Protocol of the Session on September 21, 2012

Frau Professor, ich würde Ihnen gern etwas Ruhe verschaffen, wenn Sie einverstanden sind.

(Zustimmung von Herrn Erdmenger, GRÜNE)

Herzlichen Dank. - Die parlamentarische Geschichte dieses Antrags beginnt am 24. November 2011 in einer Ausschusssitzung, in der wir den Doppelhaushalt 2012/2013 beraten haben. In diesem Doppelhaushalt finden wir für das Jahr 2013 eine Finanzposition über 206 000 € für die „Nationale Kohorte“. Es ist das erste Mal, dass wir mit diesem Forschungsvorhaben hier im Land konfrontiert wurden.

Wir haben nachgefragt und haben erfahren, dass es sich um ein Forschungsvorhaben handelt, das - so war damals die Auskunft - über zehn Jahre gehen soll. Auf unsere Nachfrage, wie hoch die Kosten dafür sind, bekamen wir die Antwort, das würden über zehn Jahre jeweils 206 000 € sein. So die Auskunft der Mitarbeiterin des Ministeriums für Wissenschaft und Wirtschaft. Inhaltlich haben wir keine Auskunft über die „Nationale Kohorte“ bekommen. Wir haben eine inhaltliche Auskunft eingefordert.

Ich habe schon zu diesem Zeitpunkt durchaus Sympathien für die „Nationale Kohorte“ erkennen lassen. Ich halte es für durchaus sinnvoll, sich sehr langfristig Fragen von Krankheitsrisiken und Faktoren der Gesundheitserhaltung zu widmen. Aber ich würde dann schon gern im zuständigen Ausschuss über ein solches Forschungsvorhaben informiert werden.

Der damals anwesende Staatssekretär - die Ministerin war verhindert - sagte uns zu, dass er den Ausschuss für Arbeit und Soziales über das Forschungsvorhaben unterrichten würde, weil es auch um ein gesundheitspolitisches Thema geht.

Das Nächste, was wir von der „Nationalen Kohorte“ erfahren, ist ein Schreiben am 28. August 2012 von der Staatskanzlei, die uns darauf hinweist, dass der Landtag, wenn er noch eine Meinungsäußerung zu diesem Bund-Länder-Vertrag abgeben möchte, bevor der Vertrag von der Landesregierung unterzeichnet wird, dies bis zum 17. September 2012 tun möge. - Es wird Ihnen unschwer auffallen, dass der Termin 17. September 2012 drei Tage vor der Landtagssitzung war.

Dann haben wir zurückgeschaut und haben festgestellt: Auch im Ausschuss für Arbeit und Soziales wurde nicht wie zugesagt über die „Nationale Kohorte“ debattiert. Es hat also in keinem der beiden möglichen Ausschüsse - weder im Ausschuss für Wissenschaft und Wirtschaft, bei dem die „Nationale Kohorte“ finanziell angesiedelt ist, noch im Ausschuss für Arbeit und Soziales, in dem es we

gen des Gesundheitsthemas auch verhandelt werden könnte - eine Auseinandersetzung mit diesem Forschungsvorhaben stattgefunden. Das, Frau Ministerin, halte ich für einen respektlosen Umgang mit dem Parlament.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wenn wir uns mehr als zehn Jahre lang binden - - In Wahrheit sind es 20 bis 30 Jahre, denn der Bund-Länder-Vertrag geht über zehn Jahre, das Forschungsvorhaben ist auf 20 bis 30 Jahre angelegt; das heißt, wir unterzeichnen jetzt etwas für zehn Jahre, legen uns fest, und dann folgt eine Nachverhandlung für die nächsten zehn oder 20 Jahre -, dann ist es, finde ich, Aufgabe des Parlaments, sich in den dafür zuständigen Ausschüssen mit einem solchen Forschungsvorhaben auseinanderzusetzen und die Landesregierung aus der Sicht des Parlaments zu beraten, ob es das auch befürwortet.

Diese von mir empfundene Respektlosigkeit hat mich dann zu diesem Antrag veranlasst.

Wenn man sich nun diese „Nationale Kohorte“ inhaltlich anschaut: Wie gesagt, grundsätzlich ist es sinnvoll, sich über lange Zeiträume - zehn, 20, 30 Jahre - die Entwicklung von Krankheiten, die Entwicklung der Aufrechterhaltung der Gesundheit anzuschauen. Aber was kann die Aufgabe des Parlaments dabei sein?

Die Aufgabe des Parlaments kann dabei nicht sein - das möchte ich auch ausdrücklich sagen -, die wissenschaftliche Qualität eines solchen Forschungsvorhabens zu untersuchen. Dafür gibt es Systeme in der Wissenschaft wie das sogenannte Peer-Reviewing-Verfahren, das die Frage prüft: Ist das vernünftig geplant, wird das sauber gemacht? - Das kann nicht die Aufgabe des Parlaments sein. Da kann man allenfalls hinschauen, um zu sehen, ob ein solches Peer-Reviewing-Verfahren stattgefunden hat. Es hat stattgefunden.

Aber es kann die Aufgabe des Parlaments sein; dazu fallen mir gleich zwei Aufgaben ein. Die eine Aufgabe ist die, von der zuständigen Ministerin zu erfahren, wie die „Nationale Kohorte“ oder jedes andere größere Forschungsvorhaben oder Forschungsinstitut sich in die Forschungslandschaft und in die Ziele der Wissenschaftspolitik hier im Land einfügt, also was sich für ein Gesamtbild ergibt: Ist das homogen, ist das stimmig, wo wollen wir da hin?

Darüber kann man ja debattieren. Vielleicht ist das alles auch ganz toll. Ich will gar nicht sagen, dass das an dieser Stelle schlecht ist. Aber ich denke, es ist die Aufgabe des Parlaments, danach zu fragen und das Thema dann in den Ausschüssen zu debattieren.

Das andere, was man natürlich fragen kann, ist: Passt denn das, was die Wissenschaftler dort aus

sicherlich wohl begründeten wissenschaftlichen Interessen untersuchen wollen, in unsere Vorstellungen über Gesundheit und Krankheit? Anders gefragt: Was ist denn der politische Ertrag eines solchen Forschungsvorhabens?

Es ist, finde ich, auch eine Aufgabe des Parlaments, wenn es um langfristige Forschungsvorhaben geht, die steuerfinanziert werden, zu schauen: Was kann denn für uns der politische Ertrag sein, also was bekommen wir da an die Hand, um am Ende politische Entscheidungen treffen zu können, um das Thema „Gesundheit und Krankheit“ nach vorn zu bringen?

Wie gesagt, wir sind bisher von der Landesregierung nicht inhaltlich über dieses Projekt unterrichtet worden. Aber natürlich gibt es die eine oder andere Quelle, wo man sich informieren kann. Wenn man das dann tut, ist die Frage: Was erfährt man denn da?

Zum Beispiel aus einer Anfrage an die Bundesregierung von der GRÜNEN-Fraktion erfahren wir vor allen Dingen, dass sehr viel Geld bei der „Nationalen Kohorte“ in die Anschaffung von Großgeräten geht, also für MRTs. Da stellt sich für uns die Frage: Bleibt denn dann genug Geld übrig, um andere, weniger biologische, weniger individuelle Faktoren von Gesundheit und Krankheit zu untersuchen?

Aus der „Mitteldeutschen Zeitung“ erfahren wir in einem Bericht über die „Nationale Kohorte“, dass den genetischen Markern ein sehr starkes Augenmerk gewidmet werden soll.

Kurz und gut: Wenn wir das alles zusammen betrachten, haben wir den Eindruck, dass ein starker Fokus auf biologische, individuelle Krankheitsfaktoren gelegt wird. Wenn ich das mit den Debatten abgleiche, die wir im Land und hier im Parlament zu den Gesundheitszielen, zu der Frage der seelischen Gesundheit als ein Gesundheitsziel in Sachsen-Anhalt geführt haben, dann habe ich den Eindruck, dass wir diesbezüglich doch etwas weiter sind, als dass wir bei solch einem engen biologischen Krankheitsbegriff verharren würden.

Was für unser Land als Thema ganz zentral ist, ist die Frage des Zusammenhangs von Armut und Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und Gesundheit und Krankheit auf der anderen Seite. Wenn man sich einmal ein paar Zahlen ansieht, um zu untermauern, wie zentral diese Frage ist, dann kann man feststellen, dass zum Beispiel die Lebenserwartung in der Gesamtbevölkerung steigt, aber bei Geringverdienern sinkt sie.

Wir haben hier im Parlament - auch gestern - schon sehr ausführlich über Armut im Land Sachsen-Anhalt gesprochen. Das ist für uns ein relevantes Thema, wenn die Lebenserwartung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit einem geringen Einkommen im Jahr 2001 noch bei

77,5 Jahren lag und im Jahr 2010 um genau zwei Jahre auf 75,5 Jahre gesunken ist. Der Rückgang in den neuen Bundesländern insgesamt ist noch drastischer: von 77,9 auf 74,1 Jahre - also ein Trend bei den armen Menschen, bei den Geringverdienern gegen den Trend bei der Bevölkerung insgesamt.

Noch eine Zahl: Die Lebenserwartung einer Frau aus der Armutsrisikogruppe liegt rund acht Jahre unter der Lebenserwartung einer Frau aus einer hohen Einkommensgruppe. Bei Männern - hier im Plenum sitzen ja viele Männer - beträgt der Unterschied elf Jahre.

Dann ist es natürlich eine Forschungsfrage: Was sind die vermittelnden Faktoren? Sind das Verhaltensfaktoren, also mit Armut assoziierte Verhaltensweisen, die dazu führen, dass man früher stirbt? Sind es die Lebensbedingungen, unter denen arme Menschen leben müssen, die zu diesem Sterberisiko führen? Und anderes mehr.

Das sind Fragen, die für unser Land drängend sind, und deswegen interessiert es mich, wie das in der „Nationale Kohorte“ ist. Also, wie ist das Augenmerk auf solche Faktoren der Lebensbedingungen von Menschen zur Erklärung von Gesundheit und Krankheit?

Wir haben uns gerade in diesem Jahr darauf geeinigt, dass aus unserer Sicht auch psychische Gesundheit ein Gesundheitsziel in Sachsen-Anhalt ist. Das ist auch gut so. Wenn wir sehen, dass sich bei psychischen Erkrankungen die Anzahl der Krankschreibungen in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt hat, also von 6,6 % auf 13,1 %, dann wissen wir, dass es gut ist, dass wir uns ein solches Gesundheitsziel gegeben haben. Dabei stellt sich mir wiederum die Frage: Wird so etwas mit der „Nationalen Kohorte“ auch in den Blick genommen? - Unsere Befürchtung ist, dass ein sehr verengter biologischer, auf das Individuum konzentrierter Krankheitsbegriff im Mittelpunkt steht.

Heute ist es eigentlich State of the Art, dass man biopsychosoziale Modelle betrachtet. Vor allem ist es auch zentral, dass man nicht nur die Vermeidung von Krankheit untersucht, sondern auch die Aufrechterhaltung von Gesundheit. Denn nicht alles, was hilft, Krankheit zu vermeiden, erhält auch die Gesundheit aufrecht.

Insofern gibt es viele Fragen, die wir an ein solches Design haben. Ich würde mich freuen, wenn sich dann, wenn ich Informationen bekomme, herausstellen würde, dass viele der Befürchtungen vielleicht gar nicht eintreffen. Aber ich denke, der Respekt vor dem Parlament verlangt, dass man solche Forschungsprojekte in den zuständigen Ausschüssen beraten kann, diese Fragen stellen kann, darüber informiert wird, sich daraufhin eine Meinung bilden kann und damit die Landesregierung berät. Das ist unsere Aufgabe.

Ich denke, wir haben auch die Zeit dazu. Der Bund-Länder-Vertrag soll am 1. Januar 2013 in Kraft treten. Der Ausschuss für Wissenschaft und Wirtschaft, der federführend beraten soll, tagt am 4. Oktober, der Ausschuss für Arbeit und Soziales am 10. Oktober, und es haben unseres Wissens noch nicht alle Länder unterschrieben.

Wir haben also die Zeit, uns, ohne ein solches Projekt zu torpedieren, in aller Ruhe in den Ausschüssen informieren zu lassen, zu beraten und dann die Landesregierung mit einem Statement zu versehen. Das verstehe ich unter vernünftiger parlamentarischer Arbeit. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Professor Dalbert. - Für die Landesregierung spricht die Ministerin Frau Professor Wolff. Bitte schön.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Respektlosigkeit vor dem Parlament liegt mir fern, liebe Frau Dalbert, und das wissen Sie eigentlich auch.

Lassen Sie mich zu dem aktuellen Antrag Folgendes sagen:

Erstens. Sie kritisieren, nicht hinreichend einbezogen worden zu sein. Diese Kritik ist aus meiner Sicht unbegründet. Die Beschlussfassung der GWK hat sich aufgrund zäher Diskussionen um die Aufteilung der Finanzen hingezogen - Stichwort „Modifizierter Königsteiner Schlüssel“ -, weil Thüringen, Hessen und Rheinland-Pfalz nicht teilnehmen. Einen neuen Sachstand in der GWK gab es deshalb erst mit der Erhebung über die Finanzierungsanteile im Juni.

Nach der Beschlussfassung in der GWK am 29. Juni 2012 hat sich das Kabinett am 28. August 2012 mit der Verwaltungsvereinbarung befasst und sie unmittelbar danach dem Landtag gemäß Abschnitt III der Landesinformationsvereinbarung zugeleitet.

Ebenfalls vereinbarungskonform haben wir informiert, dass eine Stellungnahme des Landtags bis zum 17. September 2012 berücksichtigt werden könne. Auch der Bitte der Fraktion der GRÜNEN, diese Frist bis nach der Plenarsitzung zu verlängern, hat die Landesregierung entsprochen.

Im Rahmen dieses Verfahrens sind Ihnen unter anderem folgende Informationen übermittelt worden:

Ziel aller Länder ist es, die Verwaltungsvereinbarung bis Ende September zu unterzeichnen. Das Finanzvolumen beträgt insgesamt 210 Millio

nen € bei einer Laufzeit von zehn Jahren. Sachsen-Anhalt wird ca. 1,35 Millionen € des Länderanteils finanzieren. Das sind 135 000 € im Jahr.

Die Landesregierung erwartet von der Studie und den mit ihr gewonnenen Daten belastbare Aussagen über die Ursachen von Volkskrankheiten im Zusammenspiel von genetischer Veranlagung, Lebensgewohnheiten und umweltbedingten Faktoren.

Die Beteiligung der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg an der „Nationalen Kohorte“ hat erhebliche Bedeutung für die Forschungsstrategie der Fakultät. Dort haben sich alle sehr über die Möglichkeit der Beteiligung gefreut.

Neben der Stärkung der epidemiologischen Forschung wird ein direkter Zugang zu probanden- und patientenbezogenen Forschungsmethoden, Instrumenten und Daten ermöglicht, die für eine weitergehende Forschungsprofilierung genutzt werden können. Der Zugang zu den Daten soll künftig allen Wissenschaftlern des biomedizinischen Bereichs nach einem fairen Verfahren ermöglicht werden.

Die nationale Kohorte steht damit nicht nur den an der Rekrutierung beteiligten Zentren und der Epidemiologie zur Verfügung. Sie ist vielmehr gerade für Einrichtungen der transnationalen, das heißt der auf Anwendung bedachten Grundlagenforschung und der an der Frühdiagnostik und Prävention interessierten klinischen Forschung von besonderem Interesse.

Diese Informationen finden sich, wie gesagt, allesamt in der Vorlage, die dem Landtag zugeleitet worden ist. Sie beantwortet die Frage 2.

Zweitens. Punkt 4 Ihres Antrags fußt auf der Annahme, dass das Forschungsvorhaben primär naturwissenschaftlich-biomedizinische Fragestellungen verfolge und die sozialen und psychischen Entstehungsgründe und Bedingungen von Krankheit und Gesundheit ausblende, weshalb Sie in den Punkten 5 und 6 eine Überarbeitung des Forschungsdesigns fordern.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist doch ansonsten zumeist für die Freiheit der Wissenschaft. So haben Sie eben auch argumentiert. In Ihrem Antrag fordern Sie aber nun, die Politik solle sich in das Forschungsdesign der nationalen Studie einmischen mit dem Ziel, einen stärkeren Fokus auf bestimmte Aspekte von Krankheit zu legen.