Protocol of the Session on October 18, 2012

Dieser Streik ist tatsächlich etwas Besonderes. Ich will anhand folgender Punkte aufzeigen, warum dieser Streik etwas Besonderes ist.

Zum einen ist es so, dass sich in der CallcenterBranche eine extrem hohe Konzentration von Niedriglöhnen und von prekärer Beschäftigung zeigt, die sich dadurch auszeichnet, dass die Arbeitsverträge oft befristet sind. Es gibt Teilzeitarbeitsverträge. Die Art und Weise der Arbeitszeitverteilung ist unwahrscheinlich gleitend und für die entsprechenden Mitarbeiter kaum einschätzbar.

Oftmals sind die Arbeitsbedingungen alles andere als gut. Häufig erreichen uns Berichte, aus denen hervorgeht, dass Menschen, die dort längere Zeit gearbeitet haben, aufgrund dieser Tätigkeit krank geworden sind. Außerdem - das muss uns alle berühren - sind die Arbeitseinkommen oft sehr niedrig. Sie sind manchmal wirklich skandalös niedrig. Das sind die Dinge, die hier eine Rolle spielen.

Deswegen ist der Streik in diesem Bereich so wichtig. So notwendig die Organisation der Arbeitnehmer in diesem Bereich wäre, so wenig findet sie statt. Die Callcenter-Branche ist derzeit leider immer noch eine Branche, in der es kaum vernünftige Tarifverträge gibt, weil wir leider die Situation haben, dass sich die Beschäftigten kaum für ihre Interessen organisieren können. In diesem Fall ist es ihnen aber gelungen. Deswegen verdienen sie unsere Solidarität, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es hat natürlich Gründe, warum es so extrem schwierig ist, im Callcenter-Bereich die Belegschaften zu organisieren und in die Tarifauseinandersetzung zu führen. Die normale Situation in

den Betrieben ist: Entweder du akzeptierst die Bedingungen oder du gehst. Draußen steht der Nächste.

Die normale Situation ist, dass du eine unwahrscheinlich aufgesplittete Belegschaft hast. Du hast ein paar Vollzeitbeschäftigte, die unbefristete Arbeitsverträge haben. Du hast ein paar Vollzeitbeschäftigte mit befristeten Arbeitsverträgen. Du hast massenhaft Teilzeitbeschäftigte mit befristeten Arbeitsverträgen. Außerdem hast du eine große Gruppe von Menschen, die ihre Arbeit nur im Nebenverdienst organisiert bekommen und kaum eine unmittelbare Betriebsbindung haben.

Deswegen ist es so schwer, in diesem Bereich die Dinge zu organisieren. Jetzt ist es zum ersten Mal substanziell gelungen, dass in einem Betrieb mit der Gewerkschaft Ver.di und mit den örtlichen Betriebsangehörigen eine Tarifauseinandersetzung geführt wird mithilfe dieses Streiks.

All diejenigen, die das Hohelied auf die Tarifautonomie singen, müssen sich heute solidarisch mit diesen Menschen zeigen. Das ist unser Wunsch, liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere der CDU.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben es mit einer zweiten Besonderheit zu tun, nämlich mit der Besonderheit der öffentlichen Hand. Wir wissen, dass für die Sparkassen keine öffentliche Gewährträgerhaftung mehr gilt. Das ist mittels der deutschen Privatbanken über die EUEbene inzwischen durchgesetzt worden. Die Sparkassen befinden sich aber nach wie vor in öffentlicher Trägerschaft und damit auch in öffentlichem Eigentum. Das betrifft die Sparkassen an sich und in gewisser Weise auch die Sparkassenverbände, die zum einen Eigentümer und zum anderen Auftraggeber für S Direkt sind.

Deswegen sagen wir: Wir als Politiker repräsentieren diesen öffentlichen Sektor. Wenn unsere Sonntagsreden von LINKEN bis CDU, die auf existenzsichernde Einkommen abzielen, wirklich ernst gemeint sein sollen, wenn wir es wirklich ernst meinen mit der politischen Forderung, dass die Menschen von ihrem Arbeitseinkommen in Würde leben können müssen, dann müssen wir als öffentliche Hand und deren Repräsentanten die Ersten sein, die das durchsetzen. Das ist hier aber nicht der Fall, und das ist der Skandal, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Im Übrigen haben wir ein unmittelbares Interesse daran.

Jetzt will ich einmal die Situation vor Ort erläutern, um die Absurdität zu verdeutlichen. Das S DirektCallcenter befindet sich in der Stadt Halle. Es ist nicht überraschend, dass einer der Vertragspartner

die Sparkasse Halle ist. Die Sparkasse Halle wiederum befindet sich im Eigentum der Stadt Halle.

(Zuruf)

- Saalesparkasse. Okay. Es hat inzwischen eine Fusion stattgefunden. - Die Mitarbeiter kommen übrigens zum großen Teil aus dem Saalekreis und aus der Stadt Halle.

Die Saalesparkasse hat also einen Vertrag mit dem Callcenter S Direkt abgeschlossen. Aufgrund dieses Vertrags bezahlt sie für die erbrachten Leistungen deutlich weniger, als wenn die Menschen direkt bei der Sparkasse angestellt wären. Darauf komme ich noch zu sprechen.

Was ist aber die Konsequenz daraus? - Es ist eine Umfrage gemacht worden, wie viele der Streikenden auf zusätzliche Leistungen angewiesen sind. Das Ergebnis ist, dass etwa 40 % derjenigen, die sich am Streik beteiligen, entweder Aufstocker oder Wohngeldempfänger sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer bezahlt denn die Aufstockerbeträge und die Wohngeldleistungen? - Diese bezahlen zum großen Teil die Stadt Halle und der Saalekreis.

(Zuruf von der SPD)

- Das wird auch von Bund und Land mitgetragen. Die Aufstockerleistungen werden aber von den Kommunen bezahlt. Wir kennen ja die Diskussion von OB Trümper. An dieser Stelle stimme ich ausdrücklich mit ihm überein.

Der Vertragspartner von S Direkt gehört jemandem, der nachher für die Niedriglöhne geradestehen muss, indem er Hartz-IV-Leistungen austeilt. Auch das ist ein Skandal und auch dagegen müssen wir vorgehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen fordern wir in diesem Antrag all diejenigen, die von uns entsandt worden sind oder über ihre entsprechenden kommunalen Mandatsträger in den Sparkassenvertretungen sind, auf, als Vertragspartner und Eigentümer von S Direkt Druck auszuüben, damit sich die Arbeitsbedingungen bei S Direkt endlich verbessern. Damit wird deutlich, dass wir uns mit solchen skandalösen Arbeitsbedingungen auch aus der Perspektive der einzelnen Sparkasse heraus, die daran beteiligt ist, nicht einverstanden erklären.

Darüber hinaus geht es um vernünftige Arbeitsbedingungen. Wir haben die Geschäftsführung angehört. Wir haben aber auch die Streikenden angehört. Diese haben massive Vorwürfe mit Blick auf die Organisation der Arbeitsabläufe im Betrieb erhoben. Es ist klar herausgestellt worden, dass die Art und Weise, wie die Arbeit bei S Direkt organisiert ist, die Leute auf Dauer psychisch krank macht. Dabei geht es um die Pausengestaltung, um zu wenig Platz und um solche banalen Dinge

wie zu wenige Toiletten. Dabei geht es um massenhaften Lärm, um die Arbeitszeitgestaltung und um deren Abstimmung im Vorhinein.

Natürlich sagt die Geschäftsführung dazu: Das ist alles nicht wahr. Das ist alles ganz vorbildlich geregelt. - Sie werden Argumente auf der einen wie auf der anderen Seite finden. Es gibt aber eine Zahl, die verräterisch ist. Die Gewerkschaft gibt an, dass es bei S Direkt, bei einem Betrieb mit immerhin 800 Beschäftigten in Halle, eine Fluktuationsrate von sage und schreibe 29 % pro Jahr gibt. Selbst die Geschäftsführung gibt zu, dass sie bei etwa 25 % pro Jahr liegt.

Jeder, der sich in der Arbeitswelt einigermaßen auskennt, jeder, der einmal mit Gewerkschaften, aber auch mit Geschäftsführern zu tun hatte, weiß: Wenn fast ein Drittel der Beschäftigten diesen Betrieb nach einem Jahr verlässt, dann sind die Arbeitsbedingungen miserabel. Das ist eine klare Sprache und daran kommen wir nicht vorbei, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Herr Borgwardt, CDU: 29 % sind aber kein Drittel!)

- 29 % sind fast ein Drittel; das ist ein Unterschied von 4 Prozentpunkten. Wir sind intellektuell durchaus in der Lage, das auseinanderzuhalten. Das ist mir schon klar.

Wir haben dort die Situation, dass knapp ein Drittel - nicht ganz ein Drittel, 29 %, Herr Borgwardt - der Beschäftigten nach einem Jahr diesen Betrieb verlässt. An dieser Stelle sage ich: Das hat nicht nur mit der Höhe der Löhne zu tun.

Es gibt auch unter den Marktbedingungen, die es im Callcenter-Bereich gibt, Alternativen. Es gibt ein - zugegebenermaßen deutlich kleineres - Callcenter der IG BAU in Magdeburg. Die Löhne dort sind alles andere als ein Ruhmesblatt. Sie sind höher als bei S Direkt in Halle, aber sie sind nicht berauschend.

Dort ist aber zumindest etwas vernünftig organisiert: Die Arbeitnehmervertretung ist vernünftig organisiert, die Arbeitsabläufe sind vernünftig organisiert und das soziale Klima in diesem Betrieb ist vernünftig organisiert. Trotz der relativ niedrigen Löhne gibt es dort faktisch keine Fluktuation. Der überwiegende Teil der Leute bleibt bis zum Eintritt ins Rentenalter dort.

Daran sehen wir, wie substanziell die Dinge bei S Direkt, einem Unternehmen, das Vertretern der öffentlichen Hand gehört, ganz offensichtlich im Argen liegen. Deswegen müssen wir das hier thematisieren. Wir sind ausdrücklich der Meinung: So geht das nicht.

Dann kommt immer das Argument, man befinde sich in einer Konkurrenzsituation. Ja, es gibt eine Konkurrenzsituation, aber - auch das ist wahr - die Konkurrenz von S Direkt sind nicht andere Call

center-Unternehmen, sondern das sind die Sparkassen selbst. Sage und schreibe 70 % der Sparkassen in Deutschland machen keine Verträge mit S Direkt, unter anderen auch die Stadtsparkasse Magdeburg.

(Herr Borgwardt, CDU: Wir auch nicht!)

Es gibt eine kleine Ausnahme, die Notrufsperrnummer, glaube ich.

In diesem Kontext gibt es einen Zusammenhang: Wenn diese Arbeit nicht über einen Vertrag an S Direkt abgegeben wird, dann wird sie in den Sparkassen selbst erledigt.

Schauen wir uns einmal Folgendes an: Bei S Direkt verdienen die Leute in Vollzeit anfangs 1 280 € brutto. Sie können maximal 1 540 € verdienen; aber diese Höhe erreicht so gut wie niemand, weil die Leute nie so lange dort bleiben; sie gehen vorher.

Für die gleiche Tätigkeit wird in den Sparkassen - diese Tätigkeit wird überwiegend dort wahrgenommen - ein Anfangsgehalt von etwas weniger als 2 000 € gezahlt. Es steigt mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit regelmäßig auf ein Gehalt von mehr als 2 500 € brutto. Dieses Einkommen wird nicht zwölfmal, sondern dreizehneinhalbmal im Jahr gezahlt. Das heißt, viele Sparkassen wenden etwa 160 % bis 170 % der Personalkosten von S Direkt auf, um die gleiche Arbeit in der eigenen Struktur zu erledigen. Das ist ein riesiger Einkommensunterschied.

Wir sagen: Wenn die Löhne, wie es die Streikenden jetzt fordern, im Durchschnitt tatsächlich um 10 % bis 15 % erhöht werden, gibt es immer noch einen riesigen Abstand zu den Einkommen, die die Menschen in den Sparkassen haben. Deswegen ist die Situation eben nicht so, dass bei S Direkt die Konkurrenz sofort zuschlägt. Die Einkommensunterschiede sind viel, viel größer.

Es geht vielmehr darum, dass die Gewinne möglicherweise kleiner werden. Deswegen ist die Forderung der Beschäftigten dort völlig berechtigt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich auf ein schwieriges Problem zu sprechen kommen. Wenn wir uns dieses Geschäftsmodell von S Direkt anschauen, dann befinden wir uns als Landespolitiker ebenso wie die Gewerkschaft in einem Dilemma. Das ist auch für uns als Linke ein Dilemma.

Wenn man ehrlich ist, dann muss man zugeben, dass das Geschäftsmodell von S Direkt - ich habe es eben erläutert - ganz einfach ist: Sparkassen, wir bieten euch an, gut bezahlte, sichere Arbeitsplätze abzubauen, und zwar in der gesamten Bundesrepublik, und dafür schaffen wir in Halle billige, nicht gesicherte Arbeitsplätze, auf denen die Leute

dann dieselbe Tätigkeit erledigen, die bisher von den besser bezahlten Leuten in den Sparkassen erledigt worden ist. Das heißt, das Geschäftsmodell von S Direkt ist ganz einfach, nämlich das Angebot, sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze abzubauen und dafür hier prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen.

Dieses Dilemma - das muss man ehrlich sagen - betrifft uns alle; denn das spiegelt die Entstehungsgeschichte der Callcenter-Branche und des unwahrscheinlichen Booms bei uns in SachsenAnhalt wider. Nicht umsonst sind von den 900 Mitarbeitern dieses Callcenters 800 in Halle angesiedelt und nur ganz, ganz wenige noch im Westen. Diese verdienen übrigens mehr Geld. Es ist sozusagen Lohndumping.

Wir müssen uns in unserer Wirtschaftspolitik perspektivisch ganz klar darauf beziehen, diese Strukturen nicht mehr weiter zu fördern. Aber selbst wenn die von Ver.di an S Direkt gerichtete Forderung umgesetzt wird, existiert diese Konkurrenzsituation nicht und die Arbeitsplätze sind deswegen nicht gefährdet, jedenfalls nicht wegen der Lohnforderung von Ver.di, liebe Kolleginnen und Kollegen.