Protocol of the Session on June 10, 2011

Wer dem Ursprungsantrag in der Drs. 6/70 zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit ist der Antrag angenommen worden und es erübrigt sich eine Abstimmung über den Alternativantrag.

Meine Damen und Herren! Es ist zwischen den parlamentarischen Geschäftsführern vereinbart worden, dass wir den Tagesordnungspunkt 3 noch vor der Mittagspause behandeln, da für heute Nachmittag noch einiges ansteht.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes des Landes SachsenAnhalt

Gesetzentwurf Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/84

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Dirlich. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DIE LINKE und vorher schon die PDS haben sich vehement vor allem in der fünften Wahlperiode dafür eingesetzt, dass alle Schülerinnen und Schüler von den Kosten für die Beförderung zur Schule vollständig entlastet werden.

Wir wollten, dass auch die Schülerinnen und Schüler der 11., 12. und 13. Klasse eines Gymnasiums, eines Fachgymnasiums oder einer anderen berufsbildenden Schule kostenfrei zur Schule befördert werden können, wenn kein Lehrlingsentgelt oder eine sonstige Vergütung gezahlt wird.

Die teilweise hohen Kosten für diese Fahrten sahen wir als eine entscheidende Bildungsschranke für weniger betuchte Familien an. Erst nach langem Hin und Her - viele von Ihnen werden sich noch daran erinnern - hat sich die Landtagsmehrheit für eine deutliche Entlastung dieser Schülergruppe entschieden. Es wurde eine Eigenbeteiligung von jährlich 100 € eingeführt und ein nicht unproblematisches Abrechnungsverfahren zwischen dem Land und den Landkreisen vereinbart.

Die Eigenbeteiligung kommt nicht einer grundsätzlichen Kostenfreiheit gleich, wie wir sie gefordert haben. Auch den Abrechnungsmodus haben wir mehrfach kritisiert. Aber insgesamt ist die derzeitige Regelung im Schulgesetz immerhin ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Damit hat Sachsen-Anhalt eine Lösung gefunden, die in anderen Bundesländern durchaus ihresgleichen sucht.

Aber gerade für die Bedürftigsten - wir haben eben schon über sie geredet - hat diese Regelung Haken und Ösen, die bei einer generellen Kostenfreiheit für alle nicht entstanden wären. DIE LINKE hat daher noch in der vergangenen Legislaturperiode versucht, mit einem Gesetzentwurf eine Änderung dieser Regelung herbeizuführen. Mit dieser neuen Regelung sollten Eltern und Jugendliche, die besonders der Hilfe bedürfen, zum Beispiel Hartz-IVBezieherinnen, auch bei diesen 100 € unterstützt werden. Die Einzelentscheidung sollte bei den Landkreisen liegen.

Leider hat dieser Vorschlag damals keine Mehrheit gefunden. Es wurde nochmals klargestellt, dass das Schulgesetz in der derzeitigen Fassung eine Unterstützung bei der Aufbringung des Eigenbei

trags nicht ermöglicht. So war die Situation bis zum Teilhabepaket.

Aus unserer Sicht ist mit diesem Bildungs- und Teilhabepaket eine neue Situation entstanden. § 28 Abs. 4 SGB II regelt nun:

„Bei Schülerinnen und Schülern, die für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs auf Schülerbeförderung angewiesen sind, werden die dafür erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden und es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten.“

Das ist die Regelung im Gesetz.

Nach unserem Schulgesetz ist das für die Schülerinnen bis zur 10. Klasse unproblematisch, weil hier Dritte, also die Landkreise, bereits die gesamten Kosten übernehmen. Für die Schülerinnen in Gymnasien und berufsbildenden Schulen usw. bleibt die Rechtslage, wie sie ist. Sie oder ihre Eltern müssen in jedem Fall den Eigenbeitrag aufbringen.

Das führt zu der für uns und sicherlich auch für die leistungsberechtigten Personen schwer nachvollziehbaren Situation. Die Schülerinnen bis zur 10. Klasse haben den gesamten Betrag für Mobilität im Regelsatz, der ohnehin schmal genug ist, für sich zur Verfügung, für ihre privaten Zwecke, also um kulturelle außerschulische Angebote anzunehmen, um Sport- und Freizeitangebote zu erreichen oder eben auch einmal einen ganz persönlichen Weg zu erledigen und Tante und Oma zu besuchen.

Streben sie aber nach höherer Bildung und haben sie nicht gerade eine Lehrstelle im dualen Ausbildungssystem oder eine andere geförderte Maßnahme erhalten, müssen sie nach dem Eintritt in die Klasse 11 fast den gesamten Betrag des Regelsatzes für Mobilität allein für den Schulweg aufbringen.

Egal wie man rechnet, für diesen Rest - in Anführungsstrichen - bleiben für die Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe II nur noch wenige Euro im Monat übrig. Das halten wir für ungerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Unser Vorschlag - so viel zum Thema Konstruktivität, Herr Steppuhn - geht streng von dem Rechtsrahmen aus, den uns das Bundesgesetz setzt. Auch wenn wir es für mehr als angemessen hielten, den leistungsberechtigten Personen, die Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe II sind, die gesamten 100 € Eigenbeteiligung grundsätzlich zu erstatten, schließt das Bundesrecht eine solche Regelung leider aus. Für eine leistungsberechtigte Person muss es unzumutbar sein, die Aufwendun

gen aus dem Regelbedarf zu bestreiten; deshalb können wir eine Prüfung im Einzelfall nicht umgehen.

Unser Vorschlag ist die Einführung eines einzigen Satzes in die Regelungen im Schulgesetz zur Schülerbeförderung. Dieser soll lauten:

„Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches darf die Eigenbeteiligung als Bedarf für Bildung berücksichtigt werden.“

Damit liegt die Entscheidung bei den zuständigen Stellen, aber sie dürfen sie treffen. Jetzt dürfen sie das nicht tun.

Der Gesetzentwurf kann also nur Spielräume eröffnen, nicht Ansprüche formulieren, so berechtigt sie auch immer sein mögen. Die Entscheidung im Einzelfall ist aber unter den gegebenen Umständen durchaus legitim. Es ist doch ein Unterschied, ob die Schülerfahrkarte nur zum Besuch der Schule genutzt werden kann oder ob sie auch am Abend oder am Wochenende oder in den Ferien Gültigkeit hat.

Es ist ein Unterschied, ob die Fahrkarte zu einem Schulstandort führt, wo die Jugendlichen gewöhnlich auch viele andere Angebote finden und nutzen oder ob an dem Zielort der Fahrkarte wirklich nur die Schule ist. Sicherlich ist es auch ein Unterschied, ob man in der Stadt wohnt, wo mancher Weg auch mit dem Fahrrad zu bewältigen ist, oder auf dem Lande. Und es ist ein Unterschied, ob ich eine Busfahrkarte besitze und dann den Zug nicht nutzen kann oder ob ich eine Zugfahrkarte besitze und dann den Bus nicht nutzen kann.

Das heißt, es sind sehr viele kleine, einzelne und sehr verschiedene Regelungen im Lande unterwegs, die man dann eben im Einzelfall prüfen lassen muss. Unter der Hand führte die derzeitige Rechtslage, bliebe sie unverändert, wieder in eine Situation, in der Hartz-IV-Empfängerinnen der Weg zu höherer Bildung erschwert wird. Bis zur 10. Klasse zahlt der Staat; mehr ist für sie nicht vorgesehen und nicht nötig.

Die richtige Lösung ist aus unserer Sicht nach wie vor eine generell kostenfreie Schülerbeförderung bis zum Ende der zwölfjährigen Schullaufbahn für alle.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese sollte auch das 13. Schuljahr an Fachgymnasien oder anderen berufsbildenden Schulen einschließen. Wir wissen, dass eine solche Lösung nicht zu haben ist und dass man die Bewahrung der derzeitigen Entlastung nicht gering bewerten darf. Das tun wir nämlich nicht.

Wir schlagen diese gesetzliche Regelung vor, um mehr Bildung und nicht weniger für alle zu ermöglichen und um auch finanziell schwach Ausgestat

tete zu ermutigen, diese hohe Bildung anzustreben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Danke, Frau Dirlich, für die Einbringung. - Für die Landesregierung spricht Herr Kultusminister Dorgerloh.

Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle hier im Hohen Haus haben - davon bin ich überzeugt - ein gemeinsames Interesse an der Sicherung einer gleichberechtigten Teilhabe an Bildungsangeboten. Das heißt konkret, dass die Wahl des Bildungsgangs und damit die Erlangung von Schulabschlüssen nicht an Fahrtkosten scheitern darf.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Deshalb hat der Landtag der letzten Legislaturperiode die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass Erziehungsberechtigte sowie Schülerinnen und Schüler von den Schülerbeförderungskosten in der Sekundarstufe II entlastet werden; die Eigenbeteiligung beträgt 100 €. Ich finde, dass das in Zeiten von Haushaltskonsolidierung und Schuldenbremse ein beachtlicher Schritt ist. Wir haben in der Einbringungsrede eben auch gehört, dass dieses Vorgehen seinesgleichen sucht.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf möchte die Fraktion DIE LINKE schulgesetzlich regeln, dass bei einem Vorliegen der Voraussetzungen nach § 28 Abs. 4 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches auch die Eigenbeteiligung als Bedarf für Bildung berücksichtigt werden darf.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In § 28 Abs. 4 SGB II ist geregelt - wir haben es eben schon in der Einbringung gehört -, dass bei Schülerinnen und Schülern, die für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs auf Schülerbeförderung angewiesen sind, die dafür erforderlichen Aufwendungen berücksichtigt werden, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden und es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten.

Damit ist zwar im Bundesrecht geregelt, dass eine Erstattung des Eigenanteils durch die Träger der Sozialverwaltung und nicht aus dem Regelbedarf erfolgen kann. Allerdings sieht das SGB II eine Zumutbarkeitsprüfung vor.

Den Gesetzentwurf der LINKEN interpretiere ich so, dass die Eigenbeteiligung als Bedarf im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets gewährt werden kann. In der Begründung verweist die LIN

KE allerdings darauf, dass ungeachtet dessen im Einzelfall die Zumutbarkeit auf der Grundlage des diesbezüglichen Bundesrechts geprüft werden soll.

Meine Schilderungen zeigen, dass zwar die Zielrichtung des Gesetzentwurfs klar ist, dass Unklarheit jedoch bei der Umsetzung entsteht.

Ich schlage daher vor, meine sehr geehrten Damen und Herren, den Gesetzentwurf in den Bildungsausschuss zu überweisen. Gleichzeitig empfehle ich eine Überweisung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales. Es muss auf jeden Fall geklärt werden, ob es einer schulgesetzlichen Regelung und gegebenenfalls welcher bedarf, wenn der Sachverhalt bereits im Bundesrecht geregelt ist. Außerdem muss sich das Land noch abschließend eine Meinung zu den möglichen verschiedenen Fallkonstellationen bilden. Wir werden uns damit in den genannten Ausschüssen auseinandersetzen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr, Herr Minister. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Dr. Schellenberger.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann es ganz kurz machen. Der Herr Minister hat es gerade gesagt: Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss.

Ich glaube, wir kommen sogar ohne eine Schulgesetzänderung zu der vereinbarten Richtlinie, um das zu ändern bzw. entsprechende Möglichkeiten schaffen zu können. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.