Herr Kollege, es gibt eine weitere Frage, nämlich von der Abgeordneten Tiedge. Möchten Sie sie beantworten?
Herr Kollege Erben, wie wollen Sie gewährleisten, dass die Gelder, die an die V-Leute gezahlt werden - wir haben gehört, um welche Summen es sich handelt; das ist nicht wenig -, eben nicht in rechtsextremistische Strukturen gesteckt werden, um zum Beispiel die NPD oder andere rechtsextremistische Parteien am Leben zu erhalten? Wollen Sie einen Sperrvermerk ausbringen oder die Auszahlung mit einer Zweckbindung versehen? Oder wie wollen Sie das gewährleisten?
Vor allem möchte ich erst einmal, dass es überhaupt eine gesetzliche Regelung in Deutschland dafür gibt. Bisher ist die Entscheidung über die Frage „Wer bekommt Geld wofür?“ der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers völlig entzogen gewesen.
Dazu gehört auch die grundsätzliche Entscheidung darüber, dass Gelder, die an V-Leute fließen, nicht dafür verwandt werden dürfen, dass anschließend die Partei, die Organisation aufgepäppelt wird. Dazu wird auch gehören, dass Sie den gesamten Betrag deckeln müssen. Es darf nicht sein, dass eine einzelne Person 200 000 DM dafür bekommt.
Danke, Herr Kollege Erben. - Wir fahren in der Debatte fort. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Abgeordnete von Angern.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Kernpunkt der heutigen Aktuellen Debatte ist laut Überschrift der Umgang der hiesigen Verfassungsschutzbehörde mit von ihr gesammelten Informationen, die einen Bezug zum Nationalsozialistischen Untergrund haben.
Es ist gut und richtig, dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieses Thema aufgegriffen hat, doch nun greift diese thematische Eingrenzung meines Erachtens zu kurz. Zwischenzeitlich geht die gesellschaftliche, die öffentliche Debatte auch in Sachsen-Anhalt weit darüber hinaus.
Es geht um die Frage, welchen Auftrag Verfassungsschutzbehörden in der Demokratie haben und wie sie ihm gerecht geworden sind - oder eben auch nicht. Letztlich stellt nicht nur DIE LINKE in Deutschland die Frage, ob unsere Gesellschaft, unsere Demokratie überhaupt eine Verfassungsschutzbehörde benötigt.
Dieses Infragestellen liegt nicht etwa daran, dass wir als LINKE für unsere Position eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit gemacht hätten. Nein, es liegt daran, dass die Behörden, dass letztlich der demokratische Staat versagt hat in der Erledigung seiner Aufgabe, Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger vor braunem Terror zu schützen.
Es geht um die Alternativen, ob die Dienste nichts wussten, ob sie ihr Wissen wegen verantwortungsloser Schlampereien nicht nutzen konnten oder aus anderen Gründen bewusst nicht nutzen wollten. Es geht damit auch um von der Verfassungsschutzbehörde geführte V-Leute, um deren Auswahl, deren Finanzierung und damit möglicherweise auch um die Finanzierung rechtsextremer Strukturen.
Es geht klar auch um das Infragestellen des von Geheimdiensten gelebten Grundsatzes „Quellenschutz vor Strafverfolgung“; denn dieser Grundsatz - das haben die letzten Jahre gezeigt - gefährdet Menschenleben.
Die Parlamente haben in dieser Krise unserer Demokratie eine besondere Verantwortung. Die Lage ist zwischenzeitlich so ernst, dass nur noch durch die uneingeschränkte, die schonungslose und entschlossene Aufklärung durch die Parlamente auf Landes- und Bundesebene versucht werden kann, Vertrauen wiederherzustellen.
rückhaltlos aufklären, um etwa als Gesetzgeber oder als Inhaber der Budgethoheit oder eben als Kontrolleure der Landesregierung unserer höchst eigenen Verantwortung gerecht zu werden.
Das sieht nicht jeder so. Für einige stellen die Anstrengungen von Abgeordneten, Licht in dieses diffuse Agieren der Sicherheitsbehörden zu bringen, die eigentliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Parlamentarische Kontrolle gefährde die Sicherheit des Staates. - Der Kalte Krieg lässt grüßen.
Lassen Sie mich zu diesem Vorhalt konkreter werden. Ein Kommentar in der „Volksstimme“ vom 18. September 2012 lautet - ich zitiere -:
„Mehr und mehr nutzen einige der zur Verschwiegenheit verpflichteten Parlamentarier den Berliner NSU-Untersuchungsausschuss, um daraus rasch politisch Kapital zu schlagen.“
„Mit zu konkreten Hinweisen gefährden Ausschussmitglieder das Leben von Menschen und die Arbeit des Verfassungsschutzes nachhaltig, ohne höhere Ziele im Blick zu haben. Und insbesondere die LINKE, die eine breitere parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste fordert, liefert Argumente dafür, dass eben dies mit großen Risiken verbunden ist.“
Nach der Logik dieses Kommentators müssten die LINKEN nur ihre Mitwirkung an den Kontrollgremien des Bundes und Sachsen-Anhalts einstellen, müssten Kontrollkommissionen und Untersuchungsausschüsse vielleicht ganz abgeschafft werden und alles wäre gut - eine fragwürdige Logik.
In Bezug auf den konkreten Vorhalt der „Volksstimme“ hat mein Fraktionsvorsitzender gegenüber den Medien und hat auch Kollegin Pau das Erforderliche gesagt. Wer die Pressemitteilung von Herrn Gallert und mir liest, der vermag die Schlüsse nicht zu ziehen, die die „Volksstimme“ daraus zog. Weder in der Pressemitteilung vom 14. September 2012 noch in einer Pressemitteilung von Frau Pau wird ein Klar- oder Deckname eines V-Mannes genannt.
Was ist also das eigentliche Problem? - Das Problem ist, dass die Verfassungsschutzbehörden des Landes und des Bundes nicht willens oder nicht in der Lage sind, die für sie politisch verantwortlichen parlamentarischen Gremien umfassend aufzuklären.
Was ist die Folge dieser selektiven Information der Gremien? - Politiker wie Journalisten recherchieren selbst, um die öffentlichen Äußerungen der zuständigen Innenminister zu überprüfen. Beide machen ihren Job und werden fündig. Mich hat immer wieder negativ beeindruckt, wie viel ich von Journalisten von diesen Dingen erfahren konnte, Dingen, die ich in der PKK nicht erfahren habe.
Herr Minister, weder kann so Vertrauen entstehen, noch die Sicherheit von V-Leuten gewährleistet werden. Wer das nicht erkennt, der muss scheitern.
Ich habe interessiert das Interview des Innenministers in der „Volksstimme“ zum Neuanfang im Verfassungsschutz und auch zum Neuanfang in der Zusammenarbeit mit dem Parlament gelesen. Die Worte, die wir heute hörten, diese Botschaften sind wichtig. Die den Worten folgenden Taten sind aus meiner Sicht wichtiger. Ja, wir müssen die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes verbessern.
Doch was führte nun eigentlich zu dieser öffentlichen - ich sage ganz deutlich: aus der Sicht der LINKEN ganz dringenden - Debatte? - Im November 2011 wurde mit dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und der Festnahme von Beate Zschäpe die Existenz einer Naziterrorgruppe in der Bundesrepublik bekannt, deren Ausmaß im Handeln für viele Menschen zunächst unwirklich erschien.
Doch noch unwirklicher war die Erkenntnis, dass diese drei Nazis innerhalb von 13 Jahren aus dem Untergrund heraus neun rassistisch motivierte Morde verübten und eine Polizistin töteten, ohne entdeckt zu werden, ohne den rassistischen Hintergrund bzw. die Täterschaft von Nazis anzuerkennen und ohne dass jene, die die rechtsextreme Szene mit so viel Aufwand, so viel Personal, so viel Geld beobachteten, wahrnahmen, was da direkt unter ihren Augen geschah, bzw. haben sie es wahrgenommen, aber nicht verhindert und nicht beendet. Stattdessen wurden die Täter von Medien, Polizei, Behörden und eben auch von der Politik reflexartig und in der Bedienung gängiger Stigmen und Ressentiments im sogenannten migrantischen Milieu, gar in Mafiastrukturen vermutet.
Es stellt sich die Frage, ob der Abgrund, der sich hier auftat und immer noch auftut, nicht noch größer war und wahrscheinlich auch ist. Genau diese Frage nach den Dimensionen des Abgrundes und des Versagens, nach den Ursachen und den Konsequenzen zu stellen, ist unsere Aufgabe als Abgeordnete. Wir sind die letzte Auffanglinie in dieser Vertrauenskrise. Scheitern wir - Exekutive wie Parlament -, stürzt das Vertrauen der Menschen und
Denn trotz der flächendeckenden Durchsetzung der Nazi-Szene mit V-Leuten wollen die Behörden in Bund und Ländern von all dem nichts oder nur wenig gewusst haben.
Noch am letzten Dienstag, also vor gerade mal zehn Tagen hatten Sie, Herr Innenminister, auf eine entsprechende Frage im Brustton der Überzeugung geantwortet, dass nach Sachsen-Anhalt keine Spur des NSU-Trios führt. Schon 24 Stunden später sah das anders aus.
So fand auch die hiesige Verfassungsschutzbehörde ganz plötzlich auf Anfrage der Opposition eine Akte, die einen direkten Kontakt zweier Sachsen-Anhalter zu Uwe Mundlos herstellte.
So belanglos deren Inhalt auch zwischenzeitlich dargestellt wird, führte das dennoch - zumindest für die Öffentlichkeit so dargestellt - zum Rücktritt des nunmehr vierten Chefs einer Verfassungsschutzbehörde. Ich begrüße diesen Rücktritt ausdrücklich, weil er den Weg für eine schonungslose interne Aufklärung und für einen Neuanfang frei gemacht hat.
Nun müssen sich nicht nur die Sicherheitsbehörden im Bund und in anderen Ländern, sondern auch die hiesige Behörde und der Innenminister als Verantwortlicher an der Spitze dieser Behörde im Umgang mit dem brisanten Thema „NSU“ die Frage gefallen lassen: Wurde bei uns wirklich alles zur Aufklärung getan?
Unsere Antwort auf diese brisante Frage lautet an dieser Stelle und nach heutigen Erkenntnissen eindeutig: Nein, wir wissen das alles nicht und wir können kein Vertrauen in die uns übermittelten Informationen haben.
Es ist ein erster Schritt, wenn der Innenminister, wie in der „Volksstimme“ am 19. September 2012 geschehen, erhebliche Fehler auch in SachsenAnhalt einräumt. Aus seiner Sicht liegen diese Fehler insbesondere im Umgang mit der PKK und dem Parlament, in der Intransparenz der Verfassungsschutzbehörde, in deren personeller Aufstellung, deren Aktenordnung und der fehlenden Kommunikation mit anderen Geheimdiensten. Wir konnten es heute wieder hören.
Doch sind das tatsächlich d i e Probleme, die zum vorliegenden Scherbenhaufen führten? Geht es nicht vielmehr darum, zu den eigentlichen Ursachen des komplexen Versagens der Sicherheitsbehörden vorzudringen, zu den Strukturen und - ja, Herr Erben - zu den Mentalitäten, die dieses Versagen begünstigten?