Protocol of the Session on July 1, 2015

Sehr gern verweist die Landesregierung auf das ehrenamtliche Engagement von Bürgerinnen und Bürgern im Zusammenhang mit der Pflege. So löblich das auch ist - als Allheilmittel für klamme Kassen ist das Ehrenamt nicht gedacht.

(Beifall bei der LINKEN)

Weit interessanter für die heutige Diskussion ist aus unserer Sicht der Entschließungsantrag zu diesem Thema. Was soll die Landesregierung nicht alles leisten: zwei Konzeptionen, die Entwicklung eines Sozialziels, eine Gesetzesänderung, ein neues Förderprogramm, die Überarbeitung einer Verordnung und die Bildung einer Arbeitsgruppe, die ja wohl auch noch Ergebnisse liefern soll. Haben Sie einmal auf die Uhr geschaut, meine Damen und Herren von den GRÜNEN? - Sie haben der Landesregierung immerhin ein ganzes Vierteljahr Zeit gelassen, davon allerdings zwei Monate im Sommer.

(Herr Borgwardt, CDU: Wären Sie schneller gewesen, müssten wir es nicht jetzt ma- chen!)

Das vierte Quartal beginnt ja auch erst im Oktober. Über die Landespflegekonzeption, die Sie fordern, diskutieren wir dann wahrscheinlich während des Wahlkampfs.

Ich will das um Gottes willen nicht ins Lächerliche ziehen, weil das nicht unsere Hauptkritik an diesem Antrag ist. Wir bezweifeln an vielen Stellen nicht die Sinnhaftigkeit der Vorschläge, die Sie machen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, und sicherlich müssen wir über vieles nach

denken. Aber erwarten Sie allen Ernstes von der Landesregierung - ich spreche nicht von dem Sozialminister, sondern ich spreche von der Landesregierung insgesamt - diese konzeptionelle Arbeit? - Ich sage Ihnen ganz offen: Wir nicht!

(Zustimmung bei der LINKEN - Frau Lüd- demann, GRÜNE, lacht)

Natürlich wollen wir konzeptionell und inhaltlich neue Vorschläge machen und das werden wir auch tun. Von der jetzigen Landesregierung erwarten wir aber nicht, dass sie erstens Konzepte macht, die unseren Ansprüchen gerecht werden, oder dass sie zweitens gar unsere Konzepte umsetzt. Wir werden die kommenden Monate und den Wahlkampf dazu nutzen, unsere Konzepte vorzustellen. Das würde ich den Damen und Herren von den GRÜNEN genauso raten. Wir können dann einmal vergleichen, wo sie übereinstimmen.

Wir werden Ihren Antrag heute ablehnen, und zwar nicht, weil wir seinen Intentionen nicht zumindest teilweise folgen könnten, sondern wir werden diesem Antrag heute nicht zustimmen, weil wir seine Umsetzung von dieser Landesregierung einfach nicht erwarten.

Im Ausschuss, meine Damen und Herren von der Koalition, brauchen wir den Antrag natürlich auch nicht, schon deshalb nicht, weil auch dort die Mehrheiten klar sind.

(Herr Borgwardt, CDU: Wir lehnen ihn doch auch ab!)

- Umso besser. Denn es hätte auch keinen Zweck, ihn im Ausschuss zu behandeln, weil die Mehrheiten, wie gesagt, klar sind, und ich, offen gesagt, nicht davon ausgehe, dass Ihre Kolleginnen entweder bereit oder in der Lage sind, ein solches Programm in den letzten paar Monaten dieser Legislaturperiode durchzusetzen.

(Herr Borgwardt, CDU: Auch wenn es Ihnen nicht gefällt, aber wir haben gelegentlich eine gleiche Meinung! - Zuruf von Frau Brakebusch, CDU)

Eine Bemerkung in Richtung des Ministers: Die Aussage zum seniorenpolitischen Programm - ich nenne es einmal so, weil mir der Titel nicht einfällt - hat mich schon verblüfft. Sie haben heute gesagt, dass dieses Programm Richtschnur sei und dass darin stehe, wie Seniorinnenpolitik in Zukunft gestaltet werden solle. Ich habe mich an das erinnert, was wir im Zusammenhang mit der Großen Anfrage zu diesem Programm, zur Umsetzung dieses Programms gesagt und gefragt haben. Darauf haben wir zur Antwort bekommen, dass die seniorenpolitischen Leitlinien eben kein Programm sind, das abgearbeitet werden kann. Wir jedenfalls - Entschuldigung - werden diesen Antrag ablehnen. Wir sehen dann in der neuen

Legislaturperiode weiter. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Frau Dirlich. Es gibt eine Nachfrage von Frau Gorr. Möchten Sie sie beantworten?

Nur wenn ich kann.

Ja. - Bitte.

Ich denke, Sie können. Es ist nämlich eine Verständnisfrage.

Ah, ja.

Sehr geehrte Frau Dirlich, Sie haben in Ihrem Redebeitrag gesagt, dass die Pflegebedürftigen und Demenzkranken - ich zitiere - von ihren Angehörigen gepflegt werden sollen. Mir ist nicht ganz klar geworden, wer das Subjekt zu „sollen“ ist. Ist das die Gesellschaft, sind das wir alle, ist das der Staat, das Gesundheitssystem oder die Landesregierung? Vielleicht ist mir das einfach nur entgangen.

Ich glaube nicht, dass ich das so gesagt habe.

Doch, ich habe es mir aufgeschrieben.

Ich habe gesagt, dass die meisten Menschen in ihrer eigenen Häuslichkeit leben wollen, möglichst bis zum Schluss, und dass zurzeit fast die Hälfte der zu Pflegenden, der Pflegebedürftigen, und zwar völlig unabhängig davon, ob sie körperliche Pflege brauchen oder dement sind, von ihren eigenen Angehörigen gepflegt werden. Ich habe bezweifelt, dass das der richtige Weg ist, dass das allein ausreicht, weil die Angehörigen in der Regel nicht wissen, wie man Pflege richtig durchführt. Ich kann mir zum Beispiel eine Behandlungspflege oder eine Dekubituspflege von Angehörigen nur ganz schwer vorstellen. Dafür brauchen sie doch professionelle Hilfe, und erst recht beim Umgang mit Demenz.

Ich habe es in der eigenen Familie erlebt und habe gesehen, wie überfordert meine Tanten und Onkel mit unserer demenzkranken Großmutter gewesen sind. Ich habe Ihnen immer gesagt: Sucht euch professionelle Hilfe; lasst euch um Himmels willen dabei helfen. Denn die Angehörigen kommen damit nicht klar. Diese Angebote, bin ich der Meinung, fehlen ein bisschen.

Es gibt noch eine Nachfrage.

Das ist mir völlig klar. Das haben Sie ja auch so ausgeführt. Meine Frage ist einfach nur, auf wen Sie dieses „sollen“ beziehen, dass sie von ihren Angehörigen gepflegt werden sollen.

(Herr Borgwardt, CDU: Wer ihnen das ge- sagt hat!)

Ist das eine allgemeine Floskel, etwas, das wir alle erwarten, oder - -

Nein. In der Antwort steht - ich habe die Statistik jetzt nicht mitgebracht, hätte ich es einmal getan -, dass ca. 44,5 % aller zu Pflegenden von ihren eigenen Angehörigen gepflegt werden.

Gut. Ich schaue mir dann einfach Ihren Redebeitrag noch einmal an. - Danke schön.

Ja, besser ist es.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Danke sehr, Kollegin Dirlich. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Dr. Spähte. Sie hat acht Minuten Redezeit.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen BAGSO hat in ihrem Positionspapier von August 2014 zur lokalen Seniorenpolitik Folgendes formuliert:

„Zu... einer umfassenden Seniorenpolitik gehören … Arbeit und Beschäftigung, Prävention und Gesundheitsförderung, Freizeit, Bildung und Kultur, Wohnen und Mobilität, Partizipation und Engagement, Generationenbeziehungen, soziale Netze und Migration.“

Das heißt, für eine Große Anfrage mit dem Anspruch, Selbstbestimmung und Teilhabe im Alter zu thematisieren, ist Ihre Fragestellung, die sich auf die Komplexe Wohnformen, Dienste und Wohnen im Quartier beschränkt, einfach zu wenig.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich habe mir Ihre einzelnen Fragen genauer angesehen. Ich muss sagen, einige Fragestellungen fand ich ausgesprochen irritierend. Vielleicht erklärt das auch, warum die Landesregierung zu manchen Punkten nicht Auskunft gibt.

Was meine ich damit? - Sie fragen zum Beispiel nach den Möglichkeiten der Kommunen, stationäre Einrichtungen zu verbieten, und welche Möglichkeiten das Land hat, die Kommunen bei einem solchen Ansinnen zu unterstützen. Natürlich haben die Kommunen über baurechtliche Vorschriften hinaus dieses Recht nicht. Dafür kann auch das Land keine Regelungen treffen. Was für eine Frage!

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Borgwardt, CDU)

In dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist auf unsere Initiative hin verankert, die Rolle der Kommunen in der Pflege zu stärken. Es wurde bereits erwähnt. Das erfordert aber eine grundlegende Diskussion zum Selbstverständnis der Kommunen, was die Wahrnehmung von Verantwortlichkeiten im Kontext der kommunalen Daseinsvorsorge angeht.

(Frau Niestädt, SPD: Ja, das wäre doch ein- mal etwas!)

Ein weiterer Anlasse zur Irritation ist die wiederholte Verwendung der Begriffe „Alten- und Pflegeheime“ oder sogar „stationäre Heime“ in einer Häufung in Ihrer Anfrage, die nicht mehr an ein Versehen glauben lässt. Das sind Begrifflichkeiten, die nach dem Wohn- und Teilhabegesetz SachsenAnhalts aus dem Jahr 2011 hier nicht mehr gängig sind.

Und Sie fragen nach der Durchführung und Kontrolle des § 10 des Wohn- und Teilhabegesetzes, welcher gerade die Öffnung stationärer Einrichtungen ins Quartier fordert und somit dem sozialräumlichen Grundsatz Rechnung trägt. Deshalb haben wir das damals im Gesetz so formuliert.

Und schließlich die Frage, wie man denn die getrennte Verantwortlichkeit für ambulante und stationäre Angebote durch die Kommunen bzw. das Land überwinden will. Dies ist seit 2005, also seit mehr als zehn Jahren, in Sachsen-Anhalt Fakt.

(Zustimmung von Herrn Hövelmann, SPD)

All das vermittelt den Eindruck, dass Teile der Anfrage aus anderen Bundesländern übernommen worden sind, ohne zu prüfen, inwiefern sie auch

für uns zutreffen. Sie sagten mehrfach in Ihrer Rede, dass Sie Baden-Württemberg und NordrheinWestfalen dabei herangezogen haben.