Protocol of the Session on January 29, 2015

(Herr Henke, DIE LINKE: Sie spricht am En- de!)

Sie wollen jetzt nicht für die Fragestellerin auftreten, sondern erst am Ende sprechen? - Da hätten Sie noch einmal das Recht, zu sprechen, also beide Parlamentarierinnen, Frau Zoschke und Frau Tiedge. So steht es auch in meinem Arbeitsplan.

Aber ich bleibe einmal bei den Formalien. Vielleicht war vorhin auch etwas zu schnell. Die Fragestellung ist zwischen Frau Zoschke und Frau Tiedge geteilt worden. Dann antwortet die Landesregierung. Es ist vereinbart worden, dass die Redezeit der Fraktionen jeweils zehn Minuten

beträgt. Die Fraktion der SPD und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch Fraktion DIE LINKE haben die Redezeit zwischen mehreren Abgeordneten aufgeteilt. Ausschließlich für die CDU-Fraktion wird es nur einen Sprecher geben.

Frau Tiedge, Sie haben das Wort. Während Sie an das Rednerpunkt treten, begrüßen wir Gäste. Wir begrüßen ganz herzlich Schülerinnen und Schüler der Waldorfschule in Magdeburg.

(Beifall im ganzen Hause)

Es ist doch erfreulich und erstaunlich, wie friedlich dort oben Magdeburger und Hallenser zusammensitzen, nämlich Schülerinnen und Schüler des Latina-Gymnasiums in Halle.

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Tiedge, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst dem Dank anschließen, den Frau Zoschke bereits für die Beantworter der Fragen geäußert hat.

Meine Damen und Herren! Zunächst geht die Frage in die Runde: Wann haben Sie zum letzten Mal Drogen zu sich genommen und konsumiert?

(Heiterkeit)

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle präziser fragen. Also: Wann haben Sie eine Zigarette geraucht oder ein Glas Bier oder ein Glas Wein getrunken? - Vielleicht habe Sie es sogar heute Mittag getan. Was hat das mit unseren beiden Großen Anfragen zu tun?

Nun, nach wie vor sind Nikotin und Alkohol die Drogen Nr. 1 in Deutschland. Nikotin und Alkohol sind legale Drogen, deren schädliche Wirkung hinlänglich bekannt ist. Alkohol ist die Gesellschaftsdroge schlechthin. In Deutschland liegt der ProKopf-Konsum bei 10 l reinem Alkohol. Schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen sind abhängig. Wer fordert da eigentlich, diesen gesamten Genuss zu verbieten bzw. unter Strafe zu stellen? Die Antwort liegt auf der Hand.

Nun komme ich aber zurück zu der hinterfragten Droge Cannabis und den sogenannten harten Drogen wie Crystal, Crack, Ecstasy, Heroin oder Kokain.

Meine Damen und Herren! 122 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren haben im November 2013 eine Resolution an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages unterschrieben. Sie fordern eine grundsätzliche Neuausrichtung der Drogenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Im Mittelpunkt ihres Anliegens steht die Forderung, die Wirksamkeit des derzeitigen Betäubungsmittelgesetzes zu überprüfen. Sowohl aus strafrechts

wissenschaftlicher Sicht als auch aufgrund empirischer Forschungsergebnisse besteht die dringende Notwendigkeit, die Geeignetheit, Erforderlichkeit und normative Angemessenheit des BtMStrafrechts zu überprüfen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Sie sind der Auffassung, dass der Staat die Bürgerinnen durch die Drogenpolitik nicht schädigen darf. Es ist deshalb aus ihrer Sicht notwendig, Schaden und Nutzen der Drogenpolitik unvoreingenommen wissenschaftlich zu überprüfen. Die Unterzeichnenden wollen nach der Resolution den Bundesgesetzgeber auf die unbeabsichtigten

schädlichen Nebenwirkungen und Folgen der Kriminalisierung bestimmter Drogen aufmerksam machen.

Einer der Unterzeichner der Resolution, der Strafrechtler Professor Dr. Lorenz Böllinger, sagte in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ am 1. Februar 2014 - ich zitiere -, dass es im Grunde darum geht, das Verbot von Cannabis aufzuheben, da die Sinnhaftigkeit dieses Verbotes empirisch nie überprüft worden ist. Das Verbot hat weder den Konsum zurückgedrängt noch die Konsumenten geschützt. Es hat nicht verhindert, dass Menschen Drogen nehmen. - Zitatende.

Meine Damen und Herren! Dennoch halten der Staat und damit auch die hiesige Landesregierung vehement an diesem Verbot fest. Man beharrt auf Bisherigem, ohne einen Gedanken an eine mögliche Evaluation zu verschwenden, frei nach dem Motto: Was man seit Jahrzehnten so gemacht hat, ist gut und richtig, es hat sich etabliert und muss nicht verändert werden.

(Herr Schröder, CDU: Richtig!)

Blickt man einmal über den eigenen Tellerrand in die USA-Staaten Colorado und Washington sowie nach Uruguay, dann sieht man deutlich, dass man auch andere Wege im Umgang mit Drogen gehen kann. Dort ist man der festen, wissenschaftlich begründeten Überzeugung, dass man mit dem Strafrecht das Problem in keiner Weise lösen kann.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Meine Damen und Herren! Die Verbotspolitik des deutschen BtM-Rechts ist aus unserer Sicht gescheitert. Die Resolution deutscher Strafrechtsprofessorinnen stellt folgende Thesen auf, deren Positionen von uns unterstützt werden - ich zitiere -:

„Die strafrechtliche Drogenprohibition ist gescheitert, sozialschädlich und unökonomisch. Nicht die Wirkung der Drogen ist das Problem, sondern die repressive Drogenpolitik schafft Probleme. Selbst abhän

gige Konsumenten bleiben oftmals sozial integriert. Menschen mit problematischem Drogenkonsum brauchen Hilfe. Die Strafverfolgung hat für sie und alle anderen nur negative Folgen.

Der Zweck der Prohibition wird systematisch verfehlt. Das zeigen alle wissenschaftlich relevanten Untersuchungen. Sogar die Evaluation des Zehnjahresprogramms der Uno zur Drogenbekämpfung kommt im Jahr 2008 zu diesem Schluss. Prohibition schreckt zwar einige Menschen ab, verhindert aber Aufklärung und vergrößert gleichzeitig die gesundheitlichen und sozialen Schäden für diejenigen, die nicht abstinent leben wollen.

Die Prohibition ist schädlich für die Gesellschaft. Sie fördert die organisierte Kriminalität und den Schwarzmarkt.

Die Prohibition ist unverhältnismäßig kostspielig. Jedes Jahr werden Milliardenbeträge für die Strafverfolgung aufgewendet, welche sinnvoller für Prävention und Gesundheitsfürsorge eingesetzt werden könnten.

Die Prohibition ist schädlich für die Konsumenten. Konsumenten werden diskriminiert, strafrechtlich verfolgt …“

Meine Damen und Herren! Durch die Kriminalisierung der Konsumentinnen werden ein sicherer und wirksamer Verbraucherinnenschutz und ebenso auch ein wirksamer Jugendschutz verhindert. Gleichzeitig steigt die Zahl der wegen des Besitzes und des Erwerbes von Cannabis verurteilten Menschen.

Die bundesweit meistkonsumierte illegale Droge ist Cannabis. 23,4 % der 18- bis 64-Jährigen haben Erfahrungen mit dem Konsum von Cannabis. Cannabisdelikte machen im Jahr 2013 in SachsenAnhalt mit 46 % den größten Anteil der polizeilichen Bearbeitung im Bereich der Rauschgiftkriminalität aus. Die Polizei ist rechtlich verpflichtet, den Besitz von Cannabis zu ahnden, doch schon heute werden 95 % der Verfahren als Bagatelldelikte wieder eingestellt. Aber zunächst einmal wird Personal in einem nicht unerheblichen Umfang gebunden, dessen Einsatz an anderer Stelle weitaus wichtiger wäre.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Selbst Ökonomen fordern ein totales Umdenken in der Drogenpolitik. Stefan Bach, ein Finanzexperte des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung, erklärte hierzu Folgendes - ich zitiere -:

„Wenn der Staat den illegalen Handel mit sanften Drogen wie Cannabis nicht in den Griff bekommt und den Konsum ohnehin

toleriert, dann sollte er die dabei entstehenden Gewinne besser selbst abschöpfen.“

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

„Eine regulierte Freigabe von Cannabis würde bedeuten, dass der Staat Steuereinnahmen kassieren und den Schwarzmarkt austrocknen könnte.“

Experten schätzen ein, dass der Staat im Falle einer Freigabe eine halbe Milliarde Euro durch die Besteuerung von Cannabis einnehmen würde. Darüber hinaus würde ein Milliardenbetrag wegfallen, den der Staat derzeit für die Strafverfolgung ausgibt.

Meine Damen und Herren! Kommen wir nun zu den Fragen im Einzelnen. Bei einer näheren Betrachtung und Auswertung der vorliegenden Antworten der Landesregierung kam bei mir eine ganze Reihe von Nachfragen auf, die mir vielleicht heute beantwortet werden können. Allerdings - das gestehe ich - glaube ich nicht, dass Sie, Herr Sozialminister, das können. Aber die Justizministerin musste leider in den Rechtsausschuss. Ich empfinde es als nicht so glücklich, dass parallel zu der Behandlung dieses Themas eine Sitzung des Rechtsausschusses angesetzt wurde.

Ich habe mir zunächst die Mühe gemacht, die vorgelegten Statistiken etwas stärker unter die Lupe zu nehmen und bei der Frage nach der Anzahl der Ermittlungsverfahren und deren rechtlichen Folgen einmal nachzurechnen. In der Summe fehlt mir letztendlich immer eine ganze Reihe von Menschen, Beschuldigten oder Delikten oder Verurteilungen. Aber vielleicht - ich bin Juristin, deshalb mag man mir das nachsehen - ist mit an dieser Stelle auch ein Denk- oder Rechenfehler unterlaufen; dann möge man mich korrigieren.

Betrachten wir einmal das Jahr 2013 im Detail. In der Statistik wurden 2 091 Beschuldigte registriert. Insgesamt 1 022 Verfahren wurden eingestellt. Gegen 309 Beschuldigte wurde ein Strafbefehl beantragt bzw. Anklage erhoben. Fünf Verfahren endeten mit einem Freispruch, 151 mit einer Verurteilung. Summa summarum komme ich auf 1 482 abgeschlossene Verfahren. Dann frage ich mich schon, was mit 609 Beschuldigten passiert ist, durch welches Raster sie gefallen sind. Für die anderen Jahre gilt das übrigens ähnlich. - Aber wie gesagt, vielleicht gibt es eine ganz logische Erklärung hierfür.

Egal wie die Erklärung ausfällt, eines ist anhand dieser Zahlen ablesbar. Ein übergroßer Anteil der Verfahren wird eingestellt, bindet aber personelle und sächliche Ressourcen sowohl bei der Polizei als auch bei der Staatsanwaltschaft, die für andere Aufgaben dringender benötigt werden. Ich ver

weise auch auf das letzte Interview des Generalstaatsanwaltes in der „Volksstimme“.

Meine Damen und Herren! In einer aus meiner Sicht ganz wichtigen Sache stimme ich mit der Positionierung der Landesregierung völlig überein. Es geht um die Thematik Drogen und Straßenverkehr. Auch ich halte die alternativlose Normierung eines absoluten Drogenverbotes im Straßenverkehrsgesetz für erforderlich, egal um welche Droge es sich hierbei handelt. Damit favorisiere ich auch ein absolutes Alkoholverbot im Straßenverkehr.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Sieht man sich die Statistiken dazu an, stellt man fest, dass zum Beispiel im Jahr 2013 69 Verkehrsunfälle unter Einfluss von Drogen und 1 253 unter Einfluss von Alkohol verursacht worden sind. Präventionsmaßnahmen sind an dieser Stelle von ganz großer Bedeutung. Dabei gab und gibt es eine ganze Reihe von guten Beispielen, die hier auch genannt werden sollen, zum Beispiel das Projekt „Peer“ oder die Fifty-fifty-Taxen. Teilweise sind diese Maßnahmen inzwischen leider ausgelaufen oder werden nicht mehr finanziert. Derartige Maßnahmen der Prävention funktionieren aber nur, wenn sie kontinuierlich und über einen langen Zeitraum praktiziert werden.

Eines ist aus der Beantwortung der Fragen aber auch ersichtlich geworden: Vorgaben, Dienstvorschriften, Richtlinien und Anweisungen gibt es zur Genüge. Aber wir müssen uns fragen, ob das das Allheilmittel sein kann. Sie führen oft nur dazu, dass eine ganze Maschinerie in Betrieb gesetzt wird, auch wenn der Auslöser oft nur geringfügig oder auch nur als harmlos hinsichtlich seiner rechtlichen Bedeutung einzuschätzen ist - so geschehen in jüngster Zeit, als in einem Internetvideo im Hintergrund eine einsame Hanfpflanze in einem Blumentopf auf einem Balkon zu sehen war.

(Unruhe bei der LINKEN)