Protocol of the Session on February 20, 2013

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1788

Einbringerin ist Frau Quade.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle hier im Hohen Hause - und es ist ein Glück, dass wir das sagen können - sind Demokraten. Doch die Einigkeit endet schnell - auch daran erkennt man eine Demokratie - und mit Blick auf die Verteidigung einer Demokratie, wie wir es in unserem Antrag formuliert haben, bisweilen noch schneller; denn über die Feststellung einer Bedrohung für die Demokratie, erst recht über die Wege, die Möglichkeiten und die Notwendigkeit, die Demokratie zu verteidigen, wird hochkontrovers und nicht selten erbittert gestritten.

In den Augen meiner Fraktion gilt es die Demokratie auf vielen ganz unterschiedlichen Ebenen zu verteidigen: wenn Mitspracherechte nicht genügend vorhanden sind oder eingeschränkt werden sollen, wenn die Kommunen kaum noch Entscheidungsspielräume haben, wenn der soziale Status über Teilhabechancen entscheidet, wenn - die De

batte hatten wir eben und in unseren Augen ist es so -, Bürgerrechte eingeschränkt werden sollen oder wenn Menschenrechte nicht für jeden Einzelnen gelten sollen.

Es gilt, die Demokratie insbesondere dann zu verteidigen, wenn sie aktiv infrage gestellt wird, wenn der Ruf nach der starken Hand laut wird, die die unübersichtliche Weltlage ordnen möge, wenn Minderheiten diskriminiert werden und wenn die Gleichwertigkeit von Menschen aufgrund ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Weltanschauung, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Zugehörigkeit zu einer angeblichen Rasse negiert wird.

Genau das ist regelmäßig der Fall, wenn Neonazis ihren Positionen Gehör zu verschaffen suchen. Es ist der Fall, wenn Vertreter der NPD in Landtagen oder in den Kreistagen Sachsen-Anhalts reden. Es ist der Fall, wenn bei öffentlichen Diskussionsveranstaltungen Neonazis das Wort ergreifen und versuchen, die Debatte an sich zu ziehen und zu dominieren. Es ist der Fall, wenn sie mit Mahnwachen beispielsweise für die Todesstrafe für Kinderschänder oder mit Kampagnen gegen den Bau von Moscheen in Erscheinung treten.

Es ist ganz besonders dann der Fall, wenn Neonazis mit Demonstrationen und Aufmärschen versuchen, sich selbst ein Podium für ihre menschenverachtenden Positionen zu schaffen. Sogenannte Trauermärsche, wie der jährlich in Magdeburg stattfindende oder der jährliche Aufmarsch in Dresden, haben dabei eine besondere Bedeutung.

Der Fachträger Miteinander, der hier im Land seit Jahren diesen Themenbereich und andere Phänomene der extremen Rechten beobachtet und analysiert, schätzt hierzu ein - ich zitiere -:

„Anders als bei Kundgebungen und Demonstrationen aus Anlass tagesaktueller Themen ist im Falle von Aufmärschen zu rechten Identitätsthemen die Bevölkerung nicht der Hauptadressat der Neonazis. Diese Aufmärsche sind vielmehr geeignet, die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren und die Binnenidentität rechtsextremer Gruppen zu stärken. Nach außen wird mit solchen Positionen ein klassischer Kampf um kulturelle Hegemonie gegen das vermeintliche Establishment geführt. Hinzu kommt das Motiv der Anhängerwerbung.“

Solche Trauermärsche dienen zu einem großen Teil der Selbstvergewisserung derjenigen, die sie organisieren und durchführen, und haben eine identitätsstiftende und -prägende Funktion. Natürlich soll es auch eine Demonstration von Stärke und Dominanz sein, wenn sich Neonazis, sich auch in der Formensprache ihrer historischen Vorlagen bedienend, als letzte und einzige Wahrer

des Gedenkens der deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges inszenieren.

Es ist wichtig, sich beides, die Einbettung in die Strategie und die vielfältigen Formen des Kampfes um die öffentliche Meinung und zugleich die spezielle Rolle von Trauermärschen für die Selbstvergewisserung und -inszenierung, vor Augen zu halten, wenn wir darüber reden, wie mit Positionierungen von Nazis und eben auch mit solchen Aufmärschen umzugehen ist.

Mit unserem Antrag versuchen wir, genau das zu tun. Wir finden, der Landtag von Sachsen-Anhalt sollte ein deutliches Zeichen für diejenigen setzen, die mit ihrem Engagement, mit ihrem Mut und mit ihrer Kreativität der Wortergreifung der Nazis auch im historischen Kontext nicht tatenlos gegenüberstehen wollen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Die wichtigste Empfehlung aller Beratungsstrukturen, die sich mit dem Thema Neonazismus befassen, ist es, den Äußerungen der Nazis zu widersprechen, sei es im Kreistag, sei es bei der Podiumsdiskussion, sei es bei der rassistischen Tirade.

Mit Demonstrationen und Kundgebungen beanspruchen Neonazis in besonderer Weise den öffentlichen Raum. Deswegen muss ihnen auch im öffentlichen Raum, von möglichst vielen Menschen getragen und deutlich zu vernehmen, widersprochen werden.

Es ist wichtig, in diesem Zusammenhang auch darauf einzugehen, ob es eine Strafe für Neonazis ist, wenn sie mit Missachtung gestraft werden, wie es der Innenminister im Vorfeld des 12. Januar empfohlen hat. Es ist mit Blick auf die Funktion historischer Aufmärsche, aber auch anderer Demonstrationen eben keine Strafe.

Missachtung, so inbrünstig sie auch empfunden sein mag - und daran hatte ich keinen Zweifel -, ist in der öffentlichen Wahrnehmung, in der Wahrnehmung der Nazis selbst und auch in der Wahrnehmung ihrer potenziellen und tatsächlichen Opfer, kaum von Ignoranz zu unterscheiden, und Ignoranz lässt unwidersprochen gewähren.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Genau deswegen möchten wir ein Signal senden: Der Landtag von Sachsen-Anhalt will Aufmärschen von Neonazis nicht durch Missachtung begegnen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Es ist notwendig, Nazis zu widersprechen und gegen ihre Hetze gegen all jene, die sich nicht in ihr Welt- und Menschenbild fügen, Position zu beziehen. Es ist notwendig, dass dieser Protest auch so

artikulierbar ist, dass diejenigen, gegen die er sich richtet, ihn mitbekommen. Das ist Teil einer demokratischen Auseinandersetzungskultur, wenngleich nicht der schönste.

Ich glaube, es gibt viele Mythen darüber, wie gern die Leute, die das tun, das eigentlich machen. Ich kann Ihnen versichern: Spaßig ist das nur im Ausnahmefall. Wir halten es aber für notwendig.

Wir erlebten im Vorfeld des 12. Januar eine Debatte darüber, was dabei legitim ist und was nicht. Diese Debatte ist alt und sie ist Gegenstand zahlreicher politischer und auch juristischer Auseinandersetzungen.

Im Kern steht dabei immer die Frage, welche Aktionen und Aktionsformen vom grundgesetzlich verbrieften Recht auf Versammlungsfreiheit geschützt sind. Nicht selten ist dabei das Bundesverfassungsgericht die letzte entscheidende Instanz. Im Grundsatzbeschluss des Jahres 1985 - besser bekannt als das Brokdorf-Urteil - formulierten die Karlsruher Verfassungsrichter - ich zitiere -:

„Das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers.“

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Und weiter:

„Versammlungen enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren.“

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Sie betonten damit den hohen Wert des Rechtes auf freie Versammlung und legten die Hürden für das Verbot von Demonstrationen sehr hoch.

Die Behörden sind zudem verpflichtet, bei der Anwendung des Versammlungsgesetzes grundsätzlich versammlungsfreundlich zu verfahren. Insbesondere sind Verbot oder Auflösung von Versammlungen bzw. Demonstrationen nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter zulässig und unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Es ist natürlich festzustellen, dass die Versammlungsfreiheit und die eben beschriebene Rechtsprechung selbstverständlich auch für die Neonazis und ihre Versammlungen gelten. Hierbei haben wir überhaupt keinen Dissens. Die Versammlungsfreiheit und die Rechtsprechung dazu gelten aber auch für diejenigen, die den Nazis aktiv widersprechen wollen.

Nun ist im Vorfeld des 12. Januar unter anderem vom Innenminister geäußert worden, dass 700 ge

waltbereite Demonstranten anreisen würden und dass deshalb handfeste Auseinandersetzungen zu befürchten seien.

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

In der öffentlichen Darstellung wurden die zu erwartenden Protestiererinnen und Protestierer gern als linksextreme Chaoten dargestellt. Das diente als zentraler Begründungsstrang für das strikt durchzusetzende polizeiliche Trennungskonzept, das Protest in Sicht- und Hörweite eben nicht erlauben sollte.

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Auch hierzu ist der Brokdorf-Beschluss wichtig; denn er besagt auch: Abstrakte Gefahrenannahmen reichen für das Verbot oder für die Auflösung von Versammlungen nicht aus. Es muss eine konkrete und unmittelbare Gefahr vorhanden sein. Die bloße Vermutung allein reicht nicht aus. So ist es auch folgerichtig, dass die versuchten Verbote von Versammlungen durch die PD Nord durch das OVG Magdeburg aufgehoben wurden.

Auch die Unterscheidung zwischen friedlichen Demonstranten und potenziellen Blockierern als per se nicht friedlich und rechtswidrig ist juristisch nicht haltbar. Mit Urteil vom 7. März 2011 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass auch Sitzblockaden den Schutz der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes genießen können, sofern von ihnen keine Gewalt ausgeht und sie einen politischen Zweck verfolgen. Das ist bei Antinaziprotesten prinzipiell gegeben.

Die Proteste sind nicht nur per se politisch, sie sind immer auch ein dringend notwendiger Schulterschluss und ein Zeichen der Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt und rechter Diskriminierung.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die zu erwartenden Demonstrierenden gegen den Naziaufmarsch schon im Vorfeld als potenzielle Gewalttäter darzustellen, ist deswegen nicht nur juristisch nicht gerechtfertigt, es ist auch politisch verantwortungslos.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Damit wird eine Stimmung erzeugt, die die Artikulation politischer Haltungen im Rahmen der Versammlungsfreiheit von vornherein nicht nur als polizeitaktisches, sondern als politisches Problem beschreibt. Das ist nicht im Sinne der Demokratie.

Und es ist ebenfalls nicht im Sinne der Demokratie, wenn die Beobachtung eines solchen Demonstrationsgeschehens wie am 12. Januar durch gewählte Abgeordnete aller Fraktionen als unzuläs

sig, als Sittenverfall und als Misstrauensakt diskreditiert wird. Es ist eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit, dass Abgeordnete öffentliches Geschehen beobachten. Es ist ihre Pflicht und es ist ihr verfassungsmäßiger Auftrag.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE, und von Herrn Striegel, GRÜNE)

Die - an dieser Stelle dürften wir uns wieder einig sein - zugegeben schwierige Aufgabe der Polizei an Tagen wie dem 12. Januar ist es, die Verhältnisse abzuwägen und die angemessenen Entscheidungen zu treffen. Sie hat dazu einen notwendigen und wichtigen Ermessensspielraum.