Protocol of the Session on September 18, 2014

Politische Kampagnen wie „Wer betrügt, der fliegt“, um nur eine zu nennen, und im Übrigen auch das Schwadronieren über eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD schüren aber Ängste und Vorurteile, liefern scheinbar allgemein anerkannte Rechtfertigungsmuster für die eigenen Ressentiments und befeuern damit auch rassistische Einstellungen und Diskurse.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum nun dieser Exkurs zur Situation von Roma in Deutschland? Erstens hängen beide Debatten zusammen. Das eine soll das andere nötig machen. Vielzitierte kulturelle Unterschiede, die bei Deutschen beobachtet nicht einmal als solche auffallen würden, werden zu unüberbrückbaren Gräben stilisiert, denen nur durch Begrenzung der Zuwanderung zu begegnen sein soll.

Zum Zweiten sind es eben folgerichtig zumeist Angehörige der Minderheit der Roma, die durch die geplante Beschlussfassung erheblich benachteiligt würden und denen die Möglichkeit, hier Asyl zu suchen, verwehrt würde. Denn Schutzbedürftigkeit wird ihnen damit per se abgesprochen.

An der Lebensrealität von Roma in vielen Ländern Europas, insbesondere aber in den Ländern des Balkans, geht das meilenweit vorbei. Schlimmer noch: Bereits die bisher geführten Debatten um die Legitimität von Zuwanderung und Drohungen, die Freizügigkeit einzuschränken, verschlechtern die Lage der Roma in ihren Herkunftsländern zusätzlich.

Der Menschenrechtskommissar des Europarates erklärte nach einer Reise durch Mazedonien - ich zitiere -:

„Die mazedonischen Behörden konfiszieren Roma die Pässe. Diese Leute dafür zu bestrafen, dass sie in der EU um Asyl ersucht haben, ist eine Menschenrechtsverletzung.“

(Zustimmung bei der LINKEN)

Und weiter: „Die Europäische Union überlässt den Ländern des westlichen Balkans die Drecksarbeit.“ Die Suche nach Asyl werde kriminalisiert.

(Zustimmung von Herrn Lange, DIE LINKE)

Und tatsächlich: Der Druck auf die Kandidaten für den Beitritt zur Europäischen Union hat eine neue Ebene der Diskriminierung der Minderheit der Roma geschaffen, indem sie als großer Teil der Gruppe derer, die diese Länder verlassen wollten, zu Sündenböcken für die Infragestellung der VisaFreiheit gemacht und mittels Methoden wie des

Ethnic Profilings gezielt am Verlassen gehindert werden.

Insbesondere in der Frage des Zugangs zum Arbeitsmarkt, der Gesundheitsversorgung, des Bildungswesens und des Wohnraums sind Roma in den Balkanländern in erheblichem Maße benachteiligt und diskriminiert.

Das European Roma Rights Centre stellt für Serbien fest, dass - ich zitiere - „rassistische Hetze und Gewalt gegen Roma ein landesweites Problem in Serbien sind“. Die Gewalt gehe sowohl von Privatpersonen als auch von Vertretern der Staatsgewalt aus. Sie betreffe Roma unterschiedslos, als Einzelpersonen oder als Mitglieder einer Gemeinschaft.

Und: Roma bilden die größte diskriminierte Minderheit in Serbien. Aber sie sind keineswegs die einzige. In Serbien ist nach der Einschätzung vieler internationaler Berichte die Diskriminierung weit verbreitet. Roma, Frauen, Behinderte sowie Homo- und Transsexuelle sind, so beispielsweise die Bertelsmann-Stiftung, am stärksten von Diskriminierung betroffen.

Erst am vergangenen Wochenende erschütterte uns die Nachricht, dass ein junger Mann aus Halle Opfer eines lebensgefährlichen Angriffes wurde, weil er in einer Konferenz für die Gleichstellung von homo-, trans- und intersexuellen Menschen in Belgrad teilgenommen hat. Das ist eben kein Einzelfall.

Es ist nichts anderes als zynisch, den Einzelfall zu bedauern, ansonsten aber von sicheren Herkunftsländern zu sprechen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Dr. Karin Waringo hat in ihrem Gutachten zur Bewertung des hier zur Debatte stehenden Gesetzgebungsvorhabens unterschiedliche Berichte und Analysen von NGOs und Kommissionen der EU sowie des US-Außenministeriums analysiert und verglichen und hat die Befunde für alle drei Länder zusammengestellt.

Für Mazedonien ergibt sich demnach ein sehr differenziertes, aber keineswegs sicheres Bild. So gehört Mazedonien zwar zu den Ländern, die Mitglied der so genannten Roma-Dekade geworden sind, der Alltag der allermeisten Roma hat sich allerdings kaum geändert.

Dr. Waringo zitiert beispielweise die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz wie folgt:

„Die soziale und wirtschaftliche Lage der Roma gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Im Vergleich zu dem Rest der Bevölkerung lebt ein weit größerer Teil von ihnen in extremer Armut, und wie ECRI bereits festgestellt hat, werden sie in den Bereichen

Bildung, Beschäftigung, Wohnen und Gesundheitsversorgung stark benachteiligt. Außerdem sind sie in der Praxis auf der politischen Bühne nicht vertreten.“

In besonderer Weise trifft diese Benachteiligung die Kinder. Die Kindersterblichkeit ist doppelt so hoch wie bei Nicht-Roma. Die Lebenserwartung generell beträgt zehn Jahre weniger als für NichtRoma. Nur 27 % der Kinder von Roma besuchen eine Sekundarschule. Vielen wird der Besuch einer regulären Schule ganz und gar verwehrt und sie werden in Sonderschulen unterrichtet.

Die sexuelle Orientierung ist in Mazedonien nach wie vor kein offiziell anerkannter Diskriminierungsgrund. Die Europäische Kommission beschreibt in ihrem Fortschrittsbericht aus dem Jahr 2013 sogar eine weitere Verschlechterung der Lage von Lesben, Schwulen und Transsexuellen in Mazedonien.

Wie in Mazedonien und Serbien leben Roma auch in Bosnien-Herzegowina oftmals in informellen Siedlungen unter erbärmlichen Bedingungen und in bitterer Armut, sind nicht an die öffentliche Infrastruktur angeschlossen und sind schutzlos rassistischen und antiromaistischen Angriffen ausgeliefert. Bei der Rückerlangung von im Bürgerkrieg zerstörten Häusern und Grundstücken sind sie nach Beobachtungen der ECRI gegenüber anderen Gruppen benachteiligt. Aufgrund mangelnder oder nicht vorhandener Papiere und Dokumente sind sie in besonderer Weise davon bedroht, staatenlos zu werden.

Auch in Bosnien finden Roma, aber auch Angehörige anderer Minderheiten nur ungenügend Schutz durch staatliche Institutionen und die Polizei. Menschen, die als abgelehnte Asylbewerber nach Bosnien-Herzegowina zurückkehren müssen, haben mit zusätzlichen Problemen und Erschwernissen zu kämpfen, weil sie Strafen für die Suche nach Asyl, wie beispielsweise die Verweigerung des Schulbesuchs für die Kinder, zu erwarten haben.

Mit der morgen im Bundesrat zur Abstimmung stehenden Gesetzesänderung soll das Asylrecht in der Bundesrepublik weiter verschärft werden. Sollte die Änderung auch im Bundesrat eine Mehrheit finden, verlieren die Menschen aus diesen drei Ländern die Möglichkeit, hier Asyl zu suchen und hier ein Leben in Würde und Freiheit zu führen. Es würden Menschen ohne eingehende Prüfung ihres Einzelfalles abgeschoben. Deutschland würde damit einen aktiven Beitrag zur fortgesetzten Diskriminierung von Minderheiten leisten.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Durch die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten werden sämtliche Appelle zum Abbau von Diskriminierungen und Benachteiligungen zur Makulatur. Sachsen-Anhalt hat mit seiner Stimme im Bundes

rat die Chance, genau dies nicht zuzulassen. Genau das ist die Forderung unseres Antrages. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Herrn Herbst, GRÜNE)

Danke sehr für die Einbringung, Kollegin Quade. - Für die Landesregierung spricht Minister Stahlknecht. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE mit dem Titel „Geplante Verschärfung des Asylrechts im Bundesrat ablehnen“ zielt auf die Versagung der Zustimmung zu dem Gesetzesvorhaben, Bosnien und Herzegowina, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und Serbien zu sicheren Herkunftsstaaten im Sinne von Artikel 16a Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes zu bestimmen. Insofern haben Sie zutreffend vorgetragen, Frau Kollegin.

Es ist aber auch zu konstatieren, dass seit der Aufhebung der Visumpflicht für die Republiken Mazedonien und Serbien zum Ende des Jahres 2009 und ein Jahr später auch für Bosnien und Herzegowina der Zustrom von Asylbewerbern aus diesen Staaten nach Deutschland stetig ansteigt. Deutschlandweit kommt inzwischen etwa jeder fünfte Asylbewerber aus einem der genannten Staaten. Allein in Sachsen-Anhalt wurden in diesem Jahr bis zum Stichtag 31. August 488 neue Asylantragsteller aus den betreffenden Staaten in der zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Halberstadt aufgenommen.

(Herr Herbst, GRÜNE: Das hat ja Gründe!)

- Dazu komme ich gleich, Herr Kollege.

Nach den Erfahrungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wissen viele Asylsuchende aus diesen Staaten schon zum Zeitpunkt der Antragstellung, dass sie die Voraussetzung für eine asylrechtliche Anerkennung nicht erfüllen. So liegt die Schutzquote bei diesen Asylbewerbern auch weit unter 1 %. Die ablehnenden Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge werden von den Verwaltungsgerichten zu über 90 % - wie gesagt, von einer unabhängigen Justiz - bestätigt.

In den wenigen Fällen, in denen die Gerichte anders entscheiden, beruht das in aller Regel nicht auf anderen Einschätzungen der Verfolgungs- und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat, sondern auf anderen Mängeln der Entscheidung, wie zum Beispiel formalen Mängeln.

Das lässt darauf schließen, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Herbst, dass die Menschen

aus den genannten Staaten ganz überwiegend aus anderen, eben nicht asylrelevanten Gründen nach Deutschland kommen.

Wir haben das Asylrecht deshalb im Grundgesetz - darauf können wir stolz sein -, weil wir Menschen Asyl gewähren wollen, die einen tatsächlichen Asylgrund haben.

(Herr Herbst, GRÜNE: Aber das muss ja geprüft werden!)

- Ja, selbstverständlich wird das geprüft und ist auch geprüft worden.

(Herr Herbst, GRÜNE: Aber aus sicheren Drittländern nicht!)

Damit soll überhaupt nicht bestritten werden, dass viele Menschen in den westlichen Balkanstaaten in sozial und wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen leben und dass dort Minderheiten auch in einigen Bereichen benachteiligt werden, Frau Quade. Doch nach unserer Ansicht müssen diese Probleme in den Staaten selbst angegangen werden.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU - Herr Lange, DIE LINKE: Nein!)

Die Bundesrepublik Deutschland und auch die Europäische Union setzen sich derzeit intensiv dafür ein, die Lebenssituation der Menschen vor Ort zu verbessern. Das deutsche Asylverfahren ist aber weder als Einfallstor für Armutsmigration gedacht, noch ist es in der Lage, die gesellschaftlichen Probleme der Staaten, über die wir hier reden, zu lösen.

(Herr Herbst, GRÜNE: Darin liegt das Pro- blem!)

Die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten bewirkt gemäß Artikel 16a Abs. 3 des Grundgesetzes, dass Behörden und Gerichte gleichermaßen von der widerlegbaren Regelvermutung ausgehen dürfen, dass - so die Regelung im Grundgesetz -

„aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.“