Wenn man die Antwort jedoch weiter liest, muss man leider zur Kenntnis nehmen, dass außer diesem leichten Problembewusstsein wenig bis gar keine Anstrengungen unternommen werden, um dieses hier erkannte Ziel auch umzusetzen.
Es finden sich keine Maßnahmen, gesamtgesellschaftlich diese Aufgabe anzugehen. Und wer, frage ich, ist in diesem Land dafür verantwortlich, in welchem Rahmen sich Gesellschaft entwickeln kann, welche Normen und Werte gesetzt werden? - Das ist doch wohl Aufgabe der Landesregierung. Der hier akzentuierte Standpunkt: „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, ist aus unserer Sicht inakzeptabel.
Symptomatisch hierzu ist die Antwort auf unsere Frage, welche repräsentativen Umfragen, Studien oder Analysen der Landesregierung im Bereich LSBTI vorliegen. Da wird auf eine Studie aus dem Jahr 2000 verwiesen. Ich frage Sie: In welchem anderen gesellschaftlichen Bereich weist man auf Zahlen hin, die aus dem letzten Jahrtausend stammen? - Das ist mehr als rückschrittlich und inakzeptabel.
Aber es kommt noch besser: Weil man keine aktuellen Zahlen hat, sagt die Landesregierung ausdrücklich, sie würde sich laufend in den Medien informieren.
Jetzt frage ich: Welche Medien sind denn das, die hier fortlaufend über die Situation von LSBTI-Menschen insbesondere in Sachsen-Anhalt berichten? - Ich glaube, diesbezüglich ist die Datenlage mehr als dürftig.
Sicherlich - das gebe ich gern zu, das ist ein Fortschritt -: Es gab keine Zeit, in der es den LSBTIMenschen so gut ging, wie es derzeit der Fall ist. Das hat auch etwas damit zu tun, dass seit 2006 das Lebenspartnerschaftsgesetz in Kraft getreten ist - wohlgemerkt vom Bund und wohlgemerkt von Rot-Grün auf den Weg gebracht. Seitdem ist nicht viel passiert. Wir haben die Vorreiterrolle, die wir mit diesem Gesetz in Europa eingenommen haben, lange aufgegeben.
Was viel wichtiger ist: Ein eigenes sachsen-anhaltisches Profil ist im Bereich LSBTI nicht zu erkennen.
Ich kann hierzu einen Blick über die Landesgrenzen empfehlen. Wenn man beispielsweise nach Rheinland-Pfalz, Berlin oder Baden-Württemberg schaut, stellt man fest, dass es dort eigene Landesprogramme und eigene Aktionspläne zur Verbesserung der Situation von LSBTI-Menschen gibt.
Wir haben uns bei der Auswertung in der Fraktion schon gefragt, was in diesen Ländern anders ist. Haben die sich möglicherweise etwas dezidierter mit der Fragestellung auseinandergesetzt? Könnte es sein, dass die Medien dort mehr und anders berichten, sodass die Landesregierungen die Fragestellungen und vor allem ihre Antworten besser formulieren können? - Wir wissen es nicht.
Wenn man aber noch weiter über den Tellerrand nach Europa schaut, kann man eine klare Richtschnur erkennen. Das Europäische Parlament hat bereits 2006 Homophobie klar „als auf Vorurteilen basierende irrationale Furcht vor und Abneigung gegen Homosexualität und Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle“ definiert und stuft diese als „ähnlich wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder Sexismus“ ein.
Diese Entschließung ist verbindlich für alle Mitgliedstaaten, und diese werden dann dezidiert aufgefordert, den Kampf gegen Homophobie, insbesondere in Schulen, Universitäten und Medien zu verstärken. Denn eines ist - nicht nur aus den Medien, sondern eher wenn man mit den Menschen vor Ort spricht - immer wieder festzustellen: Homophobie ist leider alltäglich. Sie findet auf Schulhöfen, in Fußballstadien, in Musikszenen und auch im Wirtschafts- und Arbeitsleben statt. Das hat nicht zuletzt jüngst ein Fall gezeigt, als eine lesbische Erzieherin gegen ihren Arbeitgeber - das war die katholische Kirche - geklagt hat. Genau das zeigt, an welcher Stelle wir in diesem Land stehen und welchen Nachholbedarf wir noch haben.
Diskriminierungen bis hin zum Mobbing aufgrund der sexuellen Identität sind am Arbeitsplatz keine Seltenheit. Rund die Hälfte aller lesbischen und schwulen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trauen sich nicht, ihre sexuelle Identität am Arbeitsplatz bekannt zu geben. Homophobe Gewalt in unterschiedlichster Ausprägung ist immer noch an der Tagesordnung.
Da wir leider - jetzt haben wir es auch schriftlich - keine aktuellen belastbaren Zahlen aus diesem Land haben, haben wir uns die Mühe gemacht, auf eine bundesweite Umfrage des Berliner schwulen Anti-Gewalt-Projekts, Maneo, zurückzugreifen. Diese Zahlen sind aus den Jahren 2007 und 2008. Das ist, glaube ich, noch relativ neu. 35 % der ho
Was Sie in dem Zusammenhang sicherlich auch interessiert: Sachsen-Anhalt liegt diesbezüglich mit 56,7 % auf dem drittletzten Platz. Und - das haben auch Gespräche mit Polizistinnen und Polizisten ergeben -: Die Dunkelziffer ist in diesem Bereich eine wesentliche. Sie liegt bei ungefähr 90 %. Das ist ähnlich dem, was wir im Bereich häusliche Gewalt finden - weil sich die betroffenen Frauen und Männer vor Diskriminierung in den Behörden und in der Öffentlichkeit scheuen und nicht den homophoben Zusammenhang zu Protokoll geben.
Was mich auch sehr erschreckt hat, ist, dass bei homosexuellen Jugendlichen das Suizidrisiko viermal höher ist als bei heterosexuellen Jugendlichen. Ich finde, dass wir daran arbeiten müssen, diese Zahl zu verringern.
Im Übrigen, Herr Thomas, wenn Sie die Fragestellung so interessiert, empfehle ich Ihnen die Bundestagsdrucksache 16/4818 zur Lektüre; dort ist das alles in epischer Breite ausgeführt.
Meine tiefe Überzeugung ist, dass eine demokratische Gesellschaft das Recht durchsetzen muss, dass man überall und zu jeder Zeit anders sein darf. Das ist das Ziel, das wir mit der Großen Anfrage verfolgen.
Dabei geht es eben nicht nur darum, dass man sich auf Gesetze bezieht - die noch dazu vom Bund kommen, die man natürlich zwangsläufig umsetzen muss -; vielmehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir auch hier im Land die Verpflichtung, selbst tätig zu werden. Da müssen wir für Akzeptanz sorgen und dürfen die Gestaltungs
Wenn man der Logik der Landesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage folgt, müssten wir uns auch bezüglich des Straßenverkehrs keine Sorgen mehr machen und uns nicht mehr um diesen kümmern, da die Straßenverkehrsordnung so vielfältig ist und für alle möglichen Fälle, die es gibt, eine Auslegung hat, sodass wir damit keine Probleme mehr hätten und uns nicht mehr damit beschäftigen müssten. Also - um die Analogie fortzuführen -: Ich sehe hier großen Handlungsbedarf.
Es gibt aber auch einen Bereich, bezüglich dessen ich der Landesregierung ausdrücklich zustimmen möchte, nämlich wenn sie auf unsere Frage, welche wesentlichen Ursachen sie dafür sieht, dass nichtheterosexuelle Lebensweisen von Teilen der Gesellschaft immer noch nicht als Alternative angesehen werden, antwortet: „Deshalb müssen zur weiteren Verbesserung der Akzeptanz alle gesellschaftlichen Bereiche ihren Beitrag leisten.“
Das ist richtig. Akzeptanz kann nicht verordnet werden. Aber für Akzeptanz muss geworben werden. Für Akzeptanz muss immer wieder gestritten werden - positiv. Dann kommt sie in den Herzen und in den Köpfen an und dann kann sie wirken.
Das ist etwas, was ich auch von der Landesregierung im Rahmen der Gesetzgebung erwarte. Sie muss Akzeptanz befördern und Diskriminierung abbauen.
Ein weiterer Punkt in der Großen Anfrage - das ist, ehrlich gesagt, auch etwas, bei dem mir ein wenig schleierhaft ist, warum wir an dieser Stelle nicht weiterkommen - ist: Wenn wir Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts anschauen, stellen wir fest, dass es in der Rechtsprechung und auch in den Kommentaren mittlerweile einhellige Auffassung ist, dass der Allgemeine Gleichheitsgrundsatz, wie er in Artikel 3 des Grundgesetzes formuliert ist - und inhaltsgleich in Artikel 7 unserer Landesverfassung -, sexuelle Identität umfasst. Deswegen frage ich mich: Warum sträuben Sie sich so vehement, das dann auch so dezidiert in unsere Landesverfassung hineinzuschreiben? - Das kann ich nicht verstehen.
Eine Verfassung ist doch nicht nur das Aneinanderreihen von Normen. Eine Verfassung zeigt, welche Werte in diesem Land gelten, wofür wir streiten wollen, was die Grundlage unseres gesellschaftlichen Miteinanders ist. Eine Verfassung ist
Grundlage für andere Gesetzgebungen und für andere Rechtsprechungen. Ich finde, es ist überfällig, hier deutlich zu machen, dass wir auch an dieser Stelle ein Land von Toleranz und Weltoffenheit sind - wenn wir es denn tatsächlich sind.
Dass wir keine Daten haben, also auch keine Erkenntnisse generieren können, und dass wir deswegen keine Erkenntnisdefizite haben, lesen wir an vielen Stellen in der Antwort auf die Große Anfrage. Dafür kann ich gar nicht alle Beispiele aufnehmen.
Etwas Konkretes finden wir im Bildungsbereich. Da erfahren wir nämlich, dass pro Jahr ungefähr eine Fortbildungsveranstaltung im Bereich LSBTI stattfindet.
Nun ja, kann man sagen, es ist prima, dass Sie das Thema aufnehmen. Man kann aber auch sagen: Gucken Sie sich die Anzahl der Lehrerinnen und Lehrer und der Erzieherinnen und Erzieher in diesem Land an. Ist das ausreichend und ist es vielleicht möglich, einmal zwei oder drei Termine anzubieten, damit die, die wollen, auch teilnehmen können?
Wenn ich jetzt noch einmal daran erinnere, dass die Suizidgefahr bei den homosexuellen Jugendlichen viermal höher ist, finde ich, dass wir die Jugendlichen an dieser Stelle nicht allein lassen dürfen.