Protocol of the Session on April 26, 2013

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Zugang zum Recht ist durch den Gleichheitsgrundsatz, das Rechtsstaatsprinzip und den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verfassungsrechtlich im Grundgesetz verankert. Dieser Maßstab ist für uns unabdingbar und steht auch nicht zur Disposi

tion. Das Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, kurz PKH, sowie die Beratungshilfe effizienter zu gestalten, damit auch zukünftig allen Menschen in Deutschland der Zugang zum Recht unabhängig von Einkünften und Vermögen eröffnet bleibt.

Es ist nämlich offensichtlich - Frau Ministerin ging darauf ein -, dass die Landeshaushalte mit kontinuierlich gestiegenen Kosten für die Prozesskostenhilfe und die Beratungshilfe belastet werden. Die Koalition auf der Bundesebene hat daher vereinbart, eine Reform auf den Weg zu bringen, die die Sozialschwächeren ausdrücklich nicht belasten soll. Ich sage das ganz unmissverständlich: Für Sozialschwächere, also für Menschen, die Hartz IV oder Sozialhilfe beziehen, wird es keine Änderung geben. Sie erhalten auch zukünftig ratenfreie Prozesskostenhilfe, wenn dafür die Voraussetzungen vorliegen.

Für diejenigen, die Hilfe nach dem SGB II oder dem SGB XII erhalten, wird sich auch nichts am Freibetrag ändern. Sie erhalten genau wie früher Beratungs- und Prozesskostenhilfe ohne eine finanzielle Beteiligung.

Im Rahmen der Ausschussberatungen hat nunmehr das Bundesinnenministerium - Frau von Angern und die Ministerin gingen darauf ein - einen umfangreichen Änderungsvorschlag vorgelegt, den wir uns aufgrund der Kürze der Zeit noch nicht in Gänze haben zu Gemüte führen können. Nach diesem Änderungsvorschlag soll zum Beispiel die Absenkung der Freibeträge entfallen. Dass das ein laufender Prozess ist, brauche ich nicht zu betonen. Frau Ministerin, wir nehmen das Angebot gern an, darüber im Ausschuss ausführlich zu reden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU lässt sich bei dieser Reform maßgeblich vom Subsidiaritätsprinzip leiten. Wie alle Sozialleistungen sind die PKH und die Beratungshilfe nämlich Hilfe in der Not. Wer zur Finanzierung eines Prozesses beitragen kann, der soll das Prozessrisiko im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit tragen und soll es nicht vollständig auf den Staat abwälzen können.

Im Übrigen greift die Reform den dringenden Handlungsbedarf für die vermehrt auftretenden Fälle auf; denn obwohl das häufig bestritten wird, gibt es Fälle der missbräuchlichen Inanspruchnahme der PKH. Viel zu oft liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung eben nicht vor. Eine unberechtigte Bewilligung geht letztlich zulasten der Menschen, die wirklich auf Hilfe angewiesen sind und diese auch benötigen.

Deswegen wird es zukünftig eine umfassende Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen geben. Gleichzeitig sollen auch die Bewilligungsvoraussetzungen für die Beratungs

hilfe konkreter gefasst und das Vergütungssystem flexibilisiert werden.

Meine Damen und Herren! Im letzten Jahr haben wir zusammen mit dem Koalitionspartner eine gemeinsame Veranstaltung mit der Rechtsanwaltskammer durchgeführt, bei der uns die Anwaltschaft ihre Anliegen zur Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe mit auf den Weg gegeben hat. Mit diesen auch auf der Bundesebene geäußerten Kritikpunktpunkten, die insbesondere das Bewilligungsverfahren betreffen, wird man sich nun im Gesetzgebungsverfahren auseinandersetzen müssen.

Meine Damen und Herren! Ich habe meine ablehnende Haltung zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Ausdruck gebracht. Gleichwohl bitte ich um Ihre Zustimmung zur Überweisung des Antrags in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung. Wir halten es nämlich für gut und richtig, insbesondere über Punkt 3 des Antrags der Fraktion DIE LINKE detailliert im Ausschuss zu beraten. - Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Borgwardt. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Herr Kollege Herbst das Wort. Bitte schön, Herr Herbst.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der in der Zivilprozessordnung und in sämtlichen weiteren Verfahrensordnungen verankerte Anspruch auf Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe ist ein rechtsstaatliches Postulat. Es folgt aus dem verfassungsrechtlichen Gebot prozessualer Waffen- und Rechtsschutzgleichheit. Es ist zudem in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Wir haben es daher mit einem sehr hohen Gut zu tun, das wir nicht aus haushaltspolitischen Erwägungen zur Disposition stellen oder aushöhlen dürfen.

Es sollte unstreitig sein, dass jeder Bürgerin und jedem Bürger die Möglichkeit eingeräumt werden muss, ihre bzw. seine Rechte wahrzunehmen, und dies muss in gleichberechtigter Form und abhängig davon, wie jemand finanziell gestellt ist, möglich sein. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns auch darin einig sind, dass der Zugang zum Recht für die Ärmsten und sozial Schwächsten in der Gesellschaft uneingeschränkt gewährleistet sein muss.

Insofern geht der Antrag der Fraktion DIE LINKE von der Diktion absolut in die richtige Richtung. Wir werden uns - das nehme ich vorweg - der Überweisung in den Ausschuss natürlich nicht verweigern und freuen uns auf die Diskussion.

Wie wir uns im Landtag von Sachsen-Anhalt diesbezüglich positionieren, hat etwas mit der Einschätzung zu tun, ob es in erheblichem Maße Missbrauchstatbestände gibt oder aber ob mit dem Gesetzesvorhaben jetzt der Versuch einer Reduzierung erfolgt, und zwar für die Anspruchsberechtigten, denen die Mittel für den Rechtsschutz nicht zur Verfügung stehen.

Wenn so massiv reduziert wird, wie es das Gesetzesvorhaben im Augenblick vorsieht, dann werden auch diejenigen getroffen, die dann nicht mehr Rechtsschutz in Anspruch nehmen, weil sie sich das nicht mehr leisten können. Das wäre die falsche Konsequenz aus einem solchen Gesetzesvorhaben. Das wäre schlichtweg verfassungswidrig, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE - Herr Borgwardt, CDU: Ja, das sehen wir auch so!)

Leider haben wir es in unserem Bundesland mit einem besonders hohen Anteil an Menschen zu tun, die keine auskömmlichen finanziellen Mittel zur Verfügung haben - das wurde hier schon angesprochen -, und deshalb wäre ein großer Anteil der Bevölkerung von der Realisierung dieses Gesetzes betroffen.

Ich möchte an wenigen, aber zentralen Punkten deutlich machen, warum dieses Vorhaben der Bundesregierung in die falsche Richtung geht.

Mit der Absenkung der Freibeträge bei der Prozesskostenhilfe werden die Geringverdienenden mit der Folge stärker zur Kasse gebeten, dass genau das passiert, was der Gesetzgeber höchstwahrscheinlich auch vorhat, nämlich eine Reduzierung der staatlichen Kosten, eine Reduzierung der Inanspruchnahme des Grundrechts auf rechtliches Gehör oder rechtliche Vertretung. Es folgt eine Ungleichbehandlung derjenigen, die weniger zur Verfügung haben, gegenüber denjenigen, denen die zur Prozessführung notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.

Es ist auch falsch, dass bedürftige Antragsteller bei Rechtsstreitigkeiten unter Umständen dann keine Prozesskostenhilfe erhalten sollen, wenn es um geringe Streitwerte geht - das im Übrigen auch dann, wenn eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Gerade für finanziell schwächer Gestellte kann jedoch der Anspruch auf einen geringen Betrag eine deutlich größere Bedeutung haben, als dies bei finanziell besser Gestellten der Fall ist.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht des Weiteren vor, dass die Prozesskostenhilfe, selbst wenn sie bewilligt wird, wieder aufgehoben werden kann, wenn man einer Beweiserhebung von vornherein keine vermeintlich hinreichende Aussicht auf Erfolg unterstellt. Eine solche vorweggenommene Beweiswürdigung ist mit den Prinzipien und

Grundfesten des Zivilprozessrechts und des übrigen Verfahrensrechts unserer Meinung nach unvereinbar.

Wer sich mit den Praktikern unterhält, seien es Anwälte oder Richter, der weiß, welche Hürden und Restriktionen es schon heute bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe gibt. Auf die Beratungshilfe möchte ich gar nicht eingehen, in diesem Bereich sieht es genauso schlecht aus.

Meine Damen und Herren! Die Waffen- und Rechtsschutzgleichheit im Prozess zwischen Selbstzahlern und denjenigen, die sich einen Prozess nicht selbst leisten können, muss gewahrt bleiben. Sie darf nicht zulasten der Ärmeren gekippt werden.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Daher, meine Damen und Herren, halten wir diesen Vorstoß der Linksfraktion für ein geeignetes Mittel, um ein deutliches Signal aus dem Land Sachsen-Anhalt zu senden, und unterstützen sowohl den Antrag wie auch seine Überweisung. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Herbst. - Für die SPD spricht jetzt Kollege Dr. Brachmann. Bitte, Herr Kollege.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehört zu den Grundsäulen des sozialen Rechtsstaates, dass Rechtsverfolgung nicht vom Geldbeutel abhängen darf. Das war so und muss auch so bleiben.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ein Gerichtsprozess kostet Geld. Wer ihn sich nicht leisten kann, der bekommt Prozesskostenhilfe. Wer anwaltlichen Rat benötigt und den Anwalt nicht bezahlen kann, der bekommt Beratungshilfe. Beides ist in Bundesgesetzen geregelt; bezahlen dürfen das aber die Länder. Das ist hier wiederholt zur Sprache gekommen.

Wir haben in den Haushaltsberatungen immer wieder feststellen dürfen - auch weil es Rechtsverpflichtungen sind -, dass dieser Posten stetig aufwuchs. Das ist der Hintergrund dafür, dass es auch immer wieder Versuche der Länder gegeben hat, daran zu drehen, um diese Kosten zu senken. Ich erinnere mich an die letzte Legislaturperiode, als auch Sachsen-Anhalt Initiator für eine solche Bundesratsinitiative war.

In der laufenden Legislaturperiode des Bundestages gibt es einen Antrag der Länder Baden

Württemberg - das war allerdings noch vor dem Regierungswechsel -, Hessen und Schleswig-Holstein für ein „Gesetz zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe“. Der Titel sagt schon alles. Derartige Aktivitäten sind bislang im Bundestag immer im Sande verlaufen, weil man dort nicht wollte - auch die Rechtspolitiker der SPD nicht -, dass der Zugang zum Recht erschwert wird.

Nun ist die Bundesregierung infolge des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes - Frau Ministerin hat das ausgeführt - selbst mit einem Gesetzentwurf zur Änderung - ich betone: zur Änderung, nicht zur Begrenzung - des Prozesskostenhilfe- und Beratungsrechts in Erscheinung getreten. Ausgangspunkt soll nicht die finanzielle Situation der Länder sein - das steht ausdrücklich darin -, vielmehr wolle man gewisse Ungereimtheiten bei der Gewährung der PKH und der Beratungshilfe beseitigen und diese an Veränderungen in der gesellschaftlichen Praxis anpassen.

Nun gibt es - wir haben das heute schon gehört - Kritik an diesem Entwurf: Zweiklassenjustiz, Instrument zur Abschreckung, damit weniger Prozesskostenhilfe in Anspruch genommen wird und man dadurch weniger Gerichtsverfahren hätte. In diesen Chor werde ich nicht einstimmen. Ich muss den Gesetzentwurf der Bundesregierung hier aber auch nicht verteidigen. Ich verrate auch kein Geheimnis, wenn ich sage, dass auch die Rechtspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion diesen jetzt vorliegenden Gesetzentwurf nicht mittragen werden.

Bei nüchterner Betrachtung der vorgesehenen Regelungen ist sicherlich einiges dabei, was man kritisch sehen kann. Jedoch sind auch Änderungen des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vorgesehen, die nicht den Untergang des Rechtsstaats bedeuten. Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Wenn man PKH bekommen hat und danach in der Lage ist, diese zurückzuzahlen, war bisher eine Frist von vier Jahren vorgesehen, in der das möglich ist; künftig sollen das sechs Jahre sein.

(Zuruf von der LINKEN: Nein, das werden wieder vier Jahre sein!)

Ich denke, das ist durchaus vertretbar.

Der Grundgedanke ist - ich denke, diesbezüglich sind wir uns in diesem Hause einig -: Wer zur Finanzierung eines Prozesses im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit beitragen kann, der soll das Prozesskostenrisiko nicht vollständig auf den Staat abwälzen können.

Der Antrag zielt aber auch in eine andere Richtung, nämlich der Landesregierung aufzuzeigen, wie sich die Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe und die Beratungshilfe von 2006 bis 2012 entwickelt haben. Dabei geht es nicht nur um das

Zahlenwerk - das haben wir, wie gesagt, in den Haushaltsberatungen immer wieder feststellen dürfen -, sondern vor allem darum, warum sich diese Entwicklung so vollzogen hat.

Einen solchen Problemaufriss unterstützen wir ausdrücklich. Insoweit beantrage ich auch im Namen meiner Fraktion die Überweisung des Antrags in den Ausschuss. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Brachmann. - Für die Fraktion DIE LINKE wünscht Frau von Angern nicht noch einmal das Wort. Alle haben jedoch gewünscht, dass dieser Antrag in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung überwiesen wird. Weitere Wünsche gibt es nicht.

Dann lasse ich jetzt darüber abstimmen. Wer stimmt einer Überweisung des Antrags in der Drs. 6/1889 an den genannten Ausschuss zu? - Das ist das ganze Haus. Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand der Stimme? - Nein. Damit ist der Antrag überwiesen worden.

Ich darf, bevor wir in die Mittagspause eintreten, darauf hinweisen, dass sich die Obleute und Referenten des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung jetzt im Raum B0 05 treffen wollen. Wir treffen uns hier um 14 Uhr wieder.

Unterbrechung: 12.57 Uhr.