Protocol of the Session on July 7, 2011

Aber Freiheit ist eben nicht Zuschauen, wie wir es jetzt auch wieder vor dem Fernseher oder auf den Zuschauertribünen tun, sondern Freiheit ist Mitspielen. Voltaire hat uns Folgendes ins Stammbuch geschrieben: „Die Freiheit ist das einzige Gut, welches sich durch Nichtgebrauch abnützt.“

Wir als Politiker haben die Aufgabe, die Freiheit zu schützen und den Bürgerinnen und Bürgern Räume zu öffnen und nur im äußersten Notfall Räume zu verschließen. Ich denke, dass wir bei dem nächsten Thema der Aktuellen Debatte auf dieses Thema vertieft eingehen werden.

Eine dritte Lehre aus dem Mauerbau und dem Fall der Mauer ist aber auch: Europa mehr ist als der Euro. Europa heißt Frieden und Freizügigkeit unter den Völkern.

(Beifall im ganzen Hause - Herr Steinecke, CDU: Bravo!)

Überall dort, wo aktuell über Einschränkungen nachgedacht wird oder sie sogar praktiziert werden, muss man es sich sehr gut überlegen. Europa muss freizügig bleiben; sonst ist der Frieden in Europa gefährdet. Unsere Aufgabe als Politiker ist es, den Gleichschritt zwischen Demokratie, Freiheit, Frieden und Wohlstand zu halten.

Meine Damen und Herren! Die Mauer, ihre Ursachen, ihre Folgen und ihre Opfer müssen in unserem gesellschaftlichen Gedächtnis bleiben. Für Ostalgie gibt es keinen Grund.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und von der Regierungsbank)

Die ehemalige DDR war ein Gefängnisstaat.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Die DDR-Zeiten waren Zeiten hinter Mauer und Stacheldraht. Daran ist nichts zu verharmlosen. Daran zu erinnern, meine Damen und Herren, sind wir den Opfern schuldig. Das müssen die Täter und die Verantwortlichen zum Teil heute noch lernen.

Jedes Mal, wenn ich auf der A 2 oder an irgendeiner anderen Stelle über die Interzonengrenze fahre - ich hatte mir die Freiheit genommen, diesen Begriff immer beizubehalten -, ist das für mich ein Auftrag, weiterhin für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat zu arbeiten. - Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Miesterfeldt. - Als Nächster spricht der Ministerpräsident Dr. Haseloff. Zunächst begrüßen wir Damen und Herren der Bildungsgesellschaft Magdeburg auf der Besuchertribüne. Herzlich willkommen im Haus!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als John F. Kennedy im Jahr 1963 in Berlin persönlich die Mauer und damit die Spaltung Deutschlands gesehen hat und diese Stadt besuchte, sagte er: „Die Freiheit ist unteilbar, und wenn auch nur einer versklavt ist, dann sind nicht alle frei.“

In diesem Ausspruch schwingt auch ein bisschen amerikanische Erfahrung mit. Aber das, was Ken

nedy im Jahr 1963 sagte und was auch in Ergänzung zu dem, was Herr Miesterfeldt gerade vorgetragen hat, zu verstehen ist, macht deutlich, dass mit der Wiedervereinigung durch den Fall der Mauer auch die Freiheit der bis dahin Westdeutschen eigentlich erst vollendet wurde.

Ich denke, nachdem durch meinen Vorredner Geschichtliches benannt wurde, sollten an dieser Stelle auch einige Gedanken zur aktuellen Situation vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen Entwicklung gesagt werden, und zwar im Hinblick auf die zukünftige Politikgestaltung unseres Landes und Deutschlands.

Erstens. Man versteht die heutige Zeit nicht ohne diese geschichtlichen Bezüge. Wir wissen, dass, wenn man es kausal betrachtet, alles mit dem begann, was auch deutsche Geschichte ist, was durch das NS-System erzeugt wurde und was im Zweiten Weltkrieg einen furchtbaren Höhepunkt gefunden hat. Wir wissen, dass diese geschichtliche Verantwortung immer mit dem Namen Deutschland und dem deutschen Volk verbunden bleiben wird.

Aber nach dieser Zeit gab es Alternativen. Diese sind in Deutschland unterschiedlich zum Tragen gekommen und mündeten dann durch den Mauerbau am 13. August 1961 in die Spaltung nicht nur Deutschlands, sondern auch ganz Europas. Was Europa für uns heute bedeutet, ist von Herrn Miesterfeldt klar benannt worden. Europa ist mehr als eine Ansammlung von Nationalstaaten. Europa ist eine Idee, die getragen ist von den Begriffen Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und Entwicklungsfähigkeit für die Zukunft der Menschen in den heutigen Grenzen Europas.

Wenn es geschichtlich zu bewerten gilt, was „Mauer“ für uns heißt - für viele auch aus der eigenen Biografie heraus ein traumatischer Begriff -, dann stehen dort nicht nur die mehrere Millionen Flüchtlinge bis 1961, deren Strom abrupt unterbrochen wurde, es stehen nicht nur die Tausend Toten an der Mauer, denen wir immer ein Gedenken bewahren sollten, es stehen nicht nur die 60 000 Verurteilten für die so genannte versuchte Republikflucht, sondern es stehen auch Einzelbiografien, die direkt und indirekt von diesem geschichtlichen Phänomen betroffen waren, und zwar negativ betroffen waren, auch diejenigen, die sich dessen in der Zeit, in der sie damals lebten, gar nicht bewusst waren, und vielleicht auch heute durch Verdrängung nicht bewusst werden wollen.

Die Entwicklung ist in jeder Familie, in jedem persönlichen Leben, das damals gelebt wurde, aufgrund dieser Mauer, dieser Spaltung anders verlaufen und wird auch heute und für die nachfolgenden Generationen immer noch erkennbar bleiben: Die Spuren sind geschichtlich nicht so einfach tilgbar, sondern werden auch noch Konsequenzen für die Politikgestaltung in der Zukunft haben.

Deswegen ist es unsere Aufgabe, auch aus den Regierungen und Parlamenten der neuen Bundesländer heraus, mit dieser geschichtlichen Erfahrung aktuelle Politik so zu gestalten, dass die Wiedervereinigung - auch was die politischen Strukturen anbelangt - zu Ende geführt wird und dass diese Wiedervereinigung zum endgültigen Vereinen unseres deutschen Volkes führt, sowohl in den Köpfen als auch in den Gefühlen und auch in den realen sozialen Strukturen.

Deswegen müssen wir mit Selbstbewusstsein, mit großem Selbstverständnis und mit Stolz auf das, was wir mit der friedlichen Revolution im Sinne des Einigungsprozesses in Gang gesetzt haben, dafür sorgen, dass die politischen Überlegungen, wie diese Prozesse jetzt zu gestalten sind, auch im Sinne der Menschen in den neuen Ländern erfolgen.

Diesbezüglich nenne ich nur die Stichworte Rentenangleichung, Schließung von Infrastrukturlücken und demografische Entwicklung mit den Konsequenzen, was wir in unseren Ländern innerhalb der Transformation nach der Wiedervereinigung zu realisieren und zu bewältigen haben. Ich nenne als Stichwort auch die soziale Teilhabe aus allen Schichten und besonders der Personen, die durch die Mauer und die Spaltung persönliche Benachteiligung erfahren haben, deren Biografien gebrochen wurden, denen Entwicklungschancen nicht gegeben waren und die das noch bis heute im persönlichen, im finanziellen und im materiellen Umfeld spüren. Und das in dem Wissen, dass ein Rechtsstaat nie in der Lage sein wird, Gerechtigkeit herbeizuführen, aber dass ein Rechtsstaat sich jeden Tag bemühen muss, sich auch an dieser Stelle weiterzuentwickeln.

Wenn wir die geschichtliche Gesamtbetrachtung der jetzt heranwachsenden Generation im Sinne der Übernahme von Verantwortung zukommen lassen wollen, ist es notwendig, dass zum Beispiel jede Schülerin und jeder Schüler mindestens einmal in der Schulzeit die Gedenkstätten besucht und

(Beifall bei der CDU)

dass sich jede Person - egal welchen Alters - in die Weitergabe der persönlichen Erfahrungen einbringt. Es wird nicht möglich sein, diese mit viel Leid verbundene Besonderheit der deutschen Geschichte über die Geschichtsbücher zu vermitteln. Es wird notwendig sein, dass Personen ihre Erlebnisse als Geschichtszeugen weitergeben, sich einbringen und zur Verfügung stellen und damit dafür sorgen, dass zwischenmenschlich erlebt wird, was Beschneidung von Freiheit, was Eingrenzung von persönlicher Entwicklung, was Leid, was Gefängnis und was Benachteiligung bedeuten.

(Beifall bei der CDU und von der Regie- rungsbank - Zustimmung bei der SPD)

Es ist notwendig, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass das, was wir jetzt wie selbstverständlich erleben, genießen, auch an Möglichkeiten ausschöpfen, keine Selbstverständlichkeit ist. Wir wissen, dass diese demokratische Struktur in unserem Teil Deutschlands hart erkämpft wurde, dass viel Blut fließen musste, um sie wiederzuerlangen, und dass es aus der geschichtlichen Verantwortung heraus auch in Zukunft darauf ankommt, sich mit Leib und Seele für Freiheit, für Demokratie und für soziale Marktwirtschaft einzubringen. Sie ist die Grundlage dafür ist, dass die Demokratie stabil ist, weil eine Demokratie nur gesichert werden kann, wenn auch Wohlstand da ist und Personen ihre persönliche Entwicklung so nehmen können, wie es ihre persönlichen Möglichkeiten erlauben.

Wenn wir in den nächsten Monaten und Jahren darum ringen - auch hier im Landtag -, dazu die richtigen gesetzgeberischen Entscheidungen zu treffen, dafür die richtigen Schwerpunkte zu setzen - auch in einem Haushalt, der nicht einfach zu gestalten sein wird -, dann muss uns immer klar sein, dass diese Entscheidungen von einer klaren Prioritätenliste geprägt sein müssen.

Es muss die Entwicklung unseres demokratischen Gemeinwesens gesichert werden. Es müssen dafür ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Wir müssen die Sensibilität für das, was Demokratie ausmacht, stärken. Wir müssen extremistische, vor allem rechtsextremistische Tendenzen, bekämpfen, die dieses immer wieder infrage stellen können. Wir müssen vermitteln, dass Demokratie davon lebt, dass man nicht alles in seiner eigenen Biografie erleben kann und auf Überlieferungen angewiesen ist. Man muss sich aber auch bewusst sein, dass Demokratie sehr schnell zu Ende gehen kann, wenn sich die Menschen nicht mit ihr identifizieren und sich nicht tagtäglich dafür einsetzen, dass sie fortleben kann.

Wir haben in der deutschen Geschichte ausreichende und tief eingreifende Beispiele dafür, was passiert, wenn diese Verantwortung nicht parteiübergreifend und die gesamte Gesellschaft umfassend wahrgenommen wird.

Deswegen ist der Anlass der heutigen Aktuellen Debatte - für die ich sehr dankbar bin - auch ein Anlass für mich, uns alle aufzurufen, dass wir nicht nachlassen in dem Bestreben, diese immer noch junge Demokratie in unserem Land nicht nur zu stabilisieren, sondern weiterzuentwickeln und das Verständnis in den jungen Menschen dafür zu wecken, dass es schön ist, in diesem Land zu leben und an dessen Gestaltung weiter zu arbeiten. Vor allen Dingen dürfen wir nicht nachlassen zu erzählen, wie es uns persönlich gegangen ist, damit dieses von Auge zu Auge, von Mensch zu Mensch für die nachfolgenden Generationen nachvollziehbar und erlebbar bleibt.

Erich Honecker hat zum Schluss der DDR gesagt: „Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf!“ Er hat Recht gehabt: Ochs und Esel haben den Sozialismus nicht aufgehalten, aber wir Menschen in der friedlichen Revolution. Deswegen ist so wichtig, dass wir - zu großen Teilen die gleichen Menschen - dafür sorgen, dass diese friedliche Revolution, die Freiheit und die Demokratie in unserem Land weiter aufrechterhalten bleiben. - Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Beifall bei der SPD und von der Regierungsbank)

Herr Ministerpräsident, würden Sie eine Frage des Kollegen Rothe von der SPD-Fraktion beantworten?

Ja, gern.

Bitte, Herr Rothe.

Herr Ministerpräsident, als in Westdeutschland Aufgewachsener teile ich Ihre Auffassung, dass die Freiheit der Westdeutschen erst durch den Fall der Mauer vollendet wurde. Den Westdeutschen ist die Freiheit nach dem Zweiten Weltkrieg von den Westalliierten oktroyiert worden, während die Ostdeutschen diese Freiheit mit der Herbstrevolution 1989 selbst erkämpft haben. Deshalb betrachte ich dieses als ein historisches Ereignis, das mich damit versöhnt, ein Deutscher zu sein.

Ich möchte Sie, Herr Ministerpräsident, heute fragen, ob Sie bereit sind, ein Zitat von Helmut Kohl zur Kenntnis zu nehmen und vielleicht auch weiter darüber nachzudenken. Helmut Kohl hat am 16. Februar 1978 im Deutschen Bundestag Folgendes gesagt - er bezog sich damit, wie Sie es vorhin auch getan haben, auf die NS-Zeit -:

„Ich werfe niemandem einen politischen Fehler, einen Irrweg oder einen Irrtum in jungen Lebensjahren vor. Ich bin dafür, dass das Recht auf politischen Irrtum für jedermann gilt - ich sage bewusst: für jedermann -, auch für jedermann im Deutschen Bundestag.“

Ein paar Sätze weiter sagte Helmut Kohl:

„Ich gehe davon aus, dass die Bundesrepublik Deutschland von allen ihren Bürgern in allen demokratischen Lagern aufgebaut wurde, und ich billige jenen, die früher bei der NSDAP waren und beim Wiederaufbau mitgeholfen haben, einen beachtlichen Respekt zu, wenn sie dazugelernt haben, wenn sie bereit waren umzulernen.“

So weit der spätere Kanzler der Einheit. Er sagte das 33 Jahre nach Kriegsende. Der Fall der Mauer liegt erst 22 Jahre zurück, Herr Ministerpräsident, und trotzdem erlaube ich mir unter Beachtung der Unterschiede zwischen beiden Diktaturen, mich schon heute mit Helmut Kohls Worten auf die SED-Zeit zu beziehen. - Ich danke Ihnen.

Herr Rothe, das kann ich alles nachvollziehen. Ich kann Ihnen persönlich auch sagen: Mein bester Freund war bis 1989 SED-Mitglied.

Das war keine Frage, sondern eine Intervention, die beantwortet wurde. - Wir fahren nunmehr in der Debatte fort. Als Nächster in der Aktuellen Debatte spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Fraktionsvorsitzender Gallert.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der 50. Jahrestag des Baus der Berliner Bau benennt ein wichtiges Datum der deutschen Geschichte, das uns mahnt, dass die grundlegenden Menschen- und Freiheitsrechte von niemandem, zu keinem Zeitpunkt und zu keinem Zweck zur Disposition gestellt werden dürfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der 13. August 1961 wurde von der Partei- und Staatsführung in der DDR als großer Sieg gefeiert. In Wahrheit war er jedoch das äußere Zeichen und sichtbare Eingeständnis einer Niederlage im Wettbewerb mit dem Westen und damit einer Niederlage im Wettbewerb der Gesellschaftssysteme. In gewisser Weise markiert der 13. August 1961 damit bereits den Ausgang der Auseinandersetzung der Systeme im Jahr 1989.

Rückblickend muss sicherlich noch einmal daran erinnert werden, welche Funktion die Mauer in Berlin bzw. die Abriegelung der DDR-Grenze gegenüber dem Westen hatte und welche sie nicht hatte. Da stand am Anfang die Argumentation, die Mauer sei ein antifaschistischer Schutzwall. Diese These ist an mehreren Stellen absurd, zum einen weil die Grenze zu fast 100 % nach innen gerichtet war. Sie sollte nicht die DDR vor dem Westen beschützen, sondern sie sollte den Massenexodus der DDR-Bevölkerung in den Westen verhindern, vor allen Dingen derjenigen, die gut ausgebildet waren.