Heute sieht man auf den Magida-Demos in Magdeburg Schilder mit der Aufschrift „Rassenmischung ist Gotteslästerung!“, und das Magida-FacebookProfil trägt das Foto von Sigrid Schüßler. Besorgtes Bürgertum ist das lange nicht mehr - wenn es das denn jemals gewesen ist. Da marschiert - das muss man auch aussprechen - ein harter Nazikern, und das ist durch nichts zu entschuldigen.
Die Ewiggestrigen marschieren übrigens auch für das Vergessen und gegen eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Der umstrittene Historiker Ernst Nolte hat 1986 in seinem „FAZ“-Artikel „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ den Historikerstreit ausgelöst. Aber Drittes Reich und Holocaust sind eine Vergangenheit, die nicht vergehen darf, weil die Auseinandersetzung mit dem
Das ist dieser Tage auch ein Thema, wenn man über Tröglitz spricht. Die wenigsten wissen - und ich muss sagen, ich wusste es bis vor Kurzem auch nicht -, dass in Rehmsdorf bei Tröglitz ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald war. Tröglitz war eine Arbeitersiedlung der Brabag. Das KZ war das Arbeitslager zum Werk. Es war hier wie an vielen Stellen im Nazireich: ohne Häftlinge keine Produktion. Vernichtung durch Arbeit war das Prinzip, auch beim Einsatz der Rehmsdorfer KZ-Insassen in Tröglitz.
In der Bevölkerung hieß es „das Judenlager“. Die Häftlingszahlen, die Historiker aus SS-Dokumenten bislang zusammengestellt haben, variieren zwischen unglaublichen 6 641 und 8 572 Menschen. Mehr als 5 000 jüdische KZ-Häftlinge starben in Tröglitz und Rehmsdorf oder wurden als arbeitsunfähig eingestuft und in die Gaskammern von Auschwitz geschickt.
Bis heute fehlt eine umfassende wissenschaftliche Erforschung, die das Leben und Sterben der Häftlinge, aber auch das Verhalten der Dorfbevölkerung in den Blick nimmt. Wen die Schilderung eines Augenzeugen interessiert, der findet sie in dem „Roman eines Schicksallosen“ des damals 50-jährigen Literatur-Nobelpreisträgers Imre Kertész.
Nun kann man aus der Geschichte des Ortes natürlich nicht direkt auf den Brandanschlag schließen. Man kann aber sagen, dass mehr Aufarbeitung der Vergangenheit die Sinne viel stärker für die Notwendigkeiten der Gegenwart schärft.
Wer sich damit beschäftigt und wer rückwärts betrachtet sieht, wie dort Menschen umgebracht wurden, der wird vielleicht heute eher zu der Verantwortung stehen, Menschen zu helfen. Deshalb bin ich sehr dafür, dass wir die Gedenkstätte für das KZ-Außenlager in Rehmsdorf in die Gedenkstättenstiftung des Landes aufnehmen.
Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung trägt den Titel „Zukunft gibt es nur gemeinsam - Hilfe geben, Verantwortung wahrnehmen, Menschlichkeit bewahren“. Das ist ein richtiger Titel. Denn denen zu helfen, die der Hilfe bedürfen, ist eine Frage humanitärer Verantwortung. Oder anders formuliert: Was würde es über uns als Menschen, über uns als Land aussagen, wenn wir denen, die Hilfe suchend zu uns kommen, die Tür wiesen?
Wir stehen zu dieser unserer humanitären Verantwortung. Das Recht auf Asyl steht nicht zur Debatte und wird nie zur Debatte stehen. Der demokratische Rechtsstaat beurteilt Menschen nicht nach ihrer Nützlichkeit. Wer aufgrund von Krieg, Ver
treibung, politischer, religiöser oder sexueller Verfolgung aus seiner Heimat fliehen muss, der wird auch weiterhin bei uns Zuflucht und Hilfe finden.
Das, meine Damen und Herren, ist übrigens keine Verpflichtung, die uns von außen auferlegt wird, das ist eine innere Haltung, das ist eine demokratische Haltung. Ich bin, wie alle hier, eine überzeugte Demokratin. Deshalb gilt für uns der Satz, der heute schon mehrfach zitiert worden ist, als Grundlage für unser Zusammenleben: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Dieser Satz gilt für jeden Menschen, egal ob er aus Dresden, Magdeburg, Leipzig, Erfurt, aus Deutschland, Syrien oder Nordafrika kommt. Mensch ist Mensch und als solcher soll er oder sie auch behandelt werden.
Wir neigen schon manchmal dazu, die Debatte nach dem Motto „die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ zu führen. Das gilt auch für die Frage, wer hier leben darf, wer zu uns kommen darf.
Ich war gemeinsam mit dem Kollegen Steinecke in der letzten Woche im Norbertusgymnasium. Wir haben dort mit jungen Menschen aus den 9. bis 11. Klassen über dieses Thema diskutiert. Ich bin nicht überrascht, weil ich selbst Kinder in diesem Alter habe und weiß, wie darüber diskutiert wird. Es ist überaus positiv, dass diese Diskussionen überhaupt nichts mit dem Thema Geld zu tun hatten. Es ging ausschließlich darum, dass wir offen sein müssen für die Menschen, die aus Not hierher kommen.
Ich glaube, das ist ein wirklich gutes Zeichen, dass die nachwachsende Generation anders an dieses Thema herangeht und offen ist. Wir müssen uns davor hüten, die Menschen nach Nützlichkeit zu beurteilen. Es gibt immer unterschiedliche Gründe, weshalb Menschen hierher kommen. Wir müssen für beides offen sein.
Wir müssen auch - das hat heute überhaupt noch nicht Einfluss in die Debatte gefunden - einmal die Stichworte nennen, die in unserer Debatte um Flüchtlingspolitik, um Hilfe für Asylsuchende, um Zuwanderung vernachlässigt worden sind. Was ist denn mit Friedenpolitik auf der Welt? Wo gibt es sie denn noch?
Ja, wir müssen zwangsläufig aus unterschiedlichen Gründen mehr Menschen bei uns aufnehmen. Das können wir als Gesellschaft auch. Aber wir müssen auch schauen, dass die Länder entweder lebenswert werden oder bleiben, die an anderer Stelle auf dem Erdball sind. Beides gehört dazu. Das gerät vor der aktuellen Diskussion über die Fragen „Wie schaffen wir das? Wie bewältigen wir das hier bei uns?“ sehr oft in Vergessenheit.
Ja, Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das ist die Realität. Wir haben schon lange nicht mehr die Frage zu diskutieren, ob wir Einwanderung zu verzeichnen haben, sondern es geht darum, wie wir sie gestalten und wie wir diejenigen aufnehmen, die zu uns kommen, wie wir Einwanderung als kulturelle Bereicherung verstehen und wie wir Willkommenskultur gestalten.
Das gilt übrigens nicht nur für diejenigen, die das mit dem Herzen wollen. Das gilt auch für diejenigen - das ist ein großer Teil der Gesellschaft; man muss so ehrlich sein, das einzugestehen -, die sich dem Thema Asyl, Zuwanderung und Einwanderung eher verstandesmäßig nähern. Denn der Satz „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ ist nicht nur eine Realitätsbeschreibung, er ist - ja, damit haben Sie Recht, Herr Ministerpräsident - auch eine Notwendigkeit - nicht nur, aber auch.
Ja, Zukunft gibt war es nur gemeinsam. Die Demografie lässt grüßen. Wir brauchen den Zuzug von Arbeitskräften, von Menschen, sonst - das will ich einmal ganz ketzerisch sagen - ist das Wirtschaftswunder Bundesrepublik irgendwann nur noch eine historische Fußnote, aber keine Zukunftsperspektive mehr. Das gilt für diejenigen, die sich dem Thema vielleicht nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Verstand nähern. Das ist ein Aspekt, den wir berücksichtigen müssen.
Natürlich stellt sich die Frage: Kommen denn die dringend benötigten Menschen überhaupt zu uns? Wollen sie überhaupt noch zu uns kommen? - Das wird davon abhängen, welche Bedingungen sie antreffen, wie weltoffen sich Sachsen-Anhalt in den kommenden Jahren präsentiert. Das heißt, von der Attraktivität unseres Landes hängt auch unser eigener künftiger wirtschaftlicher Erfolg ab. Natürlich, auch das ist eine Wahrheit.
In einer Welt, in der es keine wirtschaftlichen Grenzen mehr gibt, ist Weltoffenheit ein Standortfaktor, und zwar einer sehr harter Standortfaktor. Denn wer will schon an einem Ort arbeiten, an dem er Angst haben muss, dass ihm das Dach über dem Kopf angezündet wird? Wer will schon mit einem Unternehmen Geschäfte machen, wenn der Ort, in dem das Unternehmen ansässig ist, als fremdenfeindlich verschrien ist? Wie will man denn ausländische Investoren gewinnen, wenn die sich zu Hause am Küchentisch dafür rechtfertigen müssen, dass sie ihr Geld zu Rassisten tragen? - Ich habe das jetzt einmal überspitzt.
Niemand will das und niemand kann das wollen. Deshalb: Lassen Sie uns das Land Sachsen-Anhalt zu einem Land mit einer Willkommenskultur
Ja, meine Damen und Herren, zur Realität gehört auch: Helfen wollen ist das eine; helfen können ist das andere. Denn die Hilfe für die Unterbringung von Flüchtlingen trifft auf ganz praktische Herausforderungen vor Ort; das ist so. Viele Kommunen stehen nicht nur vor der Frage, wo sie die Flüchtlinge unterbringen. Sie sind auch mit steigenden Kosten konfrontiert. Wir müssen die Kommunen deshalb in die Lage versetzen, helfen zu können.
Wir stehen bei ihnen im Wort. Der Finanzminister hat in seiner Haushaltsrede zugesagt, dass wir höhere Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen ausgleichen werden. Wir werden gemeinsam auch Wort halten.
Die Landesregierung, also der Innenminister, der Finanzminister und der Sozialminister, haben sich in der letzten Woche mit den Kommunen zusammengesetzt. Das Ziel ist die auskömmliche Finanzierung der Landkreise und kreisfreien Städte im Zusammenhang mit Asylfragen.
Dazu gibt es diese interministerielle Arbeitsgruppe. Sie haben sie als Taskforce bezeichnet, Herr Ministerpräsident. Ich finde, das ist sehr begrüßenswert; denn das ist praktische Flüchtlingspolitik. Die brauchen wir auch.
Für uns, für alle in der Koalition ist es unstrittig, dass die Kommunen die Kosten erstattet bekommen. - Punkt 1.
Es ist ebenso wichtig, dass die Kostenerstattung unbürokratisch und unkompliziert funktioniert. - Das ist Punkt 2. Denn die Menschen stehen ganz real vor der Tür. Sie brauchen Essen, sie brauchen Unterkunft und sie brauchen Betreuung. Die Kosten entstehen sofort.
Deshalb - das kann ich Ihnen nicht ersparen, meine Herren und Damen von der Koalition - bin ich nicht bei der Aussage des CDU-Generalsekretärs Peter Tauber, der sagte, Geld löst die Flüchtlingsprobleme nicht. Isoliert betrachtet, mag der Satz noch stimmen. Aber Geld löst zumindest erstmal das Problem der Kommunen vor Ort, damit umzugehen. Das ist ein Teil der Lösung.
Deshalb muss sich die gesamte Bundesregierung einen Kopf darüber machen, wie sie das umsetzen kann, was Sigmar Gabriel zu Recht angesprochen hat, als er vor Ort war und was er mit dem Ministerpräsidenten besprechen wird, nämlich dass wir allesamt vom Bund zusätzliches Geld brauchen werden. Das ist eine internationale Aufgabe, das ist eine kommunale Aufgabe und dazwischen steht das Geld. Deshalb brauchen wir zusätzliches Geld
Lassen Sie mich zum Abschluss zu einem Thema kommen, das dieser Tage zu Recht die Schlagzeilen beherrscht, nämlich zum Umgang mit übervollen Flüchtlingsbooten im Mittelmeer.
Wir, meine Damen und Herren, führen oft große Debatten zu Europa. Wir sind stolz auf die Errungenschaften der europäischen Einigung - zu Recht! Wir haben uns mit den EU-Verträgen eine Grundlage gegeben, in der unter anderem zwei Dinge stehen:
Erstens. Dieses Europa steht auf der Grundlage der unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen auf Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit.
Zweitens. Dieses Europa hat sich zum Ziel gesetzt, die Solidarität zwischen seinen Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken.
Aber Menschenrechte, meine Damen und Herren, gelten nicht nur für Europäerinnen und Europäer. Solidarität mit den Völkern endet nicht an den Außengrenzen der EU. Deshalb bleibt nicht viel von dem Stolz auf die Errungenschaften, wenn wir in Europa nicht endlich zu einem menschwürdigen Umgang mit den Flüchtlingen im Mittelmeer kommen.
Hunderte von Toten können nicht für ein Europa der Freiheit und der Menschenrechte stehen. Wenn wir weiter tatenlos zuschauen, brauchen wir über Willkommenskultur gar nicht mehr zu reden. Deshalb sind mehrere Dinge schnellstens zu klären und umzusetzen.
Ja, es muss wieder eine maritime Rettungstruppe geben, sie muss aufgestellt werden, um künftige Katastrophen im Mittelmeer wirksam zu verhindern. Es ist tragisch, dass die Operation „Mare Nostrum“ ausgelaufen ist. „Triton“ unter der Führung von Frontex ist offenbar nicht dafür geeignet.
Und ja, am besten wäre es, wir brauchten diese Truppe gar nicht. Damit kommen wir zum nächsten Punkt. Gegen die Schlepperbanden muss entschiedener vorgegangen werden. Das ist ganz deutlich. Dazu gehört aber auch unmittelbar die Einsicht, dass die Durchgangsländer wie Libyen, Tunesien und Marokko Hilfe brauchen.
Es geht nicht um das Weghalten - Sie schütteln den Kopf -, sondern es geht darum, dass Flüchtlinge erst gar nicht in ein solches Boot steigen müssen. Vielmehr sollte auch dort schon geregelt werden können, wohin sie gehen, um Asyl zu bekommen.
- Ja, natürlich ist das dann eine Fähre und kein Flüchtlingsboot mehr. Aber dafür müssen ja Voraussetzungen geschaffen werden.