Weil wir das gemeinsam nicht vernünftig öffentlich besprochen und darüber gestritten haben, wie es in einer Demokratie üblich ist, ist die Bevölkerung bei diesem Thema nicht mitgenommen worden, sondern ist auf einem Standpunkt stehengeblieben, der von der Lebenswirklichkeit überholt ist. Und weil dies so ist, wie es ist, bestehen Ängste bei der Bevölkerung. Sie alle kennen die Geschichte vom Rattenfänger von Hameln.
Herr Präsident, ich möchte eine grundsätzlichere Frage stellen. Wenn ich mir diese Debatte anhöre, dann haben wir auf der einen Seite die Menschen, die zu uns kommen, weil sie vor Diskriminierung fliehen, vor Kriegen fliehen, und hier um Asyl nachsuchen. Auf der anderen Seite führen wir eine Debatte über Zuwanderung, über die Frage, ob wir ein Zuwanderungsgesetz brauchen, bei der es um
Nützlichkeitskriterien geht, also um die Frage: Welche Berufe brauchen wir und brauchen wir gezielte Zuwanderung?
Meine Frage, die sich daran anschließt lautet: Herr Stahlknecht, können Sie sich auch vorstellen, dass es Menschen gibt, die sehr viel Verständnis dafür haben, dass Menschen schlicht und einfach zu uns kommen, weil sie schlechten Lebensverhältnissen entfliehen wollen, und dass das Verständnis dafür daraus erwächst, dass wir alle in einem Land leben, in dem es uns allen sehr gut geht, selbst denen, denen es schlecht geht, geht es, gemessen an vielen Menschen in der Welt, noch gut.
Wir alle können nichts dafür, dass wir in diesem Land leben. Das ist ein Schicksal, das uns geschenkt worden ist. Das ist vielleicht auch ein Schicksal, das an der Stelle zu etwas mehr Demut in der Haltung gegenüber Menschen auffordert, die zu uns kommen, weil sie einfach ein besseres Leben haben wollen.
Frau Dalbert, ich habe für die Menschen, denen es in dem Land, in dem sie leben, aus welchen Gründen auch immer, wirtschaftlich schlecht geht und die zu uns kommen, weil sie die Hoffnung haben, es hier besser zu haben, vollstes Verständnis, weil das, was sie tun, zutiefst menschlich ist. Das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite habe ich aber auch Verständnis dafür - an dieser Stelle gehen unsere Meinungen auseinander -, dass ein Staat - nicht nur Deutschland - sagt, er kann nicht alle aufnehmen, denen es woanders schlechter geht und die der Auffassung sind, bei uns geht es ihnen vermeintlich besser. An diesem Punkt haben wir unterschiedliche Meinungen.
Für diejenigen, die außerhalb eines Asylgrundes zu uns kommen, brauchen wir eine Steuerung über eine gezielte Zuwanderung, bei der meinetwegen solche Dinge berücksichtigt werden können. Aber wir können am Ende nicht mit der Argumentation, uns ginge es so gut, alle aufnehmen, die zu uns kommen wollen. Das kann nicht funktionieren und das würde, glaube ich, am Ende auch zu einem Zusammenbruch eines Systems führen, weil dies finanziell nicht mehr aufgefangen werden kann.
Die Menschen müssen, wenn sie hierherkommen, einen Arbeitsplatz haben, sie müssen arbeiten, um Sozialversicherungsbeiträge zahlen zu können.
Ich habe dazu eine Nachfrage. Das Recht eines Staates, die eigene Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten, erkenne auch ich an. Es ist klar, dass man vor diesem Hintergrund zu einer Regulierung kommen muss. Für mich stellt sich aber die Frage, ob man in bestimmten Grenzen Armut als Einwanderungsgrund anerkennt oder ob man sagt, dies kommt für uns überhaupt nicht infrage, völlig unabhängig von der Anzahl der Zuwanderer. Die Funktionsfähigkeit hängt ja von der Anzahl ab.
Machen wir es einmal andersherum: Das ist eine Debatte, die wir hier nicht abschließend führen können. Ich bin der Auffassung, wir brauchen ein anderes, wie auch immer geartetes, Zuwanderungsrecht.
Man kann sicherlich solche Erwägungen, wie Sie sie vornehmen, berücksichtigen. Ich will mich dagegen gar nicht sperren, aber man muss sie vernünftig einarbeiten. Aber selbst innerhalb dieser Gruppe muss es eine Steuerung geben, damit die Leute, die von dort zu uns kommen, eine realistische Chance haben, hier zu arbeiten. Das ist das Entscheidende. Es geht hierbei nicht nur um akademische Berufe oder darum, dass jemand etwas hochfiligran bearbeiten kann.
Wir brauchen eben auch den, der im Sommer auf dem Erdbeerfeld pflücken geht. Wir wollen nicht, dass er durch illegale Schleuser zu uns kommt, sondern wir wollen, dass er vernünftig verdient.
Darüber kann man reden. Ich bin ein Verfechter der Ansicht, dass wir in Deutschland ein Zuwanderungsrecht brauchen, das reguliert.
Vielen Dank. - Die Fünfminutendebatte eröffnet für die SPD-Fraktion der Kollege Wanzek. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wirklich sehr ambitioniert, in fünf Minuten quasi eine Generaldebatte über das Thema führen zu wollen. Deswegen beantrage ich für die Koalitionsfraktionen gleich vorab, den Antrag in die Ausschüsse für Arbeit und Soziales sowie für Inneres und Sport zu überweisen.
Die Pegida-Aufmärsche und ihre Ableger haben in den letzten Wochen und Monaten in der Tat die Auseinandersetzung und die Diskussion über die Integration deutlich verschärft. Aber für die SPD steht fest: Vor allem in Zeiten, in denen durch Krieg und Terror die Zahl der Flüchtlinge gestiegen ist, dürfen wir in Europa, in Deutschland und auch in Sachsen-Anhalt nicht unsere Türen schließen und den Flüchtlingen nicht das Gefühl geben, dass uns ihr Leid nichts angeht.
Auch ich habe mit Besorgnis registriert, wie zurzeit AfD und CSU versuchen, sich mit Stammtischparolen zu übertrumpfen. Ich würde den Kollegen der CSU gern mit einem Zitat begegnen, damit sie einmal darüber nachdenken, wie sie ihre Integrationspolitik gestalten. Ich zitiere:
„Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“
Das ist ein Zitat aus Levitikus 19, 33 und 34. Für die Protestanten unter uns: Das ist das Dritte Buch Mose.
Daraus leitet sich quasi ein besonderer Schutz für Flüchtlinge und Zuwanderer ab für alle die, die gern in christlicher Tradition Politik betreiben wollen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD ist der Meinung, dass Flüchtlinge unseren Schutz brauchen und Sachsen-Anhalt Zuwanderung braucht,
um sowohl wirtschaftlich als auch kulturell attraktiv zu bleiben. Wir wollen Flüchtlinge gut aufnehmen und ihnen ebenso wie anderen Zuwanderern Chancen auf Teilhabe von Anfang an durch Sprachförderung, Bildungsintegration, Qualifizierung und Arbeitsmarktintegration bieten.
Vor allem aber wollen wir das Zusammenleben in Sachsen-Anhalt gestalten sowie Begegnungen und Austausch ermöglichen.
Um das alles zu erläutern, fehlt mir angesichts der Begrenzung der Redezeit auf fünf Minuten leider die Zeit. Deswegen seien nur ein paar Stichpunkten genannt:
Erstens. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Sprache ist die wichtigste Voraussetzung für Integration.
Deswegen brauchen wir Zugang zu Sprachkursen unabhängig vom Bleibestatus. Daher müssen wir auch erreichen, dass die Sprachmodule der Integrationskurse dafür geöffnet werden. Diesbezüglich stehen wir in einem Dissens mit dem Minister.
Zweitens. Die SPD kann es sich durchaus vorstellen, den Erlass zu den Leitlinien zur Unterbringung nach dessen Evaluation weiterzuentwickeln und vor allem verbindlicher zu machen sowie insbesondere im Bereich der sozialen Betreuung genau hinzuschauen; denn für die durch uns favorisierte dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen ist ein Schlüssel von ungefähr 1 : 100 bei der sozialen Betreuung nicht ausreichend.
Drittens. Wir können uns auch eine Krankenkassenkarte für Flüchtlinge nach dem Bremer Modell vorstellen. Auch das haben wir hier schon gesagt.
Viertens. Wir kommen zum Bildungsbereich. Eine bessere soziale Integration und Sprachentwicklung sollen in den Schulen, aber auch in der frühkindlichen Bildung gefördert werden. Besonders neu zugewanderte Kinder können davon profitieren. Das Land und die Kommunen sind daher aufgerufen, Kindern mit Migrationshintergrund den Zugang zur frühkindlichen Bildung durch Information, aktive Elternarbeit und Angebote der Willkommenskultur zu erleichtern.
Im schulischen Bereich - darüber haben wir letztens auch erst diskutiert - steht fest, dass auch das Recht auf Bildung nur wahrgenommen werden kann, wenn ich dem Unterricht sprachlich folgen kann. Daher müssen wir auch hier die Sprachkurse sicherstellen. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass Gruppen mit Größen von mehr als 15 Schülern zielführend wären. Außerdem müssen wir sehen, wie wir diesen Unterricht absichern.
Uns fehlen die Lehrer mit Deutsch als Zweitsprache. Deswegen müssen wir schauen, ob wir auf Honorarbasis qualifizierte Kräfte finden oder Lehrkräfte mit ausländischen Qualifikationen einbeziehen können, um so deren muttersprachliche Kompetenzen nutzen oder sie in die ergänzende Qualifikation für Deutsch als Zweitsprache schicken zu können.
Um Zugewanderten den Zugang zur dualen Ausbildung eröffnen zu können, benötigen sie mehr Informationen zur Berufswahl und zum Bildungssystem sowie sprachliche Förderung und Begleitung beim Start der Ausbildung. Die Förderinstrumente der Bundesagentur für Arbeit und die ergänzenden Hilfen des Landes müssen erweitert und passgenau ausgerichtet werden, um hier Unterstützung leisten zu können.