Protocol of the Session on June 9, 2011

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/76

Den Antrag bringt die Kollegin Frau Dirlich von der Fraktion DIE LINKE ein. Frau Dirlich, bevor Sie das Wort erhalten, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Vertreterinnen und Vertreter des Initiativkreises der Trägerlandschaft in Sachsen-Anhalt zu begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Dirlich, jetzt haben Sie das Wort. Bitte schön.

(Unruhe - Herr Höhn, DIE LINKE: Schreien Sie!)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Beratungsstellen in Sachsen-Anhalt sind seit Jahren immer wieder von Kürzungsabsichten bedroht.

(Unruhe - Herr Gallert, DIE LINKE: Aber das interessiert hier niemanden! - Herr Höhn, DIE LINKE: Seid mal ruhig! Sie muss sonst so schreien!)

Ich möchte doch alle, die Techniker, die sich im Raum befinden, die sich im Raum bewegen bzw. den Raum verlassen, und auch die Kolleginnen und Kollegen herzlich bitten, der Kollegin Frau Dirlich geordnet zuzuhören. - Bitte schön.

Die Beratungsstellen in Sachsen-Anhalt sind seit Jahren immer wieder von Kürzungsabsichten bedroht.

(Frau Niestädt, SPD: Das ist aber so nicht richtig!)

In nahezu jeder Haushaltsdebatte der vergangenen Jahre mussten sich die Träger von Beratungsstellen Versuchen erwehren, die Förderung herunterzufahren. Hintergrund war jeweils die Haushaltssituation. Die Begründung war immer auch die demografische Entwicklung.

Die Beratungsstellen konnten in all den Jahren stets deutlich machen, dass es für die Aufrechterhaltung überhaupt eines Angebotes eines Mindestmaßes an Ausstattung bedarf. Deshalb ist von solchen Kürzungen in der Regel weitgehend abgesehen worden.

Im November 2009 hat der Landtag von SachsenAnhalt die Landesregierung gebeten, Grundlagen für die strukturelle und inhaltliche Entwicklung der Beratungsstellen zu erarbeiten und in den Ausschüssen für Soziales - damals hießen die Ausschüsse noch so; ich nehme jetzt die alten Bezeichnungen -, für Finanzen sowie für Landesentwicklung und Verkehr dazu zu berichten.

Bei der Erstellung der Vorschläge sollten die Träger, die Liga der Freien Wohlfahrtspflege und die kommunalen Spitzenverbände einbezogen werden.

Die Vorschläge sollten sich verändernde Beratungsbedarfe berücksichtigen. Sie sollten die demografische Entwicklung betrachten. Sie sollten Art und Anzahl der in einer Region vorzuhaltenden Beratungsangebote enthalten und mögliche Synergien zwischen den Trägern und den Beratungsstellen darstellen.

Es sollten Finanzierungsmodalitäten zwischen Land, Kommunen und Trägern abgestimmt werden. Auch sollte es ermöglicht werden, mehrjährige Zuwendungsverträge abzuschließen. Das war so der Inhalt des damaligen Landtagsbeschlusses.

Diesem Beschluss war ein Fachgespräch der Landesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege über die Zukunft der Beratungsstellen im August 2009 mit dem Sozialausschuss vorausgegangen. In diesem Gespräch ha

ben vor allem die Schwangerschaftsberatungsstellen, die Ehe-, Lebens-, Familien- und Erziehungsberatungsstellen, die Beratungsstellen für Sinnesbehinderte, die Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen, die Suchtberatungsstellen, die Migrationsberatungsstellen und die Selbsthilfekontaktstellen eine Rolle gespielt.

Es wurde eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die die einzelnen Beratungsangebote systematisch betrachten sollte und die sich mit den Zielen dieses Prozesses, mit den Grundlagen der Leistungserbringung, mit der Struktur der Beratungsstellen, mit der finanziellen Unterstützung durch das Land, mit der Ermittlung des Beratungsbedarfes, dem Inhalt der Beratungsangebote und mit dem Bedarf an Beratung auseinandersetzen sollte.

Das war, wie wir gerade an diesen vielen Aufzählungen, die ich soeben gemacht habe, gemerkt haben, eine relativ große Aufgabe, die diese Projektgruppe bekommen hat. Von der Projektgruppe wurden Rechtsgrundlagen geprüft, Zielgruppen untersucht, es wurde die demografische Entwicklung betrachtet und es wurde versucht, den zukünftigen Bedarf festzustellen.

Im Oktober 2010 hat die Projektgruppe dem Landtag einen Zwischenbericht vorgelegt. Dieser Zwischenbericht enthält vor allem statistische Angaben und betrachtet die demografische Entwicklung. Neben statistischen Daten stellt der Bericht allerdings auch eine Reihe von statistisch nicht erfassbaren Faktoren fest, die aber auf den zukünftigen Beratungsbedarf ziemlich großen Einfluss haben.

Zum Beispiel ist die SGB-II-Hilfsquote in SachsenAnhalt nach wie vor höher als in anderen Flächenländern. Nur in Berlin und Bremen ist die Quote ähnlich hoch oder sogar höher.

Im Jahr 2008 haben 43 % - ich wiederhole diese Zahl, weil ich mich in dieses Thema auch neu einarbeiten musste und diese Zahl wirklich mit Erstaunen zur Kenntnis genommen habe - der Eltern aller geborenen Kinder von der Bundesstiftung Unterstützung bekommen. Diese Unterstützung, meine Damen und Herren, bekommt man nur dann, wenn man mit seinem Einkommen unter einen an das SGB XII angepassten Regelsatz fällt. Das waren 43 %.

Zwar sinkt die Anzahl der Frauen in der Zielgruppe für Schwangerschaftskonfliktberatung - das sind die 15- bis 45-jährigen Frauen - schneller als die Gesamtbevölkerung. Aber die Zahl der alleinerziehenden Mütter betrug 2005 noch 79 500 und im Jahr 2009 83 900. Zwar sinkt die Bevölkerungszahl für das Land Sachsen-Anhalt, aber die Zahl der Beratungsfälle in der Insolvenzberatung hat sich verdoppelt, die Zahl der Beratungsfälle in den Schuldnerberatungsstellen sogar verdreifacht. Zwar sinkt die Anzahl der weiblichen Bevölkerung, aber die Zahl der von Straftaten betroffenen

Frauen steigt. Das alles, meine Damen und Herren, muss uns ja wohl zu denken geben.

Dazu kommt, dass alle Träger von Beratungsstellen übereinstimmend davon sprechen, dass der Beratungsbedarf immer umfassender wird, weil die Beratung Suchenden mit multiplen Problemlagen in die Beratungen kommen und eine längere Betreuungszeit brauchen. Das ist natürlich auch eine Herausforderung an die Zusammenarbeit der Beratungsstellen, die davon ausgehen, dass die Beratung in Zukunft auf der einen Seite niedrigschwelliger, aber gleichzeitig auch spezialisierter werden muss.

Die Erfassung des Bedarfs an Frauenhäusern ist übrigens relativ schwierig, weil die Straftaten, hinter denen sich häusliche Gewalt verstecken kann, nicht gesondert erfasst werden. Im Zwischenbericht werden Beratungsangebote eingeteilt in Angebote, deren Definition als Beratungsangebot unstreitig sind, Angebote, deren Definition als Beratungsangebot fraglich ist, und Beratungsangebote, die vom Haushaltsvermerk nicht betroffen sind.

Der Zwischenbericht enthält allerdings keine zusammenfassende Einschätzung der Entwicklung des Beratungsbedarfs. Die Frage ist zwar in der Projektgruppe diskutiert worden, aber es konnten keine abschließenden Arbeitsergebnisse erzielt werden und es sollten noch weitere Beratungen geführt und Betrachtungen angestellt werden. Auch die dokumentierten Arbeitsergebnisse werden in diesem Zwischenbericht als Zwischenstand klassifiziert, der gegebenenfalls noch aktualisiert werden müsste.

Der Zwischenbericht enthält keine Vorschläge zu den Absätzen 2 und 3 des Landtagsbeschlusses, also keine Vorschläge zur Neustrukturierung und auch keine Vorschläge zu den Finanzen. Trotzdem - jetzt bin ich beim Antrag - sind die Diskussionen zu den Einsparungen bei Beratungsstellen niemals verstummt und sie finden offensichtlich auch zurzeit statt. Kein Wunder also, dass die Träger weiterhin oder schon wieder alarmiert sind und dass dieses Thema auch im Wahlkampf eine Rolle gespielt hat.

Wir fragen uns auch, wie unter einem solchen Druck eine sachliche und gelassene Atmosphäre für eine Strukturdebatte zustande kommen soll. Eine solche Atmosphäre wird aber gebraucht, denn veränderte Strukturen muss man ohne Existenzängste diskutieren. Sonst hält jeder nur das fest, was er hat. Das ist doch menschlich.

(Zustimmung bei der LINKEN - Frau Nie- städt, SPD: Ich weiß nur nicht, wo Sie die Angst jetzt hernehmen!)

Den Wahlkampf haben die Träger genutzt, den Kandidaten und Kandidatinnen für die Landtagswahl das Versprechen abzutrotzen, dass bis zum Ende der Diskussion - diese wurde für das Jahr

2013 avisiert - keine Kürzung der Förderung der Beratungsstellen erfolgen soll. Das wurde von allen anwesenden Landtagskandidaten und -kandidatinnen auf der Veranstaltung der Liga der Freien Wohlfahrtspflege am 3. März 2011 und auf der Veranstaltung der Diakonie am 9. März 2011 unterstützt.

Mit unserem Antrag machen wir nun nichts weiter, als den Landtag und alle Fraktionen aufzufordern, diese Zusage, die sie schon einmal gegeben haben, zu bestätigen sowie gleichzeitig die Arbeit am Prozess der Neustrukturierung aktiv zu unterstützen und dem Landtag bis zum Frühjahr 2013 eine entsprechende Entscheidungsgrundlage zu übergeben. Ausdrücklich sollen dabei die Finanzsituation der Kommunen und die Tatsache berücksichtigt werden, dass die Frage der Tarifgebundenheit der Träger eine zunehmende Rolle spielen muss.

Wir bitten Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. - Danke.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Dirlich. - Wir treten in eine Fünfminutendebatte ein. Für die Landesregierung spricht als Erster Herr Minister Bischoff. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dirlich hat zumindest den Zwischenbericht ausführlich gelesen, wie ich jetzt mitbekommen habe. Ich hoffe, dass auch alle anderen ihn derart ausführlich gelesen haben. Von daher muss ich den Inhalt jetzt nicht wiederholen und auch nicht das, was die Projektgruppe gemacht hat. Das haben Sie dargestellt.

Worin wir uns unterscheiden, was Ihren Antrag betrifft: Zumindest als Landesregierung nehmen wir den Auftrag aus der letzten Wahlperiode ernst und werden ihn auch umsetzen. Der Auftrag hieß, im Jahr 2011 einen Bericht vorzulegen - in diesem Jahr hatten wir einen Zwischenbericht -, und wir werden den Bericht im Monat September vorlegen.

Der Bericht wird Ergebnisse der Projektgruppenarbeit, die bisher vorliegen, vorstellen, er wird auch Betrachtungen hinsichtlich der Entwicklung des Beratungsbedarfs und resultierend daraus Perspektiven und Handlungsempfehlungen für die unterschiedlichen Beratungsangebote enthalten. Das werden wir vorlegen und es wird rechtzeitig vor den Haushaltsberatungen sein. Die Betrachtungen über die institutionell geförderten Zuwendungsempfänger können wir voraussichtlich erst am Ende des Jahres, also zum Ende des letzten Quartals, vorlegen.

Vielleicht darf ich noch einmal feststellen, dass die Unterstützung der Beratungsstellen seitens des

Landes zu den freiwilligen Aufgaben des Landes gehört. Sie haben auch gehört - ich glaube, daher rührt auch dieser Antrag -, dass die Haushaltsplanaufstellung für die Jahre 2012 und 2013 erstmals nach dem Top-down-Prinzip erfolgt.

Das heißt, das Ministerium erhält ein Budget, aus dem zunächst die gesetzlichen Verpflichtungen zu finanzieren sind, und für die freiwilligen Leistungen des Sozialministeriums werden sich voraussichtlich Gestaltungsspielräume ergeben. Ich rechne aber damit, dass diese begrenzt sein werden, wenn ich sehe, dass wir die Null halten wollen.

Auf der Grundlage des aktuellen Verhandlungsstandes ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass wir zurzeit das Moratorium, wovon ich zum ersten Mal während der Beratungen über die Koalitionsvereinbarung gehört habe, im Budget schon berücksichtigt haben. Wir werden erst in den nächsten Wochen Genaueres darüber wissen, wie die Haushaltsplanung aussieht, und werden innerhalb der Regierung noch in Verhandlungen eintreten, bevor wir diesen Haushaltsplan vorlegen.

Ich möchte nichts zu dem sagen, was dort vereinbart worden ist, sondern will nur berichten: Ich habe vor 14 Tagen im Kloster Drübeck mit den Vorsitzenden der in der Liga der Freien Wohlfahrtspflege vertretenen Verbände gesprochen. Sie haben mich extra dazu eingeladen. Dort ging es auch um das Moratorium, und die Frage war, wie ich das Moratorium verstehe. Darauf habe ich dort gesagt: Ich kann das Moratorium nicht als Stillstand verstehen - so steht es hier auch nicht drin -, sondern es muss eine Weiterentwicklung geben.

Zu der Weiterentwicklung gehört für uns als Landesregierung und als Ministerium auch, die Ergebnisse vorzutragen, die wir bisher haben. Das werden wir im September und auch Ende des Jahres machen und dann ist der Landtag frei zu entscheiden, ob er daran festhält oder anders damit umgeht.

Ich finde, es gehört zu Recht dazu, dass wir den Auftrag eines Landtages der letzten Wahlperiode, der für das Jahr 2011 definiert war, umsetzen. Dann kann man weitersehen. So sehe ich das jedenfalls und ich sehe auch meine Pflicht darin, das zu tun. Inwieweit es dann weitergeht und inwieweit es zu weiteren Einschränkungen kommt, kann ich nicht beurteilen.

Das wird mir in der gesamten Diskussion nicht abgenommen - das habe ich auch bei den Gesprächen mit den Vorsitzenden gemerkt -, weil es wahrscheinlich vor zwei Jahren zu dem Beschluss des Landtages gekommen ist, weil Kürzungen drohten. Weil der Finanzminister gesagt hat, es gebe eine pauschale Kürzung, hat der Landtag das gestoppt und hat gesagt - das kann ich auch nachvollziehen -: Das wird jetzt ausgesetzt.

Mir geht es ausdrücklich nicht darum zu sagen, dass wir jetzt Einsparungen vornehmen müssen. Das kann sein, das kann nicht sein. Vielmehr geht es einfach um die Optimierung der Arbeit von Beratungsstellen und um Kooperationen, wo Kooperationen möglich sind. Da sind wir mit den Verbänden auf einem guten Weg, wir sprechen mit ihnen.

Ich glaube, es kann nur im Interesse des Landtages sein, dass wir tatsächlich darüber reden - ich schaue immer zu der Seite der Antragsteller und nicht zu dem Rest des Landtages, dafür bitte ich um Entschuldigung - und dass wir noch einmal genauer hinschauen. Denn es geht tatsächlich darum, wie wir die Beratungsangebote, die wir im Land haben, besser koordinieren und besser verzahnen können, vielleicht manches auch kommunalisieren oder in die Trägerschaft der Liga-Verbände selber geben können.

Diesen Spielraum sollten wir tatsächlich haben und von daher sehe ich es mit als meine Aufgabe an, diese Gespräche weiterzuführen und diese Arbeitsgruppe weiter zu begleiten, was vornehmlich durch die Staatssekretärin mitgetragen wird. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.