Protocol of the Session on November 15, 2012

(Beifall bei den GRÜNEN)

und zwar - denn dabei machen die sozialen Umstände und die Rahmenbedingungen keinen Unterschied - eben nicht nur für Alleinerziehende und Familien und Kinder, sondern natürlich auch für jeden Einzelnen. Wer über mehrere Jahre in den Zuständen einer GU untergebracht war, der stumpft ab, der gewöhnt sich neue soziale Verhaltensweisen an, die nicht dem Regelfall entsprechen. Das ist doch ganz normal und auch verständlich. In solche Umstände dürfen wir Menschen nicht zwingen.

Deswegen sage ich: organisierte Desintegration. Da diese Zustände jeden Einzelnen treffen, müssen von der dezentralen Unterbringung alle Personen betroffen sein. Das muss vielleicht nicht vom ersten Tag an gewährleistet werden.

Herr Wanzek, diesbezüglich sind wir ganz bei Ihnen. Natürlich ist eine gewisse Orientierung notwendig, um überhaupt erst einmal zu klären, was mit der- oder demjenigen geschieht. Das Ziel muss jedoch sein, nach ganz kurzer Zeit eine Vermittlung in normalen Wohnraum vorzunehmen, damit die Menschen überhaupt die Chance bekommen, sich zu integrieren, und damit uns das letztlich auch - das ist nicht der Hauptgrund für mich; das möchte ich betonen - Investitionen spart.

Ich glaube, es wird mit einem Verfahren, das auf Selbstverantwortung, auf Eigenverantwortung und auf Selbstertüchtigung ausgelegt ist, wesentlich günstiger als mit diesem politisch gewollten Verwahrverfahren. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke sehr, Herr Herbst. - Bevor Herr Kolze spricht, möchte ich das Ergebnis der Verständigung dazu bekanntgeben, wie wir nach diesem Tagesordnungspunkt weiter verfahren.

Als nächster Beratungsgegenstand wird der Tagesordnungspunkt 12 aufgerufen. Die Tagesordnungspunkte 8, 9 und 11 werden am morgigen Tag nach dem Tagesordnungspunkt 10 behandelt. Wenn wir den Tagesordnungspunkt 12 beendet und noch genug Zeit haben, werden wir auch die für morgen vorgesehenen Tagesordnungspunkte 15, 16 und 21 auf den heutigen Beratungstag vorziehen. Zu diesen Punkten ist keine Debatte vorgesehen. Wir werden sehen, ob wir das heute noch schaffen. - Dann hat Herr Kolze das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Flüchtlingsunterbringung hat in den letzten Monaten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt. Es besteht in diesem Hohen Haus absolut Einigkeit darin, dass eine Unterbringung von Asylsuchenden und von geduldeten ehemaligen Asylbewerbern, deren Antrag rechtskräftig

abgelehnt worden ist, einen Standard haben muss, der die Würde des einzelnen Menschen achtet. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren,

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

wie es auch das Bundesverfassungsgericht jüngst festgestellt hat.

Wir dürfen hier im Land die Augen aber auch nicht davor verschließen, dass die Entscheidungen des Landes und der aufnehmenden Kommunen über die Art der Unterbringung von asylsuchenden Menschen an die bundesrechtlichen Vorgaben gebunden sind. Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes sollen Asylbewerber in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werde. Diese sogenannte Soll-Anordnung schließt eine generelle Wohnungsunterbringung von Asylbewerbern aus.

Das Ministerium des Innern hat bereits im Jahr 2008 die Landkreise und kreisfreien Städte gebeten, Familien und Alleinstehende mit Kindern nach Möglichkeit in Wohnungen unterzubringen.

Die Hälfte der in Sachsen-Anhalt lebenden um Asyl nachsuchenden Menschen ist derzeit dezentral in Wohnungen untergebracht. Eine solche differenzierende Betrachtungsweise rechtfertigt sich aus § 53 Abs. 1 Satz 2 des Asylverfahrensgesetzes, wonach die Unterbringungsentscheidung sowohl das öffentliche Interesse als auch die Belange des Asylsuchenden berücksichtigt.

Die CDU-Fraktion findet es völlig richtig, dass Personengruppen, für die eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften mit einer besonderen Härte verbunden ist, dezentral in Wohnung untergebracht werden. Das trifft insbesondere für Familien und Alleinstehende mit Kindern zu.

Meine Damen und Herren! Minister Stahlknecht hat bereits angekündigt, neue Leitlinien für die Landkreise und kreisfreien Städte als Handlungsempfehlung zu erlassen. Hierin möchten die Koalitionsfraktionen Minister Stahlknecht mit ihrem Alternativantrag zur dezentralen Unterbringung von Asylsuchenden in besonderen Härtefällen, in dem nunmehr der ursprüngliche Punkt 1 gestrichen worden ist, ausdrücklich unterstützen.

Gemeinsames Ziel ist die Verbesserung der aktuellen Lebenssituation der um Asyl bittenden Menschen. Es ist aber auch völlig richtig, vor allem alleinreisende Frauen und Männer in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Sie brauchen Kontakt zu Landsleuten, sind aufgrund ihrer Erlebnisse oft traumatisiert und mit dem neuen Land zum Teil auch emotional überfordert, da sie oft aus anderen Kulturkreisen stammen.

Es gibt Asylsuchende, die nach Flucht und Vertreibung aus ihren Herkunftsländern oder nach Gewalterfahrungen unter posttraumatischen Belas

tungsstörungen leiden. Diese Menschen brauchen Beratung, die in den Gemeinschaftsunterkünften in einem hohen Maße durch Fachpersonal durchgeführt wird.

Ein anderes Problem sind die fehlenden Sprachkenntnisse. Die deutsche Sprache wird nicht ad hoc in den Gemeinschaftsunterkünften vermittelt. Es wäre jedoch verantwortungslos, diese Menschen mit einer dezentralen Unterbringung ins kalte Wasser zu werfen. Viele der Asylsuchenden können nicht von Anbeginn in allen Lebenslagen selbstverantwortlich agieren. Sie wären mit einer dezentralen Unterbringung gar überfordert.

Wir alle wissen, dass Gemeinschaftsunterkünfte ein Mikrokosmos sind. Keine Frage: Das Leben in den Gemeinschaftsunterkünften muss zeitlich begrenzt sein. Ein über viele Jahre in Gemeinschaftsunterkünften geführtes Leben mit wenig Privatsphäre und in räumlicher Enge erzeugt bei vielen Menschen oft eine Art Lethargie. Das können diejenigen nachvollziehen, die zumindest einen gewissen Lebensabschnitt mit anderen Menschen auf engem Raum und ohne Beschäftigungsmöglichkeiten verbracht haben. - Ich sehe, meine Zeit nähert sich dem Ende.

(Herr Miesterfeldt, SPD: Nur die Redezeit!)

Ich möchte ich Sie darum bitten, unserem geänderten Alternativantrag Ihre Zustimmung zu erteilen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Herr Kolze. - Frau Quade, möchten Sie erwidern? - Das ist nicht der Fall. Dann treten wir in das Abstimmungsverfahren ein. Eine Ausschussüberweisung ist nicht beantragt worden.

Wir stimmen jetzt über den Ursprungsantrag ab. Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/1581 zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Fraktion DIE LINKE und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Stimmenthaltungen? - Keine. Damit ist der Ursprungsantrag abgelehnt worden.

Wir stimmen nunmehr über den Alternativantrag der Koalitionsfraktionen in der Drs. 6/1607 ab. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass die Koalitionsfraktionen mitgeteilt haben, dass Punkt 1 gestrichen wird und dass Punkt 2 demzufolge zu Punkt 1 und Punkt 3 zu Punkt 2 wird. Über den so geänderten Alternativantrag stimmen wir ab.

Wer dem Alternativantrag in der Drs. 6/1607 zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist die Fraktion

DIE LINKE. Damit ist das so angenommen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 7.

Ich rufe vereinbarungsgemäß den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt

Gesetzentwurf Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/1569

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Striegel. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von meiner Fraktion vorgelegte bündnisgrüne Gesetzentwurf zum Verfassungsschutzgesetz will ein vorhandenes und allseits als Problem anerkanntes Kontrolldefizit beim Inlandsgeheimdienst des Landes Sachsen-Anhalt verkleinern helfen.

Unser Gesetzentwurf vollzieht nach, was beim Bund und in einzelnen Bundesländern bereits Standard ist. Er stärkt die Kontrolle des Parlaments, indem er auf mehr Öffentlichkeit und weniger Geheimniskrämerei zielt. Er spricht der Parlamentarischen Kontrollkommission und ihren Mitgliedern mehr und effektivere Kontrollrechte zu. Außerdem schützt und stärkt er die Position der parlamentarischen Minderheit in der Kommission.

Der bündnisgrüne Gesetzentwurf gibt dem Parlament endlich auch Gelegenheit, in das Innerste des Geheimdienstes vorzudringen und zu bestimmen, welche nachrichtendienstlichen Mittel in welchem Umfang und in welcher Weise zulässig sind. Hierfür muss die Landesregierung der PKK künftig eine Dienstvorschrift zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel vorlegen, die der Zustimmung der Kontrollkommission bedarf.

Hiervon, meine Damen und Herren, ist unter anderem der Einsatz sogenannter V-Leute, also staatlich bezahlter Krimineller, betroffen. Deren Erfolgsbilanz ist äußerst mager und rechtsstaatlich heikel. Ihr Einsatz spült regelmäßig größere Geldmengen in Strukturen von Neonazis. Der strukturelle Aufbau der Neonaziszene im Osten Deutschlands nach der Wiedervereinigung wäre - das wissen wir heute - ohne staatliche Mittel so nicht denkbar gewesen.

Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt, dass angeworbene Personen immer wieder Straftaten begehen und dass die Qualität der von ihnen übermittelten Informationen häufig mangelhaft ist. Im

Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ operierten V-Personen diverser Dienste und Ämter. Brauchbare Hinweise auf den Verbleib des Terrortrios und auf Handlungen ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer lieferten sie nicht. Taten sie es, wurden diese Informationen in den Ämtern aus noch ungeklärten Gründen nicht weitergeleitet.

Das Bundeskriminalamt beklagte bereits im Jahr 1997 in einem internen Papier heftig, dass sich V-Leute des Verfassungsschutzes im Bereich Rechtsextremismus gegenseitig zu - Zitat - „größeren Aktionen anstacheln“, „unter dem Schutz des Verfassungsschutzes ungestraft handeln und die Exekutive nicht ernst nehmen“, dass sie - Zitat - „als Straftäter weder angeklagt noch verurteilt werden“, auch weil der Verfassungsschutz Rechtsextreme vor Durchsuchungen - Zitat - „oft vorher gewarnt und der Polizei Hinweise absichtlich erst so spät weitergeleitet hat“, dass - Zitat - „rechte Aktionen nicht mehr verhindert werden sowie Beweismittel vor Eintreffen der Exekutive vernichtet werden konnten“.

Das NPD-Verbotsverfahren scheiterte im Jahr 2003, weil das Bundesverfassungsgericht aufgrund der Anzahl und der Position eingesetzter V-Personen nicht sicher von der - Zitat - „Staatsfreiheit der NPD“ ausgehen konnte.

Wenn wie in Thüringen V-Personen bei Straftaten nichts weiter droht als ein freundliches „Hör mal zu, Kamerad, das, was du da gemacht hast, das war großer Mist!“, und gegebenenfalls Geldzuwendungen einmalig gekürzt werden, dann ist das Problem hinreichend beschrieben. Recht muss Recht bleiben, auch bei V-Personen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

All dies sind Armutszeugnisse für die Sicherheitsbehörden in unserem Land und es zeigt, dass dem Einsatz von V-Leuten mit größter Skepsis zu begegnen ist und dass dieser Einsatz, falls man zu dem Schluss käme, er wäre alternativlos, deutlich besser zu reglementieren ist.

Der Einsatz konkreter nachrichtendienstlicher Maßnahmen liegt mit dem bündnisgrünen Gesetzentwurf weiterhin in der Verantwortung der Landesregierung. Er enthält aber erstmals eine spezifische Grundlage, die über eigene ministerielle Verordnungen und Erlasse hinausgeht und das Fehlen konkreter Bestimmungen ausgleicht.

Im konkreten Einzelfall, der als Ausnahmefall angelegt ist, wird künftig die Kontrollkommission ermächtigt, eine nachrichtendienstliche Maßnahme des Verfassungsschutzes abbrechen zu lassen. Das ist eine notwendige Vorkehrung und Schranke, um besonders eklatante, gerichtlich für die Betroffenen aber kaum bzw. gar nicht greifbare Alleingänge dieser Behörde nach Berichten der Kontrollkommission stoppen zu können.

Auch mit den von uns geforderten Änderungen des Verfassungsschutzgesetzes bleibt der Inlandsgeheimdienst ein Anachronismus. Das System Verfassungsschutz wurzelt im Kalten Krieg und es baut mit seinem Extremismusmodell auf falschen Voraussetzungen auf und hat in 60 Jahren seiner Existenz mehr Unheil angerichtet, als es verhüten konnte.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Zeugnis davon gibt die Geschichte des Verfassungsschutzes, die nach Heribert Prantl - Zitat - „in nicht unwesentlichen Teilen eine Skandalgeschichte ist“, und zwar bundesweit wie auch in SachsenAnhalt.