Protocol of the Session on November 15, 2012

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der große Tag gekommen. Die SPD wird eines ihrer großen Wahlversprechen einlösen. Die Regierungskoalition wird einen wichtigen Punkt im Koalitionsvertrag abarbeiten. Frau Reinecke, wenn ich mir die Begeisterung im Saal ansehe, dann muss ich sagen: Vielleicht sollte man hier ein bisschen Dopamin verteilen.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Herr Gallert, DIE LINKE: Das gibt es immer nur nach Erfolg, Frau Dalbert! - Heiterkeit bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

- Gut, dann bekommt die CDU Dopamin und sollte ein bisschen Begeisterung zeigen.

Was bekommen wir? - Wir bekommen keine Einführung der Gemeinschaftsschule, sondern wir bekommen eine leere Hülse, auf der „Gemeinschaftsschule“ steht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Denn was ist eine Gemeinschaftsschule? - Eine Gemeinschaftsschule ist eine Schule, in der Kinder länger gemeinsam lernen und in der sie das in einem anderen pädagogischen Klima tun, in einem pädagogischen Klima, das auf individuelle Lernangebote setzt. Es ist eine Schule, die sich dazu verpflichtet, Bildungsangebote für alle Kinder in dieser Schule maßzuschneidern. Das heißt, dass in einer Gemeinschaftsschule in der Regel eben nicht im Klassenverband, sondern in Lerngruppen unterrichtet wird. Das heißt auch, dass das Sitzenbleiben entfallen kann,

(Herr Schröder, CDU: Sehen Sie, das ist der Unterschied! Das trennt uns!)

weil jedes Kind zu jeder Zeit individuell gefördert wird, sodass die Notwendigkeit von zwölfmonatigen Doppelschleifen entfällt; es sei denn, ein Kind ist über mehrere Monate krank - für solche Ausnahmefälle wird eine solche Möglichkeit an der Gemeinschaftsschule vorgehalten.

Natürlich ist die Gemeinschaftsschule eine Schule, die ausreichend Zeit vorhält - Zeit, um die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler insgesamt voranzutreiben, um also das Musische, das Sportliche, das Künstlerische mit in den Blick zu nehmen, Zeit, um auch den Schülern, die langsamer und mit mehr Schwierigkeiten lernen, Zeit zu geben, das, was sie gelernt haben, zu üben und zu verfestigen, Zeit auch, um Schülern und Schülerinnen mit besonderen Fähigkeiten und besonderen Interessen besondere Lernherausforderungen zu geben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

All das steht nicht in diesem Gesetz. Vielmehr hat die CDU große Kreativität dabei bewiesen, der

Einführung der Gemeinschaftsschule viele Steine in den Weg zu legen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Herr Scheurell, CDU: Wo sind denn die zu sehen?)

So wird es die Ganztagsschule bei der Gemeinschaftsschule nur auf Antrag geben. Wenn die Gemeinschaftsschule das Abitur nach 13 Jahren anbieten möchte - wir haben es schon gehört -, bedarf es für jeden Einzelfall eines Kabinettsbeschlusses. Wenn ein Schulträger ein Gymnasium in eine Gemeinschaftsschule umwandeln möchte, muss er ein zweites Gymnasium vorhalten; es sei denn, die Landesregierung sagt, das sei nicht nötig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, das, was Sie tun, ist sehr geschickt. Und es ist in meinen Augen ein rückwärts gerichteter Schulkampf unter dem Deckmantel der Einführung der Gemeinschaftsschule.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Herr Schröder, CDU: Erkennen Sie doch die Unterschiede an!)

Ich habe Ihnen schon bei der ersten Lesung gesagt: Wenn Sie die Gemeinschaftsschule zum Erfolg bringen wollen, müssen Sie Eltern sagen können, warum sie ihr Kind auf eine Gemeinschaftsschule statt auf ein Gymnasium schicken sollen. Das heißt, die Gemeinschaftsschule braucht ein Profil.

Wir sagen: Die Gemeinschaftsschule soll ein berufsorientiertes Profil haben, das sie in enger Verzahnung mit der Wirtschaft vor Ort entwickeln kann, mal eher technisch ausgerichtet, mal eher wirtschaftlich ausgerichtet. Darin sehen wir einen wichtigen Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel.

Selbstverständlich muss die Gemeinschaftsschule eine Schule sein, die alle Schulabschlüsse anbietet. Das heißt für uns auch, dass sie nach der 12. Klasse die Fachhochschulreife und nach der 13. Klasse das Abitur anbietet. Eine solche Gemeinschaftsschule, die ein anderes pädagogisches Klima und ein klares Profil vorhält, wäre eine wichtige und substanzielle Ergänzung unserer Schullandschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Eine solche Gemeinschaftsschule ist die Gemeinschaftsschule, auf die die Eltern und viele Lehrer und Lehrerinnen im Land gezählt haben. An die Kolleginnen und Kollegen von der SPD gewandt sage ich: Sie liefern nicht; Sie haben beim Mindestlohn nicht geliefert und bei der Gemeinschaftsschule liefern Sie auch nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Kommen wir zu einem zweiten zentralen Punkt. Das ist das Thema Inklusion. In Bezug auf diesen Punkt waren wir im Land Sachsen-Anhalt schon einmal weiter. Das, was Sie jetzt vorlegen, ist ein echter Rückschritt bei der Inklusion. Sie sprechen eine Garantie für Förderschulen aus. Das ist ein klares Bekenntnis zum Erhalt der Förderschulen. Ich zitiere:

„Für Schülerinnen und Schüler, die besondere Hilfen benötigen, sind Förderschulen vorzuhalten.“

(Zustimmung bei der CDU)

Genau das ist in meinen Augen mit der UN-Konvention nicht vereinbar.

(Frau Feußner, CDU: Das ist falsch! - Weite- re Zurufe von der CDU: Falsch! - Quatsch!)

Die UN-Konvention fordert uns auf, alle Lern- und Entwicklungskontexte so zu gestalten, dass sie für alle Kinder ein geeignetes Umfeld bieten, um sich zu entwickeln und zu lernen.

(Frau Feußner, CDU: Genau, ein Umfeld für alle! - Herr Schröder, CDU: Förderschulen können ein geeignetes Umfeld schaffen!)

Das eine ist richtig: Inklusion ist nicht einfach. Dabei geht es um die sächliche Ausstattung, um die bauliche Ausstattung von Räumen, damit alle Kinder angemessen lernen und sich entwickeln können. Dabei geht es um multiprofessionelle Teams, also um die Zusammenarbeit von Regelschullehrerinnen und Förderschullehrern, von Sozialarbeiterinnen und Schulpsychologinnen, von pädagogischen Mitarbeiterinnen und Logopädinnen und vielen anderen mehr.

Es geht auch um die Befähigung der Lehrer und Lehrerinnen zur Inklusion. Viele Lehrer und Lehrerinnen hier im Lande haben Angst vor der Inklusion. Das ist, finde ich, eine nachvollziehbare Angst.

(Zuruf von der CDU: Das ist aber nicht das Thema!)

Es ist eine Angst, die wir ernst nehmen sollten. Deswegen müssen wir die Lehrer und Lehrerinnen zur Inklusion befähigen. Wir müssen daher über die Lehrerbildung und die Fortbildung von Lehrern und Lehrerinnen reden, wenn wir die Inklusion gut auf den Weg bringen wollen. Es gibt also viele dringend notwendige und wichtige Aufgaben. Was aber tun Sie? - Sie lehnen sich in Ihrem Sessel zurück.

Deswegen haben wir zum Thema der Profilierung der Gemeinschaftsschule und zur Frage der Inklusion einen Änderungsantrag eingebracht. Die Annahme dieses Änderungsantrages wäre für uns die Minimalvoraussetzung, um Ihrem Schulgesetz zustimmen zu können.

Sie sagen immer, Sie wollen Ruhe in der Schulstruktur, und dann legen Sie ein solches Schul

gesetz vor. Das ist sinnlos und an manchen Stellen sogar eine schädliche Operation an der Schulstruktur. Das hätten Sie sich in der Tat sparen können.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Aber auch sonst - unabhängig von der Frage der Profilierung der Gemeinschaftsschulen und von den Fragen der Inklusion, die in diesem Gesetz zentral sind - gibt es in diesem Gesetz viele Stellen, an denen eine Verschlimmerung festzustellen ist oder an denen Chancen verpasst werden.

Das eine Thema haben wir jetzt schon mehrfach gehabt: Sie haben die Chance verpasst, bei den Ordnungswidrigkeiten das Schulschwänzen zu streichen und so mit dem Unsinn aufzuhören, mit Beugehaft zu drohen, um Kinder in die Schule zu bringen. Dafür müssen wir ganz andere Wege gehen; darin waren sich alle Experten und Expertinnen einig. Dies ist eine solche verpasste Chance.

(Zuruf: Müssen wir nachliefern!)

Sie haben, obwohl es wiederholt Anträge hierzu gab, auch die Chance verpasst, die direkte Demokratie in der Schule zu stärken, also die Mitbestimmung der Schüler und Schülerinnen in den Schulen zu stärken. Auch hierbei sind Sie keinen Schritt vorangekommen.

Für die freien Schulen bauen Sie neue Hürden auf, wie wir in der Anhörung sehr klar gehört haben. Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass die Genehmigung für die Gründung einer neuen Schule zwölf Monate gilt. Das bedeutet, da diese Genehmigung zum 1. Juni erteilt wird, dass sich die Schule in zwei, drei Monaten gründen muss und in zwei, drei Monaten mit dem Unterricht beginnen muss. Das heißt, die Schule muss alles, was sie zur Schulgründung tun muss, tun, bevor sie überhaupt weiß, ob sie genehmigt ist.

Nach der Anhörung haben wir beantragt, dass diese Frist auf 18 Monate verlängert wird, damit die Schulen auch im darauffolgenden Schuljahr mit dem Unterricht beginnen können. Selbst zu dieser einfachen Änderung des Gesetzentwurfes waren Sie nicht bereit. Dies sind unnötige Hürden, die Sie den freien Schulen in den Weg stellen.

Oder zu der Genehmigung des Lehrpersonals. Bei Lehrpersonal, das ein anderes wissenschaftliches Studium als das Lehramtsstudium aufweist, galt bisher eine Widerspruchsregelung. Dieses Lehrpersonal konnte so lange unterrichten, bis es zu einem Widerspruch kam.

Diese Regelung wurde nun umgewandelt in ein Genehmigungsverfahren. Warum? - Kollege Scharf hat es in seiner Anfrage auf den Punkt gebracht: In weniger als 1 % der Fälle gab es Probleme. Inso

fern würde eine Widerspruchsregelung das Leben für die freien Schulen einfacher machen.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE, und von Frau Feußner, CDU)

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, bei dem ich die Ausführungen der Kollegin Reinecke nicht teile. Dies betrifft den Bereich des Datenschutzes.

Erstens. Man muss festhalten, dass in dem Gesetzentwurf die Erhebung einer Unmenge an Daten erlaubt wird. Teilweise wird diese Erhebung mit der Begründung erlaubt, dass dies für die Forschung notwendig ist, also Statistik, Schülerbiografien und Ähnliches. Mich überzeugt das nicht. Ich selber betreibe solche Längsschnittstudien. Diese Arten von Daten, versehen mit einer Schüleridentifikationsnummer, werden dafür nicht benötigt.

Zweitens ist in diesem Zusammenhang eine Verbesserung auszumachen, und zwar insofern, als es hierzu eine gesetzliche Regelung geben soll und nicht eine Regelung im Wege der Verordnung. Dies ist ein echter Fortschritt.

In § 84c wird von einer landesweit eindeutigen Schüleridentifikationsnummer gesprochen, wenn es um die Verwaltung geht. In § 84d, wenn es um die Statistik und die Biografie, also um die Forschung geht, ist ebenfalls die Rede von einer landesweit eindeutigen Schüleridentifikationsnummer. Das Gesetz schließt nicht aus, dass es dieselben Schüleridentifikationsnummer ist. Das heißt, Sie können auf Knopfdruck beide Datenbestände zusammenführen. Dann haben Sie einen gläsernen Schüler und eine gläserne Schülerin und das lehnen wir ab.