Protocol of the Session on December 11, 2014

(Herr Gallert, DIE LINKE, und Herr Henke, DIE LINKE, lachen)

Vielleicht bekommen die Ausschüsse für Arbeit und Soziales sowie für Wissenschaft und Wirtschaft ein wenig Substanz in den Antrag hinein. Wir plädieren für eine Überweisung des Antrags. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dirlich. - Der Kollege Wanzek darf heute öfter sprechen. Er hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Keine Sorge, heute ist es das letzte Mal, dass ich von hier aus spreche. Es gibt also noch etwas Abwechslung heute.

Die Stärke des deutschen Bildungssystems liegt im internationalen Vergleich darin, dass neben einer exzellenten Hochschullandschaft ein ausgezeichnetes Berufsbildungssystem existiert. Vor allem unser duales Berufsausbildungssystem mit seinen praktischen und theoretischen Ausbildungen an verschiedenen Lernorten, durch welches hochqualifizierte Fachkräfte mit einem hohen Maß an Prozesswissen und Kompetenzen ausgebildet werden, wird international häufig als Grund für die europaweit geringste Jugendarbeitslosenquote angeführt.

Nun überstieg dieses Jahr zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Zahl der Studienanfänger die Zahl derer, die eine Ausbildung beginnen. Schon liest und hört man Beiträge, welche einmal mehr den Untergang des Abendlandes voraussagen. Über das gesunkene Interesse der Jugendlichen an der dualen Ausbildung wird wild spekuliert, obwohl keiner von uns mit Gewissheit sagen kann, worin die Gründe für diese Entwicklung bestehen.

Hinzu kommt, dass laut den Berufsbildungsberichten der Landesregierung Sachsen-Anhalt der letzten drei Jahre festzuhalten ist, dass die zehn am stärksten nachgefragten Berufswünsche der Jugendlichen seit mehreren Jahren relativ konstant geblieben sind. Die vier am meisten nachgefragten Berufe sind in den letzten Jahren sogar in der Reihenfolge gleich geblieben. Nach wie vor sind auch immanente geschlechtsbezogene Unterschie

de bei der Berufswahl zu verzeichnen. Wir haben also noch immer zu wenige Frauen, die in die duale Ausbildung gehen.

Wenn man die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung werten möchte, sind wir wieder bei dem Instrument der Studien- und Berufsorientierung, Frau Professor Dalbert, die für die SPD ein wichtiges Element der Bildungspolitik ist. Wir brauchen eine frühzeitige und weitgefächerte Studien- und Berufsorientierung in allen allgemeinbildenden Schulformen. Hierzu sind Kooperationen zwischen Schulen und Betrieben notwendig.

Um diese Orientierung in den Schulen qualitativ begleiten zu können, brauchen wir motivierte und qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer, denen wir zum Beispiel spezielle Fortbildungen, auch in Betrieben selbst, anbieten sollten, damit sie selbst Einblick in die verschiedenen Berufe gewinnen können, um so dann ihre Schülerinnen und Schüler besser beraten zu können.

Zu dem Thema - das haben wir vorhin schon angesprochen - liegt dem Bildungsausschuss ein Antrag vor. Wir müssten uns nun zeitnah wirklich einmal mit dem Antrag beschäftigen, dann könnten wir darüber beraten, wie man die vielen Projekte und Maßnahmen zur Berufsorientierung, die in dem Bericht der Landesregierung „Weiterentwicklung des Übergangssystems Schule - Ausbildung - Beruf“ aufgezählt werden, besser abstimmen und miteinander verzahnen könnte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der Situation, dass wir zurzeit in Sachsen-Anhalt mehr Ausbildungsplätze als Bewerber haben, müssen wir feststellen, dass noch immer zirka 2 % der Bewerberinnen und Bewerber eines Jahrgangs im Übergangssystem landen. Allein im schulischen Übergangssystem befinden sich im Moment 1 296 Schülerinnen und Schüler im BVJ, 39 Schülerinnen und Schüler in der einjährigen Berufsfachschule, um dort den Hauptschulabschluss nachzuholen, und 332 Schülerinnen und Schüler im BGJ. Diese Zahlen sind zwar generell rückläufig, entsprechen aber der generellen demografischen Entwicklung. Das heißt, wir müssen hier etwas tun.

Wir begrüßen den Vorstoß des Kultusministeriums zur Schaffung eines Berufseinstiegsjahres, womit dann das BGJ und die einjährige Berufsfachschule abgeschafft werden sollen. In einem Berufseinstiegsjahr kann dann ebenfalls der Hauptschulabschluss erworben werden, aber es soll vor allem der Bereich der praktischen Ausbildung in den Betrieben deutlich mehr Gewicht bekommen bzw. soll erst einmal eingeführt werden.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Generell sollte unser Interesse sein, den Anteil der Jugendlichen, die in das Übergangssystem übergehen, zu verringern, indem wir schon eher mit

begleitenden Maßnahmen eingreifen. Wir müssen die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss zu verringern und individuelle Förderung und Begleitung während der Schulzeit in der Ausbildung ermöglichen. Hierzu wäre beispielhaft das Programm „Zukunftschance assistierte Ausbildung“ zu nennen. Man sollte sich aber auch die Arbeitsweise der Jugendberufsagenturen in Hamburg in diesem Zusammenhang genauer anschauen und prüfen, ob und inwieweit dieses Modell für Sachsen-Anhalt denkbar wäre.

Auf jeden Fall nährt die seit 2013 existierende Kooperationsvereinbarung - den langen Titel hat der Herr Minister vorhin schon genannt; das tue ich jetzt nicht noch einmal - die Hoffnung, dass die verschiedenen Fördermöglichkeiten in Zukunft besser aufeinander abgestimmt und koordiniert werden, aber auch Überlegungen vorgenommen werden, wie ein Übergangsmanagement aussehen kann, wenn wir keine ESF-Mittel mehr zur Verfügung haben, und wie weit wir als Land dies dann weiterführen wollen.

Nach meiner Meinung dürfen wir aber auch die Unternehmen sowie die Sozial- und Wirtschaftspartner nicht aus ihrer Verantwortung entlassen und müssen sie auffordern, Berufsbilder, Ausbildungsbedingungen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten in der beruflichen Bildung attraktiver zu gestalten und die Qualität der Ausbildung zu erhöhen, um so auch mehr Abiturientinnen und Abiturienten für eine berufliche Ausbildung zu gewinnen. Das ist übrigens auch ein Fazit des Berufsbildungsberichtes aus dem Jahr 2012.

Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu Punkt 5 unseres Antrages sagen. Eine ganzheitliche Berufsausbildung muss der Regelfall zu einem vollwertigen Berufsabschluss sein. Eine vollqualifizierende Ausbildung erhöht die berufliche Mobilität; aus diesem Grund muss die Ausbildung ganzheitlich sein.

Die Arbeit mit Teilqualifikationen kann bei Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf, Stichwort Werkstätten, sinnvoll sein oder auch, wenn man im Bereich Übergangssystem Schülerinnen und Schüler schrittweise auf eine vollständige Berufsausbildung hinführen möchte. Dies darf aber nicht dazu führen, dass das System der Berufsausbildung durch den Aufbau eines Parallelsystems von anerkannten Teilqualifikationen geschwächt wird. Dies wäre aus unserer Sicht kontraproduktiv. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Wanzek. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Frau Professor Dalbert. Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit drei Vorbemerkungen beginnen. Die Punkte 1 und 2 des Antrages unter dem Tagesordnungspunkt 6 überschneiden sich im Wesentlichen - die Kollegin Dirlich hat dazu bereits ausgeführt - mit dem Antrag unter Tagesordnungspunkt 4. Dazu kann ich als Mitglied der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen: Die Logik dieser beiden Anträge erschließt sich einem Mitglied einer nicht regierungstragenden Fraktion nicht wirklich.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

Eine zweite Vorbemerkung: Worauf ich nicht eingehen möchte, weil ich dazu wirklich keine Lust habe und weil wir das schon im März 2014 durchdekliniert haben, Herr Keindorf: Ich möchte nicht auf Ihr rückwärts gewandtes Bildungsverständnis eingehen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von den GRÜNEN - Herr Scheurell, CDU: Buh!)

Dritte Vorbemerkung: Auch ich habe wahrgenommen, dass der Ministerpräsident Anfang dieses Monats in der Tageszeitung der größten Stadt unseres Landes damit zitiert wurde, dass er jetzt die Berufsorientierung auch in den Gymnasien verbindlich machen will. Heute haben sich dafür auch mehrere Redner ausgesprochen. Das halte ich für einen Kern dieses Antrages und für ganz wesentlich. Ich hoffe, dass wir diesbezüglich im Ausschuss zeitnah tatsächlich zu einer Lösung kommen. Dann wären wir qualitativ wirklich einen Schritt weiter.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

So weit meine Vorbemerkungen. Bei dem Antrag geht es im Wesentlichen tatsächlich um einen Bereich, wo wir ein Problem im Land haben. Es ist das Problem, dass wir viele junge Menschen haben, die eben nicht die guten Chancen haben, in eine berufliche Ausbildung zu kommen.

(Zuruf von Frau Dirlich, DIE LINKE)

Sachsen-Anhalt ist ein Land, in dem es unterdurchschnittlich viele Ausbildungsbetriebe gibt. Das kann man über die kleinteilige Wirtschaftsstruktur erklären. Fakt ist aber, dass es hier unterdurchschnittlich viele Ausbildungsbetriebe gibt und dass gleichzeitig viele Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können. Gleichzeitig haben wir die Situation, dass wir das Land mit der dritthöchsten Rate an Auflösungen von Ausbildungsverträgen sind. Ich glaube, diese drei Punkte charakterisieren sehr gut, dass wir tatsächlich ein Problem in diesem Bereich haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt stellt sich die Frage: Was kann man tun? - Das eine haben wir jetzt fraktionsübergreifend festgestellt: Studienorientierung und Berufsorientierung sind in den Gymnasien gleichwertig anzusehen und es ist eine systematischere Berufsorientierung in allen Schulformen durchzuführen.

Zweiter Punkt - diesen führen Sie in Ihrem Antrag aus -: Wir brauchen eine gute Qualität in den berufsbildenden Schulen. Jetzt schauen wir uns einmal die berufsbildenden Schulen an. In den berufsbildenden Schulen hat der krankheitsbedingte Unterrichtsausfall in den letzten acht Jahren zugenommen. Das heißt, am Ende wird in den Berufsschulen ein Anteil von knapp 7 % des Unterrichts nicht regulär vertreten; er findet nicht statt.

Das ist in der Gesamtsumme die drittschlimmste Situation. Nur in den Förderschulen und in den Gesamtschulen fällt mehr Unterricht aus, der nicht vertreten wird, als in den Berufsschulen. Und Sie haben gestern mit Ihrer Mehrheit unseren Antrag, mehr Lehrer für die berufsbildenden Schulen einzustellen, abgelehnt.

(Herr Bönisch, CDU: Ach nee!)

Insofern ist das tatsächlich ein wichtiger Punkt, aber es ist letztlich keine glaubwürdige Forderung von Ihnen.

(Zustimmung von den GRÜNEN)

Dann stellt sich die Frage: Was muss man denn noch tun, außer die Berufsschulen so auszustatten, dass der Unterricht nicht ausfällt, und die Berufsorientierung systematisch in allen Schulen zu verankern? Dazu sagen wir: Wir hielten es für einen mutigen Schritt, wenn wir uns der Gewerkschaft anschließen und sagen würden, wir beschließen im Land einen Pakt und geben eine Ausbildungsgarantie. Jeder hat das Recht, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu bekommen.

Dann, Herr Wanzek, hätten wir ganz andere Ambitionen, die Berufsübergangssysteme auf den Prüfstand zu stellen, insbesondere das Berufsgrundbildungsjahr - Sie haben das ausgeführt -, über dessen Erfolg wir wenig wissen. Wir wissen, dass das Berufsvorbereitungsjahr in der Qualität tatsächlich besser geworden ist. Dort bringt man inzwischen zwei Drittel der Jugendlichen zum Schulabschluss. Das ist ein Erfolg und erleichtert die Aufnahme einer Berufsausbildung.

Was kann man noch tun? Wir glauben, dass so wenige ausbildungsberechtigte Betriebe bei uns im Land tatsächlich ausbilden, weil sie so klein sind. Mit der gegenwärtigen EU-Förderperiode läuft das Programm für die Verbundausbildungen aus. Ich fände es richtig, dass wir fordern, dass die Landesregierung ein neues Programm auflegt, damit Betriebe, die so klein sind, dass sie sich das allein nicht zutrauen, gemeinsam ausbilden können.

Ich weiß nicht so genau, was Sie mit diesen Parallelsystemen meinen. Aber ich kann Ihnen sagen, was ich wichtig finde, was BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wichtig finden, nämlich dass wir mit den Kammern in ein Gespräch darüber kommen, Ausbildungen zu modularisieren. Denn die Modularisierung von Ausbildungen gibt den jungen Leuten die Möglichkeit, wenn sie tatsächlich den Ausbildungsplatz oder den Ausbildungsberuf wechseln, Teile ihrer Ausbildung mitzunehmen; diese werden dann in der nächsten Ausbildung anerkannt. Das wäre ein guter Weg.

Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte. Viele Ausbildungsverträge werden aufgelöst, weil Jugendliche falsche Vorstellungen von ihrer Ausbildung haben oder weil es zu Konflikten am Ausbildungsplatz kommt. Deswegen sagen wir, wir brauchen eine sozialpädagogische Ausbildungsbegleitung, damit jeder Jugendliche, auch der, der a priori nicht in der Lage dazu ist, erfolgreich eine Berufsausbildung machen kann. Es gibt das gute Modell des Ausbildungscoachs. Das sollten wir auch flächendeckend implementieren, um den Jugendlichen bei Konflikten unter die Arme zu greifen.

Ich glaube, es gibt viele gute Vorstellungen, wie man mit dem Problem, das wir tatsächlich im Lande haben, umgehen kann. Dies sehe ich in diesem Antrag noch nicht vollumfänglich dargestellt. Deswegen beantrage ich für meine Fraktion die Überweisung des Antrages in den Ausschuss für Bildung und Kultur sowie in den Ausschuss für Arbeit und Soziales. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Vielen Dank. - Jetzt spricht für die CDU-Fraktion der Kollege Keindorf. Bitte, Herr Abgeordneter.

Zuerst werde ich auf die Frage des Kollegen Gallert eingehen. Natürlich haben wir in der beruflichen Bildung auch Abbrecher; das ist doch völlig klar. Und jeder Abbrecher ist ein Abbrecher zu viel. Aber wenn man die Zahlen miteinander vergleicht, dann muss man auch wissen, dass bei den Abbrecherzahlen in der beruflichen Bildung alle Auszubildenden gezählt werden, also auch die Auszubildenden, die lediglich den Ausbildungsbetrieb wechseln. Auch diese zählen dann als Abbrecher.

(Herr Lange, DIE LINKE: Genau so! - Herr Gallert, DIE LINKE: Bei 55 % ist das auch so!)

Jeder Abbrecher ist ein Abbrecher zu viel. Wenn ein Betrieb in Insolvenz geht und der Auszubilden

de ein neues Unternehmen sucht, dann zählt er in der Statistik als Ausbildungsabbrecher.