Protocol of the Session on September 9, 2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hiermit eröffne ich die 9. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt in der sechsten Wahlperiode und begrüße hierzu alle Anwesenden auf das Herzlichste. Wir setzen nunmehr die fünfte Sitzungsperiode fort.

Bevor wir in die Aktuelle Debatte einsteigen, möchte ich noch eine Mitteilung an das Haus geben. Der Vorsitzende des Innenausschusses, der Kollege Herr Dr. Brachmann, hat mich gebeten, daran zu erinnern, dass der Innenausschuss in der Mittagspause im Raum B0 05 zusammenkommt. Ich bitte darum, das für Ihre Zeitdisposition zu berücksichtigen. Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Beratung

Probleme der Landesregierung bei der EU-Fördermittelvergabe

Aktuelle Debatte Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/366

Der Ältestenrat und die Fraktionen haben sich auf folgendes Verfahren verständigt: Wie üblich wird es eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion geben. Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: DIE LINKE, SPD, GRÜNE und CDU. Die Landesregierung wird nach der Einbringerin das Wort ergreifen.

Zuerst hat die Antragstellerin, die Fraktion DIE LINKE, das Wort. Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Herr Abgeordnete Czeke.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manchmal macht es einfach keinen Spaß mehr, Recht zu haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erinnern Sie sich noch an unseren Antrag mit dem Titel „Halbzeitbilanz der EU-Förderperiode 2007 bis 2013 zur Neuausrichtung nutzen“. Er wurde im Juli hier im Plenum behandelt. Darin hatten wir ein Umsteuern gefordert, damit die EU-finanzierten Fördermaßnahmen anlaufen und die Mittel abgerufen werden können - wohlgemerkt zwei Jahre vor dem Ende der Förderperiode.

In seiner Regierungserklärung vom 9. Dezember 2010, im Protokoll nachzulesen auf der Seite 5 641, erklärte Herr Minister Aeikens, „dass wir für die zukünftigen Herausforderungen Mittel der EU brauchen. Wir haben keinen Euro zu verschenken.“ Die Koalitionsfraktionen haben unseren Antrag im Juli

dann zur devoten bitte um Berichterstattung weichgespült.

Dummerweise hat nun die EU-Kommission der „Mitteldeutschen Zeitung“ vom 6. September 2011 zufolge harsch kritisiert, wie in Sachsen-Anhalt die Fördermittelvergabe hakt, und ebenfalls ein Umsteuern verlangt. Jetzt wird sich die Landesregierung sicher doch in Bewegung setzen müssen, und zwar bis 30. September. Wohlgemerkt: Aus Technischer Hilfe ist die Öffentlichkeit und auch die Presse zu informieren. Das Parlament kann es dann der Presse entnehmen. Vielen Dank auch hierfür an die „Mitteldeutsche Zeitung“.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Auf unsere penetranten Nachfragen zur Fondsnutzung wurden wir seit dem Jahr 2008 vertröstet. Alles laufe gerade an und die Umsetzung bereite keine Probleme usw. usf. Nun bescheinigen zwei gut versteckte Halbzeitbilanzen zum EFRE, zum ESF und zum ELER sowie die EU-Kommission die Misere: Katastrophale Mittelabflüsse besonders bei ESF und ELER, weil am Bedarf der Empfängerinnen und Empfänger sowie an der Praktikabilität vorbei Richtlinien erlassen wurden. Wobei der politische Wille auch hinterfragt werden kann, gibt es doch besondere Schwierigkeiten bei der Umsetzung von sozialen und ökologischen Maßnahmen. Ich komme noch dazu.

Die Hauptursache für die jahrelang angezogene Handbremse bei der Mittelvergabe ist die 25-prozentige Kofinanzierung der EU-Mittel aus dem Landeshaushalt. Aber für kreative Haushälter, die das Mantra der Schuldenbremse brav murmeln und umsetzen, scheint auch das lösbar zu sein.

Der Finanzminister legt einfach Stark III auf,

(Frau Niestädt, SPD: Na und?)

ein Investitionsprogramm für Kommunen zur Sanierung ihrer Schulen und Kitas - einfach genial. Während Stark II noch der Entschuldung der Kommunen diente, sollen die Kommunen jetzt mit Stark III die im Landeshaushalt eingesparten Kofinanzierungsmittel kompensieren und sich damit weiter verschulden.

50 % der Mittel sind EU-Geld. Den Rest dürfen die klammen Kommunen kofinanzieren, und diese Kofinanzierung gilt dann als Kofinanzierungsanteil des Landes, der für alle EU-Gelder Bedingung ist.

(Frau Niestädt, SPD: Man sollte sich schon damit befassen!)

Das ist aus meiner Sicht perfide. Stark III ist der Verschiebebahnhof für nicht abrufbare EU-Mittel zulasten der kommunalen Haushalte. Fraglich ist es allerdings noch, ob die Europäische Investitionsbank die zögerlichen Kommunen mit Darlehen versorgen kann. Das wäre die fiskalische Hintertür.

Ich konnte heute der Tagespresse entnehmen, dass die kommunale Familie aufbegehrt.

Es bleibt das Grundproblem der inhaltlichen Ausrichtung der durch die EU geförderten Maßnahmen. Die EU-Kommission bescheinigt der sachsen-anhaltischen Regierung in deutlichsten Worten nicht nur bundesweit die schlechteste Programmumsetzung. Auch die Bedarfe und das Bekanntmachen der Maßnahmen seien voll daneben. Herr Dr. Aeikens, da reicht eben keine Ökomenta.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein besseres Bewerben der Förderung empfehlen übrigens auch die Halbzeitbewertungen von Rambøll zu EFRE und ESF und des ISW zum ELER. Aber diese Bewertungen tangieren die koordinierende Staatskanzlei bisher nicht sonderlich. Herr Staatsminister Robra konnte auf unsere Nachfrage zu den Konsequenzen aus der kritischen Halbzeitbilanz im Europaausschuss „nichts ableiten“.

Das derzeit von der EU-Kommission besonders getadelte Agrarministerium von Herrn Dr. Aeikens scheint besonders desorientiert zu sein. Vom 28. März bis zum 30. Mai 2011 - zufälligerweise war gerade die Landtagswahl vorbei - wurden kurzerhand sämtliche Auszahlungen der ELER-Mittel durch das Finanzministerium gestoppt.

Nun sollen bereits zum fünften Mal Mittel umgeschichtet werden, damit sie uns nicht verfallen. Werden sie nicht gebunden, braucht SachsenAnhalt in der kommenden Förderperiode ab dem Jahr 2014 nicht nach weiterem Geld zu rufen. Gefahr ist also im Verzug. Kurzfristig sollen 84,4 Millionen € innerhalb der Schwerpunkte verschoben werden. Das sind ca. 10 % der Gesamtmittel für den ELER.

Heute steht besonders das CDU-geführte MLU im Fokus. Aber bevor sich die Koalitionspartner von der SPD erleichtert oder schadenfroh zurücklehnen, sei gesagt, dass es bei den Umsetzungsproblemen der EU-Fördermaßnahmen um substanzielle, strukturelle Fehler geht. Das Sozialministerium und der ESF dürften als nächstes einen Eintrag ins Muttiheft aus Brüssel bekommen.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Dass das MLU genug Geld hätte und es nicht los werde, stimmt so schwarz-weiß auch nicht. Die Mittel wurden dem MLU durch das Finanzministerium in der Vergangenheit wirklich überproportional gekürzt. Allerdings wird das verbleibende Geld aus unserer Sicht und auch der der EU-Kommission auch noch schlecht und einseitig verwaltet.

(Herr Borgwardt, CDU: Also alles schlecht!)

Unter der fadenscheinigen Begründung der Finanzkrise und angeblich fehlender Akzeptanz der Programme werden noch gleich unliebsame Projekte aus dem Bereich Umwelt gestrichen. Das

wird besonders bei den ohnehin schon unterfinanzierten Maßnahmen zur Umweltbildung und bei den Waldumweltmaßnahmen deutlich. Sie werden zugunsten der Dorferneuerung gänzlich gestrichen.

Man muss wissen, dass beispielsweise die Umweltbildung mit jährlich 45 000 € so gering ausgestattet ist, dass das wohl eher nur ein Scherz ist. Nur 300 000 € sind dafür im gesamten Siebenjahreszeitraum vorgesehen. Und das Ministerium unter Herrn Dr. Aeikens hat Schwierigkeiten, diese „Peanuts“ - für einen kleinen Antragsteller sind 45 000 € eine Menge Geld im Vergleich zu EFREFördermaßnahmen - auszureichen.

Wie muss es um die Umweltverbände bestellt sein, wenn sie nicht in Vorleistung gehen und kofinanzieren können? Warum gibt es hier keine Förderanträge? Vielleicht sind die Förderrichtlinien des MLU einfach so undurchsichtig und die Förderhöchstgrenzen eigentlich Förderausschlüsse? - Einmal dumm gestellt reicht für die ganze Förderperiode.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Förderrichtlinie für die Umweltbildung ist erst Ende 2009 veröffentlicht worden. Mitte 2010 wurde sie ganz gestrichen? Ähnlich verhält es sich mit den Waldumweltmaßnahmen. Knapp 1 Million € wurde in sieben Jahren gestrichen, weil kein Bedarf besteht? Aber die Dorferneuerung wird aufgestockt. „Rote Dächer in Potemkin’schen Dörfern“ statt Förderung des Lebens und der Produktion im ländlichen Raum.

(Beifall bei der LINKEN - Frau Brakebusch, CDU: Ja, ja, ja! - Weitere Zurufe von der CDU)

Apropos umschichten. - Ja, es melden sich gerade die Richtigen.

(Heiterkeit bei der LINKEN - Unruhe bei der CDU)

In Sachen Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit ist es schon bedenklich, wie hier wieder einmal am Parlament vorbei gearbeitet wird. Möglich wird dieses undurchsichtige „Umtopfen“ allerdings erst durch eine parlamentarische Mehrheit,

(Frau Brakebusch, CDU: Das ist so!)

die die Landesregierung durch einen Haushaltsvermerk ermächtigt hat, die EU-Gelder global einzusetzen. So weit, so gut. So etwas darf nicht genehmigt werden, zumindest nicht ohne Rechenschafts- und Informationspflicht für die Landesregierung. Es ist fraglich, ob eine derartige Mittelumschichtung ohne Parlamentsbeteiligung erfolgen kann oder ob der Antrag bis 30. September nur die Kommission um eine Schwerpunktänderung bitten darf. Wenn die EU-Kommission ihr Okay geben sollte, dann vergeht etwa ein weiteres halbes Jahr. Also: Statt eines inhaltlichen Um

steuerns wird es nur ein fiskalisches Umschichten geben.

Dabei zeigen die noch moderaten Evaluationen zur Halbzeit, dass bei der Programmierung der operationellen Programme schon einiges schiefgegangen ist. Schauen wir in den EPLR. Der Schwerpunkt 2 - Agrarumweltmaßnahmen - ist vollkommen unterbelichtet. Hier müsste es um Artenvielfalt, um die Umsetzung des Programms Natura 2000 und um die Wasserrahmenrichtlinie gehen. Stattdessen begünstigen die Maßnahmen in diesem Schwerpunkt eine marktangepasste Monokultur - ich nenne die Stichworte Mais und E 10 - und Tierkonzentrationen, die in der Bevölkerung kaum noch Akzeptanz finden.

Während man sich in akademischen Runden austauschte, welcher Fonds welche Maßnahme finanzieren sollte, zum Beispiel der ELER die KitaSanierung, stellt sich vielmehr die Frage, ob eine Kofinanzierung überhaupt möglich ist, oder zugespitzter, ob diese Maßnahme gewollt ist, wenn sie nicht abrufbar ist.

In Windeseile muss die EU-Kommission jetzt die Änderungen im EPLR bekommen. Dem regionalen Begleitausschuss zum ELER wird schnell noch zum Abnicken der fertige Änderungsantrag vorgelegt; denn die Zeit drängt, obwohl die Probleme der Landesregierung bekannt waren und die Interessenvertreterinnen schon lange darauf hinwiesen.

Das stimmt, die Zeit drängt, auch die Redezeit.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Verordnungen zu den EU-Fonds schreiben eine Beteiligung der Öffentlichkeit vor, die endlich eingehalten werden muss. Die Sitzungen und die Protokolle der Begleitausschüsse müssen öffentlich sein; die Protokolle müssen im LIV veröffentlicht werden. Der Landtag hat Informationsrechte zur Programmumsetzung.

Ebenso gehören die Halbzeitbilanzen ins LIV und nicht ins Nirwana des World Wide Web zur Rechercheerprobung der Referentinnen und Referenten. Ansonsten hätte nämlich Professor Böhmer Recht gehabt, als er aus dem Landtag ein Teilzeitparlament machen wollte.