Protocol of the Session on May 13, 2011

Das Zweite, das ich sagen will: Herr Gallert hat die Interpretationsunterschiede des Koalitionsvertrages damit begründet, dass es einen entscheidenden Satz gibt. Diese Aussage ist falsch. Ich möchte aus dem Koalitionsvertrag zitieren:

„Um dem starken Wachstum des Güter- und Personenverkehrs gerecht zu werden, sind alle Verkehrsträger bedarfsgerecht zu sichern und gegebenenfalls auszubauen. Dabei sind verstärkte Anstrengungen zur Verlagerung von der Straße auf die Schiene und die Wasserstraßen zu unternehmen.“

Auf der nächsten Seite, Seite 56, steht dann:

„Die landesbedeutsamen Häfen“

- also auch Halle -

„sollen in ihrer Funktion als trimodale Schnittstellen für die Hinterlandanbindung an Nord- und Ostsee gestärkt werden.“

Da bekanntlich am Hafen Halle keine Flugzeuge landen können, sind hier unter trimodaler Schnittstelle mehrere Verkehrsträger unter Einschluss der Wasserstraße zu verstehen. Ich darf für meine Fraktion noch einmal erklären, dass der Koalitionsvertrag auch an diesen Stellen für uns gilt.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Schröder. - Jetzt hat für die Fraktion DIE LINKE Herr Dr. Köck das Wort. Bitte schön.

Meine Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, dass ich zu dieser Problematik spreche. Ich muss eigentlich beklagen, dass nie richtig hingehört wird. Vielleicht schaffen wir das heute.

Ich möchte zum Einstieg meine Frage an den Finanzminister, an den Verkehrsminister und an die Wirtschaftsministerin richten: Wären Sie bereit, Mittel in Höhe von 100 Millionen € aus dem Landeshaushalt zu nehmen und den Saalekanal zu bauen, wenn sich der Bund aus der Finanzierung verabschieden würde?

(Minister Herrn Bullerjahn: Nein!)

- Nein. - Die Begründung, die bisher immer in Richtung Berlin geschickt wurde, lautet doch, dass es für die Wirtschaft unerlässlich sei. Wenn es denn derart unerlässlich wäre, dann müssten wir darüber nachdenken, wie und woher wir die 100 Millionen € bekommen, um dieses Infrastrukturprojekt aus eigenen Mitteln zu stemmen.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Völlig logisch!)

Der von Herrn Raumsauer vorgeschlagene Paradigmenwechsel läuft doch darauf hinaus, dass es in der Binnenschifffahrt ebenso aussehen wird wie bei der Bahn. Wir haben also Bundeswasserstraßen höchster Kategorie und dann haben wir letztlich Wasserstraßen, die, wenn das Land möchte, dass dort Schifffahrt stattfindet, in Eigenregie unterhalten werden müssen.

Übrigens hat Herr Minister Daehre noch in seinen letzten Tagen

(Zurufe)

als Minister in einem Brief an Frau Merkel zu dieser Thematik genau diesen Gedanken aufgegriffen und hat deutlich gemacht, dass das Nebenwasserstraßennetz Zubringerfunktion für die Hauptwasserstraßen hat. Das ist offensichtlich eine Erkenntnis, die er als Verkehrsminister zu Zeiten gewon

nen hat, als die Nebenlinien im Bahnverkehr in Sachsen-Anhalt abbestellt worden waren.

Das heißt, das Herangehen von Herrn Raumsauer lehne ich auch ab. Es ist - ich möchte es jetzt einmal von der sportlichen Seite her nehmen - nicht fair, Leistungen von Sportlern zu vergleichen, die unterschiedliche Ausgangsbedingungen haben. Beim Boxen werden die Gewichtsklassen in Abständen von 1,5 kg Körpermasse festgelegt und in der Frage der Wasserstraßen werden Rhein und Donau mit Saale und Elbe auf einer Leistungsbasis verglichen. Die Ausgangsbedingungen, die hydrologischen Bedingungen sind völlig anders. Das haben wir hier schon x-mal geklärt, ich möchte das also nicht weiter vertiefen.

Aber dieses Herangehen seitens des Bundesverkehrsministeriums hat alte Gräben aufgerissen. Und - man höre und staune - Frau Undine Kurth hat sich Herrn Webel an die Seite gestellt, weil sie der Meinung ist, es sei nicht schicklich, den Mittellandkanal mit dem Saale-Seitenkanal in einen Topf zu werfen. Damit hat sie völlig Recht.

Übrigens: So schnell wird es mit der Aufhebung des Charakters der Bundeswasserstraße Saale nichts. Denn wer sich das Bundeswasserstraßengesetz einmal zu Gemüte zieht, der sieht, dass dieses ein Planfeststellungsverfahren auch für die Aufhebung einer Bundeswasserstraße vorsieht.

Das kann schließlich auch 20 Jahre in Anspruch nehmen. Die Besonderheiten der Saale bedürfen auch einer besonderen Betrachtungsweise.

Herr Thomas hat vor Kurzem gefordert, doch endlich dieses 80 Jahre alte Projekt abzuschließen. Ein 80 Jahre altes Projekt, das heißt, es ist eine 80 Jahre alte Technologie. Vor 80 Jahren hatten wir keine Handys, hatten wir keinen Fernseher und waren noch nicht auf dem Mond. Das heißt also, dass wir die Saale jetzt für einen Schiffstyp ausbauen wollen, der vor 80 Jahren hochmodern war. Nun haben die Schiffe die positive Seite, dass sie 60 Jahre, 70 Jahre alt werden. Das heißt, es ist nicht zu erwarten, dass die Schiffe in den nächsten 30 Jahren aussterben.

Aber ich habe mit mehreren Kapitänen von Binnenschiffen, mit Partikulieren, in Sachsen-Anhalt gesprochen. Sie fragen nicht nach der Volkswirtschaftlichkeit, also dem Kostenfaktor der Investition. Sie fragen, ob sie mit ihrer Ladung in die schwarzen Zahlen fahren; das ist für sie entscheidend. Die große Sorge besteht ja darin: Es wird ein Saale-Seitenkanal gebaut und trotzdem fährt kein Schiff. Das ist auch der Ausgangspunkt von Professor Zabel.

Es gibt das Gutachten von Petschow aus dem Jahr 2008. Es enthält die gleiche Aussage über die Betriebskostenanalyse der Binnenschiffer: Sie fahren einfach nicht, weil sie 800 t Ladung haben müssen, um in die schwarzen Zahlen zu fahren.

Mit Blick darauf ist es eben wichtig, dass die Saale zwar jetzt schon eine Abladetiefe von 2,50 m hat, dass aber die Elbe den Standard haben soll, der eine ganzjährige Abladetiefe von mindestens 1,60 m und eine Abladetiefe von mehr als 1,60 m an 150 Tagen im Jahr garantieren soll. Das heißt also - das wird immer bestritten -, in der Hälfte der Zeit können die Schiffe, selbst wenn sie in der Saale voll abladen könnten, nicht abladen, weil sie auf der Elbe kein Wasser unter dem Kiel haben.

Ein Logistiker hat mit Blick auf die Wasserstraße sehr klug gesagt: Wenn man einen Lkw mit 27 t Tragfähigkeit hat, dann lässt man den auch nicht mit 3 t Ladung fahren. Genau so ist es. Das heißt also, wenn wir uns nicht von dem Paradigma verabschieden, dass man dort mit dem herkömmlichen Schiffstyp wirtschaftlich fahren können muss, dann haben wir keine Chance, weil die Schiffe, die jetzt fahren, mit der Rhein- und Donauschiene im Wettbewerb stehen. Dort werden die Preise gemacht.

Wir müssen letztlich - das ist eigentlich unser Ansatz, unser Vorschlag, der bisher aber nicht erhört worden ist; aber vielleicht seine Umsetzung jetzt mit der Frau Ministerin möglich, es war ein erfreulicher Hoffnungsfunke zu erkennen - auf die Schubverbände setzen, weil diese bei einer Wassertiefe von 1,60 m wesentlich besser abgeladen fahren können. Sie müssen bis zum Mittellandkanal fahren; dort müssen Koppelverbände zusammengestellt werden. Koppelverbände mit einer Ladekapazität von bis zu 2 000 t sind möglich; dafür ist der Mittellandkanal zugelassen. Deshalb muss der Mittellandkanal eben nicht nur bis Haldensleben in einer vorrangigen Stufe des Wasserstraßennetzes eingestuft sein, sondern es muss bis Magdeburg gehen. Ja, Herr Webel, Haldensleben ist jahrelang Ihre Residenzstadt gewesen.

(Minister Herr Webel: Das habe ich doch ge- sagt!)

Der Chef des Hafens in Haldensleben ist der Einzige, der schon vor Jahren gesagt hat: Den SaaleSeitenkanal brauchen wir nicht.

(Zurufe von Herrn Felke, SPD)

Jetzt komme ich vielleicht einmal noch zu den Rahmenbedingungen. Die Prognosen des Bundes für die Saale gehen von einem jährlichen Frachtaufkommen von - das ist unterschiedlich; im Jahr 1989 waren es noch 2,9 Millionen t - maximal 1,7 Millionen t aus. Der Verein zur Hebung der Saaleschifffahrt geht von 2,5 Millionen t aus. Und - man höre und staune - ganz über Nacht ist in dem Brief, den Herr Erdmenger - ich glaube, Sie waren es - schon hoch gehalten hat

(Der Redner hält ein Schriftstück hoch)

und den wir als Reaktion auf die Ankündigung des Bundes, dieses Wasserstraßensystem zu ver

ändern, erhalten haben, auf der letzten Seite von einem potenziellen Binnenschifffahrtsanteil von 3,625 Millionen t im Einzugsgebiet der Saale die Rede. Das sind mehr als 3 Millionen t - und mehr als 3 Millionen t heißt nach dem Ramsauer’schen Konzept, dass man dann schon in dem Nebennetz landen würde.

Lobbyismus ist ja gut, aber irgendwo gibt es eine Grenze. Man sieht auch, dass von den 3,6 Millionen t der Hafen in Halle allein 1,65 Millionen t beisteuern soll. Wenn wir den abziehen, dann sind es 2 Millionen t.

Und komischerweise gab es vor zwei Tagen folgenden O-Ton im „Wochenspiegel“ vom Mittwoch, dem 11. Mai 2011: Auf Schiffe nie verlassen - ein Bericht aus dem Hafen Halle -; wenn man auch noch Schiffe in Halle abfertigen könnte, wäre das ein „nettes Zubrot“, steht hier. Ein nettes Zubrot aus 1,65 Millionen t.

Meine Damen und Herren! Ich möchte damit sagen, dass diese Zahlen nicht seriös sind. Die Investitionskosten in Höhe von 500 Millionen €, die Herr Minister Webel hier ins Feld geführt hat, sind genau die 500 Millionen €, von denen auch in diesem Brief die Rede ist. Das heißt also, dass das in den ganzen Jahren vorher propagierte Güterverkehrsaufkommen von 2,5 Millionen t pro Jahr vielleicht möglich wäre, aber eben nicht gesichert ist.

Diese Luftbuchungen fallen uns auf der anderen Seite auf die Füße; denn die 3,625 Millionen t gibt es schon jetzt. Die werden jetzt gefahren. Durch wen? - Jedenfalls nicht durch Schiffe auf der Saale. Also werden sie durch Lkw und die Bahn gefahren. Es gibt Analysen, nach denen im Saale-Einzugsgebiet 90 % des Güteraufkommens mit dem Lkw gefahren werden.

(Herr Schröder, CDU: Also sind Güter da!)

- Ja, das heißt, die Güter sind da. - Das heißt, das Binnenschiff müsste diese Güter erst von der Straße zurückgewinnen. Zahlen der Binnenschifffahrt zufolge müssen die Preise etwa um 10 % günstiger sein, bevor ein Unternehmen daran denkt, den Verkehrsträger zu wechseln. - Damit möchte ich es bewenden lassen.

Ich denke, es ist höchste Zeit, dass wir die Gelegenheit nutzen und uns vielleicht doch alle zusammenraufen. Ich hatte einmal den Vorschlag gemacht, ein Zukunftsforum „Binnenschifffahrt“ ins Leben zu rufen, bei dem man wirklich alle Zahlen vorurteilsfrei auf den Tisch legt, um zu überlegen, wie man unter den Bedingungen der jetzigen Zeit mit der Konkurrenz im Westen für das Elbestromgebiet eine wirtschaftliche Binnenschifffahrt hinbekommt. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Köck. Herr Dr. Köck, würden Sie eine Frage von Herrn Borgwardt beantworten?

Bitte schön.

Herr Dr. Köck, ich habe eine Frage. In Wittenberg hat beispielsweise das SKW Piesteritz, also das ehemalige Stickstoffwerk, für mehrere Hundert Millionen den Hafen ausgebaut.

(Zurufe: Sie müssen in das Mikrofon spre- chen!)

- Ja, das versuche ich ja. - Neben den arabischen Staaten ist zum Beispiel die Tschechische Republik einer der größten Abnehmer dieses Düngers. Dazu gibt es ganz konkrete Berechnungen. Aber das möchte ich jetzt hier gar nicht sagen.

Die Bürgerinitiativen und Vertreter, die gegen die Flussunterhaltung sind, sind auch dagegen, wenn der Betrieb dann die Straße nutzt, nämlich die Dessauer Straße, weil er keine andere Möglichkeit mehr hat. Wenn man Ihrer Argumentation folgt, dann kommt man aber sehr schnell ins kurze Gras. Das muss ich Ihnen ganz klipp und klar sagen. Deswegen ist Ihre Argumentation nicht tragend.