Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich kann Ihnen versichern: Es kann auch wehtun, an dieser Stelle zu diesem Thema reden zu müssen.
Die Aktuelle Debatte zum Thema „Entgeltgleichheit verwirklichen - Lohnlücke endlich schließen“ findet im Kontext des in diesem Jahr auf den 20. März festgesetzten Equal-Pay-Days statt.
Dieser Tag bewegt sich alljährlich im Spannungsfeld zwischen Bemerkungen wie „Was ist denn das?“ oder „Was soll denn das?“ in Teilen der Bevölkerung auf der einen Seite und einer umfangreichen medialen Aufmerksamkeit und Berichterstattung, verbunden mit politischen Forderungen und Bewertungen, auf der anderen Seite.
Eine Tageszeitung unseres Einzugsbereichs titelte am 21. März 2015 auf der Seite 4 unter der Rubrik „Meinung und Debatte“ wie folgt: „Schwesig kämpft für Lohngleichheit - Familienministerin Schwesig will noch in diesem Jahr Gerechtigkeit per Gesetz erreichen“. Darunter Fragen und Antworten unter der Überschrift „Auf den ersten Blick ist die Lohnlücke recht groß“ sowie unter der Rubrik „Kommentare“: „Tabus sind schwer zu brechen“.
Auch hierin spiegelt sich ein gewisses Spannungsfeld wider: Die Gesetzesinitiative wird zwar vorgestellt, gleichzeitig wird aber auch vorgeschlagen, eine breite gesellschaftliche Debatte zu dieser Problematik anzuregen.
Die Begründung der SPD-Fraktion zur Aktuellen Debatte schließt sich natürlich der Forderung nach gesetzlichen Regelungen an, um damit dem Prinzip „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ mehr Geltung zu verschaffen. Die Herstellung von Transparenz sei eine wichtige Voraussetzung für
In ihrem Koalitionsvertrag auf der Bundesebene haben sich CDU und SPD darauf verständigt, in dieser Legislaturperiode deutliche Schritte in Richtung gesetzlicher Sicherung der Lohngerechtigkeit zu tun.
Die Vorsitzende der Frauen-Union der CDU Deutschland Frau Professor Maria Böhmer gab am 20. März 2015, also am Equal-Pay-Day, eine Pressemitteilung heraus mit der Überschrift „Tarifverträge müssen auf den Prüfstand“. Sie fordert - ich zitiere auszugsweise - Folgendes:
„Wir brauchen jetzt eine gesetzliche Regelung, die Unternehmen ab 500 Beschäftigten dazu verpflichtet, die Höhe der Lohnlücke offenzulegen. Zusätzlich gehören die 60 000 Tarifverträge auf den Prüfstand. Das Problem der strukturellen Lohndiskriminierung müssen Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam beseitigen.“
„Damit sich Arbeitsbewertungen ändern, brauchen wir mehr Frauen in den Tarifkommissionen. Denn dort wird entschieden, ob schweres Heben in der Pflege genauso viel wert ist wie schweres Heben auf dem Bau. Alle Mitglieder von Tarifkommissionen müssen stärker für Fragen der Entgeltgleichheit sensibilisiert und geschult werden.“
Dieser letzte Aspekt, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, geht weit über eine rein gesetzliche Regelung hinaus.
Als wir uns in der Enquete-Kommission „Öffentliche Verwaltung konsequent voranbringen - bürgernah und zukunftsfähig gestalten“ intensiv mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit befasst haben, wurde deutlich, wie viele Hürden in den Köpfen zu überwinden sind, um Frauen überhaupt erst einmal Chancen einzuräumen. Männlich dominierte Bewerbungsgesprächsrunden oder Beurteilungen durch männliche Chefs können die Karriere einer Frau entscheidend beeinflussen, ohne dass man oder frau jemandem direkt einen Vorwurf machen könnte.
Wir alle kennen folgende Sätze: Wenn ein Mann klare Kante zeigt, ist er ein Entscheider; wenn eine Frau durchgreift, ist sie zickig. Solche Einstellungen können die Beurteilung einer Frau negativ beeinflussen, wenn sie sich im Unterbewusstsein abspielen und nicht reflektiert werden. Neue Wege in der Personalarbeit müssen sich mit männlich geprägten Anforderungsprofilen und Beurteilungskriterien auseinandersetzen, damit diese nicht von vornherein Frauen benachteiligen. Wenn dies nicht
geschieht, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn Frauen in bestimmten Chefetagen nicht ankommen, was natürlich auch Auswirkungen auf ihre Entlohnung hat.
Im Übrigen kennen wir diese Problematik auch umgekehrt in anderen Lebenszusammenhängen, wenn zum Beispiel männliches Verhalten bei Jungen sanktioniert wird, weil der überwiegende Teil der Bezugspersonen in Kitas und Grundschulen weiblich ist.
Damit komme ich zu einem weiteren möglichen Grund für Lohnunterschiede bei Männern und Frauen. Frauen haben inzwischen häufig gute bis sehr gute Schulabschlüsse und sind oft sehr gut ausgebildet. Da für sie aber - zum Glück für die Demografie - die Familienfreundlichkeit eines Arbeitsplatzes im Sinne von Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine große Rolle spielt, kann es zum Beispiel sein, dass es eine Ärztin oder eine Juristin vorzieht, einer geregelten Arbeit in einem Krankenhaus oder in einer Behörde nachzugehen,
womit ebenfalls Einkommenseinbußen verbunden sein können, und zwar trotz eines gleichwertigen Studienabschlusses. In solchen Fällen trägt die Herstellung von Transparenz überhaupt nichts zur Verbesserung des Einkommens im Vergleich mit einem freiberuflich tätigen Kollegen bei.
In der Begründung zur Aktuellen Debatte wird auf weitere Gründe für die erheblichen Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen hingewiesen, unter anderem auf die unterschiedliche Branchen- und Berufswahl. Wir versuchen in SachsenAnhalt seit Jahren, durch Girls‘ Days oder Zukunftstage, durch die Stärkung der MINT-Fächer, durch Berufspraktika und andere Maßnahmen Mädchen für die Arbeitsplätze zu begeistern, die ihnen dann auch ein gutes Einkommen sichern. Dennoch zählt der Ausbildungsberuf der Bürokauffrau noch immer zu den beliebtesten, entscheiden sich viele junge Frauen für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen, für die die Bezahlung leider traditionell schlechter ist als in Handwerk, Wirtschaft oder Industrie.
Gleiches gilt für die Teilzeitarbeit oder für die biografisch bedingten Unterschiede durch Auszeiten bei Geburt und Kinderbetreuung, die nicht nur benachteiligen bei Betriebszugehörigkeit oder Boni, sondern auch Auswirkungen auf die spätere Rentenhöhe haben und zu Altersarmut führen können.
In dem Maße, in dem zunehmend auch Männer Familienzeit nehmen, wird sich in diesem Bereich zumindest auf lange Sicht vielleicht etwas ändern. Nicht überall können Staat und Politik Abhilfe schaffen. Chancengleichheit ist eben nicht identisch mit Ergebnisgleichheit.
In einem Leserbrief zu diesem Thema habe ich die folgende Äußerung gefunden: Warum können bestimmte Leute die Menschen nicht einfach so leben lassen, wie sie leben wollen - das geht auch in die Richtung von Herrn Gallert - und die Entscheidungen und Vereinbarungen respektieren, die sie treffen?
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dies kann und muss gelten, solange eine Frau wirklich die Wahl hat und solange wie gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit tatsächlich auch gewährleistet ist.
In unserer heutigen Debatte haben wir jedoch die Bereiche im Blick, um die wir uns tatsächlich kümmern müssen oder um die wir uns schon gekümmert haben.
In ihrer Regierungserklärung mit dem Thema „Sachsen-Anhalt auf dem Weg zu mehr Gleichstellung“ hat Frau Ministerin Kolb eine Vielzahl von Initiativen und wichtigen Punkten aufgelistet. Sie hat auch darauf hingewiesen, dass Gleichstellung eine Querschnittsaufgabe ist.
Damit bin ich wieder an dem Punkt angelangt, den ich bereits erwähnt habe: Neben praktikablen gesetzlichen Regelungen muss sich das Bewusstsein ändern, und zwar sowohl bei den Frauen, die sich mehr zutrauen und ihre Rechte mehr in bisher eher männlich dominierten Gremien wahrnehmen sollten, um Veränderungen selbst mit herbeiführen zu können, als auch in der Gesellschaft, die dafür sorgen muss, dass Ungleichheit in der Bezahlung beseitigt wird.
Transparenz ist auch im Hinblick auf die gerechte Eingruppierung und auf die Verteilung von Leistungszulagen oder Sonderzahlungen und Aufstiegsmöglichkeiten nötig und geboten. Maria Böhmer formulierte es wie folgt: Wir müssen jetzt Nägel mit Köpfen machen!
Der Wert von Arbeit darf keine Frage des Geschlechts sein. Daher darf es bei gleicher Arbeit und Leistung keinen Lohnunterschied zwischen Mann und Frau geben. Dieser Grundsatz muss eine klare Zielvorgabe für die beteiligten Tarifpartner sein, die in gemeinsamer Verantwortung Löhne und Arbeitsbedingungen gestalten, so die Forderung von Karl Schiewerling, dem arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Zu dieser gemeinsamen Verantwortung gehört auch, meine Damen und Herren, dass Entgeltgleichheit ein ständiges Thema in Tarifverhandlungen sein muss, ebenso wie nachvollziehbare Vergütungsstrukturen in Verbindung mit transparenten Bewertungsverfahren.
hörden und in den Betrieben aktiv diskutiert werden. Hilfe leisten können dabei Instrumente für Unternehmen oder Betriebs- und Personalräte, mit deren Hilfe geprüft werden kann, ob in dem Unternehmen beide Geschlechter diskriminierungsfrei bezahlt werden oder nicht.
Ebenso muss darüber nachgedacht werden, wie es gelingen kann, die typischen Frauenberufe finanziell mehr anzuerkennen. Letztendlich profitieren von den Sozial- und Pflegediensten wir alle, Frauen wie Männer.
Lassen Sie mich zum Abschluss in den letzten elf Sekunden zur Aktuellen Debatte mit den Worten einer Sozialpolitikerin enden: Entgeltgleichheit verwirklichen - dabei sollten wir nicht nur an Frauen und Männer denken. Vergessen wir nicht andere Gruppen von Menschen, die mit ähnlichen Benachteiligungen zu kämpfen haben, seien es Menschen mit Behinderungen oder Menschen mit Migrationshintergrund.
Danke schön, Kollegin Gorr. - Als nächste Rednerin spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Fraktionsvorsitzende Frau Professor Dr. Dalbert.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, nach der Debatte ist eines klar: Ich teile die Zweifel all derer, die sagen, bei der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen sind wir uns alle in Sonntagsreden einig. Aber ob wir uns dann auch wirklich im politischen Handeln einig sind, daran habe ich ein ganz großes Fragezeichen.
Wissen Sie, Frau Gorr, meine Verantwortung ist Politik, und in der Politik stellen wir die Leitplanken für das Leben, innerhalb derer sich Menschen frei entscheiden, wie sie leben wollen. Deshalb: Das Bewusstsein ist nicht mein Job. Aber das Sein bestimmt das Bewusstsein. Deswegen müssen wir, denke ich, schauen, dass wir die Leitplanken so stellen, dass am Ende tatsächlich auch die Möglichkeit der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen besteht.
Viele junge Frauen haben heute das Gefühl, ihnen steht die Welt offen, alles ist möglich, sie können alles werden. Das ist gut so. Es zeigt ja auch, dass sich über die letzten 100 Jahre etwas verändert hat. Aber es ist eben auch so, dass diese jungen Frauen dann irgendwann in ihrem Berufsleben, auf
ihrem Karriereweg mit Rahmenbedingungen konfrontiert werden, die dazu führen, dass sie am Ende nicht so viel verdienen, wie ihre männlichen Kollegen; dies trotz der viel besseren Schulabschlüsse der Frauen.
Und, Herr Gallert, ja, die Entgeltlücke ist im Osten kleiner als im Westen. Aber ich bin nicht so sicher, dass wir darauf stolz sein sollten. Denn ich bin davon überzeugt, dass das nur zum Teil an der höheren Erwerbstätigkeit der Frauen im Osten im Vergleich zum Westen liegt, worauf Sie abgehoben haben. Ich denke, ein ganz großer Teil geht auch darauf zurück, dass wir im Osten nicht die großen Konzernzentralen haben, nicht die großen Banken haben. Wie wir wissen, sind gerade diese Leitungspositionen überwiegend mit Männern besetzt. Das trägt natürlich auch zu der Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen bei.
Lassen Sie uns einmal Revue passieren, woran diese Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen liegt. Die Ministerin hat schon gesagt: Da gibt es einen ganzen Katalog von Maßnahmen. Aber ich denke, es macht Sinn, sich diese Maßnahmen anzusehen, weil Sonntagsreden uns, wie gesagt, nicht helfen. Man muss die Leute an ihren Taten messen. Man muss halt schauen, was man in einem Land so alles machen könnte, wo Landesverantwortung liegt, dann hat man genau die Punkte, an denen man sehen kann, wie ernst es den einzelnen Fraktionen mit der Entgeltgleichheit ist.
Ein erster Blick auf die Arbeitsmarktdaten. Dabei stellen wir fest: Nur jeder zehnte Mann arbeitet in Teilzeit, aber 43 % der Frauen. Die Frauen stellen 60 % der geringfügig Beschäftigten und der Minijobber. Hinzu kommt, dass mittlerweile jedes zweite neue Arbeitsverhältnis befristet ist, die Hälfte davon sachgrundlos.
Was heißt das? - Die öffentliche Hand und die Betriebe übertragen ihr wirtschaftliches Risiko auf die privaten Biografien, auf die Biografien der Beschäftigten. Für die Frauen sind die Folgen klar: Unsicherheit, fehlende Lebensplanung, wenig Weiterbildung, drohende Arbeitslosigkeit und am Ende geringere Renten.
Darum sagen wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass man im Teilzeit- und Befristungsgesetz die sachgrundlose Befristung abschaffen muss, damit eben gerade Frauen eine bessere Lebensplanung und einen besseren beruflichen Aufstieg haben können.