Protocol of the Session on January 30, 2014

Ich will sagen: Das, was wir mit dieser Demografiepolitik betreiben, wie wir sie verstehen - offensichtlich unterschiedlich -, ist so etwas wie die sich selbst erfüllende - wie sagt man?

(Herr Gallert, DIE LINKE: Prophezeiung!)

- Prophezeiung. Das heißt, die Politik, die wir machen, führt letztlich wieder Leute, die als Leistungsträger vielleicht in den Regionen unterwegs sind - ich nenne als Beispiel die Kulturschaffenden -, zu der Entscheidung zu sagen: Dann gehe ich doch woanders hin.

Mir hat in einer Veranstaltung des Freundeskreises des Anhaltischen Theaters eine Person - er war bei IDT beschäftigt - ganz klar Folgendes gesagt: Gehen Sie davon aus, dass Leute, die in unseren Führungsetagen unterwegs sind, sich deshalb entscheiden, hierher zu gehen, weil sie hier ein Kulturangebot kriegen. - Jetzt wissen diese Menschen nicht, wie das Kulturangebot demnächst noch aussehen wird. Wir wissen es ja auch nicht. Das Thema wird heute noch angesprochen.

Das ist ein Punkt, an dem ich sage: Wir dürfen uns nicht anhand dessen, was an Zahlen als vermeintlich positiver Trend zu sehen ist, vorstellen, dass das die Umkehr unserer Problemlage ist. Sie ist es nicht.

Ich habe vorhin ein Gleichnis gebracht. Der neunjährige Sohn einer Frau, die selbständig tätig ist und die ich vor Jahren einmal betreut habe, hat seine Muter damit verblüfft, dass er gesagt hat: Mutti, wir müssen einkaufen. - Fragt sie: Warum? - Antwort: Im Kühlschrank ist nur noch Licht.

Menschen reagieren auf die Frage, ob ihre Grundbedürfnisse gesichert sind oder nicht. Wenn Essen, Trinken, Wohnen, Kleiden infrage stehen, gehen sie woanders hin - da interessiert sie Kultur nicht mehr -, denn das ist zuvorderst zu lösen.

Genau das ist die Frage: In welcher Situation findet das Sichern dieser Grundbedürfnisse statt? - Die Bundesregierung hat im Demografiebericht gesagt: in allen Altersgruppen gesund, auskömmlich arbeiten, selbstbestimmtes Leben im Alter, gesicherte Existenz von Familien. - Dort sind die Kriterien eigentlich aufgeschrieben, die etwas mit der täglichen Existenz zu tun haben. Wenn das in irgendeiner Art und Weise infrage steht, ist nichts sicher. Genau das ist sicher: dass uns das, was wir vermeintlich als Trend erkennen, keiner garantiert.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Barthel, CDU)

Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Scheurell. Der Kollege Scheurell hat zwölf Minuten Redezeit. - Ich habe bei Ihnen auch schon sehr oft etwas Redezeit zugegeben.

Das weiß ich. Sie meinen es doch immer gut mit mir. Das weiß ich doch. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Hoffmann hat ein Bild gezeichnet, bei dem es mich nicht verwundert, dass die sich selbst erfüllende Botschaft und Prophezeiung des sehr geehrten Abgeordneten Striegel von heute Vormittag eintritt und die Menschen, die nach Sachsen-Anhalt kommen, auch schnell wieder weggehen. Wenn Sie mit solchen Botschaften aufwarten, dann ist das kein Wunder. Das war eine Verzerrung, sehr geehrter Herr Hoffmann.

Unsere Landesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen arbeiten gemeinsam mit den vielen, die sie vorhin spöttisch mit einer „Demografie-Gala“ auf- oder abwerten wollten, sehr ernsthaft daran, die Situation für unser Bundesland aufzuwerten, gerade hinsichtlich der Demografie.

Bis auf Berlin und Hamburg, also mit Ausnahme der beiden größten deutschen Städte, musste jedes Bundesland im Jahr 2011 mehr Sterbefälle als Geburten hinnehmen. Bezogen auf 1 000 Einwohner lag das Saldo aus Geburten und Sterbefällen in Deutschland bei einem Wert von minus 2,3. In Sachsen-Anhalt lag dieser Wert bei minus 5,8. Das sind keine Zahlen der CDU-Landtagsfraktion, sondern das ist die Auskunft des gemeinsamen Statistikangebots der statistischen Ämter des Bundes und der Länder zur natürlichen Bevölkerungsbewegung.

Der demografische Wandel findet statt, in Deutschland - aber nicht nur in Deutschland - und leider insbesondere in Sachsen-Anhalt. Laut der EUKommission ist Sachsen-Anhalt eine Region mit schweren und dauerhaften demografischen Nachteilen. Das steht auch in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, für die ich sehr dankbar bin.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Klar ist: Das Gebiet des heutigen Landes Sachsen-Anhalt verliert seit Jahrzehnten an Einwohnern. Bei aller Kritik vonseiten der LINKEN darf daran erinnert werden, dass dies seit 1972 der Fall ist und dass in Sachsen-Anhalt, also in den damaligen Bezirken Halle und Magdeburg, mehr Menschen gestorben sind als geboren wurden

Die heutige Einwohnerdichte in Sachsen-Anhalt ist mit 110 Einwohnern pro Quadratkilometer gerade einmal halb so hoch wie im Durchschnitt Deutschlands. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 229 Einwohnern pro Quadratkilometer.

Im Landkreis Stendal sind wir bei 50 Einwohnern pro Quadratkilometer und in Salzwedel, wo demnächst Jenny-Marx-Züge fahren werden, haben wir 39 Einwohner pro Quadratkilometer.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Beim nächsten Beispiel negativ!)

(Herr Gallert, DIE LINKE: Ich sagte, beim nächsten Beispiel haben Sie negative Zah- len!)

- Nein, Herr Gallert, Sie sorgen doch schon dafür, dass es nicht negativ wird. Das könnte - - Lassen wir das weg. Das würde jetzt zu weit führen.

Es gibt also kein Patentrezept gegen rückläufige Bevölkerungszahlen. Wäre finanzielle Umverteilung allein ein solches, dann hätte die jährlich wachsende Summe von ehe- und familienpolitischen Leistungen - im Jahr 2010 betrug sie immerhin insgesamt rund 200 Milliarden € - ihre Wirkung entfaltet.

Auf der anderen Seite ist auch klar, wenn man den demografischen Wandel schon nicht verhindern kann, dann muss man ihn umso entschlossener gestalten.

Die demografische Entwicklung in Deutschland ist durch zwei Trends gekennzeichnet. Der erste Trend zeigt, dass die demografische Entwicklung in Deutschland regional unterschiedlich ist. Während die deutschen Großstädte wachsen und in den Innenlagen nicht genügend bezahlbarer Wohnraum für alle Einkommensschichten zur Verfügung steht, verlieren die strukturschwächeren ländlichen Regionen im Osten überdurchschnittlich stark an Einwohnern.

Dieser rückläufige Bevölkerungstrend wird sich fortsetzen. Die 5. Regionalisierte Bevölkerungsprognose für Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2010 geht von einem Bevölkerungsrückgang um rund 18,6 % auf rund 1,9 Millionen Einwohner im Jahr 2025 aus. Inzwischen wissen wir anhand der Ergebnisse des Zensus vom 31. Mai 2013, dass sich dieser Trend als sicher darstellt.

Der zweite Trend zeigt, dass sich mit dem Rückgang der Gesamtbevölkerung der Altersaufbau der Gesellschaft dramatisch ändert. Die Menschen werden nicht nur immer weniger, sondern auch immer älter. Das ist auch jedem zu wünschen. Wir wollen das ja auch alle.

Die geburtenstarken Jahrgänge der Jahre 1955 bis 1969 erreichen in Kürze das Renteneintrittsalter. Dazu gehören auch viele von uns und jedem ist das zu wünschen. Zehn Jahre später erreichen diese Jahrgänge jenes Alter, in dem Menschen typischerweise auf Pflege und Betreuung angewiesen sind. Der Anteil der Menschen, die tendenziell auf Hilfe angewiesen sein werden, wird

also wachsen. Hingegen wird der Anteil derjenigen, die aktiv am Arbeitsleben teilnehmen und für die ältere Generation einstehen, abnehmen.

Dieser zweite Trend ist noch folgenreicher als der Trend im Bereich der regionalen Verteilung der Bevölkerung; denn in Deutschland wird die soziale Absicherung derjenigen, die nicht mehr aktiv am Erwerbsleben teilnehmen können, durch ein allgemeines Umlagesystem sichergestellt. Das bedeutet allein schon für die gesetzliche Rentenversicherung, dass bald 100 Beitragszahler für 100 Rentner werden einstehen müssen. Heute liegt die Quote immer noch bei 100 Beitragszahlern für 60 Rentner. Der Bedarf an professioneller Pflege und Betreuung, der die Familien schon heute vor große Herausforderungen stellt, wird weiter wachsen.

Meine Damen und Herren! In Sachsen-Anhalt haben wir das Modell der zentralen Orte gestärkt. In den zentralen Orten werden die Versorgungsstrukturen und Versorgungsleistungen des Landes räumlich gebündelt. Bei der Festsetzung des zentralen Ortes wird dessen wirtschaftliche Bedeutung genauso berücksichtigt wie dessen Erreichbarkeit im Verflechtungsgebiet.

Jede regionale Planungsgemeinschaft legt ihre Grundzentren selbst fest. Das Land bestimmt die Ober- und Mittelzentren. Wir wollen, dass der demografische Wandel auch von und mit den Menschen vor Ort gestaltet werden kann. Deswegen stärken wir ganz bewusst die zentralen Orte.

Mit dem Beschluss mit dem Titel „Den demografischen Wandel gestalten“ haben die Koalitionsfraktionen die Landesregierung zudem gebeten, Kennziffern der regionalen Entwicklung auch auf der Ortsteilebene zu erheben. Wir wissen, dass eine Vielzahl von Ortsteilen die Voraussetzungen für eine dauerhafte Versorgung mit den Einrichtungen der sozialen Infrastruktur nicht mehr erfüllen kann. Deswegen brauchen wir gezielte Informationen auch über die innerörtlichen Entwicklungsprozesse in den zentralen Orten.

Meine Damen und Herren! Wir fördern ganz gezielt den ländlichen Raum; denn Sachsen-Anhalt ist mit Ausnahme der beiden großen Oberzentren insgesamt ländlicher Raum. Es wäre fatal, wenn wir, die die Verantwortung für das Land haben, den ländlichen Raum nicht ausdrücklich fördern würden.

Mit der Richtlinie über die Gestaltung des demografischen Wandels und der Förderung der Regionalentwicklung werden seit dem Jahr 2010 ganz konkret kommunale Projekte, die der Anpassung an die Auswirkungen des demografischen Wandels und der Steigerung der Attraktivität des Ortes dienen, gefördert. Das Ziel der Förderung ist es, Regionen mit besonderen Entwicklungsaufgaben gemäß dem LEP oder mit einer dünnen Besiedlung und Bevölkerungsdichte bzw. mit einem über

durchschnittlichen Bevölkerungsrückgang zu helfen.

Mit dem Programm zur Förderung von Maßnahmen zur Förderung der Regionalentwicklung sind im Haushaltsjahr 2014 hierfür 1,7 Millionen € bereitgestellt worden. Für das Programm zur Förderung der Gestaltung des demografischen Wandels sind für das Haushaltsjahr 2014 1,8 Millionen € veranschlagt worden. Seit dem Jahr 2010 sind so mehr als 100 Projekte vor Ort mit insgesamt rund 5,6 Millionen € gefördert worden.

Wir unterstützen den Stadtumbauprozess in den Städten und Gemeinden. Wir haben dabei die großen wohnungswirtschaftlichen Verbände wie zum Beispiel den Verband Haus & Grund und alle anderen an unserer Seite. Die großen Wohnungsgesellschaften bzw. die wohnungswirtschaftlichen Verbände haben extra zu dieser heutigen Debatte eine nette Presseinformation abgegeben, um noch einmal darauf hinzuweisen, wie sehr sie an einer guten Zusammenarbeit mit uns interessiert sind. Wir unterstützen das immer.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Diese Landesregierung stellt mit den Zuweisungen für Investitionen zur Förderung im Rahmen des städtebaulichen Förderprogramms für kleinere Städte und Gemeinden auch im kommenden Jahr rund 4,4 Millionen € zur Verfügung, um gebietsbezogene städtebauliche Missstände zu beseitigen und ein angemessenes Niveau der Daseinsvorsorge in interkommunaler Zusammenarbeit zu ermöglichen.

Insgesamt investiert die Landesregierung auch im laufenden Haushaltsjahr 2014 rund 78 Millionen € aus EU-, Bundes-, Landes- und kommunalen Eigenmitteln in die Städtebauförderung. Seit dem Jahr 2012 arbeitet das Kompetenzzentrum Stadtumbau. Damit steht ein Beratungsgremium zur Verfügung, das die Landesregierung bei ihren Entscheidungen zur Stadtentwicklungspolitik unterstützt. Wir brauchen diesen Sachverstand, um die Attraktivität der Wohnstandorte zu sichern.

Wir bauen auch die Internet-Versorgung kontinuierlich aus. Diese Landesregierung bringt den Breitbandausbau in Sachsen-Anhalt voran. Seit dem Jahr 2010 sind rund 30 Millionen € aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes, der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur, des Konjunkturpakts II und aus dem ELER investiert worden. Über 200 Vorhaben wurden gefördert.

Das Resultat ist, dass landesweit eine Grundversorgung mit schnellen Leitungen hergestellt werden konnte. Dank der ergänzenden Landesförderung werden heute rund 650 zusätzliche Orts- und Stadtteile, über 320 000 Einwohner, nahezu

160 000 Haushalte und rund 18 000 Unternehmen und Gewerbetreibende erreicht, die unter Marktbedingungen kaum in den Genuss des schnellen Internets gekommen wären. Sie verfügen jetzt über einen Internetanschluss mit einer Übertragungsleistung von mindestens 2 MBit pro Sekunde und einer höheren Grundversorgung.

Natürlich sind auch noch mehr deutlich schnellere Verbindungen nötig. Aber genau dafür hat die Landesregierung schon im März 2013 die Weichen gestellt. Eine landeseigene Förderrichtlinie regelt den weiteren Breitbandausbau. Die Richtlinie sieht Projektförderungen bis zu 10 Millionen € vor. Im Rahmen der kommenden EU-Strukturfondsperiode 2014 bis 2020 wollen wir im Idealfall noch einmal rund 100 Millionen € aus dem ELER und dem EFRE für den Breitbandausbau einsetzen. Damit werden wir in Zukunft neben dem ländlichen Raum auch den Breitbandausbau in den Mittelzentren kontinuierlich fortsetzen und noch mehr Menschen im Land den Zugang zu noch höheren Bandbreiten ermöglichen.

Da meine Zeit abgelaufen ist - über Demografie könnte man viel mehr reden -, sage ich jetzt nur noch ganz kurz: Auch wir stehen natürlich für einen leistungsfähigen ÖPNV in Sachsen-Anhalt. Wir sorgen für flexible Standards. Wir stärken überall das Bewusstsein für den demografischen Wandel.

Die politische Verantwortung im demografischen Wandel zu tragen heißt, auch den Mut zu haben, unbequeme Wahrheiten auszusprechen; denn die Herausforderungen der demografischen Entwicklung sind zu groß, als dass dauernd nur ihre Auswirkungen bedauert werden können.

Der demografische Wandel darf nicht immer nur anhand allgemeiner Kennzahlen diskutiert werden. Es muss die gemeinsame politische Grundüberzeugung herrschen, dass es der Veränderung bedarf. Dazu gehört auch die Bereitschaft, auf das eine oder andere Liebgewonnene zu verzichten, auch wenn es manchmal schwer fällt. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Herr Scheurell, drei Menschen, drei Kollegen möchten nachfragen.

Drei Menschen, schön.

Auch Kollegen. - Möchten Sie die Fragen beantworten?