Protocol of the Session on March 28, 2014

- Frau Bull ist gerade beschäftigt -: Der Integrationsanteil liegt in Sachsen-Anhalt gegenwärtig bei 27,1 %. Vor zehn Jahren waren es nur 2 %. Wir hinken also nicht hinterher, sondern sind genau im Bundesdurchschnitt angekommen. Ich finde, das ist eine bemerkenswerte Entwicklung. Das sollte man zur Kenntnis nehmen.

In Zahlen ausgedrückt heißt das: Im Schuljahr 2013/2014 gibt es 4 089 Schülerinnen und Schüler mit festgestelltem sonderpädagogischem Förderbedarf an den allgemeinbildenden Grundschulen. 83 % aller Grundschulen, 94 % der weiterführenden Schulen der Sekundarstufe I und ca. 60 % der Gymnasien führen den gemeinsamen Unterricht durch.

Hierbei geht es jedoch nicht nur um Zahlen. Es geht vor allem um das Wohl der Kinder und Ju

gendlichen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf. Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte ich an dieser Stelle deutlich machen, dass wir als Landesregierung uns schon mehrfach zur schrittweisen Einführung inklusiver Bildungsangebote an den Schulen Sachsen-Anhalts bekannt haben. Vieles von dem, worauf der Antrag abzielt, ist schon Praxis oder in Planung.

Ich möchte einige Beispiele aufzählen: die bedarfsgerechte präventive Grundversorgung, die Befähigung zur pädagogischen Diagnostik, die fachkompetente Unterstützung des gemeinsamen Unterrichts in allen Schulformen, die Entwicklung und Qualifizierung der Förderzentren zu Beratungs- und Unterstützungszentren, die Qualifizierung der Lehrkräfte, die Erarbeitung von Hinweisen für Schulträger zur sachgemäßen Schulausstattung. Das sind nur einige Punkte; diese Liste könnte fortgesetzt werden.

Wichtig ist: Für die Arbeit an den Grundschulen und für die individuelle Lernförderung in der Schuleingangsphase wurde jetzt Material zur pädagogischen Diagnostik als, wenn man so will, Grundbaustein des pädagogischen Arbeitens an den Grundschulen entwickelt. Das ist in Zusammenarbeit mit dem Landesschulamt und dem Lisa entstanden. Es ist des Weiteren ein Evaluierungsinstrument entstanden. Diese beiden Materialien, zum einen die individuelle Lernförderung und Diagnostik und zum anderen das Evaluierungsinstrument für die Schuleingangsphase, werden gegenwärtig implementiert.

Wir haben für dieses Schuljahr 19 Grundschulen und sechs Sekundarschulen bzw. Gemeinschaftsschulen als Schulen mit inklusivem Schulprofil zertifiziert. „Inklusive Schule“ ist eine Art Gütesiegel. Ziel dieser Zertifizierung ist die Anerkennung einer mehrjährigen Arbeitsphase hin zur inklusiven Schule. Die Schulen werden dabei von uns eng begleitet. Auch für das kommende Schulschuljahr können sich Schulen bewerben. Auch in dieser Hinsicht passiert einiges.

Ich bin mir mit meiner Vorrednerin darin einig, dass für das Gelingen ganz zentral die Frage der Ausbildung und der Qualifizierung entscheidend ist. Dazu haben wir uns in der Kultusministerkonferenz verständigt. Das muss Gegenstand der ersten und der zweiten Ausbildungsphase sein. Anders werden wir dabei nicht weiterkommen.

Grundsätzlich ist die Erweiterung von sonderpädagogischer und diagnostischer Kompetenz aber auch ein zentrales Thema für die Aus-, Fort- und Weiterbildung. Das wird als Zielvereinbarung in die Ausbildung aufgenommen.

Wir haben schon eine Tradition in diesem Bereich. Das Lisa wird die einjährigen Fortbildungsangebo

te für den gemeinsamen Unterricht fortsetzen und auch die Teilnehmerzahlen erweitern. Ich möchte hinzufügen: Die Kurse für Grund- und Förderschullehrkräfte erfahren erheblichen Zuspruch.

Erfreulich ist, dass das auch für die Sekundar- und Förderschullehrkräfte gilt, die zunehmend nachgefragt werden und gegenwärtig ausgelastet sind. Eine Zahl: 350 Lehrerinnen und Lehrer nutzen jährlich diese Kursangebote. Und das ist nur ein Angebot. Es gibt daneben vieles, was zu mehr Inklusion führt.

Im Hinblick auf die personelle Ausstattung möchte ich nicht das wiederholen, über das wir schon heute Vormittag diskutiert haben. Ich möchte nur hinzufügen: Wir werden das in dem Konzept für die pädagogischen Mitarbeiter, das wir im Juni 2014 den Ausschüssen übersenden wollen, berücksichtigen.

Ein Ziel wird es sein, frei werdende Ressourcen an Förderschulen dorthin zu holen, wo der gemeinsame Unterricht stattfindet - das hatte der Kollege Harms heute früh gefragt -, und zwar an die Regelschule selbst. Auch hierbei gilt es die schulentwicklungsplanerischen Reserven zu erschließen.

Im Hinblick auf die Schulausstattung soll eine Arbeitsgruppe die für die Umsetzung inklusiver Beschulung notwendigen Rahmenbedingungen prüfen und dann auch entsprechende Empfehlungen vorlegen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Längst sind in den Inklusionsprozess alle allgemeinbildenden Schulformen eingebunden. Gegenwärtig arbeiten wir sogar daran, dieses auch auf die berufliche Bildung auszuweiten und dafür zu qualifizieren. Es geht also Schritt für Schritt voran. Dennoch bleibt es eine große Herausforderung für Schule und Gesellschaft. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke schön, Herr Minister. - Für die Fraktion der CDU spricht Frau Kollegin Koch-Kupfer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unbestritten: Die Kultiviertheit einer Kultur erweist sich erst durch den Umgang mit Schwächeren. So sieht es unter anderem bei dem Thema Inklusion auch die Netzgemeinde. Aber es scheiden sich wohl die Geister - so sagt der Volksmund - nicht grundsätzlich an der Frage, ob wir allen Menschen in unserer Gesellschaft eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen müssen, sondern am Wie. Der Minister hatte bereits darauf verwiesen.

Bildungsthema Nr. 1 in den deutschen Bundesländern ist seit dem Jahr 2009 das Thema Inklusion. Die aktuelle Ausgabe der „Zeit“

(Die Rednerin hält eine Zeitung hoch)

- heute wieder ganz druckfrisch in meinem Briefkasten - titelt unter anderem: „Woran scheitert die Inklusion?“ - Eine Streitfrage.

Wie sieht es fünf Jahre nach dem Start in die inklusive Schule in den deutschen Bundesländern aus? - Einige Bundesländer, darunter Bremen, Berlin und Hamburg, sind in der Hinsicht schon weit, andere sind nicht so schnell. Baden-Württemberg hat eher ein ruhiges Tempo vorgelegt. Probleme mit den sächlichen, den räumlichen und den personellen Rahmenbedingungen haben alle Bundesländer. Der Bildungsökonom Klaus Klemm beziffert den Personalbedarf auf 9 300 zusätzliche Lehrkräfte.

(Zustimmung von Herrn Daldrup, CDU, von Herrn Rotter, CDU, und von Herrn Thomas, CDU)

660 Millionen € im Jahr muss man für eine wirklich gute Inklusion in den Schulen aufwenden. Auch die GEW Sachsen-Anhalt sagt: Wir brauchen dafür 800 zusätzliche Lehrer, zusätzliche Umbauten, Schulungen und Integrationshelfer.

Die 370 Neueinstellungen mögen uns glücklich machen, sie würden diesen Bedarf jedoch nicht decken.

(Zustimmung von Frau Bull, DIE LINKE)

Ich meine, der Antrag hat ein durchaus kritisches Potenzial, vor allem hinsichtlich des bestehenden Miteinanders und der bestehenden Arbeit in den Schulen. Dass Inklusion dort überhaupt gut läuft und es durchaus gute Beispiele gibt, liegt vor allem an den motivierten Kolleginnen und Kollegen, die es dort gibt, die sich kaum schonen und mehr und mehr an ihre Grenzen stoßen.

(Zustimmung von Herrn Daldrup, CDU, von Herrn Rotter, CDU, und von Herrn Thomas, CDU)

Wir müssen auch einmal genauer hinschauen, wie wir sie vorbereitet haben. Sie brauchen solide Fortbildungen. Gut, es gab Fortbildungen. Anfangs müssen sie auch ein Coaching erfahren; denn Haltungsänderungen vollziehen sich eben leider nicht von heute auf morgen. Das ist ein schwerwiegender und schwieriger Prozess und manchmal auch schmerzlich. Schnellkurse reichen dafür eben nicht. Und fehlendes Wissen kann man nicht allein durch guten Willen ersetzen. Das liest man heute ebenfalls in dem erwähnten Zeitungsartikel.

(Zustimmung bei der CDU)

Das führt zu Ängsten, Zweifeln und Verunsicherung in den Schulen. Zudem baut das System lei

der immer noch darauf auf, dass Menschen, die hier arbeiten, eben nicht nur engagiert, sondern überengagiert sind. Darüber werden sie oft krank. Wir reden sehr oft über den Krankenstand der Kollegen. Das dürfen wir auch nicht ausblenden. Letzten Endes haben wir als Arbeitgeber auch eine Fürsorgepflicht den Kollegen gegenüber.

Wenn wir immer vom guten Willen sprechen, dann müssen wir auch einmal sagen: Selbst die jungen Kolleginnen - wir reden oft über die älteren, die ihre Haltung nicht ändern können - sind nicht so gut auf das vorbereitet, was sie in der Schule erwartet.

Wenn wir über Inklusion reden, dann reden wir nicht nur über das geistig aufgeweckte Kind, das im Rollstuhl sitzt. Wir blenden die gesamte Problematik aus, wenn wir darüber hinwegschauen, dass es auch Kinder mit ganz schwerwiegenden Krankheiten gibt. Wenn Sie an die Diskussion um die fehlende Krankenschwester hier in Magdeburg in der Außenstelle der Förderschule am Fermersleber Weg denken, dann wissen Sie, wovon ich rede.

Es gibt eben nicht nur die einfach lernbehinderten Kinder, sondern es gibt auch Kinder, die emotional besonders bedürftig sind. Selbst sehr engagierte, kompetente Kollegen in den Schulen stoßen zum Beispiel bei verhaltensgestörten Schülern doch sehr häufig an ihre Grenzen.

In dieser Sache braucht es unbedingt noch ganz viel Engagement, auch von unserer Seite. Wir müssen die Lehrer dabei unterstützen, dass sie eine gute Arbeit leisten. Auch die Wissenschaft ist sich nicht ganz einig darüber, ob Geld und Haltung gegeneinander aufzuwiegen sind. Haltung allein reicht nicht und Haltungsänderungen brauchen Zeit.

Dafür wünsche ich uns mit den Lehrern in Bezug auf die Inklusion die nötige Geduld, aber auch Unterstützung. Ich freue mich jedenfalls auf eine rege Diskussion im Ausschuss und darauf, dass wir hoffentlich Lösungsansätze finden, die über das Einfordern von Daten hinausgehen.

Wir stimmen einer Überweisung des Antrages in die vorgeschlagenen Ausschüsse zu. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Kollegin Koch-Kupfer. - Als Nächste spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Professor Dr. Dalbert.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inklusion ist uns allen ein Herzensanliegen. Aber wir haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wie wir das Ziel am Ende erreichen werden.

Auch ich möchte meine Rede mit einem Dank an die Lehrer und pädagogischen Mitarbeiter beginnen, die in unseren Schulen bei der Inklusion eine großartige Arbeit leisten, und das unter zunehmend schlechter werdenden Arbeitsbedingungen. Über die Gesundheit der Lehrkräfte und den Unterrichtsausfall haben wir heute Morgen gesprochen. Wir haben im Hohen Haus mehrfach darüber gesprochen, dass die pädagogischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen laut Personalentwicklungskonzept eine aussterbende Spezies sind. Insofern werden die Bedingungen immer schwerer. Trotzdem lassen die Kolleginnen und Kollegen vor Ort bei ihrer wichtigen Arbeit nicht nach.

(Zustimmung von Herrn Weihrich, GRÜNE)

Wie gesagt, wir reden heute nicht das erste Mal über dieses Thema. Ich könnte es mir jetzt einfach machen und unseren Änderungsantrag vom 6. Juni 2012 vorlesen; denn darin sind alle Punkte, die uns wichtig sind, enthalten. Aber das möchte ich aus Respekt vor der Fraktion DIE LINKEN nicht tun. Vielmehr möchte ich gerne auf ihren Antrag im Einzelnen eingehen.

Es gibt Punkte, bei denen wir ganz klar sagen: Das ist zentral; das muss umgesetzt werden. Ich nenne die multiprofessionellen Teams, im Hinblick auf die ich schon mehrfach angemahnt habe, dass die Landesregierung doch Konzepte entwickeln soll. Dies sollte jetzt geschehen, da sie über die EUFinanzierung der Schulsozialarbeit bis 2019 noch einmal ein Zeitfenster gewonnen hat, um zu spezifizieren, wie sie sich das vorstellt und wie das zukünftig im Landeshaushalt verankert sein soll.

Ich nenne als weitere Punkte die Lehrerbildung: Inklusionskompetenzen, didaktische Kompetenzen zum binnendifferenzierten Unterricht. Das ist klar. Dazu sagen wir: Ausrufezeichen! Das muss sein. Wir müssen uns nur überlegen, wie wir es dann im Detail umsetzen.

Auch über die Frage von Grundstücken und Anlagenausgestaltung - ich sehe einmal in Richtung Hendrik Lange - haben wir hier im Hohen Haus schon sehr spezifisch diskutiert. Auch in diesem Punkt sind wir ganz bei Ihnen. Dies gilt auch für die Frage, dass wir als Land Sachsen-Anhalt das am Ende alleine nur sehr schwer finanziell stemmen können und dass wir deswegen natürlich dazu ermuntern, alle Ressourcen auf EU- und Bundesebene zu mobilisieren, die uns bei der Umsetzung der Inklusion helfen können.

(Zustimmung von Herrn Weihrich, GRÜNE, und von Herrn Striegel, GRÜNE)

Besonders hervorheben möchte ich zwei Punkte, von denen ich denke, dass Ihr Antrag da einen neuen Akzent setzt, einen - wie ich finde - guten neuen Akzent, nämlich - Sie haben das in Ihrer Einbringungsrede ausgeführt, Frau Kollegin Bull -

einmal über präventive Grundversorgung in der Hortbetreuung nachzudenken.