Protocol of the Session on July 11, 2013

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir wollten das Pro und Kontra einer Pflegekammer auch in Sachsen-Anhalt diskutieren, ohne dass sich die Regierungsfraktionen hierzu eine abschließende Meinung gebildet hätten. Wir legen großen Wert darauf, dass dieser Prozess ergebnisoffen erfolgt.

Für die Einrichtung einer Pflegekammer könnte die Vertretung der pflegerischen Belange in den Gesetzgebungsverfahren sprechen. Das Gesundheitswesen ist in Deutschland auf dem Prinzip der Selbstverwaltung aufgebaut. Die Verkammerung der Pflegeberufe könnte eine Verbesserung der Einflussmöglichkeiten der Pflegeberufe auf die Gesetzgebung haben.

Als weiterer Vorteil kommt die Regelungskompetenz für Fort- und Weiterbildung in Betracht. Derzeit erleben wir einen Wildwuchs an Bildungsangeboten in der Pflege, der in keiner Weise überprüfbar ist. Zudem ist die Regelungskompetenz für Bildungsstandards auf unterschiedliche Ministerien und Institute zergliedert. Eine Bündelung innerhalb der Kammer könnte Licht in den Bildungsdschungel der Pflege bringen und so für eine Qualitätssicherung in der Pflege sorgen.

Ein weiterer Vorteil könnte die verpflichtende Registrierung aller beruflich Pflegenden sein. Bislang fehlen jegliche Daten zu der Anzahl und der Qualifikation der beruflich Pflegenden. Dies ist jedoch eine unverzichtbare Planungsgrundlage für die politisch Verantwortlichen zur Sicherung der pflegerischen Versorgung der Bevölkerung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Gegenargument für die Einrichtung einer Kammer wird die Pflichtmitgliedschaft mit entsprechender Verpflichtung zur Beitragszahlung aufgeführt. Bislang liegt der Organisationsgrad der beruflich Pflegenden unter 10 %. Von den Gegnern der Pflegekammer wird auch ein höheres Maß an Bürokratie und Zentralisierung kritisiert. Dies ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen.

Die Regelung von Berufspflichten sowie der Fort- und Weiterbildung erfordert bislang fehlende Strukturen. Von den Befürwortern der Kammer werden diese jedoch im Sinne der Patientensicherheit als sinnvoll und notwendig erachtet.

Um diesen Prozess sach- und fachgerecht durchzuführen, bitten wir die Landesregierung, dem Landtag unter Einbeziehung der Mitglieder des Landespflegeausschusses Sachsen-Anhalt bis zum Ende des dritten Quartals 2013 einen Bericht über das Pro und Kontra der Einrichtung einer Pflegekammer vorzulegen, der die rechtlichen, finanziellen und sächlichen Voraussetzungen für die Einrichtung einer solchen Kammer prüft. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr für die Einbringung, Kollege Krause. - Für die Landesregierung spricht Minister Herr Bischoff.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Abgeordnete! Das Thema Pflegekammer war schon Ende der 90er-Jahre aktuell, auch im Landtag. Damals war es nicht ganz so hochgekocht, sondern es stand nur für kurze Zeit auf der Tagesordnung. Damals ging es um die Psychotherapeutenkammer, wie sich manche noch erinnern können. Wir haben uns damals damit schwergetan, ob man am Ende alle oder viele Berufe verkammern sollte.

Wir werden diesen Prüfauftrag natürlich ergebnisoffen behandeln und die Vor- und Nachteile offenlegen. Ich möchte nur einige Punkte nennen, was Sie hoffentlich nicht gleich als Wertung ansehen. Mit dem Landespflegerat ist die Einrichtung einer Pflegekammer eigentlich immer besprochen worden; das Thema hat aber im letzten Jahr an Dynamik gewonnen. Der Dynamik ist zu verdanken, dass die Einrichtung einer Pflegekammer in einigen Bundesländern teilweise sehr weit fortgeschritten ist, während sich andere Länder gar nicht damit beschäftigen.

Übrigens ist dieses Thema auch quer durch die politischen Parteien aktuell, auch in den Ländern, wo es große Koalitionen gibt oder wo die GRÜNEN mit im Boot sind. Das Thema ist nicht parteipolitisch einzusortieren.

Ich habe grundsätzlich viel Verständnis dafür, dass die in der Pflege Tätigen diesen Gedanken wieder aufgegriffen haben, weil sie zumindest in den letzten Jahren das Gefühl hatten, dass die anderen im Gesundheitswesen vertretenen Berufsgruppen sich besser äußern können. Die Ärzte sind in der Ärztekammer, die Tierärzte in der Tierärztekammer, die Apotheker in der Apothekerkammer, die Psychotherapeuten in der Psychotherapeutenkammer - ich habe sicherlich noch eine vergessen.

Die beruflich Pflegenden fühlen sich außen vor. Und auch mit der Wertschätzung für diesen Berufsstand - all das wissen wir - steht es nicht zum Besten, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Auch die Fragen der Ausbildung usw. lassen zu wünschen übrig.

Daher kann ich verstehen, dass hinter diesem Wunsch die Hoffnung steht, dass eine Pflegekammer dies leisten kann, dass sie auf Augenhöhe mit der Politik diskutiert und angehört wird. Das kann ich nachvollziehen. Immerhin sind bei uns 24 000 Menschen in der Pflege tätig. Das ist die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen.

Es gibt in den Ländern, in die Bewegung gekommen ist - ich glaube, dass es deshalb auch in Sachsen-Anhalt verstärkt zu einem Thema geworden ist -, natürlich auch unterschiedliche Betrachtungsweisen. Im Frühjahr 2013 fand auf der Länderebene ein Austausch der Arbeitsgemeinschaften der obersten Landesgesundheitsbehörden zur Pflegekammer statt, mit dem Ausblick, es möge möglichst bundeseinheitlich geregelt werden, weil es bundesweite Initiativen mit unterschiedlicher Intensität zur Gründung von Landespflegekammern gibt.

Bisher gibt es noch kein Bundesland, das eine Pflegekammer hat. Rheinland-Pfalz ist in seinen Bestrebungen am weitesten fortgeschritten. Andere Länder, insbesondere alte Bundesländer, stehen kurz davor, eine Pflegekammer zu gründen.

In den Ländern, in denen es eine repräsentative Umfrage gab, wie zum Beispiel in unserem Nachbarland Niedersachsen, gibt es ein differenziertes Bild. 67 % der Befragten haben sich zum Beispiel für die Errichtung einer Pflegekammer ausgesprochen, aber nur 42 % stimmten zu, wenn es eine Pflichtkammer mit Beitragspflicht wäre. Ohne Beitragspflicht kann man aber gar keine Kammer gründen.

Bei der Frage der Höhe der Beitragspflicht, die zwischen 3 € und 20 € schwankt, je nachdem, was die Kammer später machen will - unabhängig davon, ob sie am Ende ein eigenes Versorgungswerk will; diesbezüglich hätte ich allerdings große Bedenken -, etwa Berufsanerkennung, Fortbildung, Weiterbildung und Ähnliches - man weiß, dass eine Fachkraft nicht ausreicht, sondern dass mehrere Fachkräfte erforderlich sind, die die Kammer vertreten -, ergibt sich ein differenziertes Bild.

Rheinland-Pfalz hat, glaube ich, als einziges Bundesland eine Befragung mit vorheriger Registrierung durchgeführt, um zu erfahren, wer eigentlich alles zu den Pflegeberufen zählt, weil auch die ambulanten Pflegeeinrichtungen und die privat geführten ambulanten Pflegeeinrichtungen dazugehören. Man ist dort davon ausgegangen, dass nur die befragt werden können, die sich vorher haben

registrieren lassen. Auch das ist ein Verwaltungsakt, dies zu organisieren.

Von den 40 000 Pflegekräften in Rheinland-Pfalz haben sich nicht einmal 10 000 registrieren lassen. Davon hat sich die Hälfte zustimmend geäußert. Von 40 000 haben also 5 350 zugestimmt.

Nun kann man das werten. Man kann sagen: Die übrigen 30 000 hätten sich ja registrieren lassen und mitmachen können. Warum haben sie das nicht getan? Vielleicht hätten sie auch zugestimmt. - Das ist sozusagen das Bild.

In Bayern lief die repräsentative Umfrage bezüglich der Einrichtung einer Pflegekammer bis Ende Juni 2013; sie müsste jetzt abgeschlossen sein.

Ich habe auf der Gesundheitsministerkonferenz vor 14 Tagen gesagt, als wir uns abends beim Kamingespräch ausgetauscht haben und ich mich schon gewundert habe, dass es insbesondere in den ostdeutschen Ländern so unterschiedlich läuft - in Mecklenburg-Vorpommern gar nicht, Brandenburg sieht auch keinen Bedarf, in Sachsen ist es etwas unterschiedlich, in Thüringen gibt es ebenfalls keinen Bedarf -: Am liebsten hätte ich es, dass abgewartet wird, was in Rheinland-Pfalz passiert, wenn dort in diesem Jahr die Pflegekammer gegründet wird. Dann könnte man sehen, was nach einem Jahr daraus geworden ist, ob dieser Schwung und diese Erwartung, was eine Pflegekammer tatsächlich bewirken kann, noch immer vorhanden sind. Wenn es wirklich ein Erfolgsrezept ist und man mit der Pflegekammer nicht Erwartungen enttäuscht, müsste man das Ganze vielleicht vehementer verfolgen.

Aber ich möchte dem nicht vorgreifen. Wir werden das Für und Wider abwägen und dem Landtag die Ergebnisse zur Entscheidung vorstellen. Wir werden auch über den Weg reden. Wenn man es positiv im Landtag entscheiden würde, müsste man noch einen Weg finden, die Betroffenen dazu zu Wort kommen zulassen, wie sie selbst es sehen, auch hinsichtlich der Frage der Pflichtmitgliedschaft und eines Pflichtbeitrages. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Herr Minister. - Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Die Abgeordnete Frau Zoschke wird für die Fraktion DIE LINKE sprechen.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit etlichen Jahren gibt es eine Diskussion über Sinn und Berechtigung des bestehenden Kammerwesens. Wie zeitgemäß sind Zwangskammern

und welche Probleme ergeben sich gerade für ihre kleinen und wirtschaftlich schwachen Mitglieder?

Vor diesem Hintergrund bin ich darüber erfreut, dass die Regierungsfraktionen ihren Antrag nicht im Imperativ formuliert haben. Der Titel lautet also nicht „Pflegekammer in Sachsen-Anhalt einführen“, sondern „Das Für und Wider der Einrichtung einer Pflegekammer prüfen“. Diese Vorsicht ist absolut geboten; denn fraglos existieren zentrale Argumente, die gegen die Einrichtung einer Pflegekammer sprechen.

Aber ich greife gern das Für auf, also die ProArgumente, die von den Verfechtern der Pflegekammern ins Feld geführt werden. Eines der Argumente heißt: die Qualität der Pflege sichern. - Ja, das wollen wir doch alle. Doch Vorsicht! Kammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und erhalten die Befugnis, Richtlinien zu erlassen.

Zugleich wäre diese Kammer faktisch auch ein Interessenverband der Pflegeanbieter. An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob die Interessen der Pflegebedürftigen und deren Angehöriger überhaupt Berücksichtigung fänden. Wir sagen: Die Verantwortung für die Pflegequalität darf die Politik nicht aus der Hand geben.

(Zustimmung von Frau Dr. Klein, DIE LINKE, und von Herrn Henke, DIE LINKE)

Ein anderes Argument lautet: Das Ansehen der Pflegeberufe sollte gesteigert werden. Das Ansehen ist entgegen allen Gerüchten gar nicht schlecht - im Gegenteil. Es gibt aber genügend Gründe, die jungen Menschen die Pflege als Berufswunsch vergraulen: ein enger Personalschlüssel und miese Bezahlung. Hohe Verantwortung und Schichtarbeit gibt es seit jeher obendrauf. Das wird sich auch durch eine Kammer, in der die Arbeitgeber am längeren Hebel sitzen, nicht ändern. Auch für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege ist die Politik verantwortlich.

Außerdem wird gesagt, die Kammer würde verbesserte Weiterbildung anbieten. Tatsächlich aber träte die Kammer damit in Konkurrenz zu den eigenen Mitgliedern. Es trifft nicht zu, dass ein Mangel an fachlich guten Angeboten zu verzeichnen wäre. Was hier abermals verbessert werden müsste, sind gesetzliche Mindeststandards. Auch das ist eine Sache der Politik.

Ein weiteres Argument lautet: Die Pflege sollte mit einer Stimme sprechen. Da die Kammern aber auf Landesebene verankert würden, wären es schließlich 16 Kammern. Außerdem würde die Heterogenität der unterschiedlichen Positionen auch innerhalb einer solchen Kammer bestehen bleiben.

Es stellt sich also die Frage, wer die Verfechter einer Pflegekammer sind. - In Sachsen-Anhalt tritt besonders der Bundesverband Pflegemanagement

für die Pflegekammer ein. Es handelt sich um einen Berufsverband, der explizit nur Leitungskräfte aufnimmt.

Außerdem setzt sich der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe bundesweit sehr stark für die Einrichtung von Pflegekammern ein. Hierzu muss man wissen, dass gerade dieser Verband ein Mitgliederproblem hat. In einigen privaten Kliniken werden seit längerer Zeit Führungskräfte dazu gedrängt, sich als Mitglieder registrieren zu lassen. Eine Pflegekammer mit Zwangsmitgliedschaft würde dieses Problem der angesprochenen Berufsverbände quasi lösen.

Sogenannte normalsterbliche Pflegekräfte, die sich im Übrigen mit hoher Quote freiwillig bei Ver.di organisieren, haben laut Umfragen in RheinlandPfalz und Niedersachsen häufig zu wenig Kenntnis und zu wenig Zeit, um sich um das Thema Pflegekammer zu kümmern. Dies gilt insbesondere auch für kleine Pflegedienste. Was wollen solche Kammern also wirklich?

Als LINKE treten wir dafür ein, die eigentlichen Fragen anzugehen: Wie verbessern wir Arbeits- und Tarifbedingungen der Pflegekräfte? Wie finanzieren wir auf lange Sicht eine gute Pflege für alle? Diese Fragen sind im Kern bundespolitisch zu klären. Ich verweise dazu auf die Diskussion, die wir heute schon geführt haben. Allerdings müssen wir uns mit Sicherheit auf die Zeit nach dem 22. September 2013 vertrösten lassen und noch einmal darüber befinden, wenn die Bundestageswahl stattgefunden hat. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Born.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kammern sind durch eine Pflichtmitgliedschaft gekennzeichnet. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfügen sie über ein Selbstverwaltungsrecht und unterliegen lediglich der Rechtsaufsicht. Mit der Überlegung, neben den Kammern für Heilberufe auch Pflegekammern zu errichten, sollen staatliche Aufgaben auf die Pflegekammern übertragen werden, beispielsweise die Berufsaufsicht.

Über das Thema Pflege und den Fachkräftemangel haben wir heute Vormittag schon ausführlich diskutiert. Problemfelder wurden erkannt. Die Notwendigkeit innovativer Lösungsansätze wurde angesprochen. Inwieweit die Errichtung einer Pflegekammer hierzu einen Betrag leisten kann, bleibt abzuwarten.

Aus der Sicht der Befürworter könnte eine Pflegekammer die Interessen der Gesellschaft stellvertretend für den Staat wahrnehmen und vor allem die Profession und damit das Ansehen in der Öffentlichkeit besser darstellen. Die von Fachvertretern angestrebte Professionalisierung des Berufsfeldes, wie Verwissenschaftlichung und die Akademisierung, könnte beschleunigt werden.

Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass durch die Benennung der Zugangsvoraussetzungen und der Inhalte der Ausbildung oder des Studiums sowie durch die Ausübung der Disziplinargewalt, die Festigung ethischer Leitlinien und die Überwachung berufsqualifizierender Prüfungen eine bessere Qualitätssicherung erfolgen kann.

Wir sehen es allerdings skeptisch, dass die Qualität der Leistung Pflege dann besser sichergestellt werden kann. Qualitätssicherung bedarf unserer Meinung nach einer Kontrolle, die nicht von den Dienstleistern selbst ausgehen sollte. Ich sehe auch einen Interessenkonflikt, wenn die Leistungserbringer die Interessen der Pflegebedürftigen vertreten. Ob das im Sinne der zu Pflegenden und deren Angehöriger sein kann, ist fraglich.

Es stellt sich auch die Frage, ob es hierdurch nicht zu einem zusätzlichen Verwaltungsaufwand kommt. Die Kammern unterliegen dem Landesrecht. Die Sicherung der Pflege ist jedoch eine bundesweite Herausforderung.

Natürlich ist eine Verkammerung auch immer eine Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Das Berufsbildungs- und das Berufsausübungsrecht sind jedoch staatliche Aufgaben. So fällt im ärztlichen Bereich die Ausbildung unter das Bundesrecht, die ärztliche Weiterbildung ist Landesrecht. Hierin kann ich den Befürwortern einer Pflegekammer nur schwer folgen.