Rechtsextremismus, so stellt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2010 fest, ist eine politische Kategorie ohne Eignung als Rechtskriterium.
Die vergangenen Jahre sind reich an Beispielen, bei denen Landesregierungen Verfassungsschutzberichte zur Einflussnahme auf die politische Landschaft nutzen wollten. Erwähnung von Organisationen, Vereinen und Publikationen in den betreffenden Berichten dienten dem Ziel, diese zu diskreditieren. Solches Vorgehen betraf antifaschistische Zeitschriften, hier zum Beispiel die „Lotta“, ebenso wie die Umweltorganisation „Robin Wood“ oder das Leipziger Kulturzentrum „Conne Island“. Niedersachsen lässt Atomkraftgegner und Mitglieder der Grünen Jugend vom Verfassungsschutz beobachten.
Als abschließendes und wohl plastischstes Beispiel darf hier die Erwähnung von a.i.d.a., einer antifaschistischen Dokumentationsstelle aus München dienen. a.i.d.a. ist mehrfache Preisträgerin im Wettbewerb der Bundesregierung „Aktiv für Demokratie und Toleranz“, hat diverse Förderpreise erhalten und tauchte - angeblich wohl, weil der Geschäftsführer den Neujahrsempfang der bayerischen LINKEN besuchte und das Archiv auf AntifaWebsites verlinkte - bis heute, wirklich bis heute, im bayerischen Verfassungsschutzbericht auf, mit dem durchschlagenden Effekt, dass die anerkannte Fachstelle aus dem staatlich geförderten Beratungsnetzwerk gedrängt wurde. Heute wurde nun
bekannt, dass die Bayerische Staatsregierung einem gerichtlichen Vergleich zugestimmt hat, nach dem alle Erwähnungen in Verfassungsschutzberichten zu löschen sind. a.i.d.a. hat auf ganzer Linie obsiegt. Das ist auch gut so.
Mit der nun geplanten Novellierung der Abgabenordnung hätte der Verein zusätzlich zum Verlust von Fördermitteln automatisch auch die Gemeinnützigkeit verloren. Für den inzwischen jahrelangen und immer wieder erfolgreichen Rechtsstreit gegen den Verfassungsschutz wäre so vielleicht nicht einmal genug Geld vorhanden gewesen.
Es darf nicht sein, dass Sicherheitsbehörden durch bloße Erwähnung von Organisationen im Verfassungsschutzbericht diese faktisch rechtlos stellen.
Schon allein deshalb ist die geplante Änderung der Abgabenordnung im Jahressteuergesetz abzulehnen. Es erscheint widersinnig, zumal in diesen Zeiten, den Verfassungsschutz nicht aufzulösen, sondern ihm stattdessen zusätzliche Kompetenzen einzuräumen und ihn zur steuerrechtlichen Prüfinstanz zu machen, die ohne Klage und vor allem ohne überprüfbare Kriterien im Geheimen über das Wohl und Wehe gemeinnütziger Organisationen entscheidet.
179 kirchliche und zivilgesellschaftliche Organisationen, unter Ihnen der BUND, Greenpeace, Attac, die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, die Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden oder Pro Asyl, haben sich aus diesem Grund zu einem Bündnis gegen die geplante Änderung zusammengeschlossen. Sie alle sehen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedroht.
Unter dem neuen Verfassungsschutzchef HansGeorg Maaßen fürchten beispielsweise Kirchenasylgruppen um ihre Gemeinnützigkeit; denn Maaßen warf ihnen in der Vergangenheit in einem Aufsatz vor, sich staatsfeindlich zu verhalten und sich an der Bildung - Zitat - „krimineller Vereinigungen“ zu beteiligen.
(Herr Leimbach, CDU: Was soll denn das? - Herr Schröder, CDU: Jetzt trägt er ein bisschen dick auf! - Herr Borgwardt, CDU: Ein bisschen zu dick, ja!)
Auch die zur Anhörung beim Deutschen Bundestag geladenen Sachverständigen haben sich aus rechtssystematischen, verwaltungspraktischen und verfassungsrechtlichen Gründen samt und sonders gegen die geplante Änderung der Abgabenordnung ausgesprochen.
Ich darf an dieser Stelle den Finanzpolitikern aus FDP und CDU im Bund danken dafür, dass sie diese Planungen offenbar nicht weiter verfolgen
(Beifall bei den GRÜNEN - Herr Leimbach, CDU: Das ist eine Schaufensterrede! - Herr Scheurell, CDU: Das ist zumindest das, was Sie eben gemacht haben!)
Deswegen sollte sich Sachsen-Anhalt auch weiterhin im Bundesrat dagegen aussprechen, die Abgabenordnung in der entsprechenden Weise zu ändern.
Des Weiteren sollte Sachsen-Anhalt dafür sorgen, dass der entsprechende Passus, der § 51 der Abgabenordnung insgesamt noch einmal angeschaut wird, weil der Verfassungsschutz darin bis heute eine Definitionskompetenz hat.
Die Auswertung der Verstrickung von Verfassungsschutzbehörden in die Untaten des NSU und das jahrelange Unterlassen und Wegschauen gegenüber rechtem Terrorismus müssen außerdem Anlass zu grundlegender Kritik am System Verfassungsschutz sein.
Das bisherige System, meine Damen und Herren, hat sich überlebt. So muss auch der geltende § 51 der Abgabenordnung einer kritischen Überprüfung unterzogen werden.
Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, kann im Einzelfall nötig sein. Wo dies angezeigt ist, muss jedoch auch im Einzelfall und rechtsstaatlich überprüft werden.
Kritische Vereine und Institutionen durch geheimdienstliche Mittel in die Insolvenz zu treiben, ist eines Rechtsstaates unwürdig.
Danke schön, Herr Kollege Striegel. - Für die Landesregierung spricht Herr Finanzminister Bullerjahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe freimütig zu, dass ich bei dieser Einbringung den falschen Redetext vor mir liegen habe.
Ich will das Thema nicht überschätzen, aber mit dieser Schärfe, also mit diesen, ich sage nicht: Unterstellungen, aber: grundsätzlichen gesellschaftlichen Bedenken haben wir dieses Thema im Finanzausschuss niemals gesehen.
Ich weiß, dass das auch in meiner Fraktion und sicherlich von all denjenigen, die fachlich inhaltlich damit zu tun haben, vielleicht anders gesehen wird. Ich habe sehr aufmerksam zugehört.
Ich wäre aber vorsichtig damit, einen gewählten Bürgermeister von Berlin einfach so locker als Rassisten zu beschimpfen.
Wissen Sie, ich habe mit Herrn Sarrazin lange zusammengearbeitet. Ich weiß, dass der nicht einfach ist. Ich habe ihm damals auch klar gesagt, was ich von den Büchern halte.