Protocol of the Session on July 11, 2013

Lassen Sie mich das auch noch sagen: Nicht zuletzt erhöht Beteiligung die Widerstandsfähigkeit gegenüber prekären und krisenhaften Situationen. Es ist nachgewiesen, dass Kinder, die in solchen Situationen leben und durch Beteiligungsprozesse lernen, sich besser einzubringen, sich besser zu artikulieren, ihren Standpunkt zu vertreten, sich eher aus prekären Situationen befreien können als andere.

Das alles braucht aber Verbindlichkeit, Dauerhaftigkeit und verlässliche Strukturen. Wir wollen, dass das nicht mehr dem Engagement Einzelner, vielleicht von Stadträten oder dergleichen anheim gestellt wird. Wir wollen, dass sich Kinder und Jugendliche in Stendal und in der Altmark genauso wie in Dessau einbringen können. Das ist auch ein Teil unseres Verständnisses von gleichwertigen Lebensverhältnissen.

Deshalb ist es sehr wichtig, dass es ein routiniertes Verfahren dafür gibt, wie sich Kinder und Jugendliche in Planungsprozesse einbringen können. Wir haben uns dabei an Schleswig-Holstein orientiert. Damit ist nicht nur gemeint, dass die Kinder, wenn ein neuer Spielplatz gebaut wird, diesen mit Knete abbilden und entscheiden können, ob die Schaukel links oder rechts platziert wird.

Damit ist auch gemeint, dass die Kinder entscheiden können, wenn eine Straße gebaut wird, wo der Fußgängerüberweg angelegt werden soll, damit er von den Kindern und Jugendlichen auch wirklich genutzt wird und diese nicht irgendwo zwischen den Autos die Straße überqueren. Damit ist auch gemeint, dass man Kinder und Jugendliche fragt, wie lange das Jugendamt geöffnet haben soll und wie es gestaltet werden soll, damit die Kinder und Jugendlichen dort wirklich einmal hingehen und

sich Rat holen. Dafür ist das Jugendamt nämlich auch da; das wird oft vergessen.

Es ist nachgewiesen, dass diese Einbeziehung in Planungsprozesse nicht nur die Planung selbst verbessert, sondern auch deren Akzeptanz und Legitimation erhöht. Ich glaube, wenn wir schon wenig Geld ausgeben können, dann ist es wichtig, dass das, was wir damit schaffen, von den Jugendlichen - in diesem Fall - akzeptiert und legitim behandelt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir stellen immer wieder fest, dass diejenigen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, nicht gut genug in der Lage sind, dies wirklich tun zu können. Diejenigen, die in der Kinder- und Jugendhilfe, in der frühkindlichen Bildung und in der Verwaltung tätig sind, haben oft nicht das entsprechende Rüstzeug, um die Kinder wirklich kindgerecht entsprechend den Altersgruppen zu beteiligen. Deshalb, glauben wir, ist es gut und richtig - das sehen wir in unserem Antrag vor -, dass wir diese Menschen schulen, dass wir ihnen Beteiligungsformen vorstellen, dass wir ihnen Moderationstechniken an die Hand geben, um mediativ arbeiten zu können, damit sie mit den Kindern altersgerecht arbeiten können.

Ich war in den letzten Jahren mehrfach in Kindergärten. Wenn ich eine Kindergärtnerin vor mir habe, die ihre Ausbildung vor 30 Jahren abgeschlossen hat und der gelehrt wurde, das ist der Tag und das wirst du nacheinander mit den Kindern abarbeiten, dann kann ich mir gut vorstellen, dass es für sie sehr schwierig ist, wenn sie vor die Aufgabe gestellt wird - das haben wir ja ein Stück weit im KiFöG vorgesehen -, die Kinder mitentscheiden zu lassen und diese Dinge mit den Kindern gemeinsam zu entwickeln. Das hat auch etwas damit zu tun, Macht abzugeben.

Ich glaube und bin fest davon überzeugt, dass es wichtig ist, dass wir den Kindern und Jugendlichen in unserem Land zeigen, dass wir ihre Beteiligung wollen, auch wenn sie quantitativ immer weniger werden. Wir reden immer davon, dass wir nicht wollen, dass sie unser Land verlassen, und dass sie sich einbringen sollen. Mit diesem Gesetz hätten wir eine Möglichkeit, ein klares Zeichen zu setzen. Ich glaube, das ist wichtig und eine Frage der Gerechtigkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir können uns nicht darauf ausruhen, dass es in Halle und in Magdeburg Kinder- und Jugendbeauftragte gibt, die sehr engagiert sind, und meinen, dass es sich in den anderen Kreisen schon irgendwie regeln wird. In diesem Land regelt sich nämlich überhaupt nichts von selbst.

Deshalb schlagen wir vor, dass auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte Kinder- und Ju

gendbeauftragte eingeführt werden, die all das, was ich eben kurz anreißen konnte, gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen auf den Weg bringen, es kontinuierlich umsetzen, weil sich die Generation der Kinder und Jugendlichen sehr schnell entwickelt, und die dies an andere weitergeben und Fortbildungsprozesse begleiten.

Neben den ganzen Beteiligungsverfahren, von denen ich eben nur einige anreißen konnte, ist uns die Einrichtung von Ombudsstellen in der Jugendhilfe sehr wichtig. Das ist ein weiteres Anliegen, das ich noch kurz ausführen möchte. Bei diesen Ombudsstellen handelt es sich um relativ neue Einrichtungen in Deutschland. Die Initialzündung fand im Jahr 2002 in Berlin mit der Gründung des Berliner Rechtshilfefonds in der Jugendhilfe statt. Heute ist das eine sehr große Einrichtung, die ein bundesweites Netzwerk koordiniert.

In diesem bundesweiten Netzwerk ist leider nur eine Stelle aus Sachsen-Anhalt vertreten, der Verein Lotse e. V. aus Halle. Wir GRÜNEN wollen die durch das Wiesner-Gutachten im vergangenen Jahr neu entflammte Diskussion aufnehmen und ombudschaftliche Beratungs- und Schlichtungsstellen in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt in Sachsen-Anhalt einrichten. Das hat auch etwas mit Machtasymmetrie zu tun.

In dem System der Jugendhilfe, in dem sich Jugendämter, Eltern und Kinder bewegen, beobachten wir zunehmend, dass die Jugendämter nicht mehr in der Lage sind, ihre Rolle wahrzunehmen und aus der Perspektive von Kindern zu arbeiten. Ich will den Mitarbeitern der Jugendämter nicht zu nahe treten. Sie stehen unter einem unheimlichen Druck. Auf der einen Seite ist viel zu wenig Geld im System. Auf der anderen Seite werden die rechtlichen Rahmenbedingungen immer schwieriger, und es ist viel zu wenig Personal vorhanden, um es wirklich richtig zu machen.

Wir glauben, es ist eine echte Entlastung für alle drei Partner in dem System, wenn es eine Stelle gibt, die berät, vermittelt, erklärt und schlichtet. Wir konnten uns das als kleine Delegation des Sozialausschusses in Norwegen anschauen. Die Mitarbeiter dieser Stellen könnten aus den Reihen der jetzigen Mitarbeiter der Jugendämter zusammengestellt werden. Ich glaube, das würde nicht einmal zusätzliches Geld kosten.

(Herr Borgwardt, CDU: Was? Das kostet nichts?)

Lassen Sie mich abschließend noch sagen, weil mir das wirklich wichtig ist, dass dieser Antrag über eineinhalb Jahre gewachsen ist. Der interessierte Bürger konnte wahrnehmen, dass wir zahlreiche Veranstaltungen durchgeführt haben. Wir haben immer wieder all das, was wir an Ideen haben - einen Teil konnte ich Ihnen eben vorstellen -, mit Kindern und Jugendlichen besprochen und bear

beitet und deren Rückmeldungen im Open Space, in einem Fachgespräch und in Diskussionen mit den Kinder- und Jugendräten und mit dem LandesKinder- und Jugendring eingeholt. Wir haben gefragt, wollt ihr das, wollt ihr Kinder- und Jugendgremien in jedem Landkreis, in jeder kreisfreien Stadt. Die Antwort war immer: Ja, wenn wir die Möglichkeit hätten, das selbst auszugestalten, dann würden wir mitmachen. Dann könnten wir das und das machen. Es muss aber auch ernsthaft sein.

Wir haben versucht, das alles in den Gesetzentwurf einzuarbeiten. Ich würde mich freuen, wenn Sie unserer Intention folgen und unsere Meinung teilen könnten, dass es wichtig ist, heute von diesem Landtag aus ein Zeichen in Richtung Kinder und Jugendliche zu senden. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lüddemann, für die Einbringung der beiden Beratungsgegenstände. - Wir treten jetzt in die vereinbarte Zehnminutendebatte ein. Für die Landesregierung hat als Erster Herr Minister Stahlknecht das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Lüddemann! Ich gebe Ihnen Recht, dass die Partizipation Jugendlicher auch am kommunalen Geschehen und an politischen Entscheidungen wichtig ist, weil es gut ist, wenn junge Menschen frühzeitig an das Denken in einer Demokratie herangeführt werden, dass sie frühzeitig lernen, wie politische Willensbildung erfolgt, und dass sie in den Bereichen, die sie unmittelbar berühren, in der Gemeinde, in der sie leben, beteiligt werden.

Auch die Kinderrechte sind eine gute Sache. Es gibt sie mittlerweile. Es stellt sich aber die Frage, ob all das, was Sie uns vorgetragen, am Ende gesetzlich geregelt werden muss.

Sie stellen auf zwei Bereiche ab. Zum einen soll das Wahlalter auf kommunaler Ebene auf 14 Jahre gesenkt werden. Darauf komme ich gleich. Zum anderen sollen die Belange und Interessen von Kindern und Jugendlichen im kommunalpolitischen Entscheidungsprozess stärker berücksichtigt werden und - jetzt kommt es - durch hauptamtliche Kinder- und Jugendbeauftragte und durch besondere kommunale Beteiligungsverfahren innerhalb von kreisfreien Städten und Landkreisen mehr Bedeutung erlangen.

(Herr Borgwardt, CDU: Das kostet doch nicht mehr, hat sie gesagt!)

- Darauf komme ich gleich. - Für die Kommunen unterhalb der Ebene der kreisfreien Städte und der Landkreise haben Sie eine Kann-Regelung vorgesehen.

Ich sage Ihnen zwei Dinge. Erstens. Ich finde, Demokratie muss von dem Willen der Menschen leben, andere zu beteiligen, und nicht von einer per Gesetz verordneten demokratischen Zufriedenheit.

(Zustimmung bei der CDU)

Zweitens. Sie kommen schon in den Bereich der Verfassung. Dabei waren sie nicht ganz präzise. Das betrifft Artikel 87 Abs. 3 der Verfassung, das sogenannte Konnexitätsprinzip. Das haben Sie leider übersehen.

(Zuruf von Frau Lüddemann, GRÜNE)

Wenn Sie hauptamtliche Kinder- und Jugendbeauftragte haben, dann löst das Kostenfolgen für die Gemeinden aus, die am Ende geregelt werden müssen, wenn Sie das verpflichtend machen. Insofern ist das auch eine finanzpolitisch relevante Entscheidung, die Sie hier vorschlagen.

Meine Bitte wäre, wenn darüber in den Ausschüssen diskutiert wird, dass man in das Gesetz hineinschreiben könnte, dass das gemacht werden kann. Dann haben Sie einen Fingerzeig in der neuen Kommunalverfassung. Darüber kann zusammen mit der neuen Kommunalverfassung beraten werden. Ich würde Ihnen aber nicht empfehlen, es verpflichtend gesetzlich zu regeln, eben aus zweierlei Gründen: Erstens wächst Demokratie immer aus dem freien Willen und nicht daraus, was man gesetzlich anderen aufoktroyiert, und zweitens kostet es auch noch Geld. Das müssen Sie zumindest erklären.

Zur Senkung des Wahlalters auf 14 Jahre

(Frau Lüddemann, GRÜNE: Das stand da nicht drin!)

- ja, aber zumindest für mich klingt es mit an - stellt sich die Frage, ob Sie darüber wirklich ernsthaft mitdiskutieren wollen. Wenn ja, dann müssten Sie erklären, warum Sie dieses Alter und nicht das Alter von 16 Jahren für angemessen halten. Sie müssten es dann begründen.

(Herr Striegel, GRÜNE: Darüber reden wir noch!)

- Ja, ich weiß, aber ich sage es trotzdem schon an dieser Stelle.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Krause.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Vergangenheit haben wir Politik für Jugendliche oftmals nur aus einer Perspektive heraus betrachtet, bei der ein problemzentrierter Ansatz vorherrscht. Jugendpolitik wurde hauptsächlich als Instrument genutzt, um Antworten für den Umgang mit Jugendlichen mit Problemlagen zu liefern. Dieser Ansatz ist auch aus der Sicht meiner Fraktion überholt, zeichnet er doch ein sehr unvollständiges Bild von Jugendlichen mit ihren individuellen Interessen und Problemlagen.

Ein wesentlicher Punkt ist - ich denke, das eint uns alle in diesem Hohen Haus -, dass wir die Beteiligung der jungen Menschen an der Gestaltung des für sie relevanten Umfelds stärken wollen. Die Partizipation, also die Beteiligung der Jugendlichen an den für sie wichtigen Entscheidungen, muss größer geschrieben werden.

Junge Menschen bringen bereits heute die Bereitschaft mit, ihr Umfeld mit Engagement und viel individuellem Einsatz zu gestalten. Ein Indiz dafür sind nach wie vor erfreulich hohe Teilnehmerzahlen beim Freiwilligen Sozialen Jahr, im Bereich der Kultur, im Sport, in der Politik, in der Denkmalpflege, im ökologischen Bereich oder beim Bundesfreiwilligendienst. Denken wir auch an die unzähligen Fluthelferinnen und Fluthelfer.

In großer Zahl beteiligen sich junge Menschen an der Gestaltung der sozialen Wirklichkeit. Sie übernehmen individuell Verantwortung für ihr Umfeld. Junge Menschen wollen ihr Umfeld gestalten, wenn sie die Gelegenheit dazu erhalten. Unsere Demokratie braucht Menschen, die Verantwortung übernehmen und sich einmischen wollen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Kommunen kommt hierbei eine wichtige Bedeutung zu, da sie das unmittelbare Lebensumfeld der Kinder und Jugendlichen sind. Konkrete Partizipation wird häufig vor Ort gestaltet und ist oft von den örtlich handelnden Personen abhängig.

Kommunen, die Kinder und Jugendliche früh an den sie betreffenden Fragen beteiligen, profitieren doppelt. Sie verbessern ihre Angebote für junge Menschen und deren Familien, weil sie Kinder und Jugendliche als Expertinnen und Experten in eigener Sache einbinden. Gleichzeitig stärken sie die Demokratieorientierung der jungen Generation. Diese Aufgabe ist angesichts der zunehmenden Entfremdung von Jung und Alt von etablierter Politik wichtiger denn je.

In den 90er-Jahren hat die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf kommunaler Ebene an Bedeutung gewonnen. Kommunen ermöglichen Kindern und Jugendlichen, sich an Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen.

Wichtige Akteure wie Ministerien, Verbände und Stiftungen machen sich für das Thema der Kinderrechte stark. Förderprogramme, Informationsplattformen, Kampagnen, Wettbewerbe oder Fortbildungsprogramme unterstützen die Arbeit der Kommunen.

Zahlreiche kommunale Mandatsträgerinnen und -träger sowie Verwaltungsspitzen setzen sich für eine stärkere Beteiligung von Heranwachsenden ein, um ihre Städte und Gemeinden in einem sich verschärfenden Standortwettbewerb zu profilieren. Schließlich geht es hierbei auch um Heimatbindung und Verwurzelung.