Protocol of the Session on June 5, 2015

Fachkräftesicherung ist der Schlüssel zu weiterem Wirtschaftswachstum, meine Damen und Herren.

Daher ist es gut, wenn wir zukünftig unsere Kräfte darauf konzentrieren. Ich bin froh darüber, dass der DGB mit dem Index „Gute Arbeit“ einige Dinge im Rahmen einer Beschäftigtenbefragung ausgewertet und auch dargelegt hat.

Allen Abgeordneten wurde diese Broschüre zur Verfügung gestellt. Darin kann man einiges nachlesen. Darin kann man nachlesen, wo man ansetzen muss, wenn man arbeitsmarktpolitisch etwas im Hinblick auf gute Arbeit gestalten will. Deshalb sollten wir genau an der Stelle ansetzen, meine Damen und Herren.

Ich halte es für wichtig, diese Debatte heute zu führen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Herr Abgeordneter Steppuhn, Herr Abgeordneter Gallert hat eine Frage. Möchten Sie sie beantworten?

Bitte, Herr Gallert.

Herr Steppuhn, Sie sind ganz bestimmt mit mir der Meinung, dass wir für die Entwicklung von guter Arbeit einen hohen Organisationsgrad der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Durchsetzung ihrer eigenen Interessen benötigen. Wir sind ganz bestimmt auch einer Meinung, wenn ich sage, dass gerade in Sachsen-Anhalt an der Stelle die Säge noch klemmt, und zwar in erheblichem Maße.

Ich bin vor Kurzem in Bremen mit einer interessanten Institution vertraut gemacht worden, und zwar der dortigen Arbeitnehmerkammer. So etwas Ähnliches gibt es im Saarland auch, aber sie ist etwas lahm - so erzählen es mir alle -, in Bremen ist sie aber richtig gut. Sie kümmert sich um die Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen - also guter Arbeit -, und zwar mit einer viel größeren Durchschlagskraft, als bei uns aufgrund des Organisationsgrades Gewerkschaften allein haben. Die Arbeitnehmerkammer wird im Wesentlichen auch von Gewerkschaften bestückt, aber die Institution ist anders.

Meine Frage: Haben Sie schon einmal die Überlegung angestellt, vor dem Hintergrund der Situation in Sachsen-Anhalt bei uns auch über so etwas nachzudenken?

Wir können über alles nachdenken. Ich kenne sowohl die Arbeiterkammer im Saarland als auch die in Bremen. Ich halte sie für gute Einrichtungen, weil gerade dort Dinge nach vorn entwickelt werden.

Ob das ein Modell für Sachsen-Anhalt oder andere Bundesländer sein kann, das muss man miteinander diskutieren. Wichtig ist, dass wir uns bezüglich der Ziele, die wir arbeitsmarktpolitisch und wirtschaftspolitisch im Bereich der guten Arbeit verfolgen, einig sind.

Darüber sind wir uns eher einig als darüber, wie wir da hinkommen können, Herr Steppuhn.

Weitere Anfragen gibt es nicht. - Bevor wir fortfahren, dürfen wir weitere Gäste im Haus begrüßen, und zwar Damen und Herren der Stabsstelle des Rektors der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg. Willkommen im Landtag von SachsenAnhalt!

(Beifall im ganzen Hause)

Nun spricht im Rahmen der Aktuellen Debatte mit dem Titel „Gute Arbeit - Entwicklung der Arbeitsbedingungen und der Einkommen in Sachsen-Anhalt“ der Minister für Arbeit und Soziales Herr Bischoff.

Herr Präsident! Guten Morgen, meine Damen und Herren Abgeordneten! Meiner Meinung nach wird es aus zwei Gründen immer wichtiger, das Thema „Gute Arbeit in Sachsen-Anhalt“ voranzubringen.

Zunächst bin ich grundsätzlich der Auffassung, dass allen ein anerkennendes und wertschätzendes Miteinander im Arbeitsleben guttut. Erwerbstätigkeit sollte nicht nur dem Zweck der Einkommenssicherung dienen, sondern den Menschen auch persönliche Befriedigung und Wertschätzung aus der Arbeit vermitteln.

Darüber hinaus wird das Thema „Gute Arbeit“ zunehmend zum entscheidenden Faktor im Wettbewerb der Regionen und Betriebe um gute Fachkräfte. In diesem Sinne trägt gute Arbeit dazu bei, dass die Menschen in Sachsen-Anhalt auch langfristig solide wirtschaftliche und soziale Entwicklungsperspektiven haben.

Die schwierigen wirtschaftlichen Entwicklungen der Vergangenheit haben viel zu häufig und zu lange dafür gesorgt, dass der Blick nicht genug auf die Bedürfnisse und Nöte der arbeitenden Menschen im Land gerichtet werden konnte. Eine Arbeit zu haben oder zu beschaffen stand häufig an erster

Stelle. Die Frage nach der Qualität oder der Entlohnung der Arbeit war dabei oft zweitranging.

Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns - das hat Herr Steppuhn schon gesagt - wurde nunmehr ein erstes wichtiges Signal gesetzt, um auch von politischer Seite Wertschätzung gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auszudrücken. Das überwiegend positive Interesse und Meinungsbild in der Bevölkerung und der Wirtschaft zeigen, dass dies der richtige Weg ist. Der häufig beschworene Arbeitsplatzabbau im großen Stil ist bislang nicht eingetreten.

Umso mehr finde ich es schade, dass bis heute mit teilweise großer Erbitterung über den Mindestlohn gestritten wird. Ich denke, viel wichtiger ist die Konzentration auf die Chancen, die aus dem Mindestlohn resultieren, also einerseits - das hören wir von vielen Betroffenen - die große Zufriedenheit und das bessere Einkommen - zumindest für einen Teil der Beschäftigten -, andererseits das gestiegene Qualitäts- und Gerechtigkeitsbewusstsein bei den Konsumenten.

Viele haben gesagt: Jetzt wissen wir erst einmal, was Dienstleistung für einen Wert hat, selbst wenn die Preise in bestimmten Handwerksberufen für die Konsumenten gestiegen sind.

Mit dem bundeseinheitlichen Mindestlohn wurde zumindest formal Einkommensgleichheit in Ost- und Westdeutschland - zumindest am unteren Rand der Lohnstrukturen - erreicht. Für die mittleren und höheren Einkommensbereiche ist das leider noch nicht der Fall.

Generell weist Sachsen-Anhalt bei den Löhnen in den letzten Jahren eine recht gute Entwicklung auf. Von 2009 bis 2013 stieg das durchschnittliche Lohnniveau der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigen in Sachsen-Anhalt um gut 12 %, also von 1 989 € auf 2 235 €. Der Anstieg lag damit sogar über dem Anstieg in Gesamtdeutschland, der bei nur etwa 10,5 % lag.

Trotzdem - das ist gestern auch gesagt worden - ist die Einkommenslücke zwischen Ost und West mit immerhin noch 20 % bzw. über 20 % sehr hoch. Das ist gerade deswegen hoch problematisch, weil sich der Arbeitsmarkt immer mehr zu einem Arbeitnehmer- und Fachkräftemarkt wandelt.

Vor allem gut ausgebildete und mobile junge Fachkräfte finden heute eine völlig andere Chancenstruktur auf dem Arbeitsmarkt vor als noch vor Jahren. Das bewirkt, dass sich gut qualifizierte Fachkräfte ihres Wertes viel stärker bewusst sind und bewusst werden.

Ganz aktuell ist diese veränderte Erwartungshaltung bei gut qualifizierten ausländischen Fachkräften zu beobachten. Wir waren vor Jahren in

Richtung Spanien und Portugal unterwegs. Weil die Arbeitslosigkeit dort so hoch ist, haben wir versucht, junge Leute dazu zu motivieren, nach Deutschland zu kommen. Es zeigte sich, dass das Interesse der Zuwanderung von dort nach Ostdeutschland sehr gering ist. Sie bleiben meist in Westdeutschland hängen, weil sie wissen, dass sie da andere Chancen, andere Aufstiegschancen, ein anderes Lohnniveau und Ähnliches haben.

(Herr Borgwardt, CDU: Mehr Geld!)

Immerhin haben in einigen Schlüsselbranchen - das finde ich wichtig, auch für die Wirtschaftspolitik hier und in Richtung Wirtschaftsministerium - schon viele Betriebe im Land entsprechend reagiert und Lohnanhebungen vorgenommen.

Die vor wenigen Tagen veröffentlichte Fachkräftestudie für Sachsen-Anhalt zeigt deutlich: In einigen Branchen - beispielsweise Maschinenbau, Ernährungsbranche, Gesundheitsbereich - hat bereits knapp die Hälfte der Betriebe Lohnsteigerungen vorgenommen, teilweise in Höhen, die deutlich bemerkbar sind.

Es gibt - das muss man auch zugeben - Schlüsselbranchen in Sachsen-Anhalt, in denen nur ein Viertel bis ein Drittel der Betriebe auf die Notwendigkeit reagiert hat. Dazu zählen Branchen wie Bau, Biochemie und Einzelhandel.

Die Studie zeigt ganz deutlich: Hier muss in den nächsten Jahren noch mehr getan werden. Denn bei einem prognostizierten Fachkräftebedarf von rund 80 000 Menschen bis 2020 ist es im Interesse der Wirtschaft von Sachsen-Anhalt, dass konkurrenzfähige und attraktive Löhne gezahlt werden.

Eine gut geführte Debatte zum Thema „Fachkräftemangel und gute Arbeit“ muss jedoch über Fragen von Entgelt und Mindestlohn hinausgehen. Denn gut qualifizierte Fachkräfte haben außer attraktiven Löhnen und Einkommen auch andere Erwartungen an ihre Arbeitgeber.

Das betrifft die häufig vernachlässigten „weichen Faktoren“ der guten Arbeit. Es wurde bereits genannt, jedoch wiederhole ich es: Berufliche Entwicklungen und Qualifizierungsmöglichkeiten stehen an erster Stelle bei Arbeitnehmern, aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, physische und psychische Gesunderhaltung am Arbeitsplatz, arbeitnehmerfreundliche Strukturen und die Organisation der Arbeit und der Arbeitszeit sowie die partizipative und wertschätzende Unternehmenskultur und die betriebliche Mitbestimmung.

Die Fachkräftestudie, der DGB-Index „Gute Arbeit in Sachsen-Anhalt“ und das Betriebspanel zeigen deutlich, dass zwar einerseits Fortschritte erzielt wurden, andererseits jedoch noch große Potenziale brachliegen. Bei der Weiterbildungsbeteiligung liegt Sachsen-Anhalt etwa im Durchschnitt.

Dagegen liegt das Land bei betrieblichen Maßnahmen zur Kinderbetreuung, bei der Unterstützung bei Pflegeverantwortung, bei der Anpassung der Arbeitszeit, bei der gezielten Frauenförderung oder bei betrieblichen Angeboten für Eltern noch zurück.

Nur 27 % der Unternehmen haben Maßnahmen ergriffen, auch wenn davon immerhin gut die Hälfte aller Beschäftigten profitiert. Das betrifft eher größere Unternehmen, die sich diesbezüglich engagieren. Die Tarifbindung stagniert ebenfalls, auch wenn der Abwärtstrend gestoppt scheint. Insgesamt besteht also noch Aufhol- und Änderungsbedarf.

Im arbeitsmarktpolitischen Gesamtkonzept wurden deshalb schon im Jahr 2013 die Grundsätze „gute Arbeit“ und „attraktive Arbeitsbedingungen“ als Handlungsschwerpunkte definiert.

Mit der jetzt beginnenden ESF-Förderperiode hat unser Ministerium ein umfangreiches Maßnahmenpaket geschnürt. Dabei sind zum einen Programme zur Förderung der beruflichen Weiterbildung hervorzuheben. Das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Menschen gute Beschäftigungsperspektiven haben. Damit wird den Unternehmen geholfen, Fachkräftepotenziale in den Betrieben weiterzuentwickeln. Diese Programme haben sich in der Vergangenheit als mehr als nützlich erwiesen.

Zum anderen wird den Beschäftigten in den Unternehmen mit der neuen Landesinitiative „Fachkraft im Fokus“ - so nennen wir das - ein umfassender Beratungs- und Unterstützungsservice zu betrieblichen Möglichkeiten und Strategien zur Umsetzung der Maßnahmen für gute Arbeit geboten.

Das Fachkräfteportal „Pfiff“ kennen Sie alle. Das ist jetzt zu einem Marktplatz weiterentwickelt worden, bei dem sich Arbeitgeber informieren und Arbeitnehmer Beschäftigungsmöglichkeiten finden können. Mit Pfiff sind auch die ersten Schritte unternommen worden, familienfreundliche und tarifgebundene Unternehmen und Stellenangebote gesondert auszuweisen. Wer sich darüber informieren will, welche Betriebe tarifgebunden sind, kann das bei Pfiff gut tun.

Parallel dazu werden Unternehmen finanziell unterstützt, wenn sie mithilfe professioneller Beraterinnen und Berater Maßnahmen und Prozesse der Personal- und Organisationsentwicklung umsetzen möchten.

Schließlich: Um auch überregional dafür zu sorgen, dass attraktive Beschäftigungsbedingungen in Sachsen-Anhalt bekannter werden, ist für die kommenden Jahre ein Unternehmenswettbewerb Arbeitgeberattraktivität in Sachsen-Anhalt geplant. Das wollen wir gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium auf den Weg bringen.

All diese Maßnahmen zielen darauf ab, die verschiedenen Aspekte guter Arbeit und zukunftsorientierter Personalpolitik stärker in der betrieblichen Praxis zu verankern. Vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen sind es, die dabei Unterstützung benötigen. Allen muss aber klar sein, dass die Mittel einer Landesregierung endlich und begrenzt sind. Auch wenn an vielen Punkten Mittel und Instrumente zur Verfügung gestellt werden können, sind die Unterstützung und die Zusammenarbeit aller Akteure auf dem Arbeitsmarkt unerlässlich.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Unsere weitere Aufgabe muss es also sein, den Diskussions- und vor allen Dingen den Vernetzungsprozess im Land weiter voranzubringen. In diesem Sinne freue ich mich auf die rege Diskussion, auf konstruktive Vorschläge und über alle, die sich aktiv bei den Maßnahmen für gute Arbeit in Sachsen-Anhalt einsetzen.

(Zustimmung bei der SPD, von Herrn Kurze, CDU, und von Herrn Weigelt, CDU)