Protocol of the Session on February 27, 2015

Wir haben es nicht nur mit einem anwachsenden Rassismus zu tun. Wir haben es auch mit einer Polarisation zu diesem Thema in der Gesellschaft zu tun.

Die Menschen haben auf eines einen Anspruch: Sie dürfen von uns Politikern erwarten, dass wir uns klar dazu positionieren, wo wir in dieser Debatte zwischen Weltoffenheit und Abschottung stehen. Das ist der Grund für unseren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Häufig wird die bedeutsame Frage gestellt: Soll man mit den Menschen, die auf die Straße gehen, über ihre Ängste reden? Dazu sagen wir: Natürlich, mit denjenigen Menschen, die wirklich mit uns reden wollen, werden wir auch reden.

Eines ist aber auch klar: Es ist eine zentrale Kernidentität von Pegida, Legida und Magida, dass Politik mit ihnen nicht redet. Wenn sie wirklich mit Politikern reden würden, würde ihre eigene Identität zusammenbrechen. Es gibt aber natürlich auch Menschen, die uns ansprechen und mit denen man reden sollte. Mit diesen Menschen sollte man auch über ihre Ängste reden.

Was sollen wir also tun? - Wir sollten zunächst einmal mit den Menschen reden, die Angst haben - die Angst haben, angegriffen zu werden, die Angst haben, weil sie eine andere Hautfarbe haben, missachtet zu werden, bedroht zu werden, vielleicht auch verletzt zu werden. Mit diesen Menschen, die Angst haben, mit den Migrantinnen und Migranten sowie mit den Flüchtlingen, müssen wir reden. Wir sollten schon allein deshalb mit diesen Menschen reden, damit sie merken, dass sie nicht allein sind, dass es Menschen gibt, die an ihrem Schicksal interessiert sind und dieses ändern wollen. Mit diesen Menschen müssen wir reden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir müssen auch mit den Menschen beispielsweise in Neu-Olvenstedt reden, die sagen: Wir wissen, dass syrische Flüchtlingsfamilien nach Magdeburg kommen werden; wir wollen diesen Menschen helfen, aber wir haben Angst, weil in den sozialen Medien Terror angekündigt worden ist und Terror ausgeübt worden ist. Diese Menschen müssen wir unterstützen und schützen, auch mit Mitteln des Staates. Solche Angriffe müssen mit aller Schärfe verurteilt werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Dann stellt man die Frage: Sollen wir mit den Menschen reden, die solchen Losungen zustimmen? - Das sind inzwischen nicht mehr diejenigen, die denen in Magdburg hinterherrennen; das ist der harte Hooligankern. Es gibt aber auch viele, die zu Hause sitzen und dem zustimmen. Da gibt es

natürlich interessante Fragen, die man diskutieren muss.

Bei den Demonstrationen in Dresden waren vor allem in der Anfangszeit viele Menschen im Alter zwischen 55 und 65 Jahren dabei. Diese Menschen haben Angst, und zwar berechtigte soziale Ängste. Sie wissen nämlich, welche Rentenerwartung sie haben. Sie haben Angst vor einem massiven sozialen Absturz.

Solche Existenzängste haben immer die Tendenz in sich, Sündenböcke zu suchen, jemanden zu suchen, den man leicht dafür verantwortlich machen kann. Dann werden auf einmal die Migranten dafür verantwortlich gemacht, dass die Menschen Angst davor haben, als Rentner kein abgesichertes Leben mehr führen zu können.

Wir müssen mit den Menschen darüber reden, dass es falsch ist, die Verantwortung dafür den Migranten zuzuschreiben, dass ihr Problem vielmehr Auswuchs einer Rentenpolitik ist, die das Rentenniveau auf 42 % ihres letzten Einkommens senken will. Das ist eine soziale Auseinandersetzung und soziale Konflikte müssen als soziale Konflikte geführt werden und dürfen nicht, wie so oft in der Geschichte Deutschlands, ethnisiert werden. Wer soziale Konflikte als soziale Konflikte führt, hat einen Beitrag gegen Rassismus geleistet, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir brauchen heute diese Grundposition einer jeden einzelnen Fraktion und der Landesregierung. Dann können wir darüber diskutieren, welche einzelnen Maßnahmen vernünftig oder unvernünftig sind. Dann können wir darüber diskutieren, warum es beispielsweise ein struktureller Fehler ist, das Studienkolleg in Halle zu schließen, wenn wir wirklich an Weltoffenheit interessiert sind.

Das möchte ich jetzt aber nicht tun. Ich möchte am Ende meiner Redezeit noch auf zwei kleine Probleme eingehen. Erstens. Die zentralen Organisatoren der Willkommenskultur sind die Kommunen bei uns in Sachsen-Anhalt. Diese brauchen Unterstützung, und sie brauchen deutlich mehr Unterstützung, als sie bisher bekommen haben. Das ist bei der Flüchtlings- und Asylkonferenz der Landesregierung ganz klar gesagt worden.

Ein Teilnehmer der Konferenz, den ich nicht namentlich nennen möchte, hat gesagt: Alle Probleme, über die wir hier diskutieren, sind seit anderthalb Jahren bekannt, aber wir haben noch immer keine Antwort; eine Antwort brauchen wir jetzt aber, weil mit der zunehmenden Flüchtlingszahl die Probleme anwachsen.

Natürlich hängt alles mit dem Geld zusammen. Das haben wir schon bei der Debatte um die Kindertagesstätten erlebt. Es gibt interne Berechungen der Stadt Magdeburg, die davon ausgehen,

dass selbst nach dem geänderten Landeshaushalt die Stadt Magdeburg mit Kosten für die Flüchtlingsunterbringung - dabei rede ich noch nicht von der Volkshochschule, nicht von sozialer Betreuung, nicht von einer mehrsprachigen Verwaltung, sondern nur von der Unterbringung - von 13,4 Millionen € bis 14 Millionen € zu rechnen hat. Aus der Landeskasse sind bisher Mittel in Höhe von 9 Millionen € zugesagt worden. Man geht also davon aus, dass die Stadt auf 5 Millionen € sitzenbleiben wird.

Ich will vor Ort einfach keine Diskussion haben wie: Wegen der Asylbewerber müssen wir unsere Elternbeiträge erhöhen. Das ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Dann müssen wir eben zusätzliche Mittel vom Bund einfordern, aber das Land muss nun einmal die Rahmenbedingungen schaffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme zum Ende. Wir wissen, wir stehen vor einer großen gesellschaftlichen Herausforderung. Ich sage aber auch in aller Deutlichkeit: Wenn wir eine positive Grundwerteposition in der Auseinandersetzung zwischen Weltoffenheit und Abschottung einnehmen, dann haben wir eine noch viel größere Chance für die Entwicklung unseres Landes. Unser Plädoyer ist: Lassen Sie uns diese Chance ergreifen, viele bieten sich uns nicht. - Danke.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Gallert. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Innenminister Stahlknecht. Doch bevor er spricht, begrüßen wir ganz herzlich Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule „Walter Gemm“ in Halberstadt.

(Beifall im ganzen Hause)

Bitte, Herr Minister.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Gallert, nachdem Sie zu dem Thema etwas allgemeiner ausgeführt haben, möchte ich auf Ihren Antrag zu sprechen kommen.

Die Bewältigung des demografischen Wandels auf dem Arbeitsmarkt und der Umgang mit den stark angestiegenen Asylbewerberzahlen gehören sicherlich aktuell zu den größten Herausforderungen für dieses Land. Sie vermengen in Ihrem Antrag beide Herausforderungen in - aus meiner Sicht - unzulässiger Weise. Auch in Ihrem Redebeitrag haben Sie zwischen Asylbewerbern und Zuwanderern nicht differenziert.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Absichtlich!)

- Absichtlich, ja. Insofern vertreten wir hierbei völlig konträre Positionen.

Im Ergebnis wird wie immer ein Bleiberecht für alle gefordert und der Eindruck erweckt, als könnten hierdurch unsere Demografieprobleme gleich mit gelöst werden. Ich bin der Auffassung: So einfach kann man es sich nicht machen; so einfach sind die Dinge nicht.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Herrn Herbst, GRÜNE)

Lieber Herr Herbst, was wir in der Debatte um Zuwanderung brauchen, ist Differenzierung. Deshalb möchte ich Folgendes ganz deutlich machen.

Erstens. Um die Lücken zu schließen, die die demografische Entwicklung reißt, brauchen wir auch Zuwanderung. Deutschland hat deshalb in den vergangenen Jahren insbesondere die Zuwanderung von Fachkräften durch eine Reihe von Rechtsänderungen bereits erheblich vereinfacht.

Ich möchte nur an die Einführung der Blauen Karte EU für Hochqualifizierte erinnern. Auch für nicht akademisch gebildete Fachkräfte hat sich Deutschland schon geöffnet. Diese können seit Sommer 2013 ohne Weiteres eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn die Beschäftigung in einem Beruf erfolgt, der als Mangelberuf festgestellt wurde.

Ich habe allerdings erhebliche Zweifel daran, dass die bisherigen arbeitsmarktbezogenen Reformen des Zuwanderungsrechts bereits ausreichen. Bei Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft wird mir immer wieder vorgetragen, dass es in der Praxis zunehmend schwieriger werde, den Fachkräftebedarf zu decken, und dass es aufgrund der bestehenden Rahmenbedingungen nicht möglich sei, hierfür in ausreichender Zahl Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen.

Deshalb müssen wir uns zum einen überlegen, wie wir noch gezielter Anreize für eine Zuwanderung setzen, die passgenau auf die Bedarfe des Arbeitsmarktes in Sachsen-Anhalt ausgerichtet sind. Dabei sollten wir uns auch anschauen, wie Zuwanderung in anderen Ländern organisiert wird. Vielleicht können wir zum Beispiel von den kanadischen Erfahrungen lernen,

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

wo eine Reihe von Instrumenten entwickelt wurde, um Zuwanderung bedarfsorientiert zu steuern. Niemand wirft den Menschen in Kanada vor, rassistisch zu sein.

(Herr Scheurell, CDU: Richtig!)

Darüber hinaus sollten wir auch prüfen, wie die Potenziale der Menschen, die bereits zugewandert sind, noch besser genutzt werden können. In diesem Kontext lohnt es sich, auch darüber nachzudenken, wie man die Bleibeperspektiven von Menschen verbessern kann, die hier schon lange als Geduldete leben, gut integriert sind und auf

grund ihrer Qualifikation gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Zweitens. Sachsen-Anhalt bekennt sich selbstverständlich zu seiner Verpflichtung, Menschen aufzunehmen, die aufgrund einer Verfolgung oder anderweitigen erheblichen Gefährdung in ihrem Herkunftsland hier Schutz benötigen. Dem Anliegen der Aufnahme von Schutzbedürftigen ist im Übrigen jede Art von Nützlichkeitserwägungen fremd, Herr Gallert, da sie nach der Logik unseres Asylsystems ausschließlich humanitär motiviert ist und daher auch nicht von Bedingungen, wie zum Beispiel dem Nachweis von Sprachkenntnissen, fachlichen Qualifikationen oder einem Arbeitsplatzangebot, abhängig ist.

(Zustimmung bei der CDU)

Drittens. Menschen, die anerkannt schutzbedürftig sind, muss dabei geholfen werden, sich schnellstmöglich in unsere Gesellschaft zu integrieren. Bund, Länder und Kommunen stellen hierfür bereits eine Reihe von Instrumenten von Sprachkursen bis zu Beratungsangeboten bereit.

Zutreffend ist, dass Menschen, deren Bleibeperspektive noch nicht abschließend geklärt ist, insbesondere also Asylsuchenden, diese Instrumente nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Dies halte ich auch weiterhin für berechtigt. Denn welchen Sinn sollte es machen, Asylantragstellern aus den Westbalkanstaaten, deren Schutzquote bei nahezu null liegt, in einen Integrationskurs mit 600 Stunden Deutschunterricht zu schicken, wenn sie mit nahezu 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit kurzfristig zur Ausreise verpflichtet sein werden?

(Zustimmung bei der CDU)

Gleichwohl will ich nicht in Abrede stellen, dass gerade auch neu zu uns kommende Asylsuchende Unterstützung benötigen. Hierfür stehen insbesondere die Einrichtungen der gesonderten Beratung und Betreuung bereit, die aus Landesmitteln finanziert werden und insbesondere der sozialen Betreuung von Asylsuchenden, die in Wohnungen untergebracht sind, dienen. Wegen des starken Anstiegs der Neuzugänge haben wir die hierfür zur Verfügung stehenden Mittel im neuen Doppelhaushalt erheblich aufgestockt, sodass die Aufnahmekommunen jetzt doppelt so viele Berater finanzieren können.

Darüber hinaus kann es aus humanitären Gründen und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs auch sinnvoll sein, insbesondere Asylsuchenden, die sich voraussichtlich länger in Deutschland aufhalten werden, im Interesse einer schnellen Erstorientierung frühzeitig Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu vermitteln.

Ich weiß, dass viele Kommunen und auch Privatinitiativen an entsprechenden Projekten interessiert sind und damit teilweise auch schon be

gonnen haben. Ich begrüße diese Bemühungen. Schon im Jahr 2013 hat mein Ministerium zur Unterstützung dieser Aktivitäten für die Förderperiode 2014 bis 2020 Mittel des Europäischen Sozialfonds beantragt, um zukünftig sogenannte niedrigschwellige Sprachkurse zur Vermittlung von Sprachgrundkenntnissen für typische Alltagssituationen fördern zu können.