Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Irgendwie hat Bundespräsident Christian Wulff unlängst von unserem Antrag erfahren und vor zwei Wochen in einem Interview mit der Zeitung „Die Zeit“ die Entmachtung der Parlamente kritisiert; also doch ein ewiges Thema, aktuell aufgegriffen und in Form der Beteiligung des Landtags an der Europapolitik heute dankenswerterweise auch auf der Tagesordnung.
Wie schon in der vergangenen Legislaturperiode von unserer Fraktion rege betrieben, geht es uns heute erneut um die Frage, wie die Qualität der Mitgestaltung der Europapolitik durch den Landtag ausgebaut werden kann. Die Quantität ist entsprechend dem Einfluss der Europapolitik auf das Land enorm. Nur an der „Veredlung der Informationen“, wie es vor zwei Jahren ein Anzuhörender im Europaausschuss zum Thema Europatauglichkeit formulierte, hapert es noch immer.
Dies wird fraktionsübergreifend zumindest von den Politikerinnen im Europaausschuss so gesehen. So wurde in der vergangenen Sitzung das Thema Europatauglichkeit einstimmig zu einem der Arbeitsschwerpunkte erhoben. Heute folgt also nun der Aufschlag mit unseren konkreten Verbesserungsvorstellungen dazu.
Naturgemäß und anständig gewaltenteilend teilt die Landesregierung nicht unsere kritische Bewertung zur Ausbaufähigkeit des Zusammenspiels zwischen Exekutive und Legislative in Sachen Europapolitik. Dies zeigt jedenfalls der Bericht der Landesregierung vom 28. Oktober 2010, der das Ergebnis eines Antrags von uns in der fünften Legislaturperiode war.
In diesem drei Mal verschobenen und mit Spannung erwarteten Bericht der Landesregierung zu ihren Vorstellungen für eine verbesserte Zusammenarbeit lobt die Landesregierung die erprobten Instrumente des Landtagsinformationsgesetzes
und der dazugehörenden Vereinbarung, kurz: LIV, was auch aus deren Sicht okay ist. Es geht aber letztlich keinen Schritt weiter.
Die Landesregierung kommt einfach zu dem Schluss: Alles in Butter; kein Veränderungsbedarf; die Landesregierung leistet, was sie kann. - Nun ja. Wie gesagt, die Parlamentarier sehen das etwas anders, und nicht nur die in Sachsen-Anhalt. Ich empfehle die Vereinbarung über die Unterrichtung des Hessischen Landtages durch die Landesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 28. Juni 2010 als Lektüre für Interessierte.
Am 7. Juni dieses Jahres haben sich die bundesdeutschen und österreichischen Landtagspräsidentinnen - der Landtag Südtirols war auch dabei - in Wolfsburg getroffen. Bundespräsident Wulff schaute bei dieser Gelegenheit in seiner alten Heimat Niedersachsen vorbei und kam wohl dort zu seinem eingangs erwähnten Urteil der Entparlamentarisierung.
Wie auch immer, in Wolfsburg verabschiedeten die Präsidentinnen eine gleichnamige Erklärung, in der sie den Willen zur verbesserten Mitgestaltung der Europapolitik abermals, wie schon oft und zuletzt bei den Erklärungen von Innsbruck oder Stuttgart, bekundeten.
Es wäre übrigens schön, wenn diese Erklärung als Unterrichtung des Landtagspräsidenten auch bei uns im Landtag offiziell veröffentlicht worden wäre, so wie es die Verwaltungen in Thüringen, Nordrhein-Westfalen oder Hamburg gemacht haben. Wie Sie unschwer feststellen können, haben wir die Erklärung im Dschungel der Datenfülle doch gefunden.
Ich denke, diese Erklärung wird vom gesamten Landtag begrüßt, wie von uns unter Punkt 1 beantragt, bekräftigt sie doch unter anderem den Willen, die Europapolitik mitzugestalten.
Nun zur Erläuterung von Punkt 2. Da es uns in unzähligen Selbstbefassungen in den Sitzungen des Europaausschusses der letzten Legislaturperiode nicht gelungen ist, einen unverkrampften Zugriff auf die europapolitischen Ausarbeitungen der Staatskanzlei, speziell über die Vertretung in Brüssel, oder regelmäßig bei Bedarf aus der Europaministerkonferenz zu erhalten, beantragen wir auf diesem Wege, dass die Landesregierung den Landtag halbjährlich darüber in Kenntnis setzt, welche landesrelevanten Initiativen die Europäische Kommission auf den Weg bringen will und - das ist das Wichtigste - welche Position und welche Strategie die Landesregierung dazu entwickelt.
Die Staats- bzw. Landesregierungen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern berichten halbjährlich. Das schafft bestimmt auch unsere Landesregierung. Übrigens: Die hessische Landesregie
Wir hoffen, dass das hessische Beispiel hier Früchte tragen kann. Bisher wird uns freundlicherweise zu Beginn jedes Jahres ein Jahresbericht zu den europapolitischen Schwerpunkten vorgelegt, jedoch in aus unserer Sicht vager Form. Wann genau was mit welchen Auswirkungen für SachsenAnhalt zu erwarten ist, geht daraus jedenfalls nicht hervor. Im Jahr 2011 ist aufgrund der Besonderheit, dass wir im Frühjahr eine Landtagswahl hatten, der Bericht aus dem Jahr 2010 erst einmal fortgeschrieben worden.
Zum Thema der Bindungskraft von Stellungnahmen. Die Länder Baden-Württemberg und Bayern sind hierbei aus unserer Sicht zumindest parlamentarisch auf der Höhe der Zeit. Per Verfassung bzw. per Parlamentsinformationsgesetz binden diese Landtage ihre Regierungen an Stellungnahmen. Dies ist die Umsetzung der Forderungen der Stuttgarter Erklärung der Landtagspräsidentinnen und Landtagspräsidenten aus dem Jahr 2010.
Damit wurde auch an der fast vorbildlichen Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung Anleihe genommen, die diese Bindung ebenfalls enthält, und zwar in § 9 - Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag -, analog zur Ebene der Bundesregierung und der Landesregierung, wo nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrat über Stellungnahmen an der Willensbildung des Bundes in Europafragen beteiligt wird.
Um deutlich zu machen, wohin wir wollen und wie unterschiedlich die Möglichkeiten zwischen Bundestag und Landtag sind, komme ich kurz noch einmal zum Bundestag. Er genießt in Angelegenheiten der Europäischen Union einen zeitlichen und inhaltlichen Vorsprung, weil ihm die so genannten Drahtberichte der ständigen Vertretung in Brüssel sowie Bewertungen und Stellungnahmen der europäischen Gremien einschließlich informeller Ratsdokumente zugesandt werden. Damit ist der Diskussionsstand aus unserer Sicht schon sehr gut abgebildet.
Bei uns erfährt der Landtag die Positionen erst nach der Meinungsbildung in vorbereitenden Beratungen im Bundesrat oder in den Fachministerkonferenzen. Auf eine frühzeitigere „Zuarbeit“ der Landesregierung ist der Landtag aber angewiesen, da die materiellen und vor allem personellen Ressourcen keine völlig eigenständige Bewertung und Bearbeitung zulassen.
Vielleicht kommen wir wie die Landtage von Hessen, Baden-Württemberg und Bayern noch dahin, eine Vertreterin oder einen Vertreter des Landtages nach Brüssel zu entsenden, weniger zur Kontrolle, als vielmehr zur alternativen Informationsbeschaffung. Der Bundestag ist auch hier mit einem Büro in Brüssel sowie dem Referat PA 1,
das EU-Vorhaben priorisiert und bewertet, vorbildlich. Schließlich gibt es für die Landesregierungen in Brüssel auch den Beobachter für die Länder sowie ein Bundesratsbüro.
Aber zurück in unser Hohes Haus. Da die Mitwirkung des Landes in EU-Angelegenheiten über den Bundesrat erfolgt, braucht es auch hier eine stärkere Kooperation mit dem Landtag.
Auch wenn Sie, Herr Staatsminister Robra, in der vergangenen Sitzung des Europaausschusses in unserer Vertretung in Berlin die Ansicht vertraten, dass im Bundesrat keine EU-Politik gemacht werde, sondern lediglich in der Landesvertretung in Brüssel, sehen wir doch bei beiden Potenziale, den Landtag an der Meinungsfindung zu landesrelevanten EU-Initiativen teilhaben zu lassen. Was soll daran so kompliziert sein?
Im Sinne eines fairen Miteinanders und mit Respekt vor dem Europaausschuss hätte die Landesregierung beispielsweise von sich aus über den Besuch der Wissenschafts- und Wirtschaftsministerin Wolff in Brüssel berichten können.
Der im Rahmen der Selbstbefassung erstattete Bericht war sehr aufschlussreich, was die energiepolitischen Vorstellungen und Vorhaben der EU betrifft. Als Beispiele seien hier CCS und Kohle genannt. Solche europapolitisch und landespolitisch relevanten Informationen sollten über das LIV allen Abgeordneten und vor allem ohne langes Betteln zur Verfügung gestellt werden. Dahin müssen wir kommen.
Zu den letzten beiden, aber nicht weniger wichtigen Punkten unseres Antrages. Der Begriff „Frühwarnmechanismus“ ist selbst für Sachsen-Anhalt, das Land der Frühaufsteherinnen und Frühaufsteher, etwas seltsam. Unter diesem Label gehen täglich EU-Dokumente im LIV ein, die auf ihre Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip hin von nationalen Parlamenten geprüft werden sollen - theoretisch.
Die praktische Umsetzbarkeit des Ansinnens, innerhalb von acht Wochen in sieben Mitgliedstaaten gleichzeitig festzustellen, dass eine Kompetenzüberschreitung durch die EU-Kommission vorliegt, ist nahezu ausgeschlossen. Hinzu kommt der eben beschriebene Zeitverzug in unserem Landesparlament.
Dennoch wäre es für die Arbeit des Parlamentes hilfreich, wenn die Landesregierung unterstützenderweise bekannt gäbe, ob und gegebenenfalls wo es bereits Klagen oder Rügen anderer Regionen bzw. Mitgliedsländer zu einer EU-Vorlage gibt. Allerdings könnte sich der Landtag mit einer Subsidiaritätsrüge oder -klage nicht einmal direkt an die Kommission wenden; dies darf nur über die Landesregierung beim Bundesrat geschehen.
dungskette der Europäischen Union, der Mitgliedsländer und der Regionen. Sie sind in ihren Positionen und Problemen inhomogen und haben aus unserer Sicht die schwächste Lobby.
Abgesehen von wohlhabenderen Kommunen - das sagt man diesen hier nach - wie Hamburg, München - trotz Schuldenstand - oder auch Leipzig, verfügen wohl die wenigsten Kommunen über eigene Europareferate, obwohl sie die Richtlinien und Verordnungen der EU letzten Endes umzusetzen haben.
Die europarechts- und wettbewerbsrechtskonforme Ausschreibung oder Beantragung von EU-Fördermitteln ist anspruchsvoll und nicht nebenbei zu machen. Hierbei fordern wir die Landesregierung dazu auf, die Kommunen bei der Erfüllung dieser Aufgaben mehr zu unterstützen. Die Landeszentrale für politische Bildung sollte dafür verstärkt spezielle europapolitische Weiterbildungen anbieten. Auf dem Europaportal zur politischen Bildung sucht man leider bisher vergeblich nach Angeboten in Sachsen-Anhalt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zunächst die Wolfsburger Erklärung ausdrücklich begrüßen. Es ist erfreulich, wenn sich auch regionale Parlamente in Europa treffen, sich austauschen und dabei wichtige Themen behandeln wie: starke Länder in einem starken Europa, Mitgestaltung Europas durch die Länder im Mehrebenensystem, Subsidiaritätskontrolle, Staatsverschuldung in Europa und - last, but not least - Regionalpolitik.
Ich weise auf die Vielfalt der Themen hin, um deutlich zu machen, dass im Mittelpunkt der Wolfsburger Erklärung gar nicht so sehr die Integrationsverantwortung im engeren Sinne gestanden hat, wie es der Antrag der LINKEN suggeriert, sondern wirklich das ganze, umfassende Spektrum der Einbindung der nationalen Parlamente in die vielfältigen europäischen Aspekte. Darüber kann ich mich auch als Vertreter einer regionalen Regierung, einer Landesregierung nur freuen.
Wir haben das Thema Integrationsverantwortung im engeren Sinne bereits am 10. September 2010 auf Antrag der LINKEN hier behandelt und dazu den eben vom Abgeordneten Herrn Czeke erwähnten Bericht vom 28. Oktober 2010 vorgelegt. Ich würde mich freuen, wenn wir diesen Bericht tatsächlich noch im Ausschuss behandelten. Wir
können dem auch gern noch ein Datum der laufenden Legislaturperiode verleihen und auf den einen oder anderen Aspekt, der auch heute Gegenstand der Erörterung ist, zusätzlich eingehen. Man muss eigentlich im Ausschuss über dieses Thema reden können, ohne es immer wieder aufs Neue im Plenum aufzurufen.
Die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung der Landtage, aber natürlich auch der Landesregierungen, also der Länder insgesamt, ist kein Thema, das konfrontativ zwischen Exekutive und Legislative behandelt werden kann oder darf. Hierbei geht es vielmehr um die Wahrnehmung einer Interorganaufgabe. Das heißt, wir müssen Sachsen-Anhalt insgesamt - jeder in seinem Bereich - europafähig machen. Nur dann können wir unsere Verantwortung gemeinsam wahrnehmen.
Herr Czeke, Sie wissen, dass wir uns unabhängig davon, ob wir halbjährlich oder jährlich berichten - das ist für mich eine rein pragmatische Frage -, in jeder Sitzung des Ausschusses intensiv mit europapolitischen Themen befassen.
Ich habe natürlich auch nie gesagt, dass es im Bundesrat keine Europapolitik gebe. Natürlich machen wir auch im Bundesrat Europapolitik, weil wir als Ländergemeinschaft zu Grünbüchern, Weißbüchern und allem Möglichen Stellung nehmen. Unser Transmissionsriemen im Vorfeld dieser formellen Einflussnahme auf die Meinungsbildung in Europa liegt allerdings bei der Vertretung in Brüssel.
Dazu darf ich schon jetzt sagen, dass die Zusammenarbeit mit der Vertretung in Brüssel und der Vertretung in Berlin glänzend funktioniert. Es gibt nichts, was nicht noch besser gemacht werden könnte, aber wir haben letztlich auch nur begrenzte personelle Ressourcen. Ich möchte eine Lanze für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Brüssel und in Berlin brechen. Sie nehmen diese Aufgabe auch im Ländervergleich ganz vorzüglich war.
Herr Czeke, dafür, dass wir nicht in jedem Falle genau sagen können, wann was in Europa geschieht, bitte ich um Verständnis. Wir legen der Kommission den Arbeitsplan nicht ohne Grund Jahr für Jahr frühzeitig vor. Wann die Kommission die Themen dann abruft und in den Zugriff der nationalen und regionalen Parlamente bringt, können wir jedoch nicht 100-prozentig genau vorhersagen.
Der Frühwarnmechanismus zur Subsidiaritätskontrolle ist in der Tat schwierig, weil die Quoren im Vertrag von Lissabon nun einmal so festgelegt wurden, wie sie jetzt bestehen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir mit den anderen nationalen Parlamenten und Regierungen im Austausch stehen. Das funktioniert recht gut. Vielleicht kann man - ich blicke einmal zu dem Abgeordneten Tögel - durch die Einbeziehung des Subsidiaritätskontrollsystems des Ausschusses der Regionen einen noch besseren Informationsfluss gewährleisten.