Protocol of the Session on September 13, 2013

Was meinen Sie, welche Sprüche man manchmal hört? Unterhalten Sie sich einmal mit Anwohnern oder unterhalten Sie sich einmal mit Betreibern von Sammelunterkünften, zum Beispiel in Friedersdorf. Ich habe das getan. Wenn Ihnen als ernsthafter Debattenbeitrag entgegengeschleudert wird: „Na ja, die frische Luft hier draußen täte den Leuten doch auch ganz gut“, dann ist das wirklich in höchstem Maße zynisch

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Zustimmung von Herrn Hövelmann, SPD)

und sagt sehr viel darüber aus, wie die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema läuft.

Meine Damen und Herren! Unser Antrag, Herr Leimbach, ist ein Vorschlag, um diese gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema zu verbessern und auf eine sachliche Ebene zu stellen. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass die ganz normale Unterbringung - wie bei uns allen auch - in Wohnungen für bestimmte Gruppen - wir haben sie eingegrenzt; wir sagen doch gar nicht, es soll verpflichtend für alle und sofort gelten -, und zwar für Alleinerziehende mit Kindern

und für Familien, natürlich in der Breite des Landes dazu führt, dass die Akzeptanz gesteigert wird. Das ist doch ganz klar.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Akzeptanz ist doch gerade deswegen so gering, weil die Leute sozusagen zusammengepfercht an einem Ort leben und weil dort zwangsläufig soziale Probleme entstehen. Das ist doch logisch. Genau diesem Thema wollen wir uns widmen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Inhaltlich - darin gebe ich dem Minister Recht, der jetzt leider nicht mehr im Raum zu sein scheint, was ich schade finde - scheinen wir bei dem Thema d’accord zu sein. Nur für die Probleme, die wir gemeinsam beschreiben und benennen, haben wir offensichtlich einen unterschiedlichen Ansatz bis hin zu der Frage, ob wir überhaupt zu ihrer Lösung beitragen wollen

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

oder ob wir nur über das sprechen möchten, was bisher gelaufen ist.

Deswegen appelliere ich noch einmal in aller Ernsthaftigkeit an die Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen. Wir möchten mit Ihnen ernsthaft und ergebnisoffen über diesen Antrag im Innenausschuss debattieren, wie wir es mit allen oder vielen anderen wichtigen Themen auch tun, mit Anhörung und allem Drum und Dran. Dann werden wir doch sehen, was dazu gesagt wird.

Unser Vorschlag ist vielleicht nicht das Gelbe vom Ei, aber wir haben ein Problem und wir wollen zu einer Lösung beitragen. Dabei wollen wir nicht nur über gestern reden, sondern über die Zukunft. Denn Probleme sind dazu da, dass man sie löst.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Deshalb möchte ich noch einmal bekräftigen: Bitte stimmen Sie unserem Überweisungsantrag zu. Damit vergeben Sie sich nichts. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Herbst. - Damit beenden wir die Debatte und kommen zum Abstimmungsverfahren. Die einbringende Fraktion hat beantragt, den Antrag und damit auch den Alternativantrag in den Ausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält

sich der Stimme? - Niemand. Damit ist eine Überweisung abgelehnt worden.

Ich lasse jetzt über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drs. 6/2388 abstimmen. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Das sind die Antragstellerin und Fraktion DIE LINKE. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich der Stimme? - Niemand. Damit ist der Antrag abgelehnt worden.

Ich rufe jetzt den Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drs. 6/2414 auf. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Das sind die Antragsteller. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer enthält sich der Stimme? - Niemand. Damit ist der Alternativantrag angenommen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 13.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung

Gymnasiale Oberstufe

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/2390

Änderungsantrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/2407

Für die Einbringerin spricht Frau Kollegin Bull. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort, bitte schön.

Sehr geehrte Damen und Herren! Das Abitur ist nicht das Maß aller Dinge, das ist wohl wahr. Aber es ist trotzdem entscheidend oder einer der wichtigen Schlüssel für immer mehr Karrierewege und Lebensentwürfe.

Man kann stunden- und tagelang darüber streiten, ob die auf 16 verschiedene Arten und Weisen zustande gekommenen Notendurchschnitte nun quasi die einzigen Türöffner sein sollen, um Begehrtes zu studieren. Man kann noch länger über den Sinn oder den Unsinn von Zensuren und Punkten streiten. Das haben wir im Übrigen neulich sehr substanziell und sehr lange mit den jungen Menschen im Jugendparlament getan.

Ich finde, man sollte unbedingt darüber streiten, welche anderen Türen für den Zugang zu weiterführender Bildung, also auch zum Studium, geöffnet werden könnten und sollten. Ich bin der festen Überzeugung, dass das von zunehmender Bedeutung sein wird. Wir können auch darüber streiten, welcher Umfang und welcher Grad von Allgemeinbildung notwendig sind, um eine ausreichende Grundlage für ein Studium zu haben. All das ist wichtig. Das ist aber nicht Gegenstand unseres Antrages.

Gegenstand unseres Antrages ist vielmehr ein Punkt, der in den letzten Wochen in den Medien vom Landeselternrat und von einzelnen erfahrenen Lehrerinnen und Lehrern angesprochen und erörtert worden ist. Es gibt zwei Problemkreise, die miteinander verbunden sind. Das ist zum einen die Frage der Vergleichbarkeit der Zugangsregelungen zum Abitur und zum anderen - ich finde, das hängt immer damit zusammen - die Qualität der Ausbildung sowie die Binnenqualität der gymnasialen Oberstufe.

Zum ersten Punkt, der Vergleichbarkeit. Das ist ein Problem, das immer wieder bewegt. Ich finde das auch verständlich, weil es letzten Endes um die Konkurrenz mit jungen Menschen aus anderen Bundesländern und um das Image unseres Abiturs geht. Darum spinnt sich auch die eine oder andere Legende. Zu behaupten, man könne mit Gesang, Religion, Sport und abgewählter Biologie einen Platz für ein Medizinstudium ergattern, halte ich schon für ein Stück weit überzogen. Dennoch ist ein kleines Körnchen Wahrheit dabei. Ich komme gleich dazu.

Der „Nordkurier“ hat im Februar 2013 einen Artikel mit Rechercheergebnissen über Prüfungszulassungsregelungen im Vergleich der einzelnen Bundesländer herausgebracht. Er hat veröffentlicht: Ein fiktiver Schüler in Bremen könnte - eine bestimmte Notenkonstellationen vorausgesetzt - das Abitur durchaus mit einem achtbaren Ergebnis von 1,5 oder 1,8 - das weiß ich jetzt nicht mehr genau - abschließen. In Sachsen-Anhalt würde dieser fiktive Schüler mit dieser Notenkonstellation nicht einmal zum Abitur zugelassen werden. Wenn das stimmt, wirft das erhebliche Gerechtigkeitsfragen auf.

All das hängt mit der Oberstufenverordnung in den einzelnen Bundesländern zusammen. Das hat mit der Berücksichtigung von Fächern und Ergebnissen bei der Zulassung zum Abitur zu tun.

Um jetzt nicht wieder Nebenschauplätze zu eröffnen: Wir sind sehr wohl für Vielfalt und Differenziertheit und unterschiedliche Orientierung, die in der Wahl oder Abwahl von Fächern ein Stück weit Berücksichtigung finden sollen. Wir wollen das nicht abschaffen. Wir wollen auch keine - bevor das wieder kommt - nach unten, bis alle Schülerinnen und Schüler bei einem Durchschnitt von 1,0 gelandet sind. Nein.

Ich finde aber sehr wohl die Diskussion und den Wunsch nachvollziehbar und auch legitim, dass man nicht nur vergleichbare Niveaus in einzelnen Fächern in den Bundesländern anbietet, sondern dass auch die Prüfungsordnungen selbst ein Stück weit vergleichbar, sprich angeglichen werden.

Meine Damen und Herren! Es muss bei den Belegungsverpflichtungen und bei den Prüfungszulassungsregelungen zwischen den einzelnen Ländern

gerecht zugehen. Das Land Sachsen-Anhalt hat bundesweit derzeit die meisten Kursnoten, die ins Abitur einzubringen sind. Die Schülerinnen und Schüler können ungenügende Leistungen überhaupt nicht streichen. Es sind sechs Fächer, die die Schülerinnen und Schüler im Leistungskurs belegen müssen. Darüber muss man nachdenken.

Zum zweiten Punkt, der Qualität der Ausbildung während der gymnasialen Oberstufe. Die gymnasiale Oberstufe hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Veränderungen über sich ergehen lassen müssen - so lax möchte ich es einmal ausdrücken. Schon allein deshalb wäre es durchaus angesagt zu evaluieren.

Aber es geht natürlich auch um einen anderen Befund. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Wir haben einen starken Anstieg der Anzahl von Schülerinnen und Schülern, die Kurshalbjahre in der Oberstufe wiederholen, und wir haben eine große Anzahl von Schülerinnen und Schülern, die in Klasse 5 begonnen haben oder auch in der Oberstufe eingestiegen sind und den Weg zum Abitur zwischendurch abgebrochen haben. Das sind Dinge, die man zur Kenntnis nehmen muss. Unsere Abiturquote steigt zwar, bleibt aber nach wie vor weit hinter den anderen Bundesländern zurück.

Nun kenne ich die Argumente des Philologenverbandes - wahrscheinlich werden diese hier noch einmal vorgetragen -, die besagen, dass einfach zu viele ungeeignete Schülerinnen und Schüler zum Gymnasium kommen; diese drücken das Niveau. Ein gewisses menschliches Verständnis habe ich dafür, wenn sich jeder Pädagoge die Besten bzw. die unkompliziertesten Schülerinnen und Schüler aussuchen möchte, aber professionell, meine Damen und Herren, ist das nicht.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Verantwortungsvolle Pädagoginnen stellen sich andere Fragen, zum Beispiel solche: Sind traditionelle Lern- und Lehrmethoden tatsächlich noch tragfähig? Sind die Lehrformen mit den unterschiedlichen Lernstrategien und Lernsettings, die Schülerinnen und Schüler mitbringen, noch kompatibel? Oder ist es nicht manchmal auch so, dass diejenigen, die am Gymnasium bleiben und es schaffen, schlichtweg die höchste Frustrationstoleranz oder eine gewisse Leidensfähigkeit haben?

Das wäre das Gegenteil von Lernmotivation und würde viele individuelle und letztlich auch gesellschaftliche Potenziale verschenken. Sogenannte schwierige Schülerinnen und Schüler - ich betone „sogenannte“ - müssen prinzipiell eine Herausforderung sein.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es wird auch immer wieder die Frage gestellt - ich finde, zu Recht -, ob es denn sein muss, eine solche Stofffülle innerhalb der Fächer vorzubereiten.

Wir haben uns mit mehreren Gymnasialkollegen darüber unterhalten. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass es, wenn man als Fachmann oder als Fachfrau in einer Kommission sitzt und darüber entscheiden soll, was denn jetzt für sein Fach wichtig ist, eine gewisse Neigung gibt, im Prinzip alles gleich wichtig zu nehmen und so viel wie möglich hineinzupacken. Das heißt, es wäre schon eine Überlegung wert, solche Kommissionen, die darüber entscheiden, nicht nur mit Fachleuten in diesem engeren Sinne zusammenzusetzen.

Auch das Pauken und das Auswendiglernen für unendlich viele Klausuren werden immer wieder - ich finde, zu Recht - in die Kritik gebracht. Prüfungsbulimie hat nicht unbedingt damit zu tun, dass man wirklich etwas verstanden hat und nachvollziehen kann, dass man Zusammenhänge erfasst und sich mit Widersprüchlichkeit auseinandersetzen kann.

Ich finde, dafür braucht es Raum und Zeit, dafür braucht es Pädagogik, dafür braucht es Psychologie und dafür braucht es Didaktik. Ich finde nach wie vor, dass diese Dinge das Kerngeschäft von Lehrkräften in der gymnasialen Oberstufe sein müssen.

Gegen ein hohes Niveau mathematischer Bildung ist nichts einzuwenden. Mathematik ist für den Zugang zu fast jeder Wissenschaft wichtig. Ich denke, dort, wo alle auf Leistungskursniveau unterrichtet werden, wo aber eine ausreichende Binnendifferenzierung nicht stattfindet, also eine gezielte Förderung und Forderung mit differenzierten Aufgaben für Schülerinnen und Schüler, oder wo gezielte differenzierte Problemstellungen fehlen, wird es ganz sicher nicht gelingen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Bei der Analyse sollten wir natürlich auch die eingesetzten Ressourcen im Blick haben. Personalmangel und -ausfälle werden immer wieder kritisiert - wie ich finde, zu Recht. Ich wiederhole mich ungern, ich tue es an dieser Stelle trotzdem: Die Personalabbaupläne der Landesregierung sind Murks. Sie gehören auch bei der Frage der Reform der gymnasialen Oberstufe vom Tisch.

(Beifall bei der LINKEN)