Protocol of the Session on April 26, 2013

(Herr Borgwardt, CDU: Nach der Einmütig- keit sollte man großzügig darauf verzichten!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Verlauf der Debatte war ich mir an manchen Punkten unsicher, ob die Redner die Situation so wahrnehmen, als hätten wir gerade ein neues Problem festgestellt, wobei wir jetzt anfangen, uns darum zu kümmern; oder ob wir sowieso schon alles im Griff haben und alles in Ordnung ist. Das schwankte so ein bisschen bei den Rednerinnen und Rednern.

Ich kann Ihnen sagen, meine Haltung ist ganz klar: Es ist ein Fortschritt da gewesen. Herr Scheurell hat es extra noch einmal angesprochen. Er stellt die Frage: Wie erkläre ich mir denn, trotz der Defizite, dass wir einen Rückgang der Unfallzahlen haben?

Herr Scheurell, ich erkläre mir den Umstand, dass die Unfallzahlen zurückgegangen sind, damit, dass wir in den letzten 20 Jahren tatsächlich bei den Tempo-30-Zonen - Herr Hövelmann, Sie hatten das auch angesprochen - eine erhebliche Ausweitung haben. Wenn wir uns die Städte einmal in der Realität ansehen, dann ist der kleinere Teil des Straßennetzes inzwischen bei Tempo 50 oder höheren Geschwindigkeiten. Der größere Teil ist bei Tempo 30. Das ist ein Erfolg und ein Fortschritt für die Verkehrssicherheit, den wir in unserem Bundesland tatsächlich haben.

Der Herr Minister hat angesprochen, dass wir mehr für die Prävention tun müssen. Ich glaube, hinter der Vokabel können wir uns alle versammeln. Dass Sie danach sinnvolle Dinge formuliert

haben wie die Radverkehrsprüfung - die ist sinnvoll, ganz klar - oder auch einen Malwettbewerb, zeigt, dass wir wirklich darüber diskutieren müssen. Es gehört aber auch zur Prävention, dass wir unsere Städte entsprechend gestalten, umbauen und auch den Verkehr so gestalten und eben nicht nur an die Verantwortung der Kinder appellieren.

Herr Hövelmann, Sie haben gesagt, jede Autofahrt weniger, sei eine Unfallursache weniger oder die Gefahr eines Unfalles weniger, das sei eine weltfremde Sichtweise. Ich habe mich gefragt, was daran eigentlich weltfremd ist.

(Herr Hövelmann, SPD: Man könnte das Au- to weglassen!)

Ganz sicher ist es nicht weltfremd, dass es tatsächlich so ist. Das haben Sie selbst gesagt. Es ist doch auch nicht weltfremd, dass wir in der Lage sind - das ist auch passiert -, Verkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel zu verlagern.

Wir können das in verschiedenen Städten beobachten. Wir haben doch Städte wie zum Beispiel Halle, die einen extrem kleinen Anteil von täglichen Fahrten im Autoverkehr haben. Dann gibt es Städte wie Magdeburg und Dessau, bei denen der Pkw-Verkehr einen wesentlich größeren Anteil hat; in Dessau zum Beispiel, weil wir dort einen relativ niedrigen ÖPNV-Anteil haben.

Wir haben doch erhebliche Unterschiede. Natürlich gibt es ein Verlagerungspotenzial vom Pkw zu umweltfreundlichen Verkehrsmitteln. Das können Sie doch nicht weltfremd nennen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Hoffmann hat einen wichtigen Punkt angesprochen, nämlich die Frage: Wenn wir schon Tempo 30 haben, wird dann die Geschwindigkeit auch eingehalten? Natürlich haben wir dabei die Möglichkeit, Messungen zu machen bzw. technische Installationen aufzubauen.

Die Verkehrswissenschaft zeigt aus meiner Sicht eindeutig, wenn wir wollen, dass alle Tempo 30 fahren, wenn wir keine Unfälle wollen, dann brauchen wir bauliche Maßnahmen. Dazu gibt es entsprechende Vorschläge, wie zum Beispiel über Verschwenkungen und Schwellen auf den Straßen. Mit denen kann man arbeiten. Das wiederum tun wir viel zu selten, auch vor Schulen in Sachsen-Anhalt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Scheurell, Sie haben die Schulbusse angesprochen. In der Tat ist es toll, dass bei uns die Beförderung kostenfrei ist. Aber wir wissen auch alle, dass die Realität der Schulkinderbeförderung an vielen Punkten, gerade im ländlichen Raum, so aussieht, dass die Schulbusse versuchen, mit einem Bus alle Kinder abzuholen und einen langen, langen Weg fahren, bis die Kinder an der

Schule sind. Das ist immer wieder Diskussionspunkt.

(Zuruf von Herrn Scheurell, CDU)

Das ist ein Problem, weil dann das passiert, was Herr Hövelmann beschrieben hat, dass nämlich die Eltern sagen, ich bringe mein Kind lieber mit dem Auto in die Schule. Dann ist es schneller da, dann muss ich nicht so früh aufstehen, so früh das Frühstück machen; ich hole es auch lieber wieder ab.

Dann haben wir diese Situation, dass wir vor den Schulen eine Menge Autos stehen haben. Wir haben die übrigens aber auch, weil es die Spirale gibt, dass die Eltern sagen, wenn die anderen alle mit dem Auto kommen, ist es mir zu gefährlich, wenn mein Kind zu Fuß zur Schule geht. Dann bringe ich mein Kind auch mit dem Auto zur Schule. Das ist eine Spirale, aus der man heraus muss.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich habe vorhin Sangerhausen gelobt. Ich habe in Sangerhausen aber auch am Geschwister-SchollGymnasium sehen können, wie das dort baulich gemacht wurde. Es ist total unattraktiv, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren, und das, obwohl man in Sangerhausen viele Kinder hat, die eine Fahrradentfernung zur Schule haben und das tatsächlich machen könnten. Also, wir können dabei viel verbessern. Die Fahrradständer gehören nämlich dazu, um es attraktiv zu machen, mit dem Fahrrad zur Schule zu kommen.

Damit bin ich am Ende der Redezeit. In der Tat, ich freue mich auch auf die Beratungen im Ausschuss. Dass der Antrag der Koalition blutleer ist und keine eigenen Vorschläge aufbringt, darüber können wir hinwegsehen, wenn wir das alles miteinander beraten können. In diesem Sinne lassen Sie uns dabei weitermachen und nicht nur anfangen und mehr für die Sicherheit der Kinder im Straßenverkehr tun. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Erdmenger. - Es gab bei der sprachlichen Gestaltung der Wünsche die eine oder andere Unsicherheit. Es wurde immer wieder einmal von Überweisung gesprochen. Ich hatte aber den Eindruck, derjenige meinte die Abstimmung. Gibt es hier jemanden, der wünscht, dass ich jetzt über die Überweisung abstimmen lasse?

(Zuruf von der CDU: Nein!)

Das ist nicht der Fall. Dann gehen wir jetzt so vor: Wir stimmen über den Antrag in der Drs. 6/1881 ab. Das ist der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Das sind die Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Das

sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt worden.

Dann stimmen wir jetzt über den Alternativantrag in der Drs. 6/2027 ab. Wer stimmt dem Alternativantrag zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist dieser Alternativantrag angenommen worden und der Tagesordnungspunkt 15 erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Erste Beratung

Chancengleichheit in Rechtsstreitigkeiten gewährleisten - geplante Kürzungen von Beratungs- und Prozesskostenhilfe verhindern

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1889

Einbringerin ist Frau von Angern. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Im Bundestag wird seit einiger Zeit über eine Reform des Kostenrechts heftig diskutiert. So ist unter anderem die Absenkung der Freibeträge im Rahmen der Prozesskostenhilfeantragstellung, und das fast auf Sozialhilfeniveau, geplant.

Beim Blick in das SGB II, in dem ein Selbstbehalt von 3 100 € pro Bedarfsgemeinschaftsmitglied festgeschrieben ist, irritiert das doch schon heftig. Wir lehnen dieses Vorhaben auch deshalb ganz klar ab. Es ist unsozial und widerspricht ganz klar dem Rechtsgewährleistungsanspruch.

Des Weiteren sollen Rückzahlungsmodalitäten für Geringverdiener durch die Erhöhung der Ratenzahlungen und die Verlängerung der Ratenzahlungen verschärft werden, eine weitere nicht hinnehmbare Belastung gerade für eine ohnehin schon finanziell erheblich belastete Gruppe.

Ich finde es gut, dass man sich gestern unter den Berichterstattern gemeinsam mit dem Bundesministerium der Justiz darauf geeinigt hat, schon einmal vorab, bevor es eine Entscheidung durch den Bundestag gibt, dass man dieses Verfahren nicht weiter verfolgt und man weiterhin bei den 48 Monaten Ratenzahlung bleiben wird.

Außerdem soll mit dem Gesetzgebungsvorhaben der Zugang zur Beratungshilfe erschwert werden, beispielsweise dann, wenn der Antrag als mutwillig einzuordnen ist. Als ich das las, musste ich zunächst schmunzeln; denn wer die Realität bei der Antragstellung kennt, wird dies verstehen. Dazu führe ich später noch einmal aus.

Es wird spannend, wie der Rechtsbegriff „mutwillig“ seitens der Gerichte mutig mit Leben erfüllt wird. Die bisher entwickelte Definition, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, wird nunmehr verschärft und damit noch mehr in eine reine Ermessensentscheidung verlagert - in Klammern: vom Geld abhängig gemacht.

Klare Kriterien hierfür existieren zumindest im Gesetzentwurf bisher nicht. Damit werden weiteren Einsparpotenziale zulasten der Rechtsuchenden Tür und Tor geöffnet, auch wenn diese Ausgaben im Landeshaushalt zu den sogenannten nicht budgetrelevanten Titeln gehören. Aus der gestrigen Runde im Bundestag war zu vernehmen, dass hierbei auch seitens des BMJ bzw. der schwarzgelben Koalition kein Schritt zurückgegangen werden soll.

Zudem soll auch das Honorar für Dolmetscher gekürzt werden. Das ist alles andere als ein gelungener Umgang mit Migrantinnen und Migranten. Man kann jetzt bereits voller Spannung sein, wie der EGMR eines Tages hierzu entscheiden wird.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Schließlich soll zukünftig der Richter oder die Richterin über die Erfolgsaussichten einzelner Beweismittel entscheiden. Einmal abgesehen davon, dass dieses Vorgehen sehr personalaufwendig sein wird, weil jede Entscheidung auch einzeln zu begründen ist, verstößt dies außerdem gegen den Grundsatz der nicht vorwegzunehmenden Beweiswürdigung.

Werfen wir doch an dieser Stelle - frei nach dem Motto: Der Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung - einen Blick in das Grundgesetz. Artikel 20 Abs. 3 besagt, die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Artikel 103 führt weiter aus: Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Das gilt auch für jede Frau. Hierbei handelt es sich um den sogenannten Justizgewährleistungsanspruch, der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip herleitet. Genau dies ist die Grundlage und auch der zu erfüllende Anspruch des von meiner Fraktion heute eingebrachten Antrages.

Auf einen klaren und verständlichen Nenner gebracht, bedeutet der Justizgewähranspruch, dass jedem Menschen in Deutschland, unabhängig von seinem finanziellen Status, der Zugang zum Gericht grundgesetzlich garantiert ist und folglich garantiert werden muss.

Niemand darf sich in der Situation wiederfinden, dass er sein Recht nicht durchsetzen kann, weil ihm das Geld hierfür fehlt. Dies entspricht dem Grundsatz der Chancengleichheit und verhindert

eine aus unserer Sicht strikt abzulehnende Zweiklassenjustiz.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Betrachtet man nun die momentan auf Bundesebene geführte Debatte zur Kostenrechtsmodernisierung, fällt schon beim ersten Blick auf, dass Handlungsmaxime der Bundesregierung jedoch die folgenden Punkte sind: