Protocol of the Session on March 27, 2014

Wir schlagen vor, das Modell der Kindergrundsicherung zur Grundlage zu nehmen. Die bestehenden Regelungen im Bereich von Kindergeld, Kinderzuschlag, Kinderfreibetrag und zu den Regelsätzen für Kinder und Jugendliche werden zu einer eigenen allgemeinen und einheitlichen Transferleistung weiterentwickelt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das Leitmotiv ist klar: Jedes Kind ist dem Staat gleich viel wert. Jedes Kind ist ein eigenständiges Rechtssubjekt. Jedes Kind hat ein Recht auf eine eigenständige Existenzsicherung.

Ich gebe zu, das ist ein Paradigmenwechsel. Ich habe schon im Vorfeld gemerkt, dass es viel Diskussionsstoff gibt, wenn man einen solchen Paradigmenwechsel in Deutschland durchführen will. Aber ich bin bereit, alles zu tun und auch wirklich jeden kleinen Schritt auf diesem langen Weg zu gehen.

Wenn ich erlebe, dass ein Kind - jetzt bleibe ich bei dem Beispiel -, das nicht einmal ein Frühstück oder ein Mittagessen in der Kita hat, über seine Eltern ganz trocken sagt: „Och, wir sind Hartzer, und das sind wir alle und schon lange; und ich werde auch Hartzer“ - und damit nicht meint, dass sie aus Halberstadt oder einem anderen Ort aus dem Harz kommen, sondern damit den Hintergrund von Hartz IV meint -, dann finde ich das schon bitter. Deshalb möchte ich dafür kämpfen, dass wir so etwas in Deutschland nicht mehr haben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir brauchen eine Kindergrundsicherung, die unabhängig vom Status der Eltern den Status des Kindes hervorhebt. Dazu müssen wir Fragestellungen beantworten, die nicht einfach sind: Können wir in Deutschland einen Grundwert etablieren, der eine gemeinschaftliche Verantwortung für die grundlegende Versorgung aller Kinder hat? Oder soll der Sozialstaat nach wie vor als Ausfallbürge für die Wirtschaft fungieren?

Wollen wir eine einzig an Defiziten ansetzende Transferleistung, die Einkommensschwächen kompensiert, oder eine völlige Neuausrichtung zugunsten der Kinder? - Dies ist - das gebe ich zu - eine tiefgreifende gesellschaftspolitische Frage, die stark in die Fragen des Unterhaltsrechts und in andere Rechtsgebiete eingreift. Deswegen - das betone ich - wollen wir eine Diskussion darüber anstoßen.

Auf Bundesebene gibt es das Bündnis Kindergrundsicherung, in dem sich unter anderem die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die Arbeiterwohlfahrt und der Deutsche Kinderschutzbund engagieren. Diese treiben auf Bundesebene die Diskussion voran.

Wir wollen, dass sich Sachsen-Anhalt im Bundesrat in den entsprechenden Fachausschüssen und in anderen Einrichtungen mit dieser Problematik auseinandersetzt und dass wir dies auch im Ausschuss tun. Wir möchten unseren Antrag gern in die Ausschüsse für Finanzen sowie für Arbeit und Soziales überweisen, um dort eine fachliche Diskussion führen zu können.

Ich will abschließend noch Folgendes sagen: Wir haben kein klares abschließendes Konzept zur Kindergrundsicherung, aber wir haben eine klare Richtung, die ich eben angerissen habe und die ich gern mit den Fachpolitikern weiter diskutieren möchte.

Als Erstes schlagen wir vor, um die einzelnen Schritte finanzieren zu können, dass man das Ehegattensplitting abschmelzt zugunsten der Förderung von Kindern. Das lässt sich auf den Slogan bringen: Nicht den Trauschein fördern, sondern Kinder.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Frau Bull, DIE LINKE - Herr Schröder, CDU: Wollen Sie das ausschließen?)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Interesse der Kinder dieses Landes würde ich mich gern auf eine Diskussion mit Ihnen einlassen. Dann können wir darüber diskutieren, inwieweit das Ehegattensplitting oder andere Instrumente zur Verfügung stehen und inwieweit man sich darauf einlässt.

Ich freue mich auf die Diskussion und hoffe, dass Sie das auch tun und unserem Antrag auf Überweisung in die genannten Ausschüsse zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lüddemann. - Wir treten noch nicht in die Debatte ein, sondern wir lassen zuerst den Minister zu Wort kommen. Bitte schön, Herr Minister Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch zu später Stunde: Frau Lüddemann, Sie hatten jetzt - das steht Ihnen zu - eine Viertelstunde Zeit und haben so viele Dinge angesprochen, dass ich sie erst einmal in Ruhe nachlesen muss. Das ging teilweise so durcheinander - das sage ich ganz offen -, dass ich gar nicht weiß, wo ich es einordnen soll. Ich habe versucht, es etwas zu sortieren.

Erstens. Ich bin gespannt, wie die Parteiprogramme der GRÜNEN in den Ländern aussehen, in denen sie an der Regierung beteiligt sind und was dazu später in der Koalitionsvereinbarung steht.

(Zustimmung bei der SPD)

Da sie in Hessen in einer schwarz-grünen Regierungskoalition sind, bin ich gespannt, was dazu auf Bundesratsebene passiert. Sie sagen, dieses Wahlversprechen ist schon wieder gebrochen. Ich sage: Wahlprogramme von Parteien bekommt man doch - das hat Herr Hövelmann vorhin schon gefragt - nie in Reinkultur durch; vielmehr verständigt man sich in einer Koalition auf Kompromisse. Das

werden die GRÜNEN auch in Hessen getan haben, aber auch in anderen Ländern, in denen RotGrün regiert.

Daher verstehe ich nicht, wenn Sie sagen: Die Koalition hat diesbezüglich nicht gut verhandelt und deshalb ist das Wahlversprechen schon gebrochen. Das zu sagen ist, glaube ich, nicht redlich. Ich werde schauen, was in den anderen Ländern passiert und hier darüber Auskunft geben, wie das in anderen Ländern vonstatten geht und wie sie das verknüpfen.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Woher nehmen Sie die Aussage, dass die Bundesregierung - das sind alles Bundesthemen; ich brauchte mich dazu gar nicht zu äußern - den Kinderfreibetrag nicht erhöhen will? Woher nehmen Sie das?

(Frau Lüddemann, GRÜNE: Ich habe nichts anderes gehört!)

Diese Bundesregierung arbeitet seit den Koalitionsverhandlungen erst ein halbes Jahr daran. Sie muss den Kinderfreibetrag sowieso erhöhen. Das steht im Bericht über das Existenzminimum. Es ist bisher immer geschehen und es wird auch diesmal so sein. Wir wissen auch schon, wie viel hereinkommen wird und in welcher Form er erhöht wird. 4 368 € werden nicht mehr ausreichen. Der Betrag wird um 72 € erhöht. Das ist doch aber das normale Geschäft. Sie können doch nicht nach einem halben Jahr schon sagen: Die machen nichts, Versprechen schon gebrochen.

Das Bundesverfassungsgericht hat dazu übrigens auch ein Urteil gesprochen. Die Kindergelderhöhung würde - sie ist zwar nicht direkt daran gekoppelt, aber man kann das ausrechnen - 2 € betragen. Das ist nur eine marginale Kindergelderhöhung.

Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung den Kinderfreibetrag gesetzgeberisch rechtzeitig auf den Weg bringen wird. Ich habe auch keinen Anlass zu der Annahme, dass sie dem nicht nachkommen wird, weil das Bundesverfassungsgericht auch entsprechend geurteilt hat.

Ein weiterer Punkt betrifft die Regelsätze. Sicherlich kann man darüber diskutieren, ob diese Regelsätze für Kinder hoch genug sind - darüber haben wir in diesem Haus oft genug diskutiert -, ob sie armutsfest sind und ob die Kriterien, die daran gebunden sind, richtig sind.

Aber das Bundesverfassungsgericht hat entsprechend geurteilt. Sie haben auch darauf hingewiesen. Ich gehe davon aus, dass spätestens nach fünf Jahren genau das umgesetzt wird. Ich habe keinen Anlass, daran zu zweifeln.

Wir haben das übrigens etwas kritisiert und gesagt, dass es besser wäre, wenn das Geld in die

Systeme gehen würde, von denen alle Kinder etwas haben.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Das hat nicht funktioniert, weil das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht hat, dass es ein individueller Bedarf ist, der übrigens nicht allein von den Eltern abgeleitet werden darf. Auch das ist schon ansatzweise umgesetzt worden. Das bringen Sie aber heute wieder als Begründung an.

Ein weiterer Punkt - es ging mir sehr viel durcheinander und ich habe auch nur fünf Minuten Redezeit -, den Sie angesprochen haben, betraf die Kindergrundsicherung. Auch darüber kann man sich unterhalten. Diese ist an nichts gekoppelt. Darüber kann man frei reden.

Ich finde es wichtig, dass die Parteien auf Bundesebene darüber erst einmal diskutieren. Wir sind in unseren Auffassungen dazu nicht weit auseinander, wenn es darum geht, dass Kinder etwas Eigenständiges brauchen. Das gilt übrigens für Erwachsene auch. Über die einkommensunabhängige und bedingungslose Grundsicherung wird über Parteigrenzen hinweg längst diskutiert. Ob das etwas bringt, ist strittig. Zu dieser Frage gibt es bei allen Parteien unterschiedliche Meinungen.

Wenn man diese Diskussion aufbringt, dann muss man auch die Frage der Gegenfinanzierung klären. Sie haben richtigerweise auf das Ehegattensplitting hingewiesen. Ich wäre bei Ihnen fast geneigt zu sagen, Familiensplitting wäre für mich richtiger, weil es den Kindern zugute kommt. Das wird in den Parteien unterschiedlich gesehen.

Aber die Finanzen, die dafür zur Verfügung stehen - das wissen Sie selbst -, reichen bei Weitem nicht aus, um eine Grundsicherung für die Kinder herzustellen. Das müsste man seriös berechnen. Daher möchte ich mich auf eine solche Diskussion jetzt nicht einlassen. Im Übrigen würde dann jede Familie davon profitieren, auch die Millionärsfamilie würde von einer Grundsicherung für Kinder profitieren. Eine Diskussion darüber, ob das gerecht ist - die Diskussion will ich jetzt nicht anfangen -, ist auch wichtig.

Zum Schluss noch eine Anmerkung: Ich kann wenig mit Anträgen anfangen - auch aufgrund der Kürze der Zeit -, wenn ich nicht weiß, wo und wie man über diese seriös diskutieren kann. Es ist die Frage, ob der Sozialausschuss eines Landtages der richtige Ort ist, darüber zu diskutieren. Aber das ist auch eine Frage, die von den Parteien beantwortet werden muss. Dort kann man sich darüber streiten, der Weg muss diskutiert werden.

Das alles sind Dinge, die zurzeit die Bundesebene betreffen. Ich weiß nicht, inwieweit wir uns einig wären, über den Bundesrat Dinge einzubringen, für die wir erstens nicht zuständig sind - denn das Bundesverfassungsgericht hat das der Bundes

regierung aufgetragen - und für die wir zweitens die Gegenfinanzierung nicht aufbringen können.

Daher halte ich die Anträge in fast allen Punkten entweder für verfrüht - man muss erst einmal abwarten, was die Bundesregierung diesbezüglich regelt - oder in der Sache für so unausgereift, dass ich keinen Vorschlag hätte, wie man damit umgeht.

Für mich ist Kinderarmut zuallererst Einkommensarmut.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Deshalb unternimmt auch unser Ministerium alles, damit wir Alleinerziehende oder Elternteile, von denen beide keine Arbeit haben, in Arbeit bzw. in Qualifizierung bringen - deshalb auch der Mindestlohn, der am Ende natürlich noch höher ausfallen muss. Das Einkommen der Eltern entscheidet mit darüber, ob Kinder in Armut aufwachsen oder nicht. Deshalb lege ich zurzeit größten Wert darauf, dass wir aufgrund der Arbeitsmarktsituation in den nächsten Jahren viele Menschen in Lohn und Brot bringen, damit sie von ihrer Hände Arbeit leben und ihre Kinder gut aufwachsen lassen können.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die Debatte wird jetzt eröffnet durch die CDU-Fraktion. Es spricht Herr Kollege Jantos. Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den vorliegenden Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum ersten Mal gelesen habe, habe ich mich gefragt, ob ich mich im Landtag von Sachsen-Anhalt oder im Deutschen Bundestag befinde, wo der Antrag eigentlich zu diskutieren wäre,

(Frau Bull, DIE LINKE: Das ist ja witzig!)

liegt doch die Kompetenz zur Regelung der in dem Antrag aufgeworfenen Fragen auf der Bundes- und nicht auf der Landesebene. Aber dann fiel mir ein, wir haben ja bald Kommunalwahlen.