsverwaltung wahr und wichtige öffentliche Aufgaben, und zwar berufliche Ausbildung, berufliche Fortbildung, Sachverständigenwesen, die Zuständigkeit in der Außenwirtschaft, die Einigungsstelle nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das Erlaubniswesen für Versicherungsvermittler, Versicherungsberater, Finanzanlagenvermittler, Honorar- und Finanzanlagenberater sowie die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse.

Sie haben gesagt, dass all das auch der Staat selber machen könne. Dann wird es aber auch nicht kostenlos, sondern dann müssten, ebenso wie es bei den Kammern der Fall ist, entsprechende Gebühren erhoben werden. Wir als Gesetzgeber wären dafür zuständig, diese Gebühren festzusetzen. Derzeit machen dies die Kammerversammlungen als demokratisch legitimierte Versammlung ihrer Kammer; sie legen die Gebühren fest, die bei den 80 Kammern auch durchaus unterschiedlich sind. Zu sagen, die Mitglieder hätten darauf keinen Einfluss, ist insofern schon falsch; denn dann würden die Funktionäre unendlich hohe Gebühren erheben, damit sie ihren von Ihnen als groß dargestellten Personalkörper noch größer machen könnten. Das wird schon kontrolliert.

Zur Transparenz. Am 28. November 2014 haben die 80 deutschen Industrie- und Handelskammern, darunter auch unsere beiden Industrie- und Handelskammern Halle-Dessau und Magdeburg, das neue Internetportal „IHK transparent“ vorgestellt. Dort können Sie viele wichtige Daten einsehen, unter anderem die Zahl der Ausbildungsverträge, Angaben zur Existenzgründungsberatung, zur Er

tragslage, zur Mitarbeiterzahl, zum Personalaufwand, zu Pensionsrückstellungen, zu Beiträgen und zu Gebühren. Das ist alles transparent.

Da sich die Industrie- und Handelskammern aus den Beiträgen ihrer Mitglieder finanzieren, unterliegen sie natürlich den Rechenschafts- bzw. Prüfungspflichten gegenüber ihren Mitgliedern. Bei den Mitgliedern der Industrie- und Handelskammern handelt es sich um eine Solidargemeinschaft der Wirtschaft. Diese profitiert gemeinsam und trägt deshalb auch gemeinsam die Kosten, ohne dass die Lasten vom Steuerzahler getragen werden müssen.

Daher kann auch der Kleinbetrieb, der ein EinMann- oder ein Eine-Frau-Betrieb ist, davon profitieren, dass der große Automobilkonzern Zwangsmitglied ist und einen hohen Beitrag bezahlt. Denn der könnte es sich mit Sicherheit mit seinen Rechtsabteilungen und mit seinen Außenabteilungen leisten, nicht freiwilliges Mitglied der Industrie- und Handelskammer zu werden, sondern seine eigenen Juristen, seine eigenen Wirtschaftförderer und seine eigenen Berufsausbilder zu nutzen.

Sie reden nicht gerade für den kleinen Händler und nicht für die kleine Industrie, sondern Sie reden für die große Industrie, die als Erste sofort aussteigen würde.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Zur Frage der Rechtsmäßigkeit der Industrie- und Handelskammern hat das Bundesverfassungsgericht bereits alles gesagt. Ich gebe Ihnen allerdings Recht: Nicht all das, was verfassungsgemäß ist, muss auch so sein. Das ist eine alte Juristenweisheit. Aber es ist höchstrichterlich geklärt worden. Wir halten es für sehr sinnvoll, dass sich die verschiedenen Berufsverbände, ob nun in der Handwerkskammer, in der Steuerberaterkammer, in der Ärztekammer, in der Wirtschaftsprüferkammer, in der Steuerberaterkammer oder auch in der Rechtsanwaltskammer selber organisieren, sich selber ihre Prüfungsordnung geben.

Daran wollen wir festhalten. Deshalb halten wir von einer entsprechenden Bundesratsinitiative gar nichts. Wir wären dankbar, wenn der Landtag diesen Antrag ablehnen würde. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Herr Minister. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Dr. Pähle. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, Herr Meister, das ist ein populäres Thema, weil solche Wörter wie „Zwang“ oder „Pflicht“ zu einer automatischen Ablehnungshaltung führen. Von der

Warte her: Herzlichen Glückwunsch zum Aufgreifen eines populären, wenn nicht sogar populistischen Themas.

In Ihrem Antrag sind die Gründe zur Aufhebung der Zwangsmitgliedschaft benannt: Finanzierung und Bürokratie. Auf beide Argumente will ich kurz eingehen und darauf zurückgreifen, was der Minister gesagt hat.

Gerade die Verpflichtung aller, Mitglied der IHK zu sein, sorgt dafür, dass es keinen Unterschied macht, welche Mitglieder viel Geld haben und damit hohe Beiträge einbringen, oder welche Mitglieder wenig Geld haben. Gerade die Freiwilligkeit könnte dazu führen, dass diejenigen mit hohen Beiträgen, die vielleicht auch nur androhen, die IHK wieder zu verlassen, Abstimmungen in der Vollversammlung bestimmen würden.

Diese Szenarien halten wir nicht für positiv, sondern sind eher dafür, eine Vertretung in der Kammer zu haben, die es allen ermöglicht, mit gleichen Rechten an Abstimmungsprozessen teilzunehmen.

Warum ist es so wichtig, dass sie an diesen Abstimmungsprozessen teilnehmen? - Ehrlich gesagt, weil die Politik einen Ansprechpartner in der Wirtschaft braucht. Wie oft haben wir in Anhörungen die IHK als Vertreter gehört, ebenso die Handwerkskammern? Mit wem soll sich Politik verständigen, wenn nicht mit den Interessenvertretern? Wie viele Verbände wollen Sie einladen? Wie viele Entscheidungen wollen Sie treffen?

(Zuruf von Herrn Meister, GRÜNE)

In verschiedenen Bereichen ist es immer sinnvoll, ein übergeordnetes Organ zu haben. Dafür stehen wir ein.

Andere Aufgaben, die die Industrie- und Handelskammern erfüllen, sind zentral für den Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung - Herr Minister sagte es bereits -: Aufgaben in der Berufsorientierung, die Beteiligung an der Verleihung des Berufswahlsiegels, eigene Berufs- und Ausbildungsberater, die Sachkundeprüfungen für die Sicherung von fachtechnischen Qualitätsstandards, die Existenzgründungsunterstützung mit kostenfreier Gründungsberatung, die Beratungen im Bereich der Unternehmensentwicklung oder Vorsorge im Bereich der Unternehmensnachfolge.

Weiterhin gibt es den großen Bereich der internationalen Zusammenarbeit. Wir setzen darauf, dass unsere Unternehmen in Sachsen-Anhalt im Ausland gute Kontakte haben, gute Geschäfte machen. Dabei vertrauen wir darauf, dass die IHK ein Türöffner ist und uns unterstützt.

Jetzt sage ich Ihnen auch noch, warum eine Zwangsmitgliedschaft für diese Bereiche so wichtig ist. In einem Papier der IHK-Kritiker ist die Formulierung zu lesen: Unternehmen haben allein ein

Interesse - es läuft auf das Argument des gemeinschaftlichen oder Gesamtinteresses hinaus -, nämlich das Interesse, Geld zu verdienen.

Wenn das das alleinige Interesse ist, dann würden sich Unternehmen aus der Wahrnehmung dieser Aufgaben, die zentral für alle sind, möglicherweise zurückziehen, weil sie sich nicht in Euro und Cent für sie selbst auszahlen. Denjenigen, die nicht bereit sind, sich an diesen Themen zu beteiligen, würde dann auch kein Geld zur Verfügung stehen. Wir als Politik würden für den Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung einen wichtigen Kooperationspartner verlieren.

(Zustimmung bei der SPD)

Ein letzter Punkt. Wenn wir über Pflicht- oder Zwangsmitgliedschaften reden, dann würde ich mich freuen, wenn die Fraktion der GRÜNEN dieselben Fragen nicht nur bei diesem populären Ansprechpartner, der IHK, aufgreift, sondern genauso, wie Herr Möllring es gesagt hat, bei den Ärztekammern, den Rechtsanwaltskammern, den Notarkammern, der Landesjägerschaft, der Apothekerkammer und den Berufsgenossenschaften.

(Zustimmung bei der SPD - Unruhe)

All diese Dinge plus die Diskussion über eine Pflegekammer gehen eher in andere Richtungen. Für diese Bereiche hört man keine Kritik. Von der Warte her, danke für Ihren Antrag. Aber danke, nein, wir werden ihn ablehnen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Frau Dr. Pähle. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abgeordnete Herr Dr. Thiel. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Minister Möllring, ich glaube, die Sorge müssen Sie sich nicht machen, dass wir mit unseren beiden Anträgen die Kammern abschaffen wollen. Das habe ich auch bei Kollegen Meister nicht herausgehört.

Die Briefe, die wir jüngst von den Handwerkskammern Halle (Saale) und Magdeburg und von der IHK Halle-Dessau und der IHK Magdeburg bekommen haben, laden förmlich zur Mitarbeit in der IHK bzw. in den Handwerkskammern ein.

Jeder Unternehmer müsste freudig dabei sein, diese Aufgaben mit zu erfüllen, sei es im Bereich der Selbstverwaltungsaufgaben, sei es im Bereich der Ausbildung usw. usf. Wozu braucht man dann eine Zwangsmitgliedschaft? - Das ist die Frage, über die wir hier diskutieren.

Dieses Thema ist nicht neu. Sie wissen das, meine Damen und Herren. Das ist wie beim Handwerkerbonus: Alle Jahre kommt das Thema irgendwann wieder hoch. Wir haben es vor genau einem Jahr hier im Landtag diskutiert, als die Kollegen der GRÜNEN einen entsprechenden Gesetzentwurf zum Thema „Prüfrechte des Landesrechnungshofes“ eingebracht haben. Ich kann mich sehr gut an die Diskussion erinnern, weil ich sie selbst mit geführt habe. Ich habe es auch noch einmal nachgelesen.

Es gab in der ersten Lesung eine große Bereitschaft im gesamten Haus, sich diesen Fragen der Reform des Kammerwesens im Bereich der Industrie- und Handelskammern zu widmen, Anhörungen zu veranstalten, die Verbände zu hören, auch das nicht geliebte Thema Zwangsmitgliedschaft zu diskutieren. Damals waren sich alle einig.

Als aber dann zwei Stimmen fehlten, um den Gesetzentwurf zu überweisen, war man schadenfroh und hat bei der zweiten Lesung verkündet: Damit ist das Thema beendet. Also, meine Damen und Herren, die Diskussionsprozesse gibt es. - Lieber Kollege Thomas, ich weiß, dass Sie gleich voller Freude darauf reagieren werden.