Anfragen aus dem Parlament heraus sind öffentlich zu beantworten. Die regelmäßige Öffentlichkeit ist Wesensmerkmal parlamentarischer Demokratie. Eine effektive Wahrnehmung des Mandats lässt sich nur über öffentliche Informationsgewinnung und Diskussion realisieren.
Die Unterstellung der Landesregierung, vorgetragen in den Schriftsätzen im Verfahren, Abgeordnete seien per se des Geheimnisverrats verdächtig, ist infam. Auch hierzu hat das Gericht klargestellt, dass die Landesregierung von der Rechtstreue von Abgeordneten auszugehen hat, die sich an die Vorgaben der Geheimschutzordnung halten, soweit diese ausnahmsweise und begründet zur Anwendung kommt.
Ich erwarte schlussendlich, dass sich die Landesregierung bei der Beantwortung an die Wahrheit, an nichts als die Wahrheit hält. Die nachweislich falsche Beantwortung einer Anfrage des Abgeordneten Erdmenger durch die Landesregierung zerstört den Grund an Vertrauen, der zwischen Verfassungsorganen notwendig ist.
Meine Erwartungen sind jedoch nicht ausschließlich an die Landesregierung gerichtet. Die Kontrolle der Landesregierung muss im ureigenen Interesse des gesamten Parlaments, aller seiner Fraktionen und Abgeordneten liegen.
Zur Halbzeit dieser Legislaturperiode sind im Landtag rund 1 100 Kleine Anfragen gestellt worden. Hinzu kommen Fragen in den Ausschüssen, Briefe und Mails mit der Bitte um Information an die Landesregierung. Ich weiß, dass die Beantwortung all dieser Fragen Arbeit macht und dass in den Häusern viele fleißige Hände und Hirne Antworten hierzu ausarbeiten. Mir ist auch bekannt, dass klug gestellte Fragen bisweilen Anerkennung und Respekt unter den Verwaltungsmitarbeitern zur Folge haben und dass Freude herrscht, wenn Sachverhalte gründlich und kenntnisreich durchleuchtet werden.
Ich will aus Anlass der heutigen Debatte denjenigen, die mit der Beantwortung von parlamentarischen Anfragen viel Zeit verbringen, vielleicht auch viel Zeit verbringen müssen, auch von dieser Seite meinen ganz herzlichen Dank aussprechen.
Ich möchte vor allem aber die Kolleginnen und Kollegen - egal ob der Oppositions- oder der Regierungsfraktionen - ermutigen, von ihrem Frage- und
Kontrollrecht umfassend und abgewogen Gebrauch zu machen. Wir haben als Parlament die Regierungsbefragung gegen die Stimmen meiner Fraktion und gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE viel zu schnell über Bord geworfen und uns damit einer wichtigen und vor allem spontanen Fragemöglichkeit beraubt. Die vorgeplante Fragestunde wiegt diesen Verlust nicht auf.
Ich wünsche uns deshalb mehr Mut und Selbstbewusstsein, als Parlament neue Instrumente auszuprobieren, und die Offenheit einer Landesregierung, sich auf neue Formen einzulassen und nicht im Hintergrund deren Einführung zu hintertreiben.
Was Minister Thomas Webel anbelangt, hätte sich sein Fehlverhalten sicherlich aus der Welt schaffen lasen, ohne dass es dieser Debatte und eines Missbilligungsantrags bedurft hätte. Christoph Erdmenger und meine Fraktion warten bis heute auf eine Entschuldigung des Ministers oder eine persönliche Klarstellung des Ministerpräsidenten.
Wir erhalten deshalb unseren Antrag auf Missbilligung aufrecht. Wir glauben, dass dieser notwendig ist, um die Achtung vor dem Hohen Hause wiederherzustellen.
Vom damaligen Anwalt Rainer Robra ist überliefert, dass er in seiner Funktion als Anwalt des Ohrekreis-Landrats Thomas Webel im Jahr 2001 vor Gericht um Milde für seinen Mandaten bat, der der Beihilfe zum Betrug beschuldigt wurde. Robra bat das Gericht zu berücksichtigen, der gelernte DDRBürger Webel habe das Agieren im Rechtsstaat noch nicht voll verinnerlicht und nur das Beste gewollt.
Zwölf Jahre später ist nun bei Minister Webel festzustellen, das Verinnerlichen rechtsstaatlicher Prozesse kann ein lang anhaltender Prozess sein. Es ist deshalb gut, dass das Verfassungsgericht ihn an den verfassungsrechtlichen Normalzustand erinnert hat. Der Landtag hat die Chance, diese Erinnerung zu verstärken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Artikel 53 Abs. 1 bis 3 der Landesverfassung verpflichtet die Landesregierung, Anfragen von Mitgliedern des Landtags nach bestem Wissen und Gewissen unverzüglich und vollständig zu beantworten, Auskünfte zu erteilen und Verlangen auf Aktenvorlage zu entsprechen.
Nach Artikel 53 Abs. 4 der Landesverfassung hat die Landesregierung aber auch wesentliche Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung oder Verwaltung zu bedenken und darauf zu achten, ob durch das Bekanntwerden von Tatsachen dem Wohle des Landes oder des Bundes Nachteile zugefügt oder schutzwürdige Interessen Dritter verletzt werden.
Das sind manchmal komplizierte Abwägungen, wie die umfangreiche Rechtsprechung der verschiedenen Verfassungsgerichte zu diesen Fragen zeigt.
Lieber Herr Abgeordneter Striegel, nicht mit jedem Streit ist die verfassungsmäßige Ordnung außer Kraft gesetzt.
Nach dieser Vorbemerkung zum verfassungsrechtlichen Rahmen komme ich zur Sache. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will meinen Kollegen Thomas Webel missbilligen. Man könnte meinen: Sie hat beim Landesverfassungsgericht gesiegt. Was will sie mehr?
Dem Verfahren lag ein ebenso außergewöhnlicher wie schwieriger Sachverhalt zugrunde. In einem millionenschweren Vergabeverfahren war beim Oberlandesgericht ein Rechtsstreit anhängig, den Thomas Webel übrigens gewonnen hat.
Parallel dazu wollte ein Abgeordneter Akteneinsicht nehmen. Das Ministerium war der Ansicht, dem zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und zur Wahrung der Integrität des gerichtlichen Verfahrens vor dessen Ende nicht entsprechen zu dürfen. Unmittelbar nach dem Urteil hat es tatsächlich von sich aus die Einsichtnahme umfassend gewährt, noch bevor das Landesverfassungsgericht verhandelt hat.
Obwohl damit die Hauptsache eigentlich erledigt war, hat das Landesverfassungsgericht dann klargestellt - das ist auch verdienstvoll -, dass das Ministerium nicht nur zwischen Versagung und Gewährung der Akteneinsicht hätte wählen dürfen, sondern dass es durchaus differenzierte Möglichkeiten zwischen diesen beiden Polen gibt, um den Geheimschutz oder andere Belange aus Artikel 53 Abs. 4 der Landesverfassung wirksam zu wahren.
Es ist in der Tat nachlesenswert, was das Verfassungsgericht dazu geschrieben hat. Das ist alles nachzuvollziehen und wird die künftige Praxis der Landesregierung bei derartigen Ersuchen von Abgeordneten natürlich nachhaltig prägen.
Im Anschluss an die Verkündung des Urteils hat die Landesregierung inzwischen sichergestellt, dass kein Ministerium mehr allein Ersuchen nach Artikel 53 Abs. 4 der Landesverfassung zurückweist, sondern allenfalls die Landesregierung in ihrer Gesamtheit.
Die Landesregierung ist sich der Bedeutung der Rechte der Mitglieder des Landtags nach Artikel 53 der Landesverfassung bewusst. Sie respektiert uneingeschränkt, dass es keine parlamentsfreien Räume gibt. Insofern kann ich der antragstellenden Fraktion versichern: Lessons learned. Niemand verliert gerne bei Gericht, auch wir nicht.
Dann gab es, wie berichtet worden ist, nach einer Pressekonferenz zum Bundesverkehrswegeplan, bei der es um ganz andere Themen ging, ein paar lockere Sätze von Thomas Webel, die man sonst nicht auf die Goldwaage zu legen pflegt. Der Abgeordnete Erdmenger, engagierter Einbringer Großer und Kleiner Anfragen, wechselt die Seiten. Das ist eine Verwandlung - man könnte sagen - vom Saulus zum Paulus, auf die man humorvoll anspielen darf. Molière hätte seine Freude daran.
Als Abteilungsleiter im Verkehrsministerium von Baden-Württemberg darf er in Zukunft parlamentarische Anfragen - auch dort nach bestem Wissen und Gewissen - wahrheitsgemäß und vollständig beantworten. Dabei kann ihm die von ihm selbst erwirkte Entscheidung unseres Landesverfassungsgerichts Leitstern und Maxime sein; denn die Verfassungslage ist in Baden-Württemberg keinen Deut anders als bei uns.
Meine Damen und Herren! Dann gab es noch - wenn es denn so formuliert worden ist, ich war nicht dabei, aber der Regierungssprecher hat mir berichtet - die flapsig nachgeschobene Bemerkung - sinngemäß -, jetzt kehrten bei uns normale Verhältnisse oder normale Zustände ein. Meine Damen und Herren! Das heißt doch nicht, dass Thomas Webel, selbst langjähriges Mitglied dieses Hohen Hauses, irgendeinem Abgeordneten das Frage-, Auskunfts- oder Einsichtsrecht hat beschneiden wollen. Der Kontext war doch ganz klar.
Lieber künftiger Ministerialdirigent oder Ministerialdirektor - das weiß ich nicht so genau - Erdmenger, Sie haben als Abgeordneter wirklich viele Fragen gestellt. Mit 96 Kleinen Anfragen ist er der absolute Spitzenreiter. Das ist keine Kritik, sondern reines Faktum. Das ist überhaupt nicht zu beanstanden. Lieber Herr Erdmenger, vielleicht können Sie ja künftig ebenso viele Anfragen beantworten.
Wenn es bei uns ein paar Anfragen weniger werden sollten - - Das ist wirklich nicht böse gemeint vom Kollegen Webel.
Verehrte Abgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Volksmund sagt: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Wenn Sie die Bemerkung von Thomas Webel leichter nehmen, so wie sie gemeint war, sollten Sie darüber doch wenigstens schmunzeln können. Ironie ist in Deutschland wahrlich nicht jedermanns Sache, aber eine Missbilligung auszusprechen hieße in diesem Fall, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.
Um wirklich nicht missverstanden zu werden, versichere ich für die Landesregierung unter Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff: Es ist selbstverständlich, dass die Landesregierung und jedes einzelne Ressort jede Anfrage und jedes Ersuchen bestmöglich und sorgfältig bearbeitet und fristgerecht erledigt. Es mag im Einzelfall Klärungs- oder Abstimmungsbedarf geben. Aber dafür haben wir ja unsere Kommunikationsinstrumente und die Möglichkeit zur Nachfrage.
Daher hoffe ich auf eine weiterhin gute und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Exekutive und Legislative im Sinne des Alternativantrags, den ich zu unterstützen bitte. - Danke.
Herr Staatsminister, es gibt zwei Nachfragen. Würden Sie diese beantworten? - Zunächst der Kollege Gallert und dann die Kollegin Dirlich.
Herr Robra, mir geht es um die Frage, was normal ist und was nicht normal ist. Sie haben ja eine eigenartige Interpretation - Sie sind Anwalt, insofern hat mich das nicht überrascht - der Sätze des Kollegen Webel vollbracht.
Ich möchte darauf hinweisen, dass der Vertreter der Landesregierung in der entsprechenden Sitzung des Ältestenrats sagte, dass das Landesverfassungsgericht mit diesem Urteil im Grunde genommen nichts anderes gemacht hat, als die Normalität zu bestätigen. Bei diesem Bestätigen der Normalität hat die Landesregierung verloren. Das bedeutet logischerweise, dass sich die Landesregierung nicht normal verhalten hat. Das jetzt so umzudefinieren, dass sich der Fragesteller nicht normal verhalten hat, weil er zu viele Fragen gestellt habe, ist genau die Interpretation, um die es hier geht.
Nein, der Kollege Erdmenger hat seine Rechte wahrgenommen und die Landesregierung hat sie ihm verweigert. Das ist im Grunde genommen das, was der Kollege Webel als „nicht normal“ bezeichnet, also dass er seine Rechte wahrgenommen hat. Das ist klargestellt worden.
Deshalb glaube ich, dass der Druck, Normalität herzustellen, auf dieser Landesregierung und nicht auf den Schultern der Abgeordneten liegt.
Ich glaube nicht, dass das hier der geeignete Ort oder der geeignete Anlass ist, in eine tiefe Exegese des Urteils einzutreten. Das Urteil ist völlig in Ordnung, vor allen Dingen in der Darstellung der differenzierten Möglichkeiten zwischen uneingeschränkter Gewährung und Versagung von Akteneinsicht. Insofern beschreibt es die Verfassungslage, wie es die Aufgabe des Verfassungsgerichts ist.
Wenn der Kollege Webel von „normalen politischen Verhältnissen hier im Lande“ spricht, mein Gott, dann sind das Beurteilungs- und Einschätzungsprärogative bzw. -spielräume. Dabei geht es nicht um irgendeine juristisch nachvollziehbare Interpretation. Das ist politischer Meinungskampf. Dann darf man auch einmal etwas holzschnittartig formulieren.