Protocol of the Session on September 9, 2011

Die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass verurteilte Gefangene während und nach ihrer Haftzeit intensiver betreut und überwacht werden müssen. - Darin stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Frau Ministerin.

Die Ministerin hat uns Parlamentariern bereits in Aussicht gestellt, in den kommenden Monaten in einen intensiven Diskussionsprozess darüber einzusteigen, wie ein optimaler Strafvollzug aussehen soll und welche personellen und finanziellen Auswirkungen daraus folgen.

Ich freue mich auf konstruktive Gespräche im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung hierüber und natürlich auch über die Vorlage eines Konzeptes zum Ausbau der Zusammenarbeit der mitteldeutschen Bundesländer im Bereich des Strafvollzugs, so wie es die Regierungsfraktionen im Koalitionsvertrag vereinbart haben.

Als Koalitionsfraktionen haben wir ferner vereinbart, dass die Justizvollzugsstrukturen im Land Sachsen-Anhalt weiter zu optimieren und zu konzentrieren sind. Hierauf ging Frau Ministerin Kolb ebenfalls ein. Gleichzeitig lässt das Ministerium derzeit konkrete Pläne für die zukünftige Vollzugslandschaft erarbeiten.

Die Haftanstalten in Sachsen-Anhalt sind bereits im Jahr 2003 neu organisiert worden. Frau Ministerin plant, einen Standort auszubauen und dafür möglicherweise andere im Gegenzug aufzugeben. Das ist die Vorgabe für die Expertenrunde - meine

Vorredner gingen darauf bereits ein -, die im Rahmen der Justizstrukturreform Sachsen-Anhalts bis zum Ende des Jahres 2011 eine Struktur sowie Zeitpläne vorstellen soll.

Frau Ministerin, wir als CDU-Fraktion werden selbstverständlich die Ergebnisse dieser Arbeiten abwarten, erwarten aber auch klare Aussagen zum Erhalt und zum Bestand von Justizvollzugsstandorten in Sachsen-Anhalt sowie zu notwendigen Schließungen von Standorten mit einer tragfähigen Begründung.

Die CDU-Fraktion wird der Überweisung des Antrags zur weiteren Beratung im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung zustimmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Abschließend erlaube ich mir den Hinweis, dass es eine zentrale Aufgabe der Rechtspolitik ist, die Sicherheit der Bevölkerung vor Straftätern zu erhöhen.

In diesem Zusammenhang sind auch Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendkriminalität, wie zum Beispiel die Prüfung und Einführung eines so genannten Warnschutzarrestes, unter präventiven Gesichtspunkten voranzutreiben.

Auch dürfen wir nicht vergessen, dass für die Sicherung der Justizvollzugsstrukturen eine zukunftsfähige und bedarfsgerechte Personalstruktur unverzichtbar sind.

Im Geschäftsbereich des Justizvollzuges befinden sich derzeit noch 260 Beamte, die nach mehr als zehnjähriger Dienstzeit im Eingangsamt verharren. Frau Ministerin hat bereits auf den Nachholbedarf an dieser Stelle hingewiesen.

Alternativ zu der von Ihnen geplanten Änderung der Stellenobergrenzenverordnung bitten wir Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, auch zu prüfen, ob eine Verbesserung der Beförderungsmöglichkeiten erreicht werden kann, indem Sie sich in einer ähnlichen Initiative wie Herr Minister Stahlknecht einer Regelbeförderung anschließen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Erben, SPD)

Danke, Herr Kollege Borgwardt. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Kollege Herr Herbst.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Strafvollzug in Sachsen-Anhalt zukunftsfähig auszurichten, ist eine Herausforderung, der wir uns gemeinsam stellen müssen. Weil es dabei sowohl um das Wohl und die individuellen Resozialisierungschancen der Straffälligen als auch um das allgemeine Sicherheitsinteresse der Bevölkerung

geht, ist es umso wichtiger, dass sich Regierung und Parlament gemeinsam dieser Herausforderung stellen.

Vor diesem Hintergrund ist es begrüßenswert, dass wir uns an dieser Stelle mit einem Antrag befassen, der Schwerpunkte zur Neustrukturierung des Strafvollzugs in Sachsen-Anhalt und Eckpunke für die anstehende Erarbeitung eines zeitgemäßen Strafvollzugsgesetzes vorgibt.

Gerade den letzten Punkt betreffend haben wir mit Freude zur Kenntnis genommen, dass sich die länderübergreifende Arbeitsgruppe auf einen Musterentwurf für ein solches Gesetz geeinigt hat. Nach einer ersten Inaugenscheinnahme gehe ich davon aus, dass dieser Entwurf eine Arbeitsgrundlage für die anstehenden Beratungen darstellen kann.

Positiv möchte ich herausstellen, dass die Landesregierung mit der länderübergreifenden Erarbeitung einen sinnvollen Weg gewählt hat, der die Entwicklung möglichst einheitlicher gesetzlicher Standards für den Strafvollzug erleichtert.

Frau von Angern hat in ihrem Antrag auch geschrieben, dass dieser Weg bereits beim Jugendstrafvollzugsgesetz gegangen wurde. Damit wurde eine gewisse Anerkennung zum Ausdruck gebracht, die Sie, Frau Professor Dr. Kolb, hier eingefordert haben.

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht ein auf Resozialisierung angelegter Strafvollzug im Vordergrund. Diesem Paradigma kann man sicherlich leicht zustimmen. Doch zeigt sich erst in der Praxis, ob dieser Kerngedanke rechtsstaatlicher Justiz in der Veranlagung unseres Justizsystems auch wirkungsmächtig werden kann.

Natürlich muss die Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern geschützt werden. Doch niemandem ist damit geholfen, wenn wir zur Erreichung dieses Ziels mit Hysterie statt mit Akribie vorgehen.

Das verfassungsmäßige Resozialisierungsziel darf nicht an Stellenwert verlieren, sondern muss die Blaupause für eine Reform des Strafvollzugs in Sachsen-Anhalt sein. Das Straftheorem der Generalprävention wird bei derlei Überlegungen nicht infrage gestellt.

Wenn wir zu dem Ergebnis kommen würden, dass Strafe nicht auch abschreckend wirken muss, brauchten wir sie nicht. Es ist anerkannt, dass Generalprävention ein strafverschärfendes Mittel darstellt, das wichtig und richtig ist. Die Generalprävention umfasst nicht nur die Abschreckung anderer, sondern stärkt auch das Vertrauen in die Bestands- und Durchsetzungskraft unserer Rechtsordnung.

Die Gestaltungskraft eines wirksamen Strafvollzugs muss jedoch in der Resozialisierung des Individuums liegen, und zwar in der erfolgreichen Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Der ver

fassungsmäßige Grundsatz wird dabei durch wissenschaftliche Erkenntnisse unterstrichen, nach denen die Rückfallquote von Straffälligen geringer ist, wenn diese in der Haft beruflich qualifiziert und nach der Haft wieder in die Gesellschaft integriert werden.

Eine wirksame, humane und nachhaltige Resozialisierung muss daher mit dem ersten Hafttag beginnen und über die gesamte Haftzeit kontinuierlich andauern. Die Grundvoraussetzungen dafür müssen sich sowohl in der Struktur des Justizvollzugs niederschlagen als auch in den Grundsätzen eines Strafvollzugsgesetzes, das für jeden Häftling vom Antritt der Haft bis zur Entlassung die Voraussetzungen für dessen erfolgreiche Wiedereingliederung darstellt.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

Ich denke, dass das Beispiel Insel, auf das heute kurz eingegangen worden ist, für uns alle eine dramatische Warnung sein muss, weil es das schlechteste Beispiel für eine misslungene Wiedereingliederung darstellt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Entlassene Sicherungsverwahrte - das muss an dieser Stelle auch gesagt werden - stellen sicherlich eine große Herausforderung für unsere Rechtsordnung dar, aber die rechtsstaatlichen Grundsätze und die Menschenrechte müssen auch für sie gelten. Es ist unsere Pflicht, sie durchzusetzen.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Der vorliegende Antrag geht auf zahlreiche Rahmenbedingungen und Ziele ein, die für einen modernen Strafvollzug unerlässlich sind. Als besonders wichtig möchte ich dabei die eingeforderten Behandlungs-, Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen hervorheben, die ständig überprüft und nach fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgebaut und ergänzt werden müssen.

Ein weiterer zentraler Punkt betrifft die Programme der Nachsorge und deren gesetzliche Festschreibung und sichere Finanzierung.

Letztlich kann Strafvollzug jedoch nur so gut sein, wie es die äußeren und inneren Bedingungen erlauben. Diese Bedingungen - das muss auch gesagt werden - sind in unserem Bundesland nicht gerade ideal, um es einmal ganz vorsichtig auszudrücken. Schuld daran sind vor allem die prekäre Personalsituation im Justizvollzug und der Unwille der Landesregierung, daran etwas zu ändern.

Wer sich für einen Job im Justizvollzug entscheidet, tut dies aus Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein, weil er oder sie an der Resozialisierung der Straffälligen mitwirken möchte, und nicht, weil die Beschäftigten Teil eines Strafvollzugs werden möchten, der aufgrund von Personalman

gel, Überalterung oder Überarbeitung der Beschäftigten auf bloße Verwahrung hinausläuft.

Die Realität unter den Beschäftigten im Justizvollzug ist frustrierend. Das Durchschnittsalter liegt bei 48 Jahren, ab 50 Jahren schnellt der Krankenstand dramatisch in die Höhe. Und die Landesregierung reagiert darauf auch noch mit Stellenabbau.

Der Job im Justizvollzug ist ein Knochenjob, doch das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Personal und Insassen verschlechtert sich rapide. Kamen vor kurzer Zeit noch ca. 59 Bedienstete auf 100 Gefangene, so sind es heute nur noch 51 Bedienstete. Neueinstellungen - Fehlanzeige, weil der Finanzminister den Geldhahn zugedreht hat.

(Zuruf von Frau Niestädt, SPD)

Mit dieser Politik, Herr Bullerjahn, der leider nicht mehr anwesend ist, tragen Sie dazu bei, dass alle hehren Ziele, über die wir heute sprechen, zur Makulatur verkommen. Sie sollten sich darüber klar werden, dass auch der Justizvollzug zur Sicherheit in unserem Bundesland beiträgt.

Aber es fehlen nicht nur etwa 200 Beamte im Vollzug; es fehlt auch an Sozialarbeitern, an Psychologen, an Therapeuten, kurzum an den Fachkräften, die die gesetzlich vorgegebene Arbeit im Strafvollzug gewährleisten. Ohne sie haben die Gefangenen keine Aussicht auf Resozialisierung, sondern werden lediglich verwahrt.

An dieser Stelle könnte der Antrag der LINKEN ruhig noch etwas deutlicher werden. Statt nur dazu aufzufordern, Angaben zur Entwicklung des Personalbestandes zu machen, muss die Forderung erst einmal lauten, das Minimum zur Deckung des Bedarfs zu erreichen, damit der Strafvollzug in Sachsen-Anhalt überhaupt wieder gesetzeskonform arbeiten kann.

(Frau Niestädt, SPD: Der ist gesetzeskon- form!)

Antworten auf diese offenen Fragen gibt es bislang nicht, auch nicht zur geplanten Struktur und Anzahl der Haftanstalten in Sachsen-Anhalt.

Wir erhoffen uns deshalb auch von diesem Antrag nicht, dass auf einmal alles besser wird. Die darin angesprochenen Anforderungen und Denkanstöße teilen wir jedoch zum großen Teil. Wir hoffen, dass der Antrag zur Qualifizierung der anstehenden Gesetzesvorhaben und für die weiteren Planungen im Bereich der Justizstrukturreform hilfreich sein wird.

(Frau Niestädt, SPD: Alles vorhanden!)

In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Vielen Dank, Herr Herbst. - Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Dr. Brachmann. Bitte schön.