Protocol of the Session on February 20, 2013

Die Schlussfolgerungen aus der Aufarbeitung müssen aber auch dringend zum Thema des Unterrichts in den Schulen Sachsen-Anhalts werden. Schülerinnen und Schüler müssen für dieses Thema sensibilisiert werden.

Bereits in der Debatte im letzten Jahr um den § 175 StGB in alter Fassung sagte ich, dass das Wort „Schwuchtel“ eines der häufigsten auf Schulhöfen verwendeten Schimpfwörter sei. Das muss uns zu denken und Anlass zum Handeln geben.

Es ist absolut begrüßenswert, dass die Landeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenpolitischen Runden Tisch

Sachsen-Anhalt am 15. März 2013 eine Veranstaltung zum gesamtgesellschaftlichen Aktionsplan für Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen sowie gegen Homo- und Transphobie in Sachsen-Anhalt durchführt.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das ist übrigens auch nicht nur eine Veranstaltung für die Fachpolitikerinnen, die sich mit Schwulen- und Lesbenpolitik beschäftigen. Ganz im Gegenteil, hier sind auch die Bildungspolitikerinnen, die Rechts- und die Innenpolitikerinnen, aber nicht nur die gefragt. Lehrerinnen bleiben in der Regel diesen Veranstaltungen fern. Auch das, meine Damen und Herren, ist ein ernst zu nehmendes, aber auch kein neues Signal.

Doch warum weise ich gerade jetzt noch einmal auf diese Veranstaltung hin? - Um aufzuzeigen, dass wir dringenden Bedarf an Aufklärung und Aufarbeitung haben, um Konsequenzen für das Hier und Heute zu ziehen. Nicht ohne Grund fordern Verbände seit vielen Jahren die Aufnahme des Schutzes der sexuellen Orientierung in das Grundgesetz bzw. auch in unsere Landesverfassung; denn es ist eben noch nicht in allen Lebenslagen normal, schwul oder lesbisch zu sein. Noch heute werden Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung menschenunwürdig behandelt.

Dank einer Initiative von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden wir morgen hoffentlich beschließen, dass in einem Bereich, in dem man keine Diskriminierung erwartet hätte, wie bei der Blutspende, das bisherige Unrecht ein Ende findet.

Ich bitte heute um Direktabstimmung über diesen Antrag und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau von Angern. - Für die Landesregierung hat jetzt Frau Professor Kolb das Wort. Bitte schön, Frau Ministerin.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Es ist richtig, jahrzehntelang, auch nach dem Zweiten Weltkrieg sind in beiden Teilen Deutschlands vornehmlich Männer wegen einvernehmlich vorgenommener homosexueller Handlungen strafrechtlich verfolgt und zu Unrecht verurteilt worden.

Die von den Nationalsozialisten im Jahr 1935 verschärfte Gesetzgebung zur strafrechtlichen Verfolgung homosexueller Handlungen galt in der Bundesrepublik bis zur sogenannten Strafrechtsreform im Jahr 1969 fort. In der DDR ist man nach einer

Entscheidung des Obersten Gerichtes im Jahr 1950 zur Vorfassung des §175 StGB zurückgekehrt.

Es gibt keine genauen Zahlen, aber man schätzt ein, dass die Zahl der Verurteilungen in der Bundesrepublik bis zum Jahr 1969 bei etwa 50 000 liegt. Für das Gebiet der ehemaligen DDR sind konkrete Fallzahlen nur schwer zu ermitteln.

Wir dürfen bei der Thematik auch nicht vergessen, dass es nicht nur um diejenigen geht, die strafrechtlich verurteilt worden sind, sondern dass es auch viele Fälle von Verdächtigungen, von Anschuldigungen gab und insgesamt ein gesellschaftliches Klima der Ausgrenzung und Diskriminierung bestanden hat.

Sämtliche Abgeordneten des Deutschen Bundestages - das ist ja auch nicht selbstverständlich - haben in einer am 7. Dezember 2000 einstimmig verabschiedeten Resolution ihr Bedauern hierüber zum Ausdruck gebracht und haben die gesetzliche Aufhebung der Urteile, die während des Nationalsozialismus ergangen sind, angeordnet.

Dies hat jetzt im Ergebnis dazu geführt, dass eine widersprüchliche Behandlung entstanden ist. Die Urteile bis 1945 sind pauschal aufgehoben worden, aber strafrechtliche Verurteilungen nach 1945 haben nach wie vor Bestand.

Zwischenzeitlich haben sich sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat für eine Rehabilitierung ausgesprochen. Frau von Angern hat das eben noch einmal ausgeführt. Wir haben das Hohe Haus am 22. November 2012 darüber informiert, dass auch Sachsen-Anhalt der Entschließung im Bundesrat zugestimmt hat. Wir sehen damit eine breite Unterstützung des Bundes und der Länder, konkrete Maßnahmen zur Rehabilitierung, aber auch zur Unterstützung von nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlich vorgenommener homosexueller Handlungen Verurteilten vorzuschlagen.

Es gibt eine eindeutige politische Meinungsäußerung. Allerdings hat dieses breite politische Einvernehmen noch nicht dazu geführt, dass das Bundesjustizministerium einen konkreten Vorschlag vorgelegt hat. Wir werden uns nach wie vor dafür stark machen.

Ich habe wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass ich das Grundanliegen des heute beratenen Antrages, nämlich eine vollständige strafrechtliche Rehabilitierung der Betroffenen, mit großer Sympathie begleite und auch unterstützte.

Natürlich muss man, wenn man über Rehabilitierung spricht, die Dinge entsprechend aufarbeiten. Die Tatsache, dass es weder konkrete Fallzahlen gibt, noch dass wir heute auch nur annähernd eine Aufarbeitung der entsprechenden Sachverhalte feststellen können, wirft schon ein

bezeichnendes Schlaglicht auf den Umgang mit diesem Thema.

Wenn man Rehabilitierung und eine Wiedergutmachung fordert, dann bedeutet dies, dass man sich des gesamten Themas mit Ernsthaftigkeit annehmen muss. Das heißt, es ist völlig richtig, wir brauchen eine gesellschaftliche Aufarbeitung, wir brauchen eine Erforschung der diesbezüglichen Sachverhalte und eine entsprechende Dokumentation.

Die Bundesregierung hat dazu einen ersten Schritt gemacht. Am 27. Oktober 2011 ist die MagnusHirschfeld-Stiftung insbesondere zur Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung gegründet worden.

Der geschäftsführende Vorstand der Stiftung Herr Litwinschuh hat die Entscheidung des Bundesrates, die ich eben dargestellt habe, begrüßt. Er wünscht sich, dass der Staat diese Urteile aufhebt sowie Bund und Länder gemeinsam mit der Stiftung an die Opfer, zum Beispiel durch Bildungsprojekte und Ausstellungen, erinnern. Berlin hat in diesem Zusammenhang ein Zeitzeugenprogramm geplant. München hat gemeinsam mit dieser Stiftung vor, eine Forschungsstrategie zu erarbeiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich denke, wir können ausgehend von diesen Beispielen gemeinsam im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung darüber diskutieren, welche konkreten Dinge Sachsen-Anhalt in diesen Prozess mit einbringen kann.

Wir müssen herausfinden, welche vorhandenen Ressourcen wir nutzen können. Beispielsweise ist der Stasiunterlagenbeauftragte angesprochen. Aber auch die Universitäten, die juristische Fakultäten oder auch die Historiker können möglicherweise durch schon vorhandene Forschung oder Forschungsprojekte dazu einen Beitrag leisten. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Gedenkstätte „Roter Ochse“ in Halle die Möglichkeit hat, ausgehend von den dort vorhandenen Unterlagen die Dinge aufzuarbeiten.

Ich denke, das ist wichtig und notwendig. Ich bin mir sicher, dass wir auch die Unterstützung dieses Hohen Hauses haben, sofern wir dafür finanzielle Mittel aufwenden müssen, um die entsprechenden Vorhaben konkret umzusetzen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Wir treten in eine Fünfminutendebatte ein. Für die Fraktion der CDU spricht jetzt der Kollege Herr Borgwardt. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor fast einem Jahr, am 23. Februar 2012, haben wir über diese wichtige und notwendige Problematik fast inhaltlich identisch debattiert. Deshalb möchte ich heute nicht allzu viel wiederholen.

Es ist unstrittig, meine Damen und Herren, Homosexuelle wurden in Deutschland über viele Jahrzehnte hinweg diskriminiert und kriminalisiert, sowohl in Westdeutschland als auch in der DDR. Letztere hat übrigens viel früher - Frau von Angern ging schon darauf ein - als die Bundesrepublik alt, nämlich bereits im Jahr 1950, den Straftatbestand de facto nicht mehr verfolgt.

Meine Damen und Herren! Uns eint, dass wir diese schreckliche Realität der Strafverfolgungspraxis aus heutiger Sicht gern ungeschehen machen möchten. Alle Fraktionen dieses Hohen Hauses befürworten die Initiative Berlins im Bundesrat für Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten.

Unser Grundanliegen hierbei ist, dass eine formelle Aufhebung der entsprechenden Strafurteile sowie eine daraus resultierende Entschädigung ernsthaft nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu prüfen ist.

Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland hat in seiner Pressemitteilung das Votum des Bundesrates ausdrücklich begrüßt.

Ich habe bereits mehrfach auch im Plenum gesagt, dass die Frage der Rehabilitation der Menschen, die nur deshalb vorbestraft sind, weil sie homosexuell sind, heute glücklicherweise kein Gegenstand der gesellschaftlichen Debatte mehr ist. Vielmehr stellt sich eine verfassungsrechtliche Frage, die vor dem Hintergrund der Verpflichtung der drei Staatsgewalten, die von den jeweils anderen beiden Staatsgewalten erlassenen Staatsakte anzuerkennen und als rechtsgültig zu behandeln, zu klären ist.

Ich wiederhole gern, dass unsere Mindesterwartung bei dieser Problematik ist, dass wir durch eine bundesweit einheitliche Verfahrensweise Wege finden müssen im Sinne der Garantie des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Ehre der Betroffenen wiederherzustellen.

Meine Damen und Herren! Ja, wir brauchen Aufklärung und historische Aufarbeitung zur strafrechtlichen Verfolgung von Homosexuellen auf dem Gebiet des heutigen Landes Sachsen-Anhalt. Mir fallen zudem zahlreiche weitere Bereiche - Frau von Angern ging bereits auf einige ein - der Strafrechtspraxis in der früheren DDR ein, die ebenfalls einer

Untersuchung, einer historische Aufarbeitung und einer Dokumentation bedürfen.

Neben ihrer strafrechtlichen Verurteilung erlitten viele Opfer der Strafverfolgungspraxis im späteren Umgang systematische Ausgrenzung in Betrieben und in Einrichtungen durch die staatliche Leitung sowie im gesellschaftlichen Leben. Biografien wurden hierdurch geprägt, verbunden mit schrecklichen Auswirkungen auf alle Lebensbereiche.

Ich denke in diesem Zusammenhang etwa an die Zwangsarbeit von politischen Gefangenen in der DDR. Dies haben wir bereits im Landtag thematisiert. Ich denke auch an die Verurteilungen wegen staatsfeindlicher Hetze nach § 104 ff. StGB der ehemaligen DDR und an Verurteilungen wegen Republikflucht.

Diese Verurteilungen beruhen auf Verfahren, die nicht rechtsstaatlich waren. Wir haben in Deutschland eine besondere Verpflichtung gegenüber strafrechtlich verurteilten Menschen, die eben nicht in einem demokratischen Rechtsstaat von unabhängigen Gerichten in einem rechtsstaatlichen Verfahren verurteilt wurden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Hohe Haus und die Landesregierung müssen es sich zur Aufgabe machen, die Strafverfolgungspraxis in der DDR auf dem Gebiet des heutigen Landes Sachsen-Anhalt und deren Auswirkungen auf das weitere Leben der Opfer zu untersuchen, und zwar auch zur Sensibilisierung von Politik und Gesellschaft.

Eine solche Aufarbeitung darf sich nach unserer Auffassung nicht nur darauf beschränken, alte Verfahrensakten durchzusehen und Statistiken zu führen. Wir brauchen vielmehr einen Forschungsauftrag unter der Beteiligung des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Frau von Angern, das war nicht abgesprochen; das haben wir auch vor.

Zudem überlegen wir, einen Antrag in der Stiftung Rechtsstaat des Landes Sachsen-Anhalt zu stellen, um auch die möglichen Mittel für eine wissenschaftliche Begleitung zur Verfügung zu haben.

Entgegen dem Antrag der Fraktion DIE LINKE hat sich unsere Fraktion im Zusammenwirken mit unserem Koalitionspartner darauf verständigt, eine Überweisung des Antrages in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung zu beantragen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Borgwardt. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt Frau Lüdemann. Bitte schön, Frau Lüddemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! In dem Beschluss des Landtages vom September 2012 „Rehabilitation und Entschädigung der nach 1945 aufgrund des § 175 in Deutschland Verurteilten“ hätten richtigerweise auch die nach § 151 des Strafgesetzbuches auf dem Gebiet der ehemaligen DDR Verurteilten schon in der Überschrift berücksichtigt werden müssen. In dem Antrag und in der Begründung wurde dies zwar aufgegriffen und beschrieben, allerdings erfolgte hierzu keine dezidierte Nennung.

Daher begrüßen wir den heute vorgelegten Antrag, der diese Problematik klar benennt und einen Gesamtauftrag des Landtages formuliert, um das Unrecht - das wird von allen Fraktionen so gesehen; so habe ich das auch von der Debatte im letzten Jahr in Erinnerung - in beiden damaligen deutschen Staaten aufzuarbeiten.