Eine der Solidarleistungen im geeinten Deutschland war auch, dass die in der DDR erworbenen Rentenansprüche auf eine solide Basis gestellt wurden. Es würde hier zu weit führen, die komplizierten Berechnungen bei der Rentenüberleitung im Detail auszuführen. Ich gebe ganz ehrlich zu: Ich könnte das auch gar nicht so richtig.
Der politische Wille hat Anfang der 90er-Jahre dazu geführt, dass die Rentenansprüche der Ostdeutschen mit dem tatsächlichen Verdienstniveau im Westen verbunden wurden. Zudem ist es gelungen, auch die ostdeutschen Rentner an den starken Lohnsteigerungen in Ostdeutschland nach 1990 zu beteiligen. Leider ist dieser Prozess Ende der 90er-Jahre stagniert, sodass die anfangs rasante Steigerung des Rentenwertes im Osten fortan ausgeblieben ist. Deshalb war es auch weiterhin vorteilhaft, dass die Höherwertung der Ansprüche für den Osten bestehen blieb.
Meine Damen und Herren! Der Bundesrat, die SPD und andere politische Mitbewerber haben es bei der Rentenangleichung von Ost und West eilig. Natürlich halten auch wir diese Angleichung für zwingend erforderlich. Allerdings darf diese nicht zu einer Verschlechterung der aktuellen rentenrechtlichen Lage von Teilen der ostdeutschen Bevölkerung führen.
Das bestehende System hat für die Mehrzahl der Menschen im Osten im Moment noch mehr Vorteile als eine sofortige Vereinheitlichung des Rentenrechts.
Lassen Sie mich das kurz erläutern. Erstens. Die Rentenformel wurde für die neuen Länder modifiziert. Weil das Lohnniveau Ost niedriger und damit der Rentenwert kleiner ist, werden die aus der Lohnhöhe abgeleiteten Entgeltpunkte mit einem Faktor aufgewertet.
Zweitens. Dieses System hat zu einer beachtlichen Rentenangleichung geführt. Das Rentenniveau liegt mit Stand vom 1. Juli 2014 bei 92,2 % des Westens. Der Minister hat, wenn ich es richtig gehört habe, ausgeführt, dass zum 1. Juli 2015 dieser Wert auf 92,6 % ansteigen wird.
Drittens. Das Durchschnittsentgelt hat sich im gleichen Zeitraum weniger angeglichen als das Rentenniveau; es liegt im Osten aktuell bei 84,2 % des Westniveaus. Dieser Unterschied wird im bestehenden System der Rentenberechnung ausgeglichen. Die Rentenanwartschaften im Osten wer
den durch die Aufstockung der Entgeltpunkte Ost auf 100 % angehoben. Wer heute im Osten arbeitet, soll einen Rentenanspruch erwerben, der dem entspricht, den er erwerben würde, wenn er im Westen gearbeitet hätte.
Viertens. Da der Rentenwert Ost bei 92,2 % des Rentenwertes West liegt, die Entgeltpunkte Ost aber um 18,7 % aufgewertet werden, erhält bereits im Bezugsjahr 2014 ein Ostrentner eine um 9,2 % höhere Rente als ein Westrentner, der das gleiche Bruttomonatsgehalt hatte.
Das erscheint angesichts des durchschnittlich niedrigen Lohnniveaus Ost nicht ungerecht, wird aber zunehmend problematisch.
Meine Damen und Herren! Die sofortige Vereinheitlichung des Rentenrechts würde bedeuten, dass die Bestandsrentner zwar ca. 8 % mehr Rente hätten, die beitragszahlenden Ostarbeitsnehmer müssten aber real so viel verdienen wie ihre Westkollegen, wenn sie den gleichen Rentenanspruch haben wollen.
Angesichts der leider noch immer erheblichen Lohnunterschiede sollten wir einer Vereinheitlichung des Rentenrechts nur zustimmen, wenn diese sowohl den berechtigten Interessen der Bestandsrentner als auch denen der aktuellen Beitragszahler angemessen Rechnung trägt. Ein Ausspielen der Interessen der einen Gruppe gegen die der anderen Gruppe ist mit uns nicht zu machen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Rotter. Der Kollege Gallert wollte Sie etwas fragen, aber er war jetzt schwer beschäftigt.
(Herr Borgwardt, CDU: Nein, hat sich er- ledigt! - Frau Weiß, CDU: Nein, lass das! - Weitere Zurufe von der CDU)
Herr Präsident, da ich weiß, dass der Kollege Steppuhn die Überweisung dieses Antrags in den Ausschuss beantragen wird, denke ich, dass wir im Ausschuss ausreichend Gelegenheit haben werden, offen gebliebene Fragen zu klären.
Damit werde ich fertig. - Ich stelle fest, dass der Kollege Rotter erheblichen Widerstand aus der eigenen Fraktion erhalten hat, als es darum ging, mir eine Frage zu beantworten.
Davon abgesehen: Herr Rotter, ich wollte im Grunde genommen nur auf eine Geschichte reagieren, und zwar haben Sie gesagt: Das ist jetzt offensichtlich Wahlkampfthema wegen der Landtagswahl, und deswegen hätten wir es entdeckt. Also: Entdeckt haben wir es vor sehr langer Zeit. Das ist es also nicht.
Ich möchte nur darauf hinweisen: Diejenigen, die sich jetzt öffentlich dazu geäußert haben, waren der Bundesfinanzminister, und reagiert hat in dieser Art und Weise der Kollege Ministerpräsident. Offensichtlich müssten Sie ihm dann den Vorwurf machen, dass er sich nur wegen des Wahlkampfs geäußert hat.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ja, auch ich und meine Fraktion finden es ärgerlich, was Finanzminister Schäuble dazu von sich gegeben hat. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, liebe Kollegen von der CDU, Folgendes hier noch einmal zu erwähnen: In den letzten beiden Koalitionsverträgen stand die Rentenangleichung; und jetzt wird der Umstand, dass das nicht umgesetzt wird, mehr oder weniger unverhohlen als quasi vorsätzlich unterlassene Hilfeleistung kommuniziert und eben nicht nur als fahrlässiges Versäumnis. Ich deute das so: Die CDU will eine Angleichung der Ost- und Westrenten nicht wirklich.
- Sie schreiben es regelmäßig in Ihre Koalitionsverträge, aber es passiert nichts. Was, bitte schön, soll man als Wählerin oder Wähler davon halten?
Was gut ist: Wir wissen jetzt zumindest, woran wir sind. Die Passagen zu den Ostrenten - zu anderen Passagen will ich mich an dieser Stelle enthalten - sind nicht das Papier wert, auf das sie gedruckt sind. Das muss man konstatieren, wenn man die Fakten vergleicht - ob einem das gefällt oder nicht.
Wir als GRÜNE fordern deswegen nicht zum ersten Mal: Der Rentenwert Ost muss auf den Rentenwert West angehoben werden, und zwar nicht in Stufen, nicht über 20, 30 Jahre, sondern in einem Schritt. Auch wir wollen eine Rentenversicherung, die nicht mehr zwischen Ost und West unterscheidet. Wir wollen eine Angleichung aller maßgeblichen Größen zur Entstehung und Berechnung der Rente. Wir wollen eine formale Gleichbehandlung in Ost und West. Ich denke, - darin stimme ich der Kollegin Dirlich ausdrücklich zu - 25 Jahre nach der Wiedervereinigung, 26 Jahre nach der friedlichen Revolution ist das mehr als überfällig.
Der Unterschied zwischen Ost und West darf kein faktischer Unterschied mehr sein. Niemand soll sich bei der Rente als Bürger zweiter Klasse fühlen. Alle Bürger in Ost und West, Nord und Süd sind in diesem Fall als Bürger einer Klasse, der ersten Klasse, zu behandeln.
Ich erlaube mir dennoch die Zuspitzung, dass wir als GRÜNE die innerdeutsche Gleichbehandlung in Fragen der Rente etwas weiter gehend betrachten, als es DIE LINKE tut. Ich weise auf den kleinen Dissens bezüglich der Höherbewertung hin; auch das haben wir im Hohen Hause schon diskutiert und in anderen Debatten bereits ausgeführt.
Zwei konkrete Gründe sprechen für ein Rentensystem, das in allen Belangen nicht mehr zwischen Ost und West unterscheidet. Erstens. Durch die Erhöhung des Rentenwerts Ost auf das Westniveau werden die Unterschiede in der konkreten Rentenhöhe ohnehin abnehmen.
Zweitens - das ist der für uns zentrale Grund -: Die Höherbewertung wird einkommensunabhängig vollzogen. Aber hohe Osteinkommen - es gibt sie, zwar vereinzelt, aber es gibt sie - brauchen keine Höherbewertung. Statt der Höherbewertung für alle plädieren wir für eine grüne Garantierente, eine Garantierente, von der diejenigen profitieren, die ein geringes Einkommen haben, in Ost wie in West, in Nord wie in Süd. Es ist für uns GRÜNE Priorität, Rentenarmut und damit Altersarmut in Ost und in West gleichermaßen anzugehen. Wir
schauen bundesweit und wollen allen Menschen, die ein geringes Einkommen haben, eine Garantierente in Höhe von 30 Rentenpunkten bei 30 Versicherungsjahren garantieren, wie es der Name sagt.
Die Rente nur im Osten anzuheben birgt aus unserer Sicht Gerechtigkeitslücken für Rentnerinnen und Rentner im Westen. Wir brauchen in Gesamtdeutschland - das ist schon eine Frage des sozialen Friedens - einen einheitlichen Schutz vor Altersarmut.
Lassen Sie uns unsere Kräfte und natürlich die finanziellen Mittel fokussiert auf die Bekämpfung der Altersarmut in Gesamtdeutschland lenken. Ansonsten produzieren wir rentenpolitisch soziale Schieflagen, wenn eine Interessengruppe, die es materiell nicht so nötig hat, protektiert wird. Mit der abschlagsfreien Rente mit 63 und der Mütterrente haben wir das erlebt.
Lassen Sie mich auch Folgendes abschließend ganz klar sagen: Es gibt insbesondere im Osten Deutschlands bestimmte Gruppen, die benachteiligt sind. Sie sind schlicht und einfach durch den Einigungsvertrag gefallen - wenn ich das so salopp sagen darf. Diese brauchen eine Sonderbehandlung. Ich möchte an die Gruppe der in der DDR geschiedenen Frauen erinnern. Ich möchte an die Gruppe derjenigen erinnern, die aus der DDR ausgereist sind, geflüchtet sind oder ausgewiesen wurden. Das haben wir in einigen Anträgen schon thematisiert. Diesen Gruppen widerfährt Ungerechtigkeit. Auch das darf man nicht aushalten. Hierfür braucht man spezielle Lösungen, einen Härtefallfonds.
Unsere grüne Bundestagsfraktion hat all das detailliert in einem Antrag mit dem Titel „Gleiches Rentenrecht in Ost und West, Rentenüberleitung zum Abschluss bringen“ in der Drs. 17/12507 vorgelegt. Ich darf diesen Antrag empfehlen, man kann ihn ein wenig als Alternativantrag zu dem von der LINKEN vorgelegten Antrag verstehen. Deswegen haben wir uns in diesem Hohen Hause, in dem Rentenrecht nicht dezidiert zur Abstimmung steht, darauf verständigt, keinen Änderungsantrag zu stellen. - Vielen Dank.