Protocol of the Session on July 16, 2014

Allerdings wunderten wir uns schon, was dieser erste Tagesordnungspunkt, die Regierungserklärung, darstellen soll. Sowohl der Titel der Regierungserklärung als auch die Rede des Kollegen Ministerpräsidenten lassen sich in einem Satz kurz zusammenfassen: Sachsen-Anhalt - hier ist alles super.

Mein kleiner Sohn schleppte mich vor drei bis vier Wochen ins Kino, um den Film „Lego Movie“ zu schauen. Dort rieselte permanent das Lied „Hier ist alles super, denn du bist nicht allein“ auf alle nieder, um sie einigermaßen einzunorden. Ich mache hier nicht die Frau Nahles und singe das Lied nicht.

(Oh! bei der CDU - Herr Miesterfeldt, SPD: Singen, singen!)

- Das kam zu spät; das tut mir leid. Ich werde das trotzdem nicht tun; denn ich glaube, diese Einschätzung ist grundlegend falsch.

(Herr Kurze, CDU: Was?)

Das ist der zentrale Grund, weshalb ich das Lied hier nicht singen werde.

Herr Ministerpräsident, normalerweise kann man eine solche Rede halten, wenn man sich am Ende seiner Amtszeit zurücklehnt und sagt, alles, was ich mir vorgenommen habe, habe ich super auf die Reihe bekommen; jetzt sind alle Aufgaben erfüllt und nun kann der Nächste kommen.

Das allein wird wohl nicht der Grund sein; denn wir gehen alle davon aus, dass diese Legislaturperiode noch knapp zwei Jahre dauern wird. Insofern kam diese Endrede einer Amtszeit etwas zu früh.

Nächstes Motiv: Haben wir denn im letzten Jahr eine so super Entwicklung hingelegt, dass man jetzt auf einmal sagen könnte, das goldene Zeit

alter sei angebrochen und das Paradies auf Erden breche in Sachsen-Anhalt aus? - Ich habe mir heute Morgen einige wirtschaftliche Daten angeschaut, wie sich Sachsen-Anhalt in der Realität, also nicht durch die rosarote Brille der Landesregierung betrachtet, entwickelt hat.

Für mich stellten sich die Dinge auf einmal schlagartig anders dar. Das Bruttoinlandsprodukt in Sachsen-Anhalt: minus 1,2 %, in den ostdeutschen Flächenländern: 0,0 %. - Gut, es gab die Flut. Nicht nur wir, sondern auch andere hatten die Flut und schlechtes Wetter. Aber bei uns ist natürlich ausdrücklich die Flut dafür verantwortlich, dass sich das Bruttoinlandsprodukt im letzten Jahr am schlechtesten entwickelt hat.

Es gibt ein einziges Land in Ostdeutschland, das im letzten Jahr weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse hatte als im Jahr zuvor, und zwar Sachsen-Anhalt. In den ostdeutschen Flächenländern stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 0,4 %. In Sachsen-Anhalt war ein Rückgang um 0,2 % zu verzeichnen.

Beim Durchschnitteinkommen je Arbeitnehmer hat sich der Abstand zwischen Sachsen-Anhalt auf der einen Seite und den ostdeutschen Ländern auf der anderen Seite weiter voneinander entfernt, und zwar zum Negativen. Im Jahr 2012 betrug das Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer in

Sachsen-Anhalt 24 441 €, in den ostdeutschen Flächenländern betrug das Durchschnittseinkommen je Arbeitnehmer 24 578 €. Im Jahr 2013 betrug das Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer in Sachsen-Anhalt 24 786 €, in den ostdeutschen Flächenländern betrug das Durchschnittseinkommen je Arbeitnehmer 25 136 €. Das heißt, das Durchschnittseinkommen des Arbeitnehmers in Sachsen-Anhalt hat sich im Verhältnis zum ostdeutschen Durchschnitt langsamer entwickelt.

Dann lese ich auf einmal den Satz: Die Schere zwischen Aus- und Einpendlern in Sachsen-Anhalt fängt an, sich zu schließen. Wir haben uns einmal die Zahlen angeschaut, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ja, sie schließt sich. Ich sage Ihnen einmal, in welchem Verhältnis sie sich schließt. 2007 hatten wir 81 000 mehr Aus- als Einpendler. 2013 hatten wir 78 000 mehr Aus- als Einpendler. Diese Zahl entwickelt sich in etwa proportional zu den Zahlen der Arbeitnehmer, die es in Ostdeutschland überhaupt gibt, da zurzeit mehr Arbeitnehmer ausscheiden als in den Arbeitsmarkt eintreten.

Deswegen sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn Sie dies heute als Erfolgsbilanz darstellen, dann schauen Sie durch eine sehr rosarote Brille. Sie hat mit den Realitäten in diesem Land nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen müssen wir weiterhin nach dem Motiv dieser Regierungserklärung fragen. Dies erschließt sich nicht aus der Entwicklung des Landes Sachsen-Anhalt, es erschließt sich aus einem anderen Zusammenhang. Und zwar hat es vor einem Jahr auch eine Regierungserklärung eines Ministerpräsidenten Haseloff an dieser Stelle gegeben. Zwei Monate davor gab es eine Aktuelle Debatte.

Dabei ging es darum, dass man versuchte, die radikalen Kürzungsvorschläge, die das Kabinett im März 2013 für den Haushaltsplan 2014 beschlossen hatte, in irgendeiner Art und Weise zu legitimieren. Die Botschaften waren damals genauso eindeutig wie heute. Sie waren nur völlig andere: geringere Bevölkerung, geringere Einnahmen, ein riesiger Schuldenberg. Es hieß damals, wir könnten uns in absehbarer Zeit nicht bewegen, wenn wir nicht radikale Einschnitte in die öffentliche Daseinsvorsorge, bei Kultur, bei Bildung und auch bei der Wirtschaftsförderung realisierten.

Interessant ist übrigens, dass Herr Haseloff sechs Wochen vor der Flutkatastrophe begründet hat, dass es unabdingbar notwendig sein wird, Deichbaumaßnahmen nach hinten zu schieben, da man kein Geld mehr dafür hat, die Dinge so durchzuziehen, wie man sie durchziehen will. Davon war nach der Flutkatastrophe natürlich keine Rede mehr. Aber schauen Sie sich gern einmal die Aktuelle Debatte dazu an, die im April 2013, vor der Flutkatastrophe, stattgefunden hat.

Das waren die Aussagen: Der Ministerpräsident sagte, wir bewegten uns in Sachsen-Anhalt auf ein Ausgabenniveau von 130 % des Durchschnitts der deutschen Länder zu. Wir müssten wenigstens auf 105 % des Ausgabenniveaus herunterkommen. Radikale Einschnitte seien das Einzige, was uns helfe. Diese radikalen Einschnitte müssten wir machen; ansonsten landeten wir gnadenlos in einer Schuldenspirale, aus der wir nicht mehr herauskämen. Das sei früher in der DDR auch schon so gewesen und wir hätten alle erlebt, was dann passiert sei - der Herr Ministerpräsident insbesondere. Es hieß also, das Land Sachsen-Anhalt stehe vor dem Untergang, wenn der Gürtel nicht radikal enger geschnallt werde.

Das waren die Botschaften von damals. Vergleichen Sie diese mit der Botschaft von heute, dann erkennen Sie den Wahrheitsgehalt dieser Reden. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN - Ministerpräsident Herr Dr. Haseloff: Lesen Sie einmal die alte Regierungserklärung, dann werden Sie se- hen, es ist Unsinn, was Sie erzählen!)

Jetzt geht es weiter. Was ist seitdem passiert? - Damals hat sich die Landesregierung hingestellt und gesagt, wir müssten diese radikalen Einschnitte realisieren, um die Zukunft des Landes Sachsen-Anhalt zu sichern. Aber das hat die Leute in

Sachsen-Anhalt nicht überzeugt. Sie haben massiv gegen diese Politik protestiert. Sie sind auf die Straße gegangen und haben sich massiv gegen diese Beschlüsse des Kabinetts gewehrt.

In einer ersten Reaktion bescheinigte ihnen die Landesregierung, dass dies alles Egoisten seien, dass es Leute seien, die ihre Partikularinteressen verträten und keinen ausreichenden politischen Weitblick hätten. Das waren die ersten Reaktionen der Landesregierung auf diese Proteste.

In einer zweiten Phase merkte zwar nicht die Landesregierung, aber die Koalition, dass es für eine solche Politik keine Legitimation und auch keine Akzeptanz in der Bevölkerung gibt. Und dann - das haben wir alle gemerkt und wir alle waren Zeugen - sind diese radikalen Sparmaßnahmen und Einschnitte nach und nach zurückgenommen worden.

Als Erstes garantierte der Ministerpräsident die Existenz zweier Uniklinken, nachdem die damalige Wissenschaftsministerin den Standort Halle faktisch bereits zur Disposition gestellt hatte. Das muss man der Ehrlichkeit halber einmal sagen, auch wenn ich ihr ganz herzlich dazu gratuliere, dass sie nun Präsidentin der Goethe-Uni in Frankfurt am Main geworden ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Das trieb die Leute damals auf die Straße. Sie begründete es damals in den entsprechenden Kabinettsvorlagen damit, dass wir uns die Zuschüsse nicht mehr leisten könnten; die Unikliniken liefen defizitär und die Investitionszuschüsse könnten nicht mehr aufgebracht werden. Es hieß, dies alles könnten wir uns nicht mehr leisten und deshalb würden in absehbarer Zeit keine zwei Unikliniken in diesem Land Sachsen-Anhalt mehr aufrechterhalten werden können. - Das war die erste Rücknahme.

Zweitens Hochschulkürzungen. Wir hatten das berühmte Deubel-Gutachten, das auswies, wir könnten aus den Hochschulbudgets ohne Weiteres 50 Millionen € pro Jahr herausziehen. 50 Millionen € pro Jahr wollte man über Stufen von 5 Millionen € pro Jahr ab 2015 bzw. 2016 erreichen.

Die Leute gingen auf die Straße. Was ist passiert? - Es gab den sogenannten Bernburger Frieden. Den kann man mit dem folgenden Motto beschreiben: Wir behalten bei den Hochschulbudgets in etwa den Status quo bei. Das heißt, es wird nichts gekürzt, es wird aber auch nichts draufgelegt. Über eine Kürzung um 0,5 % kann man sich streiten.

Übrigens wissen wir, dass selbst dieser sogenannte Bernburger Frieden dazu führen wird, dass unsere Hochschullandschaft, wenn er wirklich lange Zeit beibehalten wird, massiv beschädigt werden wird, dass sie Qualität verliert und dass sie Studenten verliert, was umso unverständlicher ist,

als es jetzt mit der BAföG-Vereinbarung mit dem Bund auch überhaupt keine finanzielle Notwendigkeit mehr für einen so radikalen Kurs gegen unsere Hochschullandschaft gibt. Aber das sei einmal dahingestellt. Fakt ist, dass der größte Teil der vorgesehenen Einsparungen bei den Hochschulbudgets zurückgenommen worden ist.

Dann ging es weiter: Kürzungen in den Bereichen Soziales und Jugend sowie beim Blindengeld. Diese sind leider nicht vollständig zurückgenommen worden auf Druck der Proteste, aber sie sind zumindest zum Teil zurückgenommen worden.

Nachdem all diese Debatten in der Öffentlichkeit eine zentrale Rolle gespielt hatten, kam der nächste Krisenherd dieser Landesregierung in der Öffentlichkeit zum Vorschein. Das war die Polizeistrukturreform. Diese fing auf einmal an zu stocken. Für dieses Stocken der Polizeistrukturreform gibt es einen einfachen Grund. Irgendwann kam man bei sämtlichen Strukturmodellen, die man einsetzen wollte, zu der Erkenntnis: Öffentliche Sicherheit geht in keiner Struktur ohne Polizisten.

Das bedeutet, wenn ich den Personalabbau im Bereich der Polizei, so wie in der Koalitionsvereinbarung beschlossen, so wie von der Koalition akzeptiert, so wie drei Jahre lang vom Innenminister akzeptiert, weiterbetreibe, werde ich die innere Sicherheit in diesem Land nicht mehr garantieren können.

Was passierte? - Man fing an, sich von dem radikalen Personalabbau im Bereich der Polizei zu verabschieden. Es wurde heute noch einmal gesagt: nicht mehr 150, sondern 200 Einstellungen pro Jahr, um in der Realität nicht 6 000 Beamte - wir alle wissen, das wird nicht hinhauen -, aber wenigstens 5 700 bis 5 800 Vollzugsbeamte bei der Polizei beizubehalten. Man hat also im Verhältnis zu dem Plan die Personalausgaben aufgestockt.

Kaum hatte man diese Debatte einigermaßen im Griff - oder schon parallel dazu -, kam ein nächster Krisenherd zum Vorschein, und zwar die Frage der Grundschulschließungen auf dem flachen Land.

Noch einmal ganz klar: In den nächsten Jahren werden wir mehr Grundschüler haben als in den letzten Jahren. Warum also müssen wir die kleinen Schulen schließen? - Ganz einfach deshalb, weil die Einstellungskorridore für Lehrer deutlich unter den jährlichen Abgangsraten für Pädagogen aus dem Schulbereich liegen.

Noch einmal: Pro Jahr verlieren wir 600 bis 700 Pädagogen im Schulbereich. Wir diskutieren zurzeit über 250 Einstellungen. Jetzt hat man aber auf einmal gesehen, dass der Druck so groß wurde, dass man zumindest auf 370 Einstellungen hochgeht. Möglicherweise sagt man: Na, in der nächsten Legislaturperiode werden es wohl mehr als

400 Einstellungen sein. Das sind übrigens immer noch deutlich weniger Pädagogen, als aus dem Bereich hinausgehen.

Auch dieser Konflikt hat sich weiter zugespitzt, nicht nur im Bereich der Grundschulstandorte, sondern auch im Bereich - darüber haben wir hier letztens zweimal diskutiert - des wachsenden Unterrichtsausfalls, weil ich die Unterrichtsversorgung in verschiedenen Bereichen eben schon jetzt nicht mehr garantieren kann. Ich werde sie auch in der Perspektive nicht mehr garantieren können, wenn ich viel weniger Lehrer einstelle als hinausgehen.

Fakt ist aber: Im Verhältnis zum Kabinettsbeschluss aus dem Jahr 2013, der die Schuldenspirale an die Wand gemalt hat, der den Untergang an die Wand gemalt hat, hat man jetzt natürlich deutlich höhere Personalausgaben einzuplanen. Der Landesrechnungshof spricht von einer Summe von 75 Millionen bis 100 Millionen €. Es kann jetzt dahingestellt sein, in welchem Zeitraum das alles passieren soll.

Fakt ist jedenfalls eines bei dieser ganzen Geschichte: Der zentrale Grundstein „permanenter Personalabbau“ als sozusagen zentrale Position der Haushaltskonsolidierung kommt langsam ins Schwimmen, wird so nicht realisiert.

Wir sagen ganz deutlich: All diese Korrekturen waren ausdrücklich nötig. Sie kamen oftmals viel zu spät oder waren inkonsequent. Und in dem einen Bereich, wo es leider keine Korrekturen mehr gegeben hat, nämlich bei der Förderung der Theaterlandschaft, hinterlassen Sie deutliche Spuren von Qualitätsverschlechterung, von Kulturabbau.

(Zustimmung von Frau Bull, DIE LINKE, und von Frau Zoschke, DIE LINKE)

Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen: Schauen Sie sich bitte den Brief des Intendanten des NT zu dieser Entscheidung heute noch einmal an. Hier werden keine Strukturen gesichert, hier werden Qualität und Angebot abgebaut, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, Herr Haseloff, Sie haben sogar Recht. Das tun wir, ohne Geld zu sparen; denn allein die Gelder, die ich für diese Umstrukturierungen jetzt ausgeben würde, hätten zehn Jahre lang dafür gereicht, ein entsprechendes Angebot auf entsprechendem Niveau weiter vorzuhalten.

Das alles waren die Ursachen für die massiven Proteste. Die Menschen, die auf die Straße gegangen sind, haben ganz klar gesagt: Liebe Landesregierung, eure alleinige Fokussierung auf Schuldenabbau, eure alleinige Fokussierung darauf, diesen Haushalt vermeintlich zu sanieren, das ist nicht die Zukunft dieses Landes. Liebe Kollegen